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ОглавлениеEinige Stunden später saß Engels bereits im Alten Bahnhof. Die Kneipe neben der Kurpfalzbrücke war immer noch ein beliebter Treffpunkt, und proppenvoll, wie fast jeden Abend.
An der riesigen Theke fanden sich immer interessierte Gesprächspartner. Viele Cops, auch Ehemalige verkehrten hier, Uniformen sah man allerdings selten.
Die Rückfahrt von der Insel war recht einsilbig verlaufen. Nur Max hatte gesprochen, aber leise und Till Keller hatte ihm aufmerksam zugehört. An der Eingangspforte zum Klinikum war Engels mit einem knappen Gruß ausgestiegen.
„Lass dir was einfallen, Max“, hatte Keller halblaut hinter ihm hergerufen. „Wir brauchen ein schnelles Ergebnis.“
„Den Spruch kenne ich.“
Dann war der Wagen weitergefahren. Engels sah sich nicht um und blieb auch nicht stehen.
Nach einem kurzen Abstecher auf seinem Zimmer, hatte er sich noch einmal aufgerafft und war zu Fuß losgelaufen.
Aber der Fußmarsch war arg anstrengend geworden. Engels musste mehrmals anhalten und einige Male auch länger stehen bleiben Bei jedem Auftreten drückten die Schrauben stärker, und er spürte jeden Schritt von innen. Kein angenehmes Gefühl. Als er es endlich in die alte Wartehalle geschafft hatte, war sein Gesicht schweißnass gewesen.
Schwer atmend setzte er sich an einem der eckigen Holztische und tastete mit der Hand vorsichtig über die Hüfte und den Oberschenkel. Jeden Zentimeter fuhr er so ab. Die Schmerzen fühlte er bis in den Unterschenkel.
Er war immer noch heftig am Pumpen, und er hatte auch Durst. Der bittere Geschmack in seinem Mund musste endlich weg.
Als die Schmerzen erträglicher wurden, bestellte er sich eine Neckarpfanne. Die Spezialität des Hauses, wie es in der Speisekarte hieß. Dann kam das erste Bier.
Immer wieder ging sein Blick hoch zu einem der großen Fernseher. Daneben kreisten mächtige Ventilatoren, aber er nahm keine Notiz davon.
Matchday! Auf dem Sportkanal lief Fußball. Gleich spielte Schalke gegen die großen Bayern aus München.
Endlich erschien die Gusspfanne vor ihm, und Engels begann zu kauen. Wie immer hielt er mit der einen Hand den Teller fest und schaufelte mit der anderen das Essen in sich hinein.
Mehrmals sagte er zu sich selbst: „Verflucht nochmal“, und versuchte sich auf das Spiel zu konzentrieren, aber immer wieder schweiften seine Gedanken ab auf die Insel, seinen Bratkartoffeln und dem Hintern der rothaarigen Bedienung.
Zunehmend wurde es um ihn herum lauter. Der Laden war bereits brechend voll, aber immer noch drängten etliche Leute herein. Männer wie Frauen, alle waren in toller Stimmung, nicht betrunken, aber aufgekratzt. Gelächter brauste auf, denn die Fans aus beiden Lagern lieferten sich auch zotige Wortgefechte.
Aber es gab noch einen anderen Grund für das aufgeregte Gemurmel. Sabine Back war aufgetaucht und auch das blieb nicht ohne Wertung. Gelassen, wie es nur sehr souveräne Frauen schaffen, schob sich die großgewachsene Frau hüftschwingend zwischen den engstehenden Tischreihen hindurch. Sie sah dabei aus, als würde sie es ohne Probleme schaffen auch über die Tische steigen. Etliche Augenpaare folgten jeder Bewegung von ihr.
Ohne auf die Blicke zu achten zwängte sich Back dicht an Engels Tisch und setzte sich ihm flegelhaft direkt gegenüber. Herausfordernd starrte sie ihn an, und deponierte ihre Jacke achtlos auf dem Stuhl neben sich.
„Ist hier noch frei?“
Max Engels reagierte nicht gleich. Erst als Back sich räusperte, sah er sie an und konterte mit rollenden Pupillen.
„Aha, und?“
„Manche Dinge ändern sich wohl nie.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen schielte sie auf sein leeres Glas. „Da sie nicht in ihrem Zimmer waren, habe ich mir gedacht, dass ich sie hier finde“, sagte sie, produzierte eine Kaugummiblase und ließ die geschickt vor seinem Gesicht zerplatzen.
„Interessieren sie sich denn für Fußball?“
Engels lächelte. Ihm gefiel die Vorstellung.
„Nicht so sehr.“ Back blieb locker, aber dann zögerte sie kurz. „Ehrlich gesagt gehe ich lieber zum Eishockey.“
„Kommen sie oft hierher?“
„Schon möglich“, gab sie zu. „Aber nur, wenn die Adler gewonnen haben.“
„Haben sie Ian Kaufmann eigentlich noch selbst spielen sehen?“, fragte Max Engels amüsiert weiter.
„Was glauben sie denn?“, kam es schnippisch zurück. „Für den habe ich früher sogar mal echt geschwärmt.“
„Sagen sie bloß?“
„Mit Kicker-Starschnitt und allem was dazugehört“, sagte Sabine Back wie verträumt. „Ian Kaufmann war doch einer der ganz, ganz Großen. Der hat uns `97 und `02 quasi die Meisterschaft geholt. Damit ist er bei uns Fans unsterblich geworden.“
„Hm…“ Engels wartete.
„Solche Spieler vergisst man nie.“ Sabine Back holte einmal Luft, hielt dann jedoch inne, und sagte: „Nach Kaufmanns Karriereende wurde seine Rückennummer, die Vierzehn nie mehr vergeben.“
Max Engels zog nur die Brauen hoch, kaute aber seelenruhig weiter.
„Kaufmann trug immer die Vierzehn, verstehen sie?“
„Das wusste ich nicht.“
„Jetzt hängt das Trikot unter dem Hallendach der SAP-Arena.“
„An was denken sie gerade?“
Back musste nicht antworten. Die Kellnerin kam heran und fragte ob sie einen Wunsch hätten. Sabine Back schob Engels ihr Gesicht entgegen.
„Trinken sie ein Glas mit?“ fragte sie unverwandt und bestellte mit ausgestreckten Fingern zwei Bier. „Die gehen aber auf ihren Deckel.“ Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Eine Art Einstand, das kennen sie doch noch?“
Engels schluckte den letzten Bissen unzerkaut hinunter „Wollen sie sich jetzt echt über den Fall unterhalten?“ fragte er, legte sein Besteck ab und schob den leeren Teller zur Seite.
„Na klar, deswegen bin ich hier.“ Am Tisch war es merklich kühler geworden. „Kommen sie schon “, sagte Back. und senkte ihren Kopf etwas. „Wir sind schließlich im Krieg. Außerdem sitzen sie hier nicht im Schlafanzug, also darf ich sie noch ansprechen.“ Verärgert kickte sie leicht gegen das Stuhlbein
„Haben sie keinen Partner, der ihnen zuhört?“
Engels hatte nicht gesehen ob der Ball bei den Roten angekommen war. Mit einer Hand begann er erneut seinen Oberschenkel zu massieren. Die Hüfte brannte immer noch wie Feuer.
„Derzeit sind wir etwas unterbesetzt.“ Back seufzte, verschränkte die Hände und schob sie zwischen die Knie. „Haben sie eigentlich noch Schmerzen?“
Als keine Antwort kam fragte sie einfach weiter. „Wo wollen sie ansetzen?“
„Ich steige gerade erst ein, Kollegin.“
Ein Raunen ging durch die Tischreihen. Engels hob den Kopf und versuchte, an Back vorbei einen Blick auf den Bildschirm zu werfen.
Schalke startete gerade einen schnellen Konter. Von der Mittellinie trieb Holtby den Ball nach vorne, aber warum, zum Henker spielte der Kerl nicht endlich ab? Huntelaar und der tolle Spanier warteten bereits auf den Ball und winkten mit den Armen wie Matrosen in Seenot.
Aber vergeblich. Erst als Müller fast in ihn hineinlief versuchte Holtby endlich den Pass zu spielen.
Auch die Zuschauer in der Kneipe brüllten.
„Ich dachte sie sind schon mittendrin.“
Sabine Back wollt noch etwas sagen, aber die Bedienung kam mit einem Tablett voller Getränke an den Tisch und stellte zwei tropfende Biergläser vor ihr ab.
Als die Frau wieder außer Hörweite war sagte sie: „Einbrüche ohne Betäubungsgas gibt es zurzeit gar nicht mehr. In den Villen an der Rheinpromenade oder in der Oststadt sind Gasmelder heute schon normaler als einfache Feuermelder. Es ist eine regelrechte Epidemie geworden.“
„Aber deswegen sind sie nicht gekommen.“
Engels blickte hoch und seine Haltung straffte sich.
„Alles deutet auf einen Einbruch hin“, sagte Back und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. „Ich weiß das auch, aber ich glaube es nicht. Ich denke eher, dass es Tarnung ist um uns zu täuschen.“
„Ist das weibliche Intuition?“
Sofort wurde Back ruppiger.
„Jedenfalls kann ich es nicht belegen.“
„Trotzdem danke für den Hinweis. Ich werde daran denken.“
Sabine Back wurde ein wenig freundlicher. Und sie zeigte auch ein weicheres Lächeln.
„Jetzt habe ich noch etwas Zeit“, erklärte sie. „Sie wissen ja warum man mich abgezogen hat.“
„Ich weiß nur, dass es enorm wichtig ist und dann holt man immer die Besten.“ Engels Lächeln wurde verwirrend
„Danke für die Blumen“, antwortete Back. „Eine junge Frau wurde tot aufgefunden. Darum geht’s. Aber der Fall hier ist wichtiger.“
Die Kellnerin tauchte wieder auf, räumte den Teller ab und fragte ob sie noch einen Wunsch hätten.
Sabine Back sah auf ihre Uhr und schüttelte den Kopf. „Es war wieder mal die Geliebte eines sehr wichtigen Mannes“, sagte sie dann noch zu Engels hinüber. „Ein echtes Drama, und sowas wiegt manches auf, verstehen sie?“
„Eben fällt der Groschen.“
Engels sah sie wieder direkt an. „Ich habe von der Geschichte gehört, aber ich beneide sie nicht um den Job. Das kann echt haarig werden, und Freunde machen sie sich beim LKA damit auch keine.“
„Noch etwas?“
Die Stimme von Sabine Back klang plötzlich wieder verärgert. „Die Zeit vergeht und ich muss mich beeilen“, sagte sie. „Mein Zeitfenster ist in den nächsten Tagen arg eng.“
„Dann nehme ich das mal als Ansporn.“
Falscher Ton, und Engels wusste es sofort.
„Nichts ist einfach Max, und ich mein`s ernst.“
„Dann haben wir es nicht schwer miteinander.“ Engels räusperte sich noch einmal
„Oh Mann.“
Back schloss für einen Moment die Augen: „Aber jetzt erklären sie mir noch warum sie schon wieder Dienst machen.“
„Ich reise gern herum… “
„Schon klar.“
Back musste lachen.
„Was.“
Unvermittelt wurde ihr Blick wieder schärfer. „Ich habe gehört, dass sie vielleicht nicht mehr laufen können“, sagte sie, „und ich finde ehrlich, dass sie noch arg lädiert aussehen.“
„Ganz so schlimm ist es nicht“, versuchte Engels zu scherzen. „Aber falls die Halluzinationen wieder einsetzen gebe ich ihnen Bescheid.“
„Mein Gott!“
„Es ist ganz einfach“, sagte Engels. „Till Keller und ich sind alte Bekannte, und er hat mich um Hilfe gebeten. Deshalb bin ich dabei.“ Er kniff ein wenig die Augen zusammen. „Eigentlich hat er mir keine Wahl gelassen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Offiziell begleite ich die Ermittlungen nur…sozusagen.“
„Bingo.“
Back verdrehte die Augen. „Sie haben einige Geschichten zu erzählen.“
Engels sagte nichts.
„Till Keller steht augenblicklich auch gewaltig unter Druck“, sagte Back dann weiter. „Der muss unbedingt punkten, sonst kippt seine Karriere unter ihm weg.“
„Was meinen sie damit?“
Engels Stimme wurde um etliche Grade frostiger.
„Erinnern sie sich an den Fall Grosser?“
„Das Getöse war ja nicht zu überhören. Ich habe mehrmals darüber gelesen, damals.“
„Keller fungierte bei dem Prozess als Vertreter der Anklage, das wissen sie also?“ Back nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Bierglas. „Jetzt gibt es ein Wiederaufnahmeverfahren für Grosser.“
Engels zuckte mit den Schultern.
„Was sie nicht sagen…“
„Egal“, Back wischte sich etwas Bier vom Kinn. „Die Verurteilung von Grosser wurde für Till Keller jedenfalls zum Startschuss, und führte zu seinem Durchmarsch in der Staatsanwaltschaft. Jetzt kann das schöne Urteil aber kippen.“
„Autsch!“
„Genauso muss sich das anfühlen.“
„Was hat Keller denn falsch gemacht? Täusch ich mich, oder ging es bei der Sache um einen Doppelmord?“
Back nickte. „Ziemlich spektakulär sogar“, sagte sie. „Dieser Grosser wurde für schuldig befunden und verurteilt. Jetzt sind wohl einige Zeugen umgefallen, oder haben ihre Aussagen widerrufen.“
„Da wird Till sich aber freuen“, sagte Engels und stürzte sein Bier hinunter. „Kein Wunder, dass Erfolgsmeldungen … jetzt so wichtig werden.“
„Keller braucht jedenfalls dringend welche.“
Verkniffen lächelte sie über den Tisch. „Grosser wird sicherlich Haftentschädigung fordern, und für die muss auch einer den Kopf hinhalten.“
„Das wird teuer.“
„Sie sagen es.“
„Also zurück zu den Raubüberfällen hier in der Stadt, wer hat die bisher untersucht?“
„Das Einbruchsdezernat und Hauptkommissar Waechter von der Drogenfahndung“, antwortete Back schnell. „Aber momentan sind die Kollegen noch mit einer anderen Sache beschäftigt. Waechter und seine Leute haben vorige Woche in einem Lager im Handelshafen eine Ladung mit siebenhundert Kilo Kokain beschlagnahmt. Jetzt mischt die auch noch die Bundespolizei mit.“
„Warum übergeben die den Fall nicht ans LKA?“
„Was weiß denn ich.“ missmutig schnippte Back einen Weißbrotkrümel vom Tisch. „Bremsen ist immer schwierig.“
Max Engels warf einen Blick auf seine Uhr. „Man hört viel über Mafia-Mitglieder und Festnahmen“, begann er. „Ich habe gelesen der Rückzugsraum von denen reicht schon bis Heidelberg und wird immer größer. Ist das alles nur Übertreibung?“
„Wie man`s nimmt“, antwortete Sabine Back. „Hier gibt es über zweihundert kriminelle Organisationen, die alles Mögliche betreiben, von Cannabisanbau bis zu Kokainschmuggel und Autodiebstählen, Menschenhandel und illegalen Spielhöllen. Man geht von jährlich über zwanzig Auftragsmorden allein in Baden-Württemberg aus. Auch Die Sexindustrie ist enorm angewachsen, über vierzigtausend Personen sind dort beschäftigt. Es gibt Hunderte von Bordellen…“
„Manches verändert sich wohl doch“, sagte Engels. „Gibt es bei der Geschichte um Kaufmann eigentlich schon Bekennerschreiben oder was in der Art?“
Back überlegte kurz: „Nein, aber wenn es wirklich politisch ist, tauchen die Großmäuler schon auf.“
„Dann verlass ich mich mal drauf.“
Damit tranken sie sich zu. Engels beugte sich etwas vor und berührte Back mit seinem ausgestreckten Finger am Armgelenk. „Ich glaube noch gar nichts?“
Sabine Back zog den Kopf zurück. Bei ihrem Schluck behielt sie etwas Schaum auf der Oberlippe zurück.
„Was sehen sie?“
Das Lächeln bei ihr verschwand. Sie nahm noch einen kräftigen Schluck aus ihrem Glas, machte eine linkische Bewegung mit dem Handrücken und wischte den Bierschaum wieder ab.
„Die Krieger sind wahrscheinlich ganz in der Nähe.“
Engels blinzelte.
„Sehen sie mehr als andere?“
Back überlegte nicht. Ihr Gesicht war schneeweiß vor Aufregung, und sie lachte nicht mehr. Knarrend schob sie ihren Stuhl weiter zurück und stand halb auf.
„Sie nehmen mich auf den Arm, was?“
Kein Muskel zuckte in ihrem Gesicht.
Engels hätte die Bewegung beinahe mitgemacht. Er biss die Zähne aufeinander und zog scharf Luft ein.
„Wer kann mir etwas über das Alltagsleben von Kaufmann erzählen? Gibt es noch Familie?“
„Die sind doch alle tot.“
Damit erhob Back sich vollends. Mit einer Hand tastete sie nach ihrer Tasche und sah dabei nachdenklich auf Engels herunter. Ihr Mund verzog sich plötzlich zu einem Fletschen, und der aggressive Eindruck wurde durch die kräftigen weißen Zähne noch verstärkt.
„Schauen sie sich ruhig das Spiel an“, sagte sie gepresst. Stellte ihr Glas ab und verschwand.
„Wie sie meinen“, murmelte Engels leise und sah ihr mit einem kurzen Stirnrunzeln hinterher. Er hatte noch keine Lust zu gehen und wandte sich wieder der Live-Übertragung zu.
Vor ihm schrien Zuschauer auf und einige lachten laut. Irgendwo lief Bier von einer Tischkante, und die niedliche Bedienung kam immer wieder an seinem Tisch vorbei. Später wurden ihre Blicke noch verheißungsvoller. Engels trank noch ein paar Biere, dachte an Sabine Back, und dachte nicht an Sabine Back.