Читать книгу Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus - Peter Weidlich - Страница 10

EINFACH ANGENOMMEN Antriebe

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Vier war ich, im Jahre 1950, die Welt unter einer Baskenmütze hervor taxierend, adoptiert von fremden Menschen, die einen Säugling großziehen wollten im Gegensatz zu einem Vierjährigen, bei dem die Sozialisation bereits abgeschlossen war? Schwer vorstellbar!

Sie haben mich angenommen!

Ihre dem Menschen zugewandte positive Grundhaltung, der Mensch, wenn er in die Welt kommt, sei gut, gab meinem Leben entscheidend neue Impulse. Da waren Erwachsene, die auf mein Verhalten reagierten, die mir erklärten, was nach ihrer Meinung in Ordnung war und was ich hätte anders machen müssen. Mir standen persönliche Autoritäten gegenüber, bei denen ich nicht mehr hungern musste, die mit mir spielten, die mir ein Bett in meinem Zimmer gaben und mich vor dem Einschlafen streichelten: Mich, ein wildfremdes Kind. Ich hatte meinen Vater und meine Mutter in meinem Zuhause!

Als ich sechzehn Jahre alt war, fragte ich meine Eltern, wie ich als kleiner Junge gewesen sei und was sie mit mir erlebt hätten.

„Du hast auf deinem Pöttchen gesessen, im Flur, und als der Vermieter die Treppe hinaufkam, hast du den erstaunt blickenden Mann mit den Worten begrüßt: Ich wohne nämlich hier!“

Als ich sie fragend anblickte, übergab mir mein Vater sein 1958 erschienenes Buch „Der Knilch und sein Schwesterchen“: Mein neues Leben als der Knilch.

Ich fing an zu lesen. Mit jeder Zeile begriff ich, auf welches ‚Abenteuer‘ sich meine Eltern eingelassen hatten.

Man hatte mir im Heim signalisiert, dass eines Tages meine Eltern kommen und mich mitnehmen würden. Da waren sie nun.

Im Bahnhofswartesaal der Mann und ich, die Frau nutzte die Wartezeit, bis der Zug uns in mein neues Zuhause bringen würde, um neue Klamotten für mich zu kaufen. Eine Musikdose sollte mich ablenken. Als ich sie linksherum drehte, krachte es in ihr. Wir beobachteten uns, der fremde Mann mich, ich ihn, mit lauernden Blicken. Ich stand auf, fluchtbereit. Er wusste, jetzt beginnt der Ringkampf um die Entscheidung. Ich rannte zur Tür, er hinterher. Er packte mich und dachte: Dieser tierhafte kleine Wilde fügt sich nur körperlicher Überlegenheit, also Gewalt! So war er geprägt, von seinen Eltern, vom Krieg, vom damaligen Mainstream. Widerspenstigen, bockigen Kindern müsse man ihren Willen brechen. „Kinder, die was wollen, kriegen was auf die Bollen!“ „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast du mir zu gehorchen!“

Wirklich?

Vierzig Jahre später: Dirk, elf Jahre alt, ein Mündel, abgegeben von leiblichen Eltern zu Pflegeeltern und jetzt von Adoptiv-Eltern zu uns ins Heim. Zu schwierig, bindungsunfähig, aggressiv.

Die Erzieherin begleitete ihn in sein Zimmer zu seinem Bett und wollte seine wenigen Habseligkeiten aus einer Plastiktüte in seinen Schrank einräumen.

„Gib’ mir die Tüte“, bat sie. Er wehrte sich: „Meins!“

Statt ihn einräumen zu lassen, wollte sie ihm die Tüte entreißen. Er schrie auf. „Nein, meins!“ Sie blickte strafend.

Er rannte zum Fenster, riss die Flügel auf und kletterte auf die Fensterbank. Erschrocken rief sie mich um Hilfe.

„Dirk will aus dem Fenster springen! Peter, komm’ schnell“, hallte es durch das Treppenhaus.

Zum Zimmer eilend, nahm ich mir vor, ihn mit einem gewaltigen Satz zum Fenster und beherztem Griff am Springen zu hindern.

Unsere Blicke kreuzten sich. Statt zum Fenster zu eilen, setzte ich mich auf sein Bett und deutete der Erzieherin, uns allein zu lassen.

„Ich bin auch ein Adoptivkind!“, flüsterte ich in seine Richtung. „Ich verstehe dich! Was ist passiert?“

„Sie haben mir immer alles weggenommen! Das sind meine Sachen, die gehören nur mir!“

„In Ordnung. Zeig’ mir, was du mitgebracht hast!“

Tränende Augen sahen mich verzweifelt an. Er sprang vom Fensterbrett, brachte die Tüte und zeigte mir seine Schätze.

So ein kleiner Knirps musste Angst haben, dass ihm sein Miniteddy, die kurze Hose samt Trikot und Fußballschuhe mit drei Streifen weggenommen werden könnten. In seiner Hand hielt er ein zerknittertes Foto, das er zwischen der Unterwäsche versteckt hatte.

„Meine richtige Mama“, zeigte er mir, „und ich.“

Wochenlang haben meine Eltern mit mir gerauft und sich gefragt, ob sie mich ‚hinkriegen‘. Nur nicht schlappmachen, war ihre Devise. Wenn einer schlappmachen muss, dann der Knilch!

„Der muss doch irgendwann müde werden“, stöhnten sie und wanderten mit mir durch den Reinhardswald zum Dornröschenschloss und zurück, fünfundzwanzig Kilometer bergauf, bergab. Sie waren kaputt, ich wollte weiterhin draußen spielen. Heute würde ich als ADHS-Kind2 eingeordnet und medikamentös ruhiggestellt werden.

Ich war eben zäh.

Unermüdlich rollte ich die Treppen im Gutshof hinauf und hinunter, kreuz und quer über den Hof, wie eine Achterbahn ohne Bremsen. Hemmungslos tat ich das, wozu es mich trieb, meist ohne Verstand, so las ich über mich.

Die beste Schule sei die Erfahrung am eigenen Leib, dachte mein Vater und reagierte entsprechend: Als ich einem Jungen Sand ins Gesicht geworfen hatte, nahm er mich mit in die Sandkuhle und bewarf mich mit Sand. Ich muss fürchterlich gebrüllt haben und fand Sandwerfen nicht mehr lustig.

Spannend fand ich es, Kellerfenster einzutreten und war total geschockt, als mein Vater daraufhin sagte: „Nun pass mal auf, was ich kann!“ Er nahm mein Feuerwehrauto und trat es platt. Das gefiel mir gar nicht.

Wir hätten es bestimmt leichter gehabt, und erst recht der Knilch, die bösen Triebe umzulenken, wenn nicht die Erwachsenen so verbohrt bei ihrer vorgefassten Meinung geblieben wären. Gerade ein Kind, das seine Eltern nicht mehr hat, braucht doch Vertrauen, Liebe und Schutz viel mehr als ein Kind, das in der natürlichen Geborgenheit bei den eigenen Eltern aufwächst. Denn, spürt es die Geborgenheit und das Vertrauen nicht, verschließt es sich, wird scheu und schließlich misstrauisch. Daraus erst wächst dann der schlechte Charakter, den man schon vorher in das Kind hineingedacht hat. Die Immer-Gescheiten aber sagen: Na bitte, da haben wir’s! Manche Erwachsenen haben geradezu mit Wonne – und ohne ihn daran zu hindern! – den Knilch bei seinen schlimmen Streichen beobachtet. Und wenn meine Frau oder ich auf den Hof kamen, um nach ihm zu sehen, wiesen sie selbstzufrieden auf ihn hin und sagten: „Da! Sehen Sie ihn sich nur an! Er ist gerade wieder dabei!“ Es war ihnen eine Lust, uns zu ‚beweisen‘, dass er nichts tauge.3

Als ich diesen Absatz vor einigen Tagen las, um meine Vergangenheit aufzufrischen, musste ich an die Kinderheim-Kinder denken, die Ähnliches haben durchleben müssen: Einmal Heimkind, immer Heimkind. Diesen Teufelskreis zu durchbrechen und dennoch zu seinem ES zu stehen, erfordert gelebte Kompensation.

Dem ICH, durch die Trennung von der Mutter und der daraus resultierenden Objektkonstanz, aus den Augen, aus dem Sinn, fehlt das Urvertrauen und die sichere Bindung an die Mutter, eine Mutter, die füttert, badet, streichelt und damit das Gefühl vermittelt, in der Welt willkommen und angenommen zu sein. Wenn dieses ‚Bild‘ von einer Mutter, im kindlichen Gedächtnis und Herzen verankert, zerstört wird, sind Bindungsstörungen die Folge.

Das ES mit seiner Triebhaftigkeit, mit seinen Antrieben, mit seinem Drang nach Bedürfnisbefriedigung und seiner Suche nach Anerkennung macht einerseits das zurzeit von unserer Gesellschaft geforderte Alleinstellungsmerkmal aus, andererseits zwang mich diese Manie, immer wieder Neues zu beginnen.

Kann dieser Antrieb, besser, schneller zu sein als andere, schier unlösbare Herausforderungen angehen und meistern zu wollen, ein Beweis dafür sein, ein zerstörtes Selbstwertgefühl wieder herzustellen? Sich gegen den Makel eines ‚Bastards‘ aufzulehnen? Wie kleine Menschen, die unter ihrer Größe leiden und ihren Minderwertigkeitskomplex mit intrigantem Verhalten oder unmenschlicher Härte oder grandioser Leistung wettmachen wollen? Ein kompensierendes ÜBERICH will erfahren werden, mittels Versuch und Irrtum, durch Ge- und Verbote oder über eingebleute Züchtigungen, wie man früher dachte und handelte.

Hat ein Adoptivkind, abgestoßen von seinen Eltern, egal aus welchen Gründen, ein Bastard eben, ein Recht auf Leben, ein Recht auf Anerkennung, ein Recht auf Liebe?

Diese Frage der Existenzberechtigung stellt sich zunächst kein Kind, das als leibliches Kind aufwächst oder dem die Tatsache verschwiegen wird, adoptiert worden zu sein, es sei denn, Umweltfaktoren bedrohen sein Leben.

Ich stellte mir, je älter ich wurde, immer wieder diese Fragen und beantwortete sie mit verstärkten Antriebshandlungen in jeglicher Hinsicht, mit wechselndem Erfolg:

Mutter bat mich, ich war voll in der Pubertät, das Kartoffelfeld umzugraben, weil sie die Saatkartoffeln legen wollte. Ich grub wie ein Besessener. Plötzlich, völlig losgelöst, packte ich den Spaten mit beiden Händen und wirbelte ihn um mich herum. Dass sich meine kleine Schwester aufgrund meiner Fluggeräusche interessiert näherte, bemerkte ich nicht. Aber mein Vater sah aus seinem Fenster die Gefahr und brüllte. Erschrocken brach ich den Hubschrauberflug ab. Von diesem Augenblick an geschah etwas in mir. Ich nahm mir vor, „triebgesteuerte“ Eingebungen in nutzbringende Antriebe umzuwandeln, was mir nicht immer gelang.

Denkaufgaben einfachster Art hingegen, wie ein einfaches Legespiel, Klötze zu Märchenbildern zusammenstellen, mit einem Stabilbaukasten einen Kran zusammenzusetzen oder mit Holz-Bauklötzen Häuser zu bauen, erschöpften mich damals. Ich schmiegte meinen Kopf an meine Mutter, fassungslos darüber, nach einer halben Stunde bereits keine Motivation mehr zu haben.

Dank unermüdlicher Hilfestellung und tagtäglicher Forderung begriff ich den Sinn dieser Spielangebote. Ein Verkehrsteppich mit aufgemalten Straßen, Schildern und einigen Spielautos sollte mich animieren, Vater hatte gerade unseren ersten VW erstanden, Verkehrsregeln zu begreifen. Er hatte meine ständigen Fragen wahrscheinlich satt.

Ich merkte, dass ich meinen Verstand tatsächlich gebrauchen konnte und begann, es fing mit Angelbüchern an, nachzulesen, wie und wann ein Aal zu fangen sei, wie man ihn töten und räuchern könne. Später verschlang ich alle Karl-May-Bücher, litt mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn und begriff, wiederum Jahre später, dass jedes Wort bei mathematischen Textaufgaben eine bestimmte Bedeutung hatte.

Kriegsgräberpflege in Frankreich. Man suchte junge Leute, die einen Teil ihrer Ferien mit sinnvoller Arbeit verbringen wollten. Auf meinen Wunsch meldeten mich meine Eltern an. Es ging nach Amiens.4

1961 begann der Volksbund damit, die deutschen Toten aus Grablagen in den umliegenden Départements zu bergen. Zweiundzwanzig Kilometer nordwestlich von Amiens legte er den Friedhof Bourdon als zentralen Sammelfriedhof an. Meine Aufgabe und die anderer Jugendlicher war, jeden Vormittag ein großes Stück Land umzugraben, drei Wochen lang. Harte Arbeit, herrlich. Ich war nicht zu bremsen. Als Dank durfte ich am Sonntag als Messdiener in der Kathedrale von Amiens dienen und wurde anschließend vom Pfarrer zum Mittagessen eingeladen. Ich wusste nicht, dass Franzosen zum Essen Wein trinken. Unbekannt war mir, welche Wirkung der Wein erzielte. Total betrunken, leise, zufrieden vor mich hin lallend, wurde ich ins Lager zurückgebracht.

Neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit in der Kita Jahre später kümmerte ich mich ehrenamtlich um den Aufbau des Malteser-Hilfsdienstes in Braunschweig. Bisher war der Kurs „Sofortmaßnahmen am Unfallort“ für Führerscheinanwärter angeboten worden. Ich wollte mehr.

Meine Beobachtungen und Befragungen ergaben, dass der Krankentransport in Verbindung mit dem Rettungsdienst von den anderen drei Vereinen, Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund und Johanniter-Unfall-Hilfe durchgeführt wurde. Sie kämpften als Konkurrenten um jeden Transport. Damals gab es keine gemeinsame Rettungsleitstelle, die alle Einsätze koordinierte, wie heute.

Ich fragte zwei Sanitäter, warum sie den stark blutenden Unfall-Patienten nicht richtig ‚angefasst‘ hätten mit stabiler Seitenlage und direkter Wundversorgung. „Wir sind doch nicht verrückt. Wir haben nur eine Uniform, die können wir nicht einsauen!“ Zusätzlich stellte ich fest, dass die Kranken oder Verletzten am Krankenhaus-Eingang abgegeben wurden, damit man schnell den nächsten Transport übernehmen konnte.

Über die Hauptzentrale des Malteser-Hilfsdienstes orderte ich einen Krankenwagen und ließ Ehrenamtliche zu Sanitätern ausbilden. Sie erhielten weiße Kittel und die Anweisung, Schwerkranke oder Verunfallte direkt zu versorgen und sie bis in den OP-Bereich des Krankenhauses zu bringen. Innerhalb weniger Wochen hatten wir die meisten Krankentransporte nach dem Roten Kreuz!

Das brachte Rudi auf den Plan. Er rief mich an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm einen Flugrettungsdienst für den Harz-Heide-Raum zu organisieren. Er habe als Testpilot der Freiwilligen Feuerwehr Niedersachsens gearbeitet und sich aus zwei Hubschraubern einen zusammengebaut, der einsatzfähig sei.

Tolle Idee. Der Malteser-Hilfsdienst hatte kein Interesse, mit zu machen. Vielleicht ahnten die Verantwortlichen, welche Schwierigkeiten auf sie zukommen würden. Mich reizte es, naiv aktiv, wie ich war:

Innerhalb von acht Wochen hatte ich ein Team von ehrenamtlichen Sanitätern, drei Unfall-Ärzten und zwei Piloten zusammengestellt und einen Flugrettungsverein gegründet, als gemeinnützig anerkannt. Räume für das Einsatzteam und der Hubschrauber-Landeplatz standen im Krankenhaus Salzdahlumer Straße bereit. Die Firma Draeger stellte die notwendigen Geräte im Hubschrauber zur Verfügung. Der Oberbürgermeister der Stadt hatte seine ideelle Unterstützung zugesagt, eine Versicherungsgesellschaft begann mit der Beschriftung des Hubschraubers.

Wir trafen uns mit einem Mann vom Fach, um ihm unser Konzept vorzustellen. Er hatte sich einen Namen gemacht mit Notrufsäulen entlang der Autobahnen und mit der Flugrettung bundesweit. Für den Einsatz des Hubschraubers am Unfallort, so erklärten wir ihm, bekam man von der jeweiligen Krankenkasse achthundert DM, für die Verbringung des Notarztes zusätzlich achthundertfünfzig DM, zusammen pro Einsatz eintausendsechshundertfünfzig DM. Für die Wartung des Hubschraubers hätten wir eintausend DM im Monat aufbringen müssen. Da alle ehrenamtlich tätig waren, wären geringe Sachkosten angefallen. Folglich kein Zuschuss-Unternehmen, im Gegensatz zu einem Flugrettungsverein, der nur mit hoher staatlicher Subvention wie Spenden existieren konnte.

Wem hatte ich da wohl auf die Füße getreten? Ich merkte nichts, naiv wie ich war!

Als ich das Rettungswesen öffentlich vorstellen wollte, benötigte ich für den Hubschrauber eine Außenlande-Erlaubnis. Im Notfall kann er überall landen, ansonsten braucht er eine Sonder-Erlaubnis. Ich stand vor dem zuständigen Beamten des Bundesluftfahrtamtes und bat um die Erlaubnis.

„Nein“, sagte er, „die bekommen Sie nicht!“

Ich dachte an einen Scherz. „Warum nicht“, fragte ich perplex.

Achselzucken.

Als ich begriff, dass alle meine Mühen umsonst waren und an diesem sturen Beamten zu scheitern drohten, brach für mich eine Welt zusammen. Meine angestaute Energie, meine Anspannung explodierte in einem fürchterlichen Gebrüll. Vor Schreck kroch die Sekretärin unter ihren Schreibtisch. Der Beamte wurde kreidebleich und atmete schnappartig.

Ich blies alles ab, enttäuscht und frustriert. Und langsam dämmerte mir, dass Geld eine Macht war, die man nicht unterschätzen durfte.

Eine Erkenntnis, die mich als Sozialpädagogen bis ins Mark traf.

Wenn ich an manche Aktivitäten denke, die ich als Heimleiter mit den mir anvertrauten Jugendlichen initiiert habe, frage ich mich, wo mein Verstand geblieben ist, als erlebtes Abenteuer mir wichtiger schien als vom Verstand gelenkter Verzicht:

Mit dem Geländewagen durch zwei Meter hohes Maisfeld gerast, auf den Trittbrettern klemmten Jungen, sich bei offenen Fenstern an Halteschlaufen krallend, laut grölend und total begeistert. Was für eine Mutprobe! Der Mais war von mir bezahlt, die platt gefahrenen Maishalme mit den reifen Kolben boten Hasen, Fasanen, Rebhühnern, Kaninchen Leckerbissen den Winter über. Es war daher sinnvoll, aber nicht normal! Was hätte nicht alles passieren können?

Oder im Schnee. Zwanzig Meter lange dicke Eisenkette an der Anhängerkupplung, alle zwei Meter ein Schlitten mit starkem Karabiner angehakt. Ab ging es durch den Schnee. Der letzte der zehn Schlitten schlingerte am meisten. Auf dem lagen sie bäuchlings, um besser steuern zu können. Blitzartiger Stopp, wenn einer vom Schlitten purzelte. Es klappte immer.

Wenn ein Kind verunglückt wäre? Jeder hätte an meinem Verstand gezweifelt. Triebgesteuert, ohne Verstand? Jeder Richter hätte mich verurteilt, mit Recht!

Genau wie bei der theoretischen Führerscheinprüfung. Ich wunderte mich, dass einige Eltern meiner Heimkinder keinen Führerschein besaßen. Auf meine Nachfrage erfuhr ich, dass sie sich ihn sehnsüchtig wünschten, aber einige Male durch die theoretische Prüfung gefallen seien und resigniert hätten.

Von meinem Antrieb gesteuert, Fremden helfen zu wollen, kam ich auf die Idee, eine Fahrschule aufzubauen, die innerhalb von zwei Wochen die theoretischen wie praktischen Kenntnisse vermitteln sollten. Zum Abschluss der zwei Wochen wäre die Prüfung.

Mit einem Kollegen, der Fahrlehrer war, richteten wir direkt nach der Wende in Mecklenburg-Vorpommern ein ehemaliges Jugendfreizeitheim her, bestückten den Fahrschulraum mit den notwenigen Lehrmitteln und luden fünf Schüler ein, diesen Probelauf, abgestimmt mit der DEKRA, durchzuführen. Vier Prüflinge bestanden den Kurs und erhielten den regulären Führerschein B. Meine Heimkinder strahlten, als ihre Eltern endlich den Führerschein besaßen.

Dieses Fahrschul-Modell konnte nicht fortgesetzt werden, weil der Fahrlehrer verstarb. Ich selbst musste mich intensiver um meine Heimkinder kümmern.

Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus

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