Читать книгу Getrieben - Adoptiv-Knilch packt aus - Peter Weidlich - Страница 14
Hundevernarrt
ОглавлениеMicki, eine Airedale-Terrier-Hündin lag zu meinen Füßen und hörte mir zu. Sie verstand mich. Egal, wo ich war, immer begleitete sie mich. Auch zum Baden in der Ise. Sie hatte Bekanntschaft mit den Kühen gemacht. Zuerst war sie erschrocken, die Rinder ebenfalls. Beim dritten Treffen näherten sie sich einander, beim vierten rieben sie Nasen an Nasen. Manchmal glitt die raue Kuh-Zunge über Mickis Gesicht, so sehr mochten sie sich.
Mutter hatte mir verboten, den Hund am Tisch zu füttern. Ich saß im Esszimmer und verspeiste die leckeren mit Wurst belegten Scheiben. Micki saß neben mir auf seinen Hinterbeinen, den Kopf in Tischhöhe, die Knopfaugen bettelnd. Dem Blick konnte ich nicht widerstehen. Eine zusammengeklappte Scheibe wechselte den Besitzer. Sie schnüffelte, ob wohl keine Tablette dazwischen versteckt sein würde, und begann zu kauen. In diesem Augenblick betrat meine Mutter das Zimmer.
Erschrocken zuckte ich zusammen. Micki hörte sofort auf zu kauen.
„Du gibst ihr doch wohl nichts ab?!“
„Nein, Mutti, ich doch nicht!“
Kaum hatte meine Mutter das Zimmer verlassen, kaute Micki weiter. Wirklich.
Ich meinte, sie lächeln zu sehen, als sie die Scheibe Brot samt Leberwurst mit Genuss zerkleinerte.
Erika, die begnadete Landschafts- und Blumen-Malerin, lebte in einem Haus, umgeben von unendlich vielen Blumen, auf halber Strecke zwischen unserem Haus und dem Dorf. Ihr großer, zotteliger Bernhardiner liebte es, meiner kleinen Schwester Angst zu machen. Wenn wir beide an seinem Grundstück, das er zu bewachen hatte, vorbei fuhren, sie zur Grundschule, ich zum Bahnhof, bellte er tief und drohend. Ich beruhigte sie und sagte, dass er ihr nichts tun würde. Außerdem sei das Tor verschlossen.
An einem Wintertag, es hatte kräftig geschneit, zog ich meine Schwester auf dem Schlitten hinter mir her. Es war am Morgen, so gegen halb sieben Uhr. Wir näherten uns dem Grundstück. Plötzlich sah ich den Hund. Er sah uns. Er lief am Zaun entlang Richtung Ausgang. Das Tor ist ja zu, dachte ich. Plötzlich kam er mir schnurstracks entgegen, der Pulverschnee stob auf, machte einen Bogen um mich und bremste abrupt, die Vorderläufe in den Schnee gerammt:
„Wauwuffwuff!“
Meine Schwester fiel vor Schreck vom Schlitten.
Der Bernhardiner drehte sich ab und trottete wieder zurück. Ich meinte, sein Lachen gesehen zu haben.
Menschen, die Tiere mögen, können nicht schlecht sein, sagt man. Das muss wohl auch Coco empfunden haben. Er musste ins Heim, seine Mutter wollte es auch, weil sie mit ihren vier Kindern als Alleinerziehende total überfordert war und Hilfe einforderte, so der Vermerk des Jugendamtes.
Beide saßen im Wohnzimmer, Mutter mit verheultem Gesicht, Sohn Coco, gerade mal 10 Jahre alt, begriff die Welt nicht mehr. Hier sollte er bleiben, weit weg von seiner Mama? Niemals! Er umklammerte ihr Bein, versteckte sein Gesicht hinter ihrem Rücken. Als ich die beiden sah, eine Einheit, die zerrissen werden sollte, und die Erklärungsversuche der Mutter hörte, von denen ihr Sohn nichts wissen wollte, fühlte ich mich total fehl am Platz. Ich holte Minka und Bessy, zwei Große Münsterländer-Hündinnen, die vom Welpen-Alter an in unserer Einrichtung als Spielgefährten der Kinder lebten, und ließ sie, wie aus Versehen, in das Wohnzimmer.
Ich sah, wie die Hunde den Jungen mit seiner Mutter freudig stupsten, beide ausgiebig beschnüffelten und sich streicheln ließen. Ich verließ das Zimmer.
Nach einer halben Stunde kam die Mutter in die Küche und erklärte, dass ihr Sohn bei uns bleiben wolle.
Coco absolvierte die Hauptschule und eine Berufsausbildung mit Bravour. Er legte sich, aus der Heimerziehung entlassen, einen Terrier-Welpen zu, den er zu seiner Arbeitsstelle mitbringen durfte.
„Jagd ohne Hund ist schund“, heißt es in Jägerkreisen. Als Jungjäger, der gerade die Jägerprüfung bestanden hat, wurde ich zur Treibjagd im Münsterland auf Niederwild eingeladen. Das Treffen der Jäger mit ihren Jagdhunden war auf einem Bauernhof. Während der Begrüßung durch die Jagdhornbläser bemerkte ich einen ‚mitsingenden‘ Jagdhund, einen ‚Kleinen Münsterländer‘, schwarz-braun, in einem Zwinger auf seinen Hinter-Läufen sitzend. Der Zwinger, zwei bis drei Quadratmeter groß, ohne Auslauf, windschiefe, verrottete Hütte, verdreckte Wasserschale. Der Hund hockte in seinen Fäkalien und guckte traurig zu uns hinüber. Ich spürte einen schrecklichen Stich, als ich dieses Elend begriff. Und ich traute mich nicht, etwas zu sagen, den Halter anzugreifen, ihn zur Rede zu stellen, dieses Martyrium des Hundes zu beenden. Ich schwieg, ich wollte ja wieder eingeladen werden. Ich schämte mich meiner Feigheit.
Einige Tage später erfuhr ich, dass ein Jäger verstorben sei und seine Frau einen Jagdhund abzugeben hätte. Meine Frau, ebenfalls Jägerin, und ich besuchten den Hund, ein großer Deutsch-Langhaar-Rüde. Er sah uns Rute wedelnd aus glanzlosen Augen an. Sein ein Quadratmeter kleiner Zwinger mit einer kleinen Hütte war total verdreckt. Sein stumpfes Fell ließ nichts Gutes ahnen: Keine Impfungen, keine Wurmkur, nichts. Der Hund ist nur zur Jagd aus dem Zwinger geholt worden. Wir verfluchten diese Jäger und nahmen uns vor, nie wieder zu schweigen.
Chico lebte von nun an in unserem Kinderheim, gedieh prächtig und schüttelte den Kopf, wenn er neben mir bei der Taubenjagd saß und feststellte, dass Herrchen mal wieder vorbeigeschossen hatte. Frauchen zog er einen von ihr erlegten Rehbock aus den Brennnesseln, so stark war er, so aktiv, eben ein leidenschaftlicher Jagdgehilfe.
Nach Jahren lag er in der Küche und schnappte nach vorbeieilenden Kindern. Wir wunderten uns, weil er das nie getan hatte. Schnell begriffen wir, dass ihm der Rücken zu schaffen machen musste, denn er sprang auch nicht mehr in den Kofferraum des Geländewagens. Der Tierarzt bestätigte unseren Verdacht.
Eine Goldkugel-Implantation am Rückgrat, vereinfacht ausgedrückt, beendete sofort die Schmerzen. Chico war wieder der alte.
Ihm zum Vergnügen und den Kindern als Spielkameradin kauften wir einen Airedale-Terrier-Welpen, und tauften sie auf den Namen Kaja. Sie wuchs heran, tollte mit den Kindern um die Wette und beteiligte sich an der Erziehungsaufgabe. Sie knurrte böse, wenn zwei Jungen sich ernsthaft prügeln wollten oder gab Laut, wenn sie beim Angeln an der Ems waren und Fremde hinzukamen. Sie vertrieb Nutrias oder Wanderratten, die den Anglern zu nahe kamen.
Als beide älter und ruhiger wurden, kauften wir einen zur Jagd ausgebildeten Jagdhund, eine ein Jahr junge Deutsch-Drahthaar-Hündin. Afra zeigte bereits vom zweiten Tag an ihren Jagdtrieb, aber auch, wie intensiv sie abgerichtet worden sein musste, denn: Herumtollen oder spielen mit Bällen oder Stofftieren kannte sie nicht. Leider! Beute machen, ihrem Herrchen bringen, das hatte man ihr eingeschärft.
Ich hörte ein beständiges, energisches Jiff, Jiff, Jiff …
Afra schwamm im vierhundert Quadratmeter großen Teich des Nachbarn hinter einer Ente her. Die machte sich, so bemerkte ich mitleidsvoll, einen Spaß mit Afra. Sie paddelte vor ihr her Richtung Ufer, schwang sich in die Lüfte und fiel am anderen Ende des Teiches wieder ein. Afra drehte sich um, steuerte auf sie zu, das Spiel wiederholte sich bestimmt zehn Mal. Ich stand am Ufer und rief, flehte, schrie, nichts: Afra immer hinterher, vor der grinsenden Ente. Der Nachbar, aufgeschreckt von dem Lärm, sah das Szenario, holte seine Flinte und schoss die Ente. Afra nahm sie behutsam in ihren Fang, schwamm ans Ufer und brachte sie mir, Schwänzchen zitternd. Eine Woche später ein Geschrei und Gegackere unter dem Hühnervolk, das im maschendrahtumzäunten Auslauf nach Regenwürmern scharrte. Aufgescheucht rannte ich zum Auslauf des Hühnerstalls und sah mit Schrecken, wie Afra freudestrahlend hinter einem Huhn her hetzte, es packte und kurzerhand tot biss. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass im Auslauf bereits über zehn tote Hühner lagen. Mein Aufschrei:
„Aus, Afra, aus! Hör’ auf! Hierher!“ nützte nichts, er schien Afra eher anzuspornen. Ich versuchte, über den einmetersechzighohen Zaun zu steigen, schimpfte, trat aus lauter Verzweiflung den Zaun nieder und erwischte Afra am Halsband.
„Was hast du?“, fragten Afras Augen ohne eine Spur von Unrechtsbewusstsein. „Ich habe sie dir gefangen, die Beute gehört dir, das ist doch meine Aufgabe!“
Ein schlimmes Ereignis vertiefte die Beziehung zwischen mir und Afra:
Pastor Heinrich war mit seinem fünfjährigen Griffon bei uns zu Besuch. Afra und dieser struppige Hund tobten durch den Garten. Wir stellten fest, dass sie sich vertrugen und nahmen zum Kaffeetrinken Platz auf der Terrasse.
Auf einmal hörte ich ein herzzerreißendes, tierisches Aufheulen. Ich stürmte in die Richtung des Schreis, vernahm ein verhaltenes Wimmern und ein ätzendes Schnaufen. Mir stockte der Atem: Der Griffon hatte Afra bestiegen, sie hingen verkoppelt zusammen, sein Hunde-Glied war stark geschwollen. Afra, anderthalb Jahre alt und außerhalb der Hitze, stand vor mir. Sie sah mich an. Ihr Blick total verstört. Mich trafen Blitze, die schrien:
„Warum hilfst du mir nicht? Reiß ihn weg!“
Es geht nicht, schluckte Ich, sonst könntest du innerlich verbluten!
Der Glanz in ihren Augen brach. Tränen. Stummes Leiden.
Der Schwellkörper ließ nach, Afra löste sich. Wir fuhren zum Tierarzt, der die innerlichen Verletzungen behandelte.
Die nächstfolgenden Tage verkroch sich Afra unter dem Küchentisch oder suchte die Nähe von uns.
Seit diesem Ereignis hasste sie alle großen Rüden!
Nach einigen Jahren mussten wir Chico in die ewigen Jagdgründe schicken. In den Armen meiner Frau starb er, ein starker, gutmütiger Rüde, der die letzten Jahre treu seinem Frauchen gefolgt war und nun altersmüde, mit Medikamenten betäubt, die Augen für immer verschloss.
Kaja und Afra verstanden sich recht gut, auch, nachdem ihr väterlicher Opa verstorben war.
Nach weiteren Jahren mussten wir Kaja, mittlerweile eine ältere Dame geworden, von ihren Krebs-Schmerzen und ihrer Altersdemenz auf Anraten des Arztes erlösen. Wieder eine treue Begleiterin weniger. Wir konzentrierten uns nun allein auf Afra.
Afra konnte, auf freundliches Bitten hin, den Verschluss von Plastikflaschen aufdrehen, ohne die Flasche zu zerbeißen, zur Freude und Überraschung der Zuschauer.
Afra lag im Körbchen nahe Frauchens Bett-Seite. Nachts um halb zwei stand Afra auf, schüttelte sich, klapperte mit den Zähnen, stöhnte zuerst leise, dann lauter werdend, kratzte sich hinterm Ohr, gähnte vernehmlich laut – immer mit dem Blick in meine Richtung, ob ich etwas hören und reagieren würde. Als ich die Bettdecke zurückschlug und murmelte: „Ja, ist gut, ich komme ja schon“, sprang sie freudestrahlend um das Bett, stupste mich an und lief vor mir die Treppe hinunter zur Terrassentür. Ich stolperte hinterher, blind, weil ich keine Lust gehabt hatte, meine Brille aufzusetzen. Ich öffnete die Tür und entließ Afra in den Garten.
Sie wollte immer nachts einmal raus. Nicht nur, um vierzehnmal zu pinkeln oder eventuell ein klitzekleines Häufchen zu machen, sondern hauptsächlich, um die Kaninchen in ihre Baue zu jagen. Wenn sie dann den halben Teich leergesoffen hat, kommt sie mit tropfendem Drahthaar-Bart an die Küchentür, klopft mit ihrer Pfote an die Scheibe und bittet um Einlass.
Ich war in dieser Zeit auf der Besuchertoilette, hatte das Außen-Licht zum Teich angeknipst, damit Madame Afra nicht hineinfällt und hatte mir ein Glas Wasser einverleibt, alles ohne Brille!
Es kratzt an der Scheibe. Ich öffne die Tür. Afra eilt durch die Küche die Treppe hinauf in ihr Körbchen. Ich taste mich in mein Bett. Gegen vier Uhr wache ich auf. „Was stinkt hier so tierisch?“, frage ich, mir die Augen reibend und die Luft anhaltend, „hat Afra irgendwohin gemacht?“ In diesem Augenblick springt Afra wie vom Blitz getroffen aus ihrem Körbchen, rennt aufgeregt um das Bett und beißt in etwas Rundes. Ich katapultiere mich aus den Federn, mache das Licht an und sehe das stinkende Etwas, was sich unter der Kommode verabschieden will, aber gerade noch von Afra geschnappt wird: Ein Igel, dick, stinkend, verlaust, den Afra im Garten entdeckt und als Beute in ihr Körbchen getragen hat. Und diese Beute will sich mitten in der Nacht verabschieden? Null Chance, bei Afra.
Ich brauchte eine verständnisvolle Ansprache und diverse Versprechungen hinsichtlich delikater Leckerlies, damit Afra ihren Fang gnädiger Weise öffnete und ich mittels eines Handtuches den Igel wieder in den Garten tragen konnte. Am nächsten Morgen war der Igel fort, sein Gestank aber noch lange in den Nasen.
Afra, die als Jagdhündin ihrer Bestimmung nach hätte zur Jagd eingesetzt werden sollen, nahm ihre Aufgabe als eine überaus wachsame Haushündin wahr, bei Postboten nicht ganz so beliebt, war aber der Schrecken von etwaigen Einbrechern. Sie wollte ihr Frauchen und ihr Herrchen absolut bewachen. Wenn Frauchen ihr Jagdhorn an die Lippen nahm und Jagdsignale blies, sang sie mit, vielleicht ein wenig wehmütig in Erinnerung an viele Jagderlebnisse, die sie mit Herrchen und Frauchen erlebt hatte.
Nach ihrem Ableben im Alter von vierzehn Jahren, also achtundneunzig Hundejahren, beerdigten wir sie im Wald ihrer Frauchen-Familie.
Ohne Hund zu leben, hielt ich, seit mehreren Jahren Rentner, wirklich nicht aus, zumal meine Frau, voll berufstätig, den ganzen Tag außer Haus war. Wieder einen großen Hund? Nein! Eine kleine Hündin, wie unser Tierarzt sie hat, ja.
Blick ins Internet: Tatsächlich, unglaublich niedliche Welpen im Angebot. Jetzt als Rentner habe ich viel mehr Zeit, mich um ein solch kleines Wesen zu kümmern, dachte ich, mehr als Heimleiter damals, als die Sozialisation der mir anvertrauten Kinder und Jugendlichen Vorrang hatte.
Duisburg-Meiderich. Acht Wochen alt, entwurmt, geimpft, zweitletzte vom Wurf: Noch namenlos. Sie streckte sich uns aus der Wurfkiste entgegen, kuschelte sich in Frauchens Hand, schnupperte.
Tierarzt Aloys’ blitzschnelle Untersuchung. Er hatte uns begleitet, war neugierig auf das kleine Wesen.
„Wenn ihr sie nicht haben wollt, nehme ich sie, Emma wird sich freuen.“ Emma war seine ältere Zwergschnautzer-Hündin.
Alles in Ordnung, signalisierte er. Ich blickte in ihr Gesicht, sah die dunkle Fellfärbung um das Näschen, die fast weißen Haare drumherum, die bernsteinglänzenden Äugelein, die kleinen Pfötchen und hatte sofort das Verlangen, dieses kleine Bündel beschützen zu wollen. Große Hunde passen auf dich auf, kleine Hunde musst du behüten, dachte ich spontan.
Auf der Rückfahrt kuschelte sie sich in meinen Arm, schmiegte ihr Köpfchen in meine Hand, zufrieden andeutend: Zu euch wollte ich. Die Trennung von der Mutter schien ihr nichts auszumachen. Wir waren total irritiert. Wir hatten damit gerechnet, dass sie weinen würde, Hunde können weinen, aber nichts Derartiges geschah. Wie selbstverständlich ging sie mit uns. Völlig unbefangen, voller Zutrauen, im Gegensatz zu mir damals, als ich meinen neuen Eltern folgte.
Zuhause stellten wir einen rechteckigen, hohen weichgepolsterten Korbkoffer ohne Deckel direkt neben unser Bett. Dahinein setzten wir sie. Sofort streckte sich der kleine Körper zu voller Länge, die Pfoten erreichten gerade den oberen Rand. Sie versuchte, hoch zu klettern. Plumps, lag sie. Ein neuer Versuch. Mehr Schwung, wieder nichts. Sie gab nicht auf, beim fünften Mal erschien ihr Köpfchen über dem Kofferrand und plumps, lag sie in unserem Bett. Wir strahlten, als sie sich zwischen uns einrollte und genüsslich die Äugelein schloss. Jetzt hatte sie ganz gewonnen, ganz nahe bei uns, als ob es vorherbestimmt gewesen sei.
Den Blechnäpfchen, eines mit Wasser, das andere mit Welpenfutter gefüllt, näherte sie sich am nächsten Morgen ganz vorsichtig, eher noch abweisend, als ob von ihnen eine Gefahr ausginge. Ob sie den anderen im Rudel immer den Vortritt lassen musste, überlegte ich, würden die Blechgefäße sie an Rangkämpfe erinnern? Also tauschte ich die Blechnäpfe mit Keramikschüsseln aus. Siehe da, sofort nahm sie das Futter und Wasser an. Ich strahlte: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt!
Florentine, genannt Flo oder Flöchen, wuchs heran, gewöhnte sich an unseren Tagesablauf und tat alles, um geliebt zu werden. Sie zeigte an, wann sie in den Garten musste, verstand jedes Wort und wusste, wann sie zu gehorchen hatte. Zuerst an der Schleppleine, spazierten Frauchen und sie durch den Buchenberg-Wald. Sie verstand, nicht vom Weg ins Unterholz laufen zu dürfen, weil dort viele Gefahren lauerten. Wenn Jogger kamen oder Radfahrer hieß der Befehl „Stopp“, sich sofort auf den Po zu setzen und sitzen zu bleiben. Nach wenigen Wochen las sie ohne Leine die ‚Zeitung‘, höchstens zehn Schritte voraus.
Unser Grundstück war eingezäunt. So war es Flo verwehrt, eine überaus Neugierige, ihre nähere Umgebung außerhalb zu erkunden. Zur Abwechslung bauten sich Wildkaninchen vor den Terrassenfenstern auf, kratzten sich, jagten einander und grinsten in Richtung Flo. Sie stand am Fenster, zitternd vor Erregung, in höchsten Tönen bellend und bittend, doch endlich die Tür geöffnet zu bekommen. Kaum kam ich ihrem Wunsch nach, stob sie hinter den davonrasenden Kaninchen hinter her. Kurz, bevor sie hätte zupacken können, machte sie einen Bocksprung und blitzschnell verschwanden die Tiere in ihren unterirdischen Bauen, die sie sich in die Lärmschutzwand gebuddelt hatten. Das war der Beweis für mich, dass Flo eigentlich nur mit ihnen spielen wollte. Das begriffen die jungen und älteren Exemplare nicht, die sich an unseren Stauden satt fraßen und die herabhängenden Zweige der Trauerweiden in achtzig Zentimeterhöhe rundum kahlrasierten.
Neue Nachbarn zogen neben uns ein. Ein drolliger schwarzer Mops lugte durch den Maschendrahtzaun zu uns hinüber. Nase an Nase begrüßten sie sich. An einer Stelle zum Nachbarn öffnete ich den Zaun, damit die beiden Hündinnen miteinander toben konnten. Der Mops drückte eines Tages den Zaun zur Straße hin nach oben, weil auf der anderen Zaunseite ein fremder Hund zur Begrüßung bellte, womöglich auch aufforderte, die Welt zu erkunden. Neugierig wie Flo ist, zwängte sie sich unter dem Draht hindurch und eilte dem fremden Hund hinterher. Der rannte wohl zu seinem Herrchen, Flo hinterher.
Ich kam aus der Dusche und rief sie. Sie kam nicht, stattdessen der schwarze Mops, irritiert. Ich suchte unter allen Sträuchern. Hoffentlich hat sie nicht wieder einen epileptischen Anfall wie vor einigen Monaten, hoffte ich. Damals lag sie wie Tod auf dem Rasen, atmete kaum, die Augen geschlossen. In Panik rief ich den Tierarzt an. In meinen Armen liegend, erwartete ich ihn. Nach etwa zehn Minuten, kurz bevor der Doc kam, rührte sie sich wieder, hob ihren Kopf, sah mich aus langsam erwachenden Augen an. Der Doc diagnostizierte einen epileptischen Anfall, der während der ersten Hitze vorkommen könne. Seitdem hatte sie nie wieder einen.
Ich schwang mich aufs Fahrrad und fuhr unsere Siedlung ab. Nichts. Zeitgleich kam meine Frau von der Arbeit zurück. Aufgelöst berichtete ich ihr, als plötzlich das Telefon schellte.
„Hier ist das Tierheim Rote Erde. Ihr Hund ist bei uns abgegeben worden!“
Aufatmend kamen wir am Tierheim an. Geschlossen! Auf keinen Fall wollten wir Flo dort über Nacht lassen. Läuten im Nachbarhaus, freundlich-mitfühlende Mitarbeiterin des Tierheims, freudestrahlend schlossen wir unser verängstigtes Häufchen Elend in die Arme.
Wochentags steht sie mit mir um Punkt halb sechs auf, verschwindet kurz in den Garten, während ich das Frühstück für Frauchen und mich zubereite. Da sie die Treppe hinauflaufen kann, eilt sie ins Badezimmer, um ihr Frauchen zum Frühstück abzuholen. Gemeinsam kommen sie freudestrahlend die Treppe hinunter, Flo im Stechschritt, immer an Frauchens Schnürsenkeln hängend.
Wenn Frauchen dann hinaus zum Auto geht, stehen wir beide in geöffneter Tür, winkend, sie mit ihrem Hundeschwänzchen, und hoffen auf eine gesunde Heimkehr. Kaum ist das Auto außer Sichtweite, dreht sie sich um und hüpft über die Treppe ins Bett mit einem kurzen Bell: „Herrchen, wo bleibst du?“
Am Wochenende geht sie mit Frauchen Brötchen holen, inspiziert auf dem Weg zum Bäcker alle Vorgärten, markiert fünfzig Mal ihren Besuch auf kleinen Beet-Pflanzen und neckt alle Hundefreunde, die kläffend hinter der Haustürscheibe toben. So, wie sie, bekannt als springendes, tierisch-bellendes Wollknäul, wenn die anderen Vierbeiner an unserer Haustür vorbeischleichen. Wenn die Türen zum Garten geöffnet sind, rast sie hinaus zum Zaun, um ihren besten Witz loszuwerden. Manchmal haben wir Angst, dass sie vor lauter Erregung einen Herzinfarkt erleiden könnte. Andererseits, so hoffen wir, schreckt ihr Bellen Einbrecher prophylaktisch ab, denn sie hat ein ausgesprochen feines Gehör und eine weithin hörbare Klangfülle.
Was mich völlig überrascht, ist die Tatsache, dass Flo ihre Zuneigung zu uns in einem ausgewogenen Verhältnis zeigt. Wenn einer von uns außer Haus ist und sie nicht mitgenommen hat, steht sie an der Eingangstür und wartet, mit einem Abstecher durch den Garten, um die Wildkaninchen aufzumischen. Man muss ihr dann klar machen, warum der andere gerade weggefahren ist, wann er wiederkommt und wie wir die Zeit miteinander verbringen könnten. Dann ist sie ziemlich ruhig.
Punkt Viertel nach Fünf rennt sie zur Haustür. Frauchen muss ja gleich zurückkommen! In höchsten Tönen bellend kommt sie zu mir gerannt: „Frauchen kommt!“, wenn das Auto ins Carport einbiegt, um sofort wieder zur Eingangstür aus Glas zurück zu hüpfen. Kratzend, schnüffelnd, vor Freude quietschend wartet sie, um dann, wenn sich die Tür öffnet, an ihrem heißgeliebten Frauchen emporzuspringen, immer wieder, trotz nasser oder sandiger Pfoten, trotz Frauchen Aufschrei: „Nein. Nicht springen. Dreckpfoten!“ Dann streckt sie sich der Länge nach, legt ihre Vorderpfoten in die ausgestreckten Hände meiner Frau und versucht, mit ihrem Näschen das sich ihr zubeugendes Gesicht zu stupsen, manchmal mit blitzartig schnellem ‚Zungenkuss‘. Auf diese Begrüßung freuen wir uns jedes Mal, wenn wir heimkehren. Ach, wäre es doch unter uns Menschen auch so!
Angeleint, stöberten wir durch unsere kleine Stadt. Beim Bäcker ließen wir uns nieder zu einem Pott Kaffee und zwei Milchbrötchen, genau aufgeteilt. Auf dem Rückweg schlenderten wir an leerstehenden Geschäftsräumen vorbei, sie schnüffelnd, alle zehn Meter markierend, während ich darüber nachdachte, wie man diesem Leerstand begegnen könnte. Ich stellte mir vor, dass Flüchtlinge, die in die zu Wohnungen umgebauten Geschäftsräume einziehen könnten und, ähnlich einem Bazar, vor ihren Wohnungen an kleinen Sitzgruppen Tee für Einheimische anböten, um Gastfreundschaft und Kommunikation zu fördern.
In diesem Augenblick querte eine ältere Dame mit ihrem Rollator unseren Weg.
„Ach, ist der süß! So ein kleines Hundchen hatte ich auch! Leider …“
Wir blieben stehen. Flo begrüßte die Dame ausführlich schnuppernd, sprang vorsichtig an ihr hoch, um gestreichelt werden zu können.
Ich sah, wie sie einige Tränen wegfegte, ein wenig traurig-resigniert, mehr wütend.
Auf meine Nachfrage sprudelte es aus ihr heraus. Sie musste in eine Wohnung des Betreuten Wohnens ziehen. Ihren liebsten Begleiter, nach dem Tode ihres Mannes, durfte sie nicht mitnehmen.
„Wissen Sie“, empörte sie sich, „mein Stupsi sieht genauso aus wie ihr Flo, haart nicht, ist stubenrein, ruhig, versteht jedes Wort, bellt nicht unnötig, kurz ein ganz liebes Kerlchen. Ich vermisse ihn so!“ Verstohlen strich sie ihre Tränen aus den Augen. „Wo ist ihr Hundchen jetzt“, fragte ich anteilnehmend.
„Bei Bekannten. Am Wochenende kann ich ihn besuchen. Aber, das reicht einfach nicht! Der Vermieter müsste doch wissen, dass es mir viel besser ginge, wäre mein Hund bei mir! Aber, das ist dem egal. Vorschrift ist Vorschrift!“
Sie schob ihren Rollator weiter über das Kopfsteinpflaster, müde, weinend.
Lange dachte ich über unsere Gesellschaft nach, über die Lieblosigkeit, über mangelnde Flexibilität, über die Gewinnsucht und das Verhältnis der Menschen zueinander. Flo sprang an mir hoch, stupste mich, als wollte sie sagen: Ich bin bei dir!
Wieder kamen Aloys und seine Frau Simone zum Doppelkopf-Spielen zu uns. In Begleitung Emma und ihr Neuzugang, Pöffel, ein halbes Jahr jung, ebenfalls ein reinrassiges Zwergschnautzer-Mädchen.
Im Gegensatz zu Flo, die uns als Zwergschnautzer angeboten worden war, sich allerdings als Hybridhündin herausstellte. Ein ‚Schnoodle‘, eine Kreuzung zwischen zwei Rassehunden, Zwergschnautzer und Zwerg-Pudel, in den USA weit verbreitet, bei uns als Rassehund nicht anerkannt.
Emma schlich stiekum unsere Treppe zum Obergeschoß hinauf. Pöffel blieb unten, weil das Treppensteigen zu gewagt war. Als Emma wieder herunterkam, muss sie Flo gesagt haben, dass dort oben ein Geist sei, sie solle vorsichtig sein, bloß nicht allein hochgehen.
Was passierte?
Als wir uns am Spätabend nach oben begeben wollten, streikte Flo auf halber Treppe. Auf meinen Armen streckte sie alle Viere von sich und zitterte vor Angst. Als sie sich an den folgenden Tagen ebenfalls weigerte, versuchten wir, den Grund für ihre Angst zu erforschen. Wir fanden nichts und erklärten ihr, dass sie keine Angst zu haben brauche, Emma hätte sich wohl geirrt.
Was geschah?
Am nächsten Tag glaubte ich zu träumen, als ich sah, wie Flo sich auf der viertletzten Stufe umdrehte und rückwärts die vier Stufen nach oben stakste. Mit beiden Hinterläufen und dem Po zuerst, jede einzelne Stufe sich hochdrückend. Es sah so drollig aus!
Welche Denkleistung muss dahinter stecken, wurde mir bewusst, wenn Flo der Gefahr nicht ins Auge sehen will, sondern dem Feind den Hintern zeigt!
Dieses Verhalten demonstrierte sie auch unserem Tierarzt und anderen Freunden, die sich vor Lachen bogen und gleichzeitig überrascht von dieser Reaktion waren.
Mir als Jäger wird ganz schlecht, wenn ich darüber nachdenke, wie gleichgültig, oberflächlich, unwissend mein Verhältnis trotz aller angelesenen Kenntnisse zu Tieren war und ist.
Dieses kleine Wesen, auf meine Frau und mich gleichermaßen fixiert, ändert meine Sichtweise Tieren gegenüber grundlegend.
Der Gedanke erschreckt mich: Wenn meine Frau und ich mich trennen würden, bei wem soll Flo dann leben? Flo, die genau weiß, dass sie uns beiden die Gleiche Nähe zeigen muss, damit der eine nicht auf den anderen eifersüchtig ist.
Vielleicht spinne ich, mache ich mir etwas vor, aber, Flo würde verkümmern, hätte sie nur einen von uns beiden!
Und wenn das so ist, dann mag ich nicht darüber nachdenken, was ich mit meinen Scheidungen bei meinen Kindern angerichtet habe. Wie gnadenlos bin ich als Mensch.