Читать книгу FREMDE HEIMAT - Petra E. Jörns - Страница 10

4.

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Irgendwann, nach Ewigkeiten oder dem Bruchteil einer Sekunde, änderte sich etwas. Ein Flüstern drang von weit her in Alans Bewusstsein, löste sich langsam aus dem Rauschen. Ein rhythmisches Zischen begleitete es, das in Alan einen Alarm auslöste. Ein leises Piepen ertönte. Er glaubte, eine Hand auf seiner Stirn zu fühlen, aber der Eindruck war so flüchtig, dass er vorüber war, ehe er ihn ausloten konnte. Dann hörte er die Stimme wieder, näher jetzt. Sie schien einer Frau zu gehören.

»Mister McBride, können Sie mich hören?«

Alan versuchte, die Augen zu öffnen, um zu sehen, wer da sprach. Er wunderte sich, woher das Zischen stammte. Doch seine Augenlider wollten ihm nicht gehorchen, ebenso wenig wie die anderen Muskeln seines Körpers. Das Einzige, was er fühlte, war sein Herz, das gegen seine Brust hämmerte. Er lebte noch, begriff er endlich, und der Gedanke ließ ihm zur gleichen Zeit heiß und kalt werden.

Da bemerkte er den Schlauch, der durch seinen Mund in die Luftröhre führte, und plötzlich wusste er, woher das Zischen stammte. Der Moment brach über Alan zusammen.

Plötzlich war er wieder ein Kind. Er war allein. Vater und Mutter waren nicht bei ihm …

Sein Schrei wurde von dem Tubus erstickt. Das Piepen wurde hektisch. Er tastete nach dem Schlauch, versuchte, ihn von sich zu reißen, doch jemand hielt seine Arme fest und beugte sich über ihn.

»Mister McBride! Kommen Sie zu sich! Es ist alles in Ordnung. Sie sind auf der Krankenstation.«

Nein, wollte er rufen, lassen Sie mich los. Aber der Schlauch hinderte ihn daran. Er kämpfte darum, seine Arme freizubekommen. Tränen rannen über seine Wangen. Hilflos schloss er die Augen. Mit ganzer Willenskraft schaffte er es, die Erinnerungen in sein Gedächtnis zurückzusperren.

»Beruhigen Sie sich!«

Das Piepen im Hintergrund nahm wieder einen stetigen Rhythmus an. Als Alan die Augen öffnete, erkannte er Doktor Hayes, die sich über ihn beugte. Scham überflutete ihn.

Hayes ließ ihn los und fasste seine Hände. »Wenn Sie mich verstehen können, drücken Sie meine Hände. Ja?«

Er gehorchte, schaffte es, die Finger zu bewegen, und bemerkte seine Schwäche.

Hayes lächelte ihn an. »Ich wusste, dass Sie es können.«

Als sie ihn losließ, zuckten Alans Finger und streckten sich nach ihr aus. Sie schien es nicht zu bemerken, legte seine rechte Hand in die ihre und setzte sich auf den Bettrand.

»Ihre Atmung hat ausgesetzt. Wir mussten Sie zwei Tage beatmen, deshalb sitzt der Schlauch in Ihrer Luftröhre. Haben Sie das soweit verstanden?«

Zuerst wollte Alan nicken, aber er besann sich und drückte stattdessen ihre Finger.

»Gut.« Hayes nickte. »Ich habe Sie aufgeweckt, weil ich der Ansicht bin, dass Sie so weit sind, etwas mitzuhelfen. Das heißt, ich werde die Beatmungsmaschine so umstellen, dass Sie ein paar Atemzüge pro Minute selber übernehmen müssen. Es kann sein, dass es nicht sofort klappt. Aber ich bleibe bei Ihnen und passe auf Sie auf. Haben Sie das verstanden?«

Wieder drückte Alan ihre Hand.

»Schön! Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie soweit sind.«

Einen Herzschlag lang zögerte Alan, bevor er sich erneut darum mühte, seine Finger zu bewegen.

»Gut, dann versuchen wir es jetzt.« Sie lächelte ihn noch einmal an, ging zu einer Wandkonsole und gab Daten ein. In der Rhythmik des Zischens veränderte sich etwas, er verlangsamte sich und nach einigen Momenten hatte Alan das Gefühl, er müsse nach Atem ringen.

»Sie machen das wunderbar. Ich wusste, dass Sie es können.« Hayes beugte sich über ihn.

Erst in diesem Augenblick begriff Alan, dass er selbstständig geatmet hatte. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Er blickte Hayes an und wusste nicht, ob er sich freuen oder weinen sollte.

»Ich habe nebenan eine Simulation laufen«, fuhr Hayes fort. »Ich sehe regelmäßig nach Ihnen. Wenn Sie etwas brauchen, müssen Sie nur auf diesen Knopf drücken. Schaffen Sie das?«

Bei den Worten legte sie ihm einen kleinen Sender mit einem Knopf in die Hand. Er schloss kurz die Augen als Zeichen dafür, dass er verstanden hatte. Doch als er begriff, dass sie ihn verlassen wollte, hörte er, dass das Piepen sich wieder beschleunigte.

Mit einem Ruck wandte Hayes sich den Kontrollen zu. Nachdem sie sie studiert hatte, trat sie an sein Bett und beugte sich über ihn. »Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Er starrte sie an, kämpfte gegen die Scham darüber, dass er Angst hatte, alleine zu sein. Seine Finger zuckten, verloren den Sender.

»Hier«, sagte sie und drückte ihn Alan wieder in die Hand.

Aber Alans Finger wollten nicht gehorchen. Der Sender fiel aus seinen Fingern, rutschte über die Decke, und wäre zu Boden gefallen, wenn sie ihn nicht aufgefangen hätte. In sinnlosem Zorn krampften sich seine Hände zu Fäusten.

Hayes tat, als sei nichts geschehen und schloss seine Finger um den Sender. Alans Hand zitterte.

»Sie sind unser Held«, sagte sie.

Die Worte trieben das Blut in seine Wangen. Er war kein Held. Sein Blick irrte fort von ihrem Gesicht, blieb an der Maschine hängen, die ihn mit Luft versorgte, fand schließlich den Schlauch, der in seiner linken Armvene endete, und einen weiteren, der unter der Decke verschwand. Ihm wurde so elend bei dem Anblick, dass er zu atmen vergaß.

Hayes runzelte die Stirn. Ihr Blick fiel auf die Apparate. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie schön mitmachen, kann ich vielleicht schon morgen den Tubus entfernen, spätestens übermorgen. In einer Woche sind Sie wieder fit.« Sie lächelte.

Das Gift fiel ihm ein. Seine Finger umklammerten den Sender. Er hörte, wie das Piepen sich wieder beschleunigte, begriff in diesem Moment, dass es seinen Herzschlag anzeigte, und bemühte sich um Ruhe. Das Piepen verlangsamte sich wieder, nur seine Hand bebte, als Hayes sie zum Abschied tätschelte.

»Alles in Ordnung?«, fragte sie.

Als Antwort schloss er kurz die Lider.

»Schön. Dann bis gleich. Ich bin bald wieder da.« Damit verließ sie seinen Sichtkreis.

Er betastete den Sender, fühlte den Schweiß, der sich in seinen Handflächen und auf seiner Stirn sammelte. Doch bevor das Piepen sich wieder beschleunigen konnte, zwang er seine Aufmerksamkeit auf Hayes. Er hörte, wie sie sich entfernte, um irgendetwas in einer Computerkonsole einzugeben. Die Tastatur klapperte. Eine Weile herrschte Stille, bis sich ihr ein Fluch entrang. Danach klapperten wieder die Tasten.

Das Klappern fraß sich in Alans Bewusstsein. Hayes belog ihn. Er wusste es so sicher, als hätte es ihm jemand gesagt. Leere füllte mit einem Mal seine Eingeweide. Er starrte an die Decke, streichelte den Sender in seiner Hand und suchte nach einem Halt, der ihn aus dem Sog retten konnte, der ihn zu erfassen drohte.

Nein, rief er sich zurecht. Das bildete er sich nur ein. In einer Woche war er wieder fit, hatte sie gesagt. Sie würde ihn nicht anlügen. Nicht Hayes. Er klammerte sich an den Gedanken. Aber der Zweifel blieb.


Wenig später kam sie zurück. Sie starrte auf den Boden, bis sie bemerkte, dass Alan sie beobachtete. Scheinbar ertappt straffte sie sich und lächelte ihn an. »Sie haben Besuch«, verkündete sie. Als sie an die Wandkonsole trat, um die Daten zu studieren, gab sie den Blick auf Mabuto frei.

Das Piepen beschleunigte sich wieder.

Hayes drehte sich zu Alan um. Als das Piepen wieder langsamer wurde, nickte sie den beiden Männern zu. »Ich lasse Sie jetzt allein.« Ihre Schritte entfernten sich.

Einen Moment lang starrte Mabuto ihn nur an, ehe er auf ihn zutrat. Seine Kiefermuskeln traten hervor. »Ich nehme an, Doktor Hayes hat Ihnen Ihren Zustand erklärt.«

Alan nickte. Natürlich! Hayes hatte ihm erklärt, dass er seit zwei Tagen künstlich beatmet wurde. Dieser »Zustand« war ja schwer zu übersehen.

»Mister Fiorentino und Mister Benton haben mir von Ihrem Kampf berichtet. Ich habe Ihren Einsatz in Ihrer Akte lobend erwähnt.«

Super! Glaubte Mabuto im Ernst, dass er sich irgendetwas aus einem Lob in seiner Akte machte? Kam es in der aussichtslosen Situation, in der sie sich befanden, wirklich noch darauf an?

»Die … Crew vergöttert Sie …«

Wie es schien, wollte Mabuto ihm danken.

»Die Krail-on sind abgezogen, ohne uns weiter zu belästigen. Dank Ihnen. Ich wollte, dass Sie das wissen.« Mabuto rang nach Atem. »Es … tut mir leid.«

Ein Bild entstand vor Alans Augen. Eine Blutlache überschwemmte den Boden, nässte Katsukos Haar. Schwarz und rot bildeten einen seltsamen Kontrast zu ihrem weißen Gesicht. Wie durch einen Nebel hörte er das hektische Fiepen des Herzmonitors. Mit aller Kraft zwang er sich zur Ruhe.

Alan ließ den Sender los, den Hayes ihm gegeben hatte, und zwang seine Muskeln, Mabuto die Hand entgegenzustrecken. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn. Die Hand zitterte.

Mabutos Griff war so hart, dass es schmerzte. Alan zuckte mit keiner Wimper.

»Ich danke Ihnen«, keuchte Mabuto. Abrupt ließ er Alans Hand los und eilte aus dem Raum.


Hayes nahm Alans Hand. »Lust, ein bisschen was zu tun?«

Er wusste zwar nicht, was sie meinte, aber er war froh, dass sie ihn aus seinen Gedanken riss, und drückte ihre Finger.

Hayes lächelte. »Gut, dann wollen wir mal.« Bei den Worten winkelte sie seinen rechten Unterarm an. »Jetzt drücken Sie mal dagegen, so fest Sie können.«

Alan fand zwar reichlich albern, was sie von ihm verlangte, entdeckte aber mit Bestürzung, dass sie seinen Arm ohne Mühe aufs Bett drücken konnte. Für ihn, der sonst mit Leichtigkeit zwanzig Klimmzüge an einer Hand schaffte, war das ein Schlag ins Gesicht. Als sie die Übung wiederholten, biss er die Zähne zusammen und strengte sich so an, dass ihm der Schweiß auf der Stirn ausbrach.

Hayes lachte und schüttelte seine Hand. »Wir machen kein Armdrücken. Sie dürfen sich nicht gleich überanstrengen. Morgen ist auch noch ein Tag. Verstanden?«

Als Antwort nickte er. Sie würde sich sicherlich nicht soviel Mühe mit ihm geben, wenn er keine Chance hatte, zu überleben. Der Gedanke gab ihm Kraft. Der Zweifel, der in ihm gewachsen war, schrumpfte in sich zusammen. Mit neuem Mut setzte er die Übungen fort.

Hayes ließ keine Muskelpartie aus, ging erst zum nächsten Körperteil über, wenn sie wirklich zufrieden war, und bewies dabei so viel Geduld, dass es Alan schwerfiel, sich ihr zu verweigern. Doch die Übungen zeigten ihm seine Schwäche und Hinfälligkeit. Eine Erkenntnis, die ihm umso weniger schmeckte, je länger er sie kosten musste. Wut überfiel ihn, weil sein Körper ihm nicht gehorchte, wie er es wollte, sodass er ihre Hand abschüttelte, als sie erneut nach seinem Bein greifen wollte.

Sie hielt inne, ging um das Bett herum und blickte auf ihn herab. »Sollen wir aufhören?«

Aber er weigerte sich, sie anzusehen, starrte stattdessen an die Decke und kämpfte mit seinem Stolz.

Als er ihr kein Zeichen gab, griff sie nach der Decke und zog sie mit einem Seufzen wieder über seine Beine. »Wie Sie wollen«, sagte sie. »Ich will Sie zu nichts zwingen.«

Einen Herzschlag lang hatte Alan das Gefühl, sie wolle noch etwas sagen, doch dann kramte sie in ihrer Tasche nach dem Sender und legte ihn in seine Hand. Ihm wurde heiß im Gesicht. Bevor sie die Hand wegziehen konnte, packte er sie und hielt sie fest. Sie wandte sich ihm zu und studierte sein Gesicht, während er ihre Hand umklammerte.

Eine Weile starrten sie sich an, bis sie plötzlich ihre andere Hand auf die seine legte. »Heißt das, wir machen weiter?«

Er rang nach Atem und nickte.

»Das freut mich.«

Mehr sagte sie nicht, aber Alan hörte den Ernst in ihrer Stimme. Deshalb schwor er sich, sich zusammenzureißen. Er wollte ihr nicht noch einmal seine wunde Seite zeigen.

Katsukos Bild drängte sich ungebeten in sein Bewusstsein. Hayes hatte schon einmal in sein Inneres geschaut. Damals, als Katsuko starb. Der Gedanke verwirrte ihn. Irgendwo unter der Oberfläche seines Gedächtnisses lauerte eine Erinnerung, die er nicht abrufen konnte.

Nach einer Weile hielt Hayes inne und wischte ihm den Schweiß von der Stirn. »Es reicht«, sagte sie. »Sonst kriegen Sie Muskelkater. Heute Nachmittag wiederholen wir das Ganze. In Ordnung?«

Er nickte und hielt ihre Hand fest. Irgendwie wollte er ihr begreiflich machen, dass er sich für ihre Mühe bedanken wollte, doch er wusste nicht wie. Mit einem Schnaufen ließ er ihre Hand endlich wieder los.

Hayes schien ihn missverstanden zu haben. »Sie wollen weitermachen? Warten Sie einen Moment.« Nach wenigen Augenblicken tauchte sie mit einem Silikonball wieder auf. »Hier«, meinte sie. »Den hat mir mein Mann geschenkt, damit ich meinen Frust abreagieren kann. Trainiert auch die Fingermuskulatur.«

Gegen seinen Willen musste Alan grinsen, als sie ihm den Ball in die Hände legte.

Hayes tätschelte seine Schulter. »Viel Spaß beim Trainieren. Wenn Sie mich brauchen, benutzen Sie den Sender. Stört es Sie, wenn ich Musik höre?«

Alan schüttelte den Kopf.

»Fein«, meinte sie.

Wieder hörte er, wie sich ihre Schritte entfernten. Es klackte, bevor sie sich setzte, dann drangen die Töne einer Opernarie an seine Ohren. Ridi, pagliaccio, erkannte er endlich. Aber nach Lachen war ihm wirklich nicht zumute. Er lauschte, während seine Finger mit dem Ball spielten, und hörte, wie Hayes nach einer Weile mitsummte.

Plötzlich hielt er inne. Ein Bild fiel ihm ein. Eine weiße Gestalt, die Dean und ihm den Weg zum Shuttle versperrte. Katsuko war tot, rief er sich ins Bewusstsein. Es musste ein Traum gewesen sein, mehr nicht. Aber Dean hatte sie beiseitegeschoben. Oder irrte er sich? Aber wenn es nicht Katsuko gewesen war, die Dean beiseitegeschoben hatte, wer war es dann gewesen?


»Heh, Alter!«

Der Vorhang, mit dem Alans Bett vom Rest des Zimmers abgeteilt war, raschelte und gab den Blick auf Dean frei, der mit einem Grinsen an das Bett trat. Er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um und setzte sich schließlich auf die Bettkante.

»Du siehst scheiße aus, Alter.«

Als Antwort hob Alan die Hand und deutete einen Boxhieb in Deans Richtung an.

»Heh, so dankst du es mir, dass ich dich gerettet habe? Hast du eigentlich eine Ahnung, wie sehr Benton und ich geschuftet haben, damit dir nicht die Lichter ausgeblasen werden?«

Alans Finger krampften sich in die Decke. Das Zimmer stürzte auf ihn ein, wurde zu einem Tunnel aus Schwärze, aus dem sich eine weiße Gestalt schälte. Das Fiepen des Herzmonitors riss Alan in die Realität zurück. Er schwitzte.

»Benton hat dich ins Shuttle getragen. Und ich habe mindestens eine Viertelstunde lang Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht, bis Benton dich endlich an den Schlauch angeschlossen hatte. Scheiße, Alan, ich hab wirklich gedacht, du springst uns über die Klinge …«

Deans Augen schimmerten. Er tastete nach Alans Hand und tätschelte sie. Seine Handfläche fühlte sich feucht an.

»Der Lieutenant hat sich öffentlich bei dir bedankt. Wenn’s die Erde noch gäbe, dann würden sie jetzt bestimmt ’ne Straße nach dir benennen.«

In Alans Kehle zuckte es. Er keuchte, Lachtränen in den Augen.

Deans Pupillen weiteten sich. »Heh, alles in Ordnung?«

Er wollte Alan an den Schultern fassen, doch Alan packte sein Handgelenk und hielt ihn fest. Eine Weile starrten sie sich nur an. Das Beatmungsgerät zischte. Wie um alles in der Welt brachte er Dean dazu, dass er ihm erzählte, was mit der Gestalt in Weiß geschehen war?

Endlich löste sich Dean aus seiner Starre und richtete sich wieder auf. »Übrigens. Wenn ich gewusst hätte, dass du so gut mit dem Ding umgehen kannst, hätte ich mir nicht vor Angst in die Hosen machen müssen. Das sah aus wie in einem dieser Eastern. Ohne das Gift hätte dieses Affengesicht echt alt ausgesehen. Gut, dass Doktor Hayes ein Gegengift gefunden hat.«

Hatte sie das? Der Zweifel wuchs wieder.

Dean grinste. »Wart’s nur ab, bis du wieder auf dem Damm bist. Vielleicht finden wir ja den Whiskey, den Mister Racek im Maschinenraum versteckt hat.« Er setzte sich zurecht. »Dass die Krail-on den Schwanz eingezogen haben, hat dir Mister Mabuto bestimmt schon erzählt. Yael ist mir vor Freude um den Hals gefallen, als wir zurück waren. Du hast wirklich was verpasst, Alter. Aber das Essen in der Kantine ist immer noch nicht viel besser.«

Eine Weile sahen sie sich nur an, bis Dean grinste. »Du hast mich erwischt. Mir ist tatsächlich der Gesprächsstoff ausgegangen.«

Rede weiter, dachte Alan. Erzähl mir mehr!

Als er begriff, dass Dean nach Gründen suchte, um noch bei ihm zu bleiben, wurde ihm eng. Ohne sich dessen bewusst zu sein, verstärkte er den Druck um Deans Handgelenk.

Du musst nicht reden, wollte er ihm sagen. Es ist schön, dass du da bist.

Aber Dean gab sich nicht so einfach geschlagen. »Ich hab’s«, sagte er. »Wir könnten Schach spielen. Was hältst du davon?« Er schüttelte Alans Hand ab, kramte ein Notepad hervor und drückte ein paar Tasten. »Okay. Du hast den ersten Zug.« Mit Triumph hielt er Alan das Notepad entgegen.

Alans Finger bebten, als er das Notepad ergriff. Er drückte das Schachspiel weg und suchte den Eingabemodus. Dann tippte er den Satz ein: »Das Ding hättest du mir gleich geben können.«

Als er Dean das Notepad zurückreichte, schlug dieser sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ich bin ein Idiot. Asche auf mein Haupt. Okay, nein, sag nichts. Ich meine …« Dean grunzte. »Ich labere und labere. Hier nimm!«

Alan nahm das Notepad und löschte den letzten Satz. »Was ist mit der Frau, die uns aufhalten wollte?«, gab er stattdessen ein. Gespannt sah er Dean an, als dieser den Blick darüber fliegen ließ.

»Frau?« Dean runzelte die Stirn. »Oh, die Krail-as meinst du. Nachdem sie dir die Hand geschüttelt hatte, wurde sie ziemlich hartnäckig. Sie bestand darauf, mitzukommen. Ich meine, was sollte ich tun? Ich saß da, machte Mund-zu-Mund-Beatmung. Benton suchte das Erste-Hilfe-Set. Wir hatten wirklich keine Zeit, sie aus dem Shuttle zu bitten. Und als Benton dich endlich angeschlossen hatte, kamen die Krail-on. Benton hat versucht, sie … äh … rauszuwerfen. Aber ich dachte mir, dass es nicht klug ist, zu lange zu warten – schon deinetwegen nicht – und bin gestartet. Den Rest kennst du.«

Alan traute seinen Ohren nicht. Er riss Dean das Notepad aus der Hand. »Sie ist hier?« Mit zitternder Hand hielt er Dean den Satz vor die Nase.

»Jep. Du hättest Mister Mabutos Gesicht sehen sollen, als sie ausstieg. Ich dachte, er würde gleich explodieren. Er wollte die Krail-on kontaktieren, aber die waren schon abgehauen, bevor er dazu kam.« Dean schnaubte. »Ich dachte, er lässt mich die Kombüse schrubben, als ich ihm alles erzählt hatte. Er war ganz aus dem Häuschen. Aber Doktor Hayes hat ihn zu sich gerufen, bevor er mit mir fertig war. Schien wichtig zu sein. Seitdem hat er sich nicht mehr gerührt.«

Es schien Alan, als warte Dean immer noch auf seine Hinrichtung. Ungeduldig nahm er ihm wieder das Notepad aus der Hand. »Wer ist sie?«, hielt er Dean entgegen.

»Keine Ahnung.« Dean breitete die Arme aus. »Ich weiß nur, dass Mister Mabuto sie im Quartier des Commanders untergebracht hat und sie bewachen lässt. Mister Graham hat mir erzählt, dass er sie ein paar Mal besucht hat. Aber der Lieutenant schien nicht glücklich zu sein, als er sie verließ. Graham sagt, sie habe ihn gefragt, wo der Kass-Un sei. Daraufhin hat der Lieutenant ihm verboten, mit ihr zu reden, wenn er ihr das Essen bringt.« Dean gluckste. »Scheint nicht mit ihm reden zu wollen, die Gute.«

Sie wollte nicht Mabuto, sondern ihn sprechen, erkannte Alan. Und er bezweifelte, dass Mabuto das schmeckte.


Als sie am Nachmittag die Übungen wiederholten, stellte Hayes die Atemfrequenz um eine weitere Stufe herab.

»Sie machen das wunderbar«, meinte sie, während sie sein Bein beugte. »Wenn Sie sich weiter so anstrengen, dann können wir morgen bestimmt den Tubus entfernen.«

Nur um ihr einen Gefallen zu tun, versuchte er ein Lächeln und sie schien es zu bemerken.

Kuosmanen kam einige Male herein und schenkte ihm jedes Mal ein Hallo, bevor sie wieder hinter dem Vorhang verschwand. Sie brachte Hayes mittags und abends etwas zu essen. Er hörte Geschirr klappern und wie Hayes und Kuosmanen sich leise unterhielten.

»Wollen Sie sich nicht etwas hinlegen?«, fragte Kuosmanen. »Sie haben die letzten beiden Nächte kaum geschlafen. Sie helfen niemandem damit, wenn Sie sich derart verausgaben, Doktor Hayes.«

Hayes seufzte. »Sie haben recht, Marja. Ich werde nur noch die Eingabe für diese Simulation beenden, damit ich sie starten kann, bevor ich schlafen gehe. Es muss einfach eine Behandlungsmethode geben.«

Die Worte ließen Alan aufhorchen. Der Zweifel, den er die ganze Zeit zu ignorieren versuchte, bekam neue Nahrung. Was waren das für Simulationen, die Hayes bis in die Nacht wach hielten? Hatten sie mit seinem »Zustand« zu tun? Wusste Mabuto etwa mehr als er?

»Gut, dann bringe ich noch schnell das Geschirr in die Kantine und übernehme danach für Sie.«

Anschließend herrschte Stille, die nur vom Klappern der Tastatur und des Geschirrs unterbrochen wurde. Endlich zeigte das Zischen des Schotts, dass Kuosmanen gegangen war, um kurz darauf zurückzukehren.

»Fertig«, empfing Hayes sie mit einem Gähnen.

Der Stuhl quietschte, als sie aufstand, um auf Alans Bett zuzuschlurfen. Er beobachtete, wie sie die Anzeigen der Wandkonsolen studierte, bevor sie sich ihm zuwandte. Schatten umrahmten ihre Augen.

»Gute Nacht«, lächelte sie ihn an. »Marja wird sich jetzt eine Weile um Sie kümmern. Schlafen Sie gut.«

Als Antwort zwinkerte er ihr zu. Einen Herzschlag lang war er versucht, sie zurückzuhalten, sie um eine Antwort zu bitten.

Aber sie berührte nur kurz seine Hand und verließ ihn. »Ich bin nebenan im Quarantänezimmer«, hörte er sie noch zu Kuosmanen sagen.

Danach entfernten sich ihre Schritte, und ein Schott zischte. Alan fröstelte, als es sich wieder schloss. Es kam ihm vor, als sei es mit einem Schlag kälter geworden im Raum. Das Zischen der Beatmungsmaschine schwoll an, erdrückte ihn, sodass er sich am liebsten den Tubus aus dem Hals gerissen hätte, um es zum Verstummen zu bringen. Doch er zwang sich zur Ruhe, knetete stattdessen den Silikonball, den Hayes ihm gegeben hatte.

Er musste hier raus. Er musste mit Mabuto sprechen, damit er mit der Fremden reden konnte. Sie war nicht ohne Grund hier. Die Krail-on hatten sie schon einmal hereingelegt. Was, wenn diese Frau nur eine weitere Falle grub, in die sie gerade tappten?

Morgen, rief er sich Hayes’ Worte ins Gedächtnis. Morgen war er den Apparat los. Die Worte hielten ihn über Wasser, bewahrten ihn davor, die Geduld zu verlieren und sich die Schläuche aus dem Körper zu reißen. Sie begleiteten ihn bis in den Schlaf, der ihn endlich erlöste.


»Es reicht, es reicht«, winkte Hayes ab. Das morgendliche Muskeltraining mit Alan hatte sie in Schweiß gebracht. »Sie schaffen mich. In zwei Tagen machen Sie wieder Klimmzüge. Aber jetzt muss ich zur Abwechslung noch ein bisschen den Computer quälen.«

Danach hörte er, wie sie wieder vor ihrer Konsole Platz nahm. Kurz darauf begann die Tastatur zu klappern und die Klänge einer Oper drangen durch den Raum. Sie klang genauso traurig wie die am Tag zuvor.

Alan knetete den Ball und lauschte, während er seine Zehen und Füße in Bewegung hielt. Versuchte, seine Ungeduld in der Musik zu ertränken, bis das Tastengeklapper abrupt endete.

»Nein«, murmelte Hayes. Das Geklapper begann erneut, hektischer als zuvor, wurde schließlich mit einem Fluch und einem Knall beendet.

In diesem Moment zischte das Schott.

»Ihr Essen, Ma’m«, verkündete ein Bass.

»Jetzt nicht, Mister Benton.«

Die Musik wurde abgestellt, während das Schott sich wieder schloss.

»Soll ich’s hier hinstellen, Ma’m?«

»Ja, von mir aus.«

»Stimmt was nicht, Ma’m?«

»Nichts stimmt«, fauchte Hayes Benton an. »Absolut gar nichts.«

»Soll ich gehen, Ma’m?«

»Was? Nein. Bleiben Sie hier. Es … tut mir leid, aber … Gott, ich bin so müde. Ich weiß einfach nicht weiter.«

»Vielleicht sollten Sie mal ’ne Pause machen, Ma’m.«

Ein Stuhl quietschte, als die Person darauf sich erhob.

»Sie haben recht«, sagte Hayes. Es klang, als würde sie die Worte zwischen ihren Zähnen hervorquetschen.

Der Zweifel wurde zu einem unüberwindbaren Berg. Hitze wallte in Alan auf.

Gott, er war dieses Versteckspiel leid. Zumal Mabuto ganz offensichtlich mehr wusste als er. Es war ihm egal, was sie ihm verschwieg, ob er künftig ein Krüppel sein würde oder morgen sterben musste. Er wollte nur wissen, um was es ging, damit er sich der Sache stellen konnte.


Als Hayes den Vorhang beiseitezog, zuckte Alan zusammen.

»Ich werde jetzt den Tubus entfernen. Sind Sie bereit?«, fragte sie.

Er nickte, zu überrascht, um Freude empfinden zu können.

Hayes legte ihm eine Hand auf die Stirn und die andere um den Schlauch. »Auf mein Kommando ausatmen. Jetzt!« Bevor sie ›jetzt‹ sagte, zog sie, sodass Alan nicht dazu kam, zurückzuschrecken.

Der Schlauch kratzte in seinem Hals. Er musste husten und beugte sich nach vorne.

Hayes legte den Arm um seine Schultern und fixierte einen Schlauch unter Alans Nase. »Ruhig atmen«, mahnte sie mit Blick auf die Kontrollen.

Alan gehorchte und ließ sich gegen sie sinken, bis das Gefühl der Schwäche schwand. Als sie sich räusperte, rückte er von ihr ab.

»Spucken Sie’s aus.«

Hayes blinzelte.

»Wie lange noch?«

Sie schwieg und stand langsam auf. »Maximal drei bis vier Wochen. Wenn es schlecht läuft, nur ein paar Tage.«

Die Worte boxten Alan die Luft aus den Lungen. »Sie haben mich angelogen.«

»Nein … ja … Herrgott!« Hayes strich sich die Haare aus der Stirn. »Ich wollte eine Simulation abwarten, um sicherzugehen …«

»Sind Sie nun sicher?«

»Ja, nein. Gott, machen Sie es mir doch nicht so schwer …«

»Okay, ich höre. Erklären Sie es mir!«

Mit gerunzelter Stirn stopfte sie die Hände in die Taschen ihres Kittels. »Das Gegengift, das Mister Benton Ihnen gegeben hat, hat zwar das Krail-on-Gift inaktiviert, indem es sich mit ihm verbunden hat. Doch meine Simulationen haben mir gezeigt, dass die Verbindung nicht dauerhaft ist. Die beiden Moleküle werden sich wieder voneinander lösen. In Folge davon wird es zu fortschreitenden Lähmungen und Muskelkrämpfen kommen, die zum Exitus führen.«

Um Haltung bemüht biss Alan die Zähne zusammen. »Sie könnten mir mehr von dem Gegengift geben …«

Hayes schüttelte den Kopf. »Nein. Das Gegengift ist ein inaktivierter Abkömmling des Tetanustoxins, das bei der Ablösung von dem Krail-on-Gift wieder aktiviert wird. Gebe ich Ihnen mehr davon, kann ich zwar das Krail-on-Gift wieder inaktivieren, aber dafür wird sich immer mehr von dem Tetanustoxin in ihrem Körper anreichern. Und wenn ich versuche, dessen Abbau über Proteasen zu provozieren, dann wird das Krail-on-Gift wieder frei. Das Problem ist nicht lösbar.«

»Schön. Das war also die gute Variante. Und was geschieht mit mir, wenn es schlecht läuft.«

Hayes rieb sich die Stirn. »Es tut mir leid. Ich …«

»Erklären Sie mir die andere Variante!« Bevor ihm der Kragen platzte.

Hayes ließ den Kopf hängen. »Meine Simulationen haben mir gezeigt, dass der Gift-Gegengift-Komplex nicht abgebaut werden kann und sich stattdessen in der Niere anreichert. In siebzig Prozent der Fälle kam es zu einer immunologischen Reaktion des Körpers, die zu einem Nierenversagen führte. In einem Drittel der Fälle kam es zusätzlich zu einem Leberversagen. Ich habe verschiedene Behandlungsmethoden getestet, aber keine hatte Erfolg. In den Simulationen zumindest. Es tut mir wirklich leid, aber …«

»Warum haben Sie Mister Benton dann das Gegengift gegeben?«

»Meine Simulation war erst abgeschlossen, als Sie mit Mister Benton zurückkehrten. Ich verspreche Ihnen, dass ich alles tun werde, was ich kann, um Sie zu retten.«

Alan erstarrte. Hierbleiben? Das Piepen des Herzmonitors beschleunigte sich. »Und wenn ich nicht gerettet werden will? Was, wenn es mir lieber ist, schnell zu sterben, anstatt zu Tode zu siechen? Ich habe Besseres zu tun, als hier auf mein Ende zu warten.«

Mit einem Kopfschütteln stemmte Hayes die Fäuste in die Hüften. »Sie schütten das Kind mit dem Bade aus, Mister McBride. Nur weil Sie Krankenhausaufenthalte nicht mögen, heißt das noch lange nicht, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«

»Sie verstehen nicht«, fauchte er. »Ich muss endlich mit der Krail-on-Frau reden, die sich an Bord befindet. Sie hat etwas vor, sonst wäre sie nicht hier. Rufen Sie Mister Mabuto! Ich muss mit ihm sprechen. Und erzählen Sie mir nicht, dass er nicht weiß, wie es um mich steht! « Mit einem Ächzen stemmte er sich in die Höhe.

Hayes packte ihn an den Schultern. »Legen Sie sich sofort wieder hin! Sie brauchen Ruhe.«

Das Piepen steigerte sich zu einem Crescendo.

»Verdammt! Hören Sie auf, mich zu bemuttern. Ich muss mit Mister Mabuto sprechen. Wenn Sie ihn nicht holen, dann werde ich es eben selber tun.« Er schwang die Beine über den Rand des Bettes und wurde dabei an die Schläuche erinnert, die ihn festhielten.

Hayes versuchte, nach seinen Händen zu greifen. »Könnten Sie mal Ihr verdammtes Machogehabe vergessen und sich wie ein vernünftiger Mensch benehmen?«

»Verdammt! Machen Sie sie weg!«

Zornig fegte er Hayes Hände beiseite, griff nach der Kanüle und riss sie aus seinem Arm. Blut rötete das Laken. Die Nasensonde und der Sender des Herzmonitors folgten. Das Piepen verwandelte sich in einen Pfeifton.

Als er nach dem Blasenkatheter greifen wollte, hielt Hayes ihn zurück. »Mister McBride, kommen Sie zur Vernunft. Ich will Ihnen doch nur helfen.«

»Indem Sie mich anlügen?«

»Sie hirnamputierter Macho! Hören Sie mir doch zu!« Hayes schüttelte ihn.

Er riss sich los, warf sich gegen sie, rutschte dabei von der Bettkante und fand sich plötzlich auf dem Boden wieder. Mit der Kraft der Verzweiflung versuchte er, auf die Füße zu kommen, während Hayes ihn unter den Achseln packte, um ihm dabei zu helfen.

»Benton«, schrie sie. »Mister Benton!«

Schritte näherten sich.

Alan stieß Hayes von sich, verlor den Halt und stürzte auf die Knie. Plötzlich wurde er von hinten gepackt und festgehalten.

»Lassen Sie mich los!«, schrie Alan.

Mit roten Flecken im Gesicht sprang Hayes auf und eilte zu einem der Wandschränke. Es klirrte, als sie zwei der Flaschen umwarf. Sie ergriff eine, zog eine Spritze auf und kam damit auf Alan zu.

Außer sich vor Zorn versuchte Alan, sich aus Bentons Griff zu winden, aber Benton verdrehte Alans Arm auf den Rücken, dass dieser vor Schmerz aufkeuchte. Alan versuchte, einen Kopfstoß anzubringen. Da legte Benton den Arm um Alans Hals und bog seinen Kopf nach hinten. Den Moment nutzte Hayes, um ihm die Injektion in den Hals zu jagen.

»Nein«, keuchte Alan.

Aus der Wut wurde Ohnmacht. Erstarrt lag er in Bentons Griff und wartete auf die schwarze Woge, die auf ihn zurollte.

Hayes ging neben ihm in die Hocke und sah ihn an. »Es tut mir leid«, sagte sie.

Alan starrte sie an, kämpfte gegen die Schwere seiner Lider. Die Angst, auf der Krankenstation bleiben zu müssen, raubte ihm den Atem. Aber bevor er sie verdrängen konnte, erfasste ihn die Woge und begrub ihn unter sich.


Das Erste, was er hörte, als er erwachte, war das Piepen des Herzmonitors. Mit einem Stöhnen wandte er den Kopf zur Seite, wollte zurückfallen in die Schwärze, doch das Piepen ließ es nicht zu. So dümpelte er in einem Meer aus Gleichgültigkeit und stierte an die Decke.

»Wie geht es Ihnen?«, hörte er Hayes’ Stimme. Eine Hand fasste nach seiner Schulter.

Alan starrte weiter an die Decke. Aus dem Tümpel in seinem Hirn stieg ein Gedanke an die Oberfläche. Die Krail-on-Frau.

»Mister McBride, seien Sie vernünftig. Es ist doch nur zu Ihrem Besten.« Hayes’ Stimme klang weich, als bitte sie ihn um Verzeihung.

»Holen Sie Lieutenant Mabuto.«

Hayes wich zurück. »Sie brauchen nicht Mister Mabuto. Sie brauchen eine Psycho- oder eine Verhaltenstherapie«, schnappte sie.

Alan ignorierte sie. »Sie hören mir nicht zu. Ich muss mit Lieutenant Mabuto sprechen. Es ist wichtig.«

»Beruhigen Sie sich!«

Ich bin ruhig, hätte er ihr gern ins Gesicht geschrien. Aber er war einfach zu müde, um sich aufzuregen. Langsam drehte er ihr den Kopf zu. »Ich will mit Lieutenant Mabuto sprechen.«

»Ja, er wusste es«, blaffte sie. »Er ist unser kommandierender Offizier. Ich musste ihn informieren. Das bedeutet nicht, dass ich Sie …«

»Darum geht es nicht«, unterbrach er sie. »Ich habe wichtige Informationen für ihn, die er erfahren muss. Also rufen Sie ihn endlich!«

Mit schmalen Lippen stopfte sie ihre Fäuste in die Taschen. »Wie Sie wollen.«

Hoch erhobenen Hauptes kehrte sie ihm den Rücken zu und stolzierte aus seinem Sichtfeld. Als er hörte, wie sie die Schiffskomm betätigte und nach Mabuto rief, schloss er die Augen. Die Schwärze drohte, ihn wieder zu überwältigen. Keuchend rang er nach Atem. Nur mühsam schaffte er es, seine Augenlider offenzuhalten.

Währenddessen kehrte Hayes zu ihm zurück und checkte die Kontrollen. Ehe er reagieren konnte, injizierte sie den Inhalt einer Spritze in den Infusionsschlauch, der in seinem linken Arm endete. Sein erster Gedanke war, dass sie ihn wieder zu sedieren versuchte.

»Nein«, stöhnte er, »bitte. Ich …«

»Das war ein Mittel zur Stabilisierung Ihres Kreislaufs, Mister McBride. Ich habe es wirklich nicht nötig, zu Tricks zu greifen, um mich Ihnen gegenüber durchzusetzen.«

Ihm dämmerte, dass die Angst, auf der Krankenstation bleiben zu müssen, ihn in diese Situation gebracht hatte. Wenn er Mabuto davon überzeugen wollte, sie verlassen zu dürfen, musste er wohl oder übel seine Taktik ändern.


»Es freut mich, Sie bei Bewusstsein zu sehen.«

Mabuto blieb in der Öffnung des Vorhangs stehen, als habe er es eilig.

Die Worte trieben Alan das Blut ins Gesicht. »Sir, ich muss mich für mein Verhalten entschuldigen. Es soll nicht wieder vorkommen.«

»Sagen Sie das Doktor Hayes.« Nun trat Mabuto doch an Alans Bett. »Weshalb wollten Sie mich sprechen?«

»Mister Fiorentino hat mir von der Krail-on-Frau berichtet, die sich an Bord befindet. Ich wollte Ihnen anbieten, mit ihr zu reden.«

Mabuto runzelte die Stirn. »Doktor Hayes hat mir bereits vor einigen Tagen Ihren … Zustand geschildert. Ich denke, dass Sie auf der Krankenstation besser aufgehoben sind. Zu Ihrem Besten natürlich.«

»Sir, bei allem Respekt.« Alan stemmte sich in die Höhe. »Aber ich vermute, sie hat einen guten Grund hier zu sein. Wir sollten sie aushorchen, bevor wir in eine neue Falle tappen.«

»Der Gedanke ist mir nicht neu. Aber ich sehe keinen Grund, weshalb Sie deswegen die Krankenstation verlassen sollten.«

»Sir, ich glaube, sie will mit mir reden …« Alan verstummte. Ganz falsch. Wenn er mit ihr reden wollte, musste er es anders anfangen.

»War das alles, Mister McBride?«

Das Piepen des Monitors beschleunigte sich. Ruhig, mahnte sich Alan und atmete tief durch.

»Sir, ich wollte Ihnen nur sagen … Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Es war meine Entscheidung.«

Mabuto senkte den Kopf.

Bevor er etwas erwidern konnte, setzte Alan hinzu: »Sir, mit Verlaub. Ich hätte nur eine Bitte: Lassen Sie mich etwas tun! Meinen Dienst wieder aufnehmen – irgendetwas, damit ich das Gefühl habe, von Nutzen zu sein. Damit … damit mein Kampf nicht sinnlos war.«

Das Piepen pulsierte in Alans Ohren. Es machte ihn schier wahnsinnig.

»Sind Sie sich im Klaren darüber, dass das Ihre … Überlebenschance verringern könnte?«

Das Piepen stolperte, verlangsamte sich.

»Ja, Sir. Ich bin mir dessen bewusst.«

Mabuto schwieg.

»Sir, bitte helfen Sie mir!«

Mabutos Miene wurde hart. »Glauben Sie, dass Sie eine Schicht durchhalten können?«

»Ja, Sir.«

»Gut. Ich werde mit Doktor Hayes reden. Aber nur unter einer Bedingung: Sie werden sich Ihren Anweisungen fügen, egal, was sie von Ihnen verlangt. Wenn Hayes Grund zu Klagen hat, ziehe ich mein Einverständnis zurück. Haben Sie das verstanden?«

»Aye, Sir.«

»Ich hoffe, ich muss meine Entscheidung nicht bereuen, Mister McBride.«

»Nein, Sir. Danke, Sir.« Mit einem Seufzen sank Alan auf sein Kissen zurück.

Mabuto nickte ihm zu. »Ich zähle auf Sie, Mister McBride.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.

Als das Schott hinter ihm zischte, kam sich Alan mit einem Mal wie ein Betrüger vor. Vielleicht hatte White mit ihren Anschuldigungen nicht so unrecht gehabt.


»Sind Sie nun zufrieden?«, fragte Hayes.

Mit verschränkten Armen baute sie sich neben Alans Bett auf.

Alan schwieg und starrte an ihr vorbei auf die Wand.

»Ich übernehme keine Verantwortung für das, was daraus erwachsen wird.«

»Es ist mein Leben«, knurrte Alan.

»Oh, fein!«, höhnte Hayes. »Sie machen es sich verdammt einfach, Mister McBride. Vielleicht sollten Sie ab und zu auch an die Leute denken, mit denen Sie auf diesem Schiff zusammenleben!«

»Das habe ich getan!«

»Sie wissen, was ich meine«, erwiderte Hayes. »Ich bin Ihre Ärztin. Und meine verdammte Pflicht ist es, Ihr Leben zu erhalten. Glauben Sie nicht, dass ich Sie aus der Krankenstation entlasse, bevor Sie wieder halbwegs genesen sind. Zwei Tage werden Sie hier wohl oder übel noch verbringen müssen. Und wenn Sie nicht kooperieren, kann sich die Zeit leicht verlängern.«

Der Hieb saß. Darauf wusste er nichts zu antworten.

»Über die Therapie sprechen wir noch. Wenn ansonsten alles geklärt ist, werde ich jetzt Mister Benton zu Ihnen schicken, damit er Ihnen den Blasenkatheter entfernt. Er wird Sie zur Toilette begleiten und danach mit Ihnen trainieren. Noch Fragen?«

»Nein.«

»Gut.« Mit diesem Wort kehrte sie Alan den Rücken zu und stolzierte aus dem Raum.


Ab diesem Zeitpunkt herrschte Krieg zwischen ihnen. Alan bekam Hayes erst wieder zu Gesicht, als sie abends kam, um seine Werte zu kontrollieren. Benton trainierte an ihrer Stelle mit Alan. Da das Muskeltraining alles war, womit er seine Position Hayes gegenüber verbessern konnte, quälte er sich durch die Übungen, bis Benton ihn bremsen musste. Deans Besuch am Abend war der einzige Lichtblick.

Am nächsten Morgen wurde er von Kuosmanen geweckt, die er solange durch die Übungen scheuchte, bis diese erschöpft abwinkte. Die einzige Abwechslung war Hayes, die um die Mittagszeit seine Werte überprüfte und Kuosmanen daraufhin die Nasensonde entfernen ließ und Alan die erste feste Nahrungsaufnahme erlaubte. Er wünschte sich Marmeladentoast, den Kuosmanen ihm brachte, obwohl er nicht unbedingt Hayes’ Vorstellungen von Alans Speiseplan entsprach. Aber Kuosmanen schien es zu mögen, Alan einen Gefallen zu tun. Sie rang ihm sogar ein Lächeln ab, als sie am Nachmittag wieder zusammen trainierten. Als Dean ihn abends besuchte, war Alan wesentlich besser gelaunt als am Tag zuvor.

Am nächsten Morgen hetzte ihn Hayes durch eine Reihe von Untersuchungen, deren Ergebnisse sie anscheinend nicht beanstanden konnte.

»Kann ich gehen?«, fragte er, nachdem sie die CT- und Blutgaswerte ein zweites Mal kontrolliert hatte.

»Sie wollen es ja nicht anders.«

»Sie kennen meine Antwort.«

»Dadurch wird sie nicht vernünftiger.«

Alan schluckte eine Erwiderung hinunter und ließ die Beine über den Rand der Liege baumeln. »Also, was ist? Kann ich gehen?«

Mit frostiger Miene stopfte Hayes die Hände in die Taschen ihres Kittels. »Ihre Werte sind einwandfrei. Aber eine Psycho- oder Verhaltenstherapie brauchen Sie trotzdem.«

»Ich glaube, das erübrigt sich.«

»Wie Sie meinen.« Hayes zuckte mit den Schultern.

Aber als Alan von der Liege rutschen wollte, hielt sie ihn fest.

»Nicht so eilig. Ich möchte Ihre Blutwerte überwachen können, wenn Sie die Krankenstation verlassen haben.«

Nur mit Mühe schaffte Alan es, nicht zu explodieren. »Ich nehme nicht an, dass ich das verhindern kann«, knirschte er.

»Nein, das können Sie nicht.«

»Worauf warten Sie dann noch?«

»Legen Sie sich wieder hin«, sagte Hayes und zog einen der Rolltische zu sich heran.

Wortlos gehorchte Alan und studierte die Stahldecke der Krankenstation. Kälte breitete sich an der Stelle auf seinem Bauch aus, an der Hayes ein Desinfektionsmittel aufsprühte. Dann spürte er einen Stich. Als er an sich hinabblickte, entdeckte er, dass ein dünner Schlauch aus seiner Bauchdecke ragte. Bevor er sich wundern konnte, was die Ärztin vorhaben könnte, führte sie das Ende des Schlauchs in eine kleine Schachtel mit einer Leuchtdiode ein, die sie mit einem Streifen Klebefolie auf seiner Haut befestigte.

»Der Sender wird mir stündlich ihre Kalium-, Harnstoff und Cystatin-C-Werte übermitteln.«

Automatisch wanderte Alans Hand zu dem Fremdkörper, doch Hayes schob sie beiseite. Argwöhnisch setzte er sich auf und begutachtete den Sender.

»Wozu?«

»Um mich rechtzeitig zu warnen, falls Ihre Nieren geschädigt wurden.«

»Und wenn es so wäre?«

»Dann werden wir uns wieder auf der Krankenstation sehen, bis ich die Gefahr eines Nierenversagens ausschließen kann.«

Dann werden Sie hierbleiben, hörte er aus ihren Worten. Mehr wollte er nicht wissen. Ohne ihr noch einen Blick zu gönnen, sprang er vom Bett.

»Wo sind meine Sachen?«

»Mister Benton wird sie Ihnen bringen.«

»Ich warte.«

Einen Herzschlag herrschte Schweigen.

»Alles Gute«, sagte Hayes.

Aber Alan kehrte ihr den Rücken zu und wartete, bis er hörte, dass sie den Raum verlassen hatte.

Als Alan endlich die Tür zu seiner Kabine hinter sich schloss, war er am Ende seiner Kräfte. Seine Beine fühlten sich an, als seien sie aus Pudding. Mit einem Stöhnen ließ er sich aufs Bett fallen und starrte ins Dunkel. Seine Hand fand den Silikonball, den Hayes ihm geschenkt hatte und den er zwischen seinen Kleidern entdeckt hatte, die Benton ihm gebracht hatte.

Mit einem Fluch warf er den Ball an die Wand und legte die Unterarme auf sein Gesicht. Zwar hatte er es geschafft, die Krankenstation zu verlassen, aber Hayes ließ ihn immer noch nicht von der Angel. Und der Krail-on-Frau war er damit keinen Millimeter nähergekommen.

FREMDE HEIMAT

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