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VON WALD UND TIER GEPRÄGT Verantwortung

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Direkt hinter dem Gutshof, in dem wir zuoberst wohnten, erstreckte sich der Hochwald mit für mich seltenen Geheimnissen. An einer ganz bestimmten Stelle, höher gelegen zwischen alten Buchen, ein steiniger, niedriger, mit Moos bewachsener Wall. Neugierig rollte ich einen der größeren Steine zu Seite und erschrak: Etwas Gelb-schwarzes glotzte mich aus kugelrunden, dunklen Augen an. Statt zu fliehen, fiepte es, vermischt mit einem hellen Knurren. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus und schob es mit der anderen auf meine Handfläche. Das kleine Wesen musste ich meinem Vater zeigen. Es machte immer noch keine Anstalten, weg zu laufen. In meiner Handkugel beschützt, eilte ich den Hang hinunter nach Hause. Stolz zeigte ich Vater meine Entdeckung. Er runzelte die Stirn und klärte mich auf: Ein Feuersalamander, streng geschützt, die Haut scheide ein Gift aus, deswegen nie anfassen! Vorsichtig nahm er ein Geschirrtuch, wickelte das winzige Reptil hinein, und gemeinsam brachten wir es wieder an den Fundort, den ich mir gemerkt hatte.

Jahre später, als einige Kinder in meinem Kinderheim von Salamander-Schuhen schwärmten, erzählte ich ihnen diese Geschichte und prahlte damit, diesen Fundort wieder zu finden.

„Das wollen wir sehen“, forderten sie mich heraus.

An einem Wochenende darauf fuhr ich mit zwei Mädchen und zwei Jungen in das Weserbergland bei Trendelburg, führte sie zu der Stelle und – tatsächlich fanden wir unter demselben großen Stein mehrere Feuersalamander.

„Cool. Sind die süß!“ Anerkennendes Schulterklopfen.

Es faszinierte mich, mit meinem neuen Vater an einem mit Wasser gefüllten Bombentrichter aus dem zweiten Weltkrieg den Unkenrufen zu lauschen, die wie fernes Glockengeläut aus der Tiefe des Kraters drangen, geheimnisvoll und spannend zugleich. Mein Vater liebte den Wald mit seinem würzigen Geruch nach Harz und feuchtem Moos, nach vermodertem Holz und frischem Grün. Und seinen Früchten, die besonders in der Nachkriegszeit gefragt waren: Pilze aller Arten, Bucheckern, Brennnesseln als Spinat, Blau-, Preisel-, Himbeeren, wilde Erdbeeren zwischen alten, nicht mehr befahrenen Bahngleisen und Holunderblüten im Mai, aus denen meine Mutter erfrischende Limonade zauberte und Marmelade aus den Holunderbeeren im Herbst.

Ich habe Vaters bitterenttäuschte Mimik gesehen und mitgelitten: Er briet siegesgewiss selbstgesammelte Steinpilze in Butter, einen prallgefüllten Rucksack voll. Nach dem ersten Bissen wurde alles im Mülleimer entsorgt: Bitterpilze! Sie sehen den Steinpilzen zum Verwechseln ähnlich.

Als ich auf einem großen Wasserfass sitzen durfte, mit Sirup gefüllt, und handflächenweise diese klebrige Masse herausangeln und schlecken konnte, war die Welt für mich in Ordnung.

„Der Junge braucht einen Spielkameraden, als Einzelkind wird er verwöhnt! Vielleicht ein Schwesterchen? Dann kann er gleich üben, Rücksicht auf Kleinere oder Jüngere zu nehmen.“

Schnell wurde der als Sehnsucht empfundene Gedanke meiner Mutter in die Tat umgesetzt. Das Jugendamt stellte ein neun Monate junges Mädchen vor, zur Freude meiner Mutter, weil es nicht so fordernd sein würde wie ich, hoffte sie.

Sie war der Sonnenschein unserer Familie, fünf Jahre jünger als ich, moppelig, pflegeleicht. Sie hing an mir, ihrem großen Bruder. Den Gedankenblitz wischte ich zur Seite, dass sie eine Konkurrentin sein könnte. Ich war mir der uneingeschränkten Liebe meiner Eltern trotz meiner Wildheit sicher, in der ebenfalls Platz für meine kleine Schwester sein würde.

Um zu uns gelangen zu können, musste jeder Besucher die Verschachtelung vieler Treppen überwinden, bis er zur sogenannten Falltreppe kam, die in Ermangelung eines Geländers Abstürze provozierte. Darüber wurde später ein Film gedreht: „Die Falltreppe“ mit Ralf Wolter, bekannt als Sam Hawkens-Darsteller in den Winnetou-Filmen. Er spielte meinen Vater und Arnim Dahl doubelte als Stuntman den Versicherungsvertreter, der die Falltreppe hinunterstürzen musste. Nach drei Treppenstürzen war die Szene im Kasten.

Ein Jahr später zogen wir um in die Lüneburger Heide, nach Knesebeck, in ein ehemaliges Forsthaus, mitten in einem großen Waldgebiet, genannt ‚Junkernholz‘, vier Kilometer abseits des Dorfes.

Hier hatte mein Vater sein eigenes Zimmer, in dem er seine Bücher schrieb und seine Texte für Rundfunk und Fernsehen verfasste. Ganz links ein Kanonenofen, an dem ich lernte, wie man mit Reisig und harzigen Tannenzapfen, Minuten später mit Briketts eine angenehme Wärme erzielen konnte. Halblinks ein großer Schreibtisch, mit Bleistiftstummeln in Bleistifthaltern, Radiergummis, eine Adler-Schreibmaschine, Durchschlagpapier, Tischlampe, alter runder Eichenstuhl, rechts flache, gepolsterte Liege als Bett, Stehlampe.

Der Wald verführte mich zu jeder Jahreszeit. Wenn die Sonne stärker war als der Schnee, die ersten Schneeglöckchen und Krokusse und wiederkehrenden Kraniche den Frühling ankündigten, trieb es mich, den Staub aus den jungen, weichen Haselnusslämmchen zu stupsen, die Veilchen und ein wenig später die Schlüsselblumen als Frühlingsboten für meine Mutter zu pflücken. Das junge Grün der Birken und Buchen, die sich entfaltenden Königsfarne, der hämmernde Specht an knorrigen Kiefern und die Kuckucksrufe lockten mich in die Geheimnisse des Hochwaldes. Wenn ich Rehe und Hirsche in ihren Einständen beobachtete, mit Herzklopfen zu den sich suhlenden Wildschweinen im Schutz der Farnkräuter robbte oder mich ihrem Kessel mit den drolligen Frischlingen näherte und, dem Warnschnaufer der Bache gehorchend, mich schleunigst zurückzog, dann lebte ich glücklich in meiner Welt.

„Eine Welt, in der alles in Ordnung scheint, in der alles seinen Platz hat zum Wohle des Ganzen“, wie mein Vater es mir in Gegenwart seines Schriftstellerfreundes Manfred Hausmann vermittelte, als dieser ihm seine neuste Erzählung über den besten Fahrer von Edinburgh präsentierte und mir meine erste Angel mit stationärer Rolle schenkte.

Micki, unsere Airdale-Terrierhündin, und ich saßen fast täglich an der Ise5, beobachteten Barsche und Hechte, die im klaren Wasser auf Beute lauerten.

Neunaugen faszinierten mich, weil sie sich an größeren Fischen festsaugen, sich Blut und Fleischstücke einverleiben. Spezielle Substanzen in ihrem Speichel hemmen die Blutgerinnung, weshalb bei angegriffenen Fischen keine Blutgerinnsel entstehen. Forscher extrahieren diese Substanz, um sie in der Medizin als Mittel zur Auflösung von Blutgerinnseln zu nutzen.

Flusskrebse am Uferrand waren leicht zu fangen. Als Vater sie aber lebendig ins kochende Wasser warf, um das weiße Schwanz-Fleisch und das der Scherenmuskeln essen zu können, taten sie mir leid. Ich fing keine mehr.

Die Miesmuscheln übten einen besonderen Reiz aus, weil ich hin und wieder eine Muschel mit einer Perlmutt-Perle zur Freude meiner Mutter fand.

Bald wusste ich, mit welchen Ködern man Forellen oder Hechte fangen konnte. Bei Hochwasser war die Ausbeute gut, weil Karpfen und Aale versäumt hatten, sich mit dem abfließenden Wasser in das Flussbett zu retten.

Satte, Champion reiche Kuhweiden links und rechts der Ise sorgten im Altweibersommer für zentnerschwere Pilzmahlzeiten. Allerdings war höchste Vorsicht geboten: Vorwitzige Knollenblätterpilze, mit denen nicht zu spaßen ist, gesellten sich nahe des Waldrandes zwischen die Wiesenchampignons.

Als ich als Zwölfjähriger diesen entsetzlichen Traum hatte, stand für mich fest: Tiere werden nicht gequält!

Ich hatte einen Tag zuvor bei meinen Streifzügen durch den Wald einen riesigen Ameisenhaufen entdeckt. Vater hatte in einem dieser Haufen mit nacktem Po gesessen, um durch die Ameisensäure die Schmerzen an seiner Bandscheibe besser ertragen zu können.

Dicke Waldameisen krabbelten an meinen nackten Beinen empor, weil ich zu nahe an ihrer Wohnung stand und Arbeitswege blockierte. Als ich herumhampelte und versuchte, die Ameisen wegzuschlagen, bissen sie. Ich packte mir einen Ast und zerstörte den ganzen Haufen.

„Das habt ihr davon. Warum beißt ihr mich?“, begründete ich mein Tun und lief weiter durch den Wald zur Ise, um die schmerzenden Bisse zu kühlen.

Nachts im Traum kamen sie. Sie krabbelten unter meine Bettdecke, an meinen Beinen hoch. Mit jedem Biss erinnerten sie mich an meine blöde Tat. Es war so schlimm, dass ich mich auf die Decke legte, um nicht mehr gepiesackt zu werden.

Als Vater aus seiner Dichterklause zum nahen Waldrand blickte, sah er mich. Ich stand am Maschendrahtzaun und redete mit den fünf Gänsen. Einerseits fand ich sie toll, weil sie lecker schmeckten. Andererseits versuchten sie mir immer in die Hacken zu beißen, wenn sie frei herumliefen und ich mit meiner Mundharmonika auf dem Weg zum Klo war.

Das Plumps-Klo, ein Donnerbalken aus breiten Brettern mit einem Loch, war in einem der vier Schuppen untergebracht. Um dahin zu kommen, musste ich am offenen Gänsegehege vorbei.

„So, jetzt zeig’ ich’s euch, ihr kommt zwar sowieso bald in die Pfanne, vorher kommt die Strafe!“

Ich bewarf sie zielgenau mit Steinen. Sie flatterten schnatternd durchs Gehege und versuchten, meinen Würfen auszuweichen.

„Peter! Sofort aufhören! Komm in mein Zimmer!“

Oha, dachte ich, seine Stimme klingt so zornig. Hat er was? Ich hüpfte die Treppe hinauf, klopfte an seine Arbeitszimmertür. Ein hartes „Herein“ hätte mich warnen sollen.

Da saß ich auf seinem Diwan, zwischen uns sein riesengroßer Arbeitstisch. Er thronte auf seinem Uralt-Stuhl und sah mich strafend an.

„Warum habe ich dich gerufen?“, fragte er mit milderer Stimme.

„Weiß nich.“

„Wie, du weißt es nicht? Du hast Gänse gequält. Mit Steinen beworfen! Habe ich gesehen!“

„Klar, die beißen mich ja immer. Meine Rache!“

Mein Vater legte seine Stirn in Falten, ein Zeichen, angestrengten Denkens.

„Komm’ mit“, befahl er mir.

Ich wunderte mich, als er auf dem Weg zum Gänsegehege Steinchen sammelte.

Ich dachte, er wollte die Biester auch bewerfen.

„Stell’ dich an den Zaun!“

Und ehe ich mich versah, bewarf er mich. Einige gingen daneben, zwei trafen mich. Sie taten weh. Ich hob die Hände vors Gesicht, total erschrocken.

„So erging es den Gänsen auch!“

Er drehte sich mit versteinerter Miene um und ging ins Haus. Ich kramte meine Mundharmonika aus der Hosentasche und verschwand auf dem Plumps-Klo. Es kann sein, dass er mir an seinem geöffneten Fenster zugehört hatte, als ich heulend spielte: „Wenn ich ein Vöglein wär’ …“

Besonders als pubertärer Jugendlicher habe ich die Macht und Vergänglichkeit der Allmutter hautnah in mich eingesogen. Zutiefst prägten mich die jahreszeitbedingten Düfte, die immer neu erwachenden und absterbenden Pflanzen, das Treiben der Tiere und die Verwertung von Flora und Fauna. Genau dieses Gefühl, im Einklang mit der Natur zu sein, von ihr zu lernen, sie zu achten, sie zu schützen, sie zu nutzen, wollte ich zu meiner Lebensaufgabe machen. Förster war mein Traum. Nach ersten Erkundigungen wurde mir erklärt, dass man als Förster ein ausgezeichnetes Gehör besitzen müsse und als Brillenträger kaum eine Chance hätte. Aus der Traum. Pastor ging auch nicht, wegen des Zölibats.

Wie das Leben so spielt, wurde ich Sozialpädagoge. Nach Jahren pädagogischer Bildungsarbeit gründete ich mein eigenes, privates Kinderheim. Als ich den Jugendämtern meine Idee vortrug, gerade die Kinder und Jugendlichen aufnehmen zu wollen, die in Pflegefamilien oder anderen Einrichtungen nicht mehr ‚tragbar‘ seien, schmunzelte man und vermittelte mir äußerst schwierige Jugendliche.

Jugendliche, die vielfältigen Methoden pädagogischer Art ausgesetzt waren – ohne positive Verhaltensänderungen, benötigen eine andere Pädagogik, schlussfolgerte ich damals, nachdem ich während meines Praktikums in einem von Ordensschwestern geführten Heim für Schwererziehbare tätig gewesen war und erlebt hatte, wie Jungen in der Natur aufblühen: Erstens werde ich im Heim mit den Kindern leben, wie die Nonnen, und zweitens wollte ich meine Empfindungen zur Natur als Maßstab meiner Pädagogik machen, ein Leben unter Einbindung der Natur und ein Leben mit Musik.

Thomas. Vierzehn Jahre alt, heimerfahren, galt als hyperaktiv, übernervös, konnte keine Minute still sitzen. Die weiblichen Mitarbeiterinnen hatten keine Ahnung, was sie mit solch einem Jungen anstellen könnten. Matschen im heimeigenen Matschraum fand er blöde, reagierte aggressiv gelangweilt, klaute Zigaretten und besorgte sich Alkohol. Höchste Zeit, ihn loszuwerden:

„Er steckt alle anderen Kinder mit seinen Verwahrlosungstendenzen an“, wie in seiner Akte dokumentiert war.

Er war eine Woche bei mir.

„Unsere Frettchen brauchen frisches Fleisch“, ermunterte ich Thomas, „kommst du mit, ich muss ein Kaninchen schießen, weil die Frettchen heiß darauf sind!“

Er schaute mich fragend an. Eine halbe Stunde später saßen wir an der Ems.

„Die Emsdeiche wurden regelmäßig unterhöhlt, deswegen müssen wir Jäger die Kaninchen kurz halten, wir wollen ja nicht, dass die Deiche bei Hochwasser brechen“, erklärte ich ihm.

Ich zeigte auf einen Kaninchenbau, zwanzig Meter entfernt, und deutete ihm an, ganz still zu sitzen.

„Wenn du ganz ruhig im Gras sitzen bleibst und dich nicht bewegst, kommt bestimmt eins heraus!“

Ich stellte mich hinter einen Baum mit Blick auf ihn und den Bau. Er saß im Gras, die Mücken schwirrten um ihn herum, er wehrte sie nicht ab, saß unbewegt, den Bau beobachtend. Nach fünfzehn Minuten hoppelte ein Jungtier heraus. Ich schoss. Es lag im Gras. Thomas sprang auf, um es zu holen.

„Es zappelt ja noch“, wunderte er sich.

„Das sind die Nerven. Nimm es an den Hinterläufen hoch.“

Er nahm das tote Tier vorsichtig aus dem Gras, streichelte das Köpfchen und trug es zum Auto. Er sah, dass mich der Tod des kleinen Geschöpfes mitnahm.

„Den Frettchen wird es schmecken“, schluckte er.

Zuhause zerwirkten wir es und gaben es den Frettchen. Abends berichtete ich im Familienrat von diesem Ereignis und der Tatsache, dass Thomas über eine viertel Stunde absolut unbeweglich im Gras gesessen hätte, ein Junge, den man wegen seiner Hyperaktivität abgeschoben hatte!

Er und die anderen Jungen nahmen als „Edeltreiber“ an unseren Treibjagden teil, rupften Wildenten, die sie gewinnbringend an Restaurants veräußern und damit ihr Taschengeld aufbessern konnten, sie hängten Jagdtrophäen, von Jägern geschenkt, oder Abwurfstangen in ihren Zimmern auf und genossen dieses naturnahe Leben.

Wenn sie allein nachts an unserem Angelteich am Lagerfeuer saßen, dem Quaken der Frösche lauschten oder den jungen Nutrias zusahen, wie sie sich um die frischen Maiskolben stritten, waren sie glücklich. Und wenn ich sie nachts um halb drei besuchte, weil ich sicher sein wollte, dass es ihnen gut geht, ihnen frische Brötchen bei Sonnenaufgang servierte, und ihre strahlenden Augen sah, wusste ich, dass diese Pädagogik menschlich und klug war: Sie baute auf gegenseitiges Vertrauen, respektierte abenteuerhafte Elemente, setzte angemessene Grenzen, die eingehalten wurden, eröffnete Freiräume und stärkte das Selbstwertgefühl. Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung!

Mit dem Ergebnis, dass die Mädchen an dieser abwechslungsreichen Lebensgestaltung teilhaben wollten, wie die Jungen. Sie hatten keine Lust darauf, immer nur am Wochenende mit den Erzieherinnen ins Hallenbad oder die Eishalle zu fahren und forderten naturnahe Abenteuer.

Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus

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