Читать книгу FREMDE HEIMAT - Petra E. Jörns - Страница 6

2.

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Auf Alans Monitor kam Unruhe in die Zahlenkolonne.

»Ein Schiff, Sir!« Nguyen bestätigte, was Alan schon wusste.

Endlich. Sie krochen nun schon einen Tag im Krail-on-Raum mit Sublichtgeschwindigkeit herum. Viel länger hätte der Commander bestimmt nicht gewartet. Zwei-, dreimal waren Schiffe auf ihren Sensoren aufgetaucht, aber keines hatte Kurs auf sie gesetzt oder Kontakt mit ihnen aufgenommen. Dieses hier kam direkt vor ihnen aus dem Hyperraum. Zwei Wochen waren verstrichen, seit sie den Funkspruch der Antarctica empfangen hatten.

Alans Finger tanzten über die Tastatur, während er, ohne den Befehl des Commanders abzuwarten, mögliche Flucht- und Abfangmanöver in die Kontrollen der Schiffsführung lud.

Der Annäherungsalarm durchdrang die Brücke, würde bald Pola, Jäggi und Yael auf die Brücke jagen, um alle Brückenpositionen doppelt zu besetzen.

Zu Alans Rechter sog Dean scharf die Luft ein.

»Klassifizierung?«, fragte Delacroix.

»Keine Irhog.« Nguyen atmete hörbar aus.

»Klassifizierung, Mister Nguyen.«

Alans Blick zuckte zu Nguyens Monitor, suchte die Daten dort zu lesen, die darüber wanderten.

Niemand schien zu atmen, bis Nguyen die Stille brach. »Krail-on, Sir. Sie rufen uns.«

»Aktivieren Sie die Übersetzungsdatei!«

»Aye, Sir.«

Während Alans Finger über den Kontrollen verharrten, beobachtete er, wie Nguyens Hände die Übersetzungsdatei luden. Endlich drückte der Ensign einen Knopf und ein leises Rauschen zeigte, dass er eine Aufzeichnung abrief.

Alan wandte sich der Kommandotafel zu, die inzwischen von dem Abbild eines fremden Wesens ausgefüllt wurde. Die dunklen Haare des Fremdlings bedeckten dessen ganzes Gesicht. In seinen bis auf die Brust reichenden Zöpfen glitzerten goldene Ringe. Die Augen mit den schlitzförmigen Pupillen funkelten die Menschen aus tief liegenden Höhlen an. Die Stimme des Krail-on hallte wie Donnergrollen durch die Brücke. »Hier spricht Kass-Un Stark von Starks Klinge. Gebt uns Euren Namen!«

In Alans Ohren klang es, als habe er Delacroix gerade zum Duell herausgefordert.

Delacroix stand auf und legte die Hände hinter seinem Rücken ineinander. »Öffnen Sie einen Kanal, Mister Nguyen.« Als Nguyen ihm zunickte, straffte er sich und blickte direkt in Richtung des Aufnahmegeräts. »Commander … Kass-Un Jean-Pierre Delacroix vom Aufklärungskreuzer Sydney, Vereinte Nationen der Erde.«

»Vereinte Nationen der Erde?«, wiederholte der Krail-on, als höre er die Worte zum ersten Mal. »Was ist Euer Begehr?«

»Wir möchten Handelsbeziehungen knüpfen.«

»Handelsbeziehungen?« Der Krail-on drehte sich um, sodass sein Gesicht den Aufnahmebereich des Aufzeichnungsgerätes verließ, und sprach mit einer Person, die hinter ihm stand. Nach einer Weile drehte er sich dem Aufzeichnungsgerät wieder zu. »Welche Handelsgüter könnt Ihr uns anbieten?«

»Gewürze, Rohstoffvorkommen. Ich denke, dass sich sicherlich etwas finden lässt, was Ihrem Geschmack entspricht.«

»Was wollt Ihr dafür?« Die Augen des Fremdwesens schienen zu glühen.

Delacroix räusperte sich. »Proviant, Energiereserven. Was Sie entbehren können.«

Wieder tauschte sich der Krail-on mit der Person außerhalb des Aufnahmebereichs aus, bevor er antwortete. »Kommt mit Eurem Stellvertreter und Eurem Nachfolger auf mein Schiff, damit wir darüber reden können.«

»Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne Proben unseres Angebots zukommen lassen.« Delacroix verlagerte sein Gewicht.

Auf der anderen Seite der Brücke fädelte sich in diesem Moment Pola hinter einem leer stehenden Pult ein. Ein Blinken auf Alans Display zeigte ihm, dass sie sich die Navigationsdaten auf ihren Monitor lud. Hinter Pola tauchte Yael auf und besetzte den Platz zwischen Pola und Nguyen. Nur Jäggi fehlte noch.

Die Zöpfe des Krail-on schlugen um seinen Kopf, als er sich wieder der Person hinter sich zuwandte. Nach einem kurzen Wortwechsel trat eine weiß gekleidete Gestalt neben ihn und verbeugte sich vor den Menschen mit vor der Brust zusammengelegten Händen. Dunkle Zöpfe wurden von weißen Bändern auf ihrem Kopf zusammengehalten, umrahmten ein zartes Gesicht, das aus Ebenholz geschnitten zu sein schien. Neben dem Krail-on wirkte sie wie eine Erscheinung.

Alan hielt den Atem an.

»Ich bin Sorai-an. Der Kass-Un bittet Euch durch mich, seine Gastfreundschaft anzunehmen.«

In dem Moment ließ sich Jäggi mit einem Keuchen wie eine Bombe neben Dean in den letzten freien Stuhl fallen. Alan sah auf und wandte sich wieder der Kommandotafel zu.

Delacroix legte den Kopf in den Nacken. »Ihr Angebot ehrt mich. Erlaubt, dass ich Ihnen meine Stellvertreterin schicke, um Ihnen in meinem Namen ein Angebot zu unterbreiten.«

»Womit haben wir Euer Misstrauen verdient, Kass-Un.«

Alans Blick zuckte zu Delacroix, suchte die Kommandotafel zu durchdringen, um in seinem Gesicht lesen zu können.

»Wir misstrauen Ihnen nicht. Wir lassen nur die nötige Vorsicht walten«, erwiderte Delacroix kühl.

Stark ballte die Faust, aber Sorai-an verneigte sich und antwortete an seiner Stelle. »Eure Worte sind weise, Kass-Un. Erlaubt, dass wir Euch eine Auswahl unseres Proviants zukommen lassen, damit Ihr unser Angebot prüfen könnt. Derweil kann Euer Chefingenieur Eure Energiespezifikationen schicken, damit wir Ihnen auch diesbezüglich ein Angebot machen können. Wenn Ihr erlaubt, kann Ihre Stellvertreterin währenddessen Ihre Handelsgüter auf unser Schiff bringen. Sie ist herzlich eingeladen.«

Alan lehnte sich zurück. Gut, dass diese Sorai-an das Gespräch an sich gerissen hatte. Stark hätte dem Vorschlag des Commanders sicherlich nie zugestimmt.

»Ich freue mich darauf, unser Gespräch fortsetzen zu können.«

Sorai-an neigte bei Delacroix’ Worten den Kopf. »Ich ebenso.«

Nach Sorai-ans Worten wurde die Kommandotafel wieder transparent und gab die Sicht auf den Commander frei, der sich mit den Fingern an den Mund tippte.


»Komische Typen«, meinte Dean, als der Commander mit White und Racek im Bereitschaftsraum verschwunden war.

»Findest du?« Alan fixierte seinen Monitor. Die Bilder in Boldens Bericht hatten die bedrohliche Präsenz, die er angesichts des Krail-on verspürt hatte, nicht vermitteln können. Sie waren ganz anders, als er erwartet hatte. Wie sie wohl rochen? Er versuchte, sich an die Funktion der Frauen in Weiß zu erinnern. Bolden hatte sie beschrieben und ihre Funktion als die einer Heilerin übersetzt. Nach dem, was er vor wenigen Minuten erlebt hatte, wagte Alan, das zu bezweifeln. Sie schienen eher eine Art Beraterin zu sein. Merkwürdig. Er sollte den Commander darauf hinweisen.

»Wo steckt eigentlich Mabuto?«, fragte Dean.

»Keine Ahnung. Ich glaube, der Commander hat ihn verwarnt.«

»Kein Wunder, so seltsam, wie er sich in den letzten Wochen benommen hat.«

Alan seufzte. »Haben wir uns nicht alle seltsam benommen in den letzten Wochen?«

»Mag sein.« Die Antwort war für Deans Verhältnisse ungewohnt einsilbig.

Aber Alan war das im Moment gleichgültig. Er wollte die Krail-on sehen, einem von ihnen Auge in Auge gegenüber stehen. Ohne dass ein Aufnahmegerät und ein Monitor zwischen ihnen lagen. Der Commander musste das einfach verstehen.


Der Commander verstand es nicht. »Ich will Sie auf Ihrem Posten haben, falls es zu Komplikationen kommt«, war seine Antwort gewesen, als sich Alan freiwillig meldete, um bei der Übernahme des Proviants im Hangar zu helfen. Der Chief sollte das Geschehen überwachen, während White mit dem Shuttle und zwei Crewmen die Krail-on besuchte. Alan beneidete sie.

Stattdessen saß er mit Delacroix und den Angehörigen der Einser- und Zweierschicht auf der Brücke und langweilte sich, während Ameisen in seinen Eingeweiden zu wohnen schienen. Der Commander rechnete also mit Komplikationen. Dass ihm daran lag, dass sich Alan deshalb auf der Brücke aufhielt, betrachtete Alan als Kompliment. Alans Hinweis auf die weiß gekleidete Frau hatte er mit einem in die Ferne gerichteten Blick und einem Kopfnicken beantwortet. Das war alles gewesen.

Nach Stunden des Wartens ging eine Nachricht von Hayes über den internen Komm ein. »Die Lebensmittel sind einwandfrei, Sir. Weder toxikologische noch bakteriologische Befunde. Einige der Pflanzen enthalten zu viele Alkaloide für einen menschlichen Organismus, aber ich habe sie aussortieren lassen und Misses White angewiesen, sich auf die besser verdaulichen zu konzentrieren.«

»Gute Arbeit, Doktor. Machen Sie weiter.«

»Aye, Sir.«

Kurz nach ihr meldete sich Racek. »Es gibt’n paar Probleme, Sir. Unsere Energiespezifikationen stimmen mit denen der Krail-on nicht überein.«

»Dann passen Sie sie an.«

Man hörte, wie Racek sich kratzte. »Ja, Sir. Das versuchen wir ja. Aber wir können die Symbole der Krail-on nicht umsetzen und sie nicht die unseren. Wir bräuchten einen Zahlenkünstler mit Kenntnissen der Krail-on-Sprache, damit wir vorankommen. Ich dachte mir, sie könnten mir vielleicht Mister McBride ausleihen.«

Alan horchte auf. Er wagte nicht, sich umzudrehen, aus Angst, den Wunsch zu helfen damit zu verraten. Hoffentlich lehnte der Commander Raceks Bitte nicht ab.

Der Moment zog sich in die Länge.

»Spielen Sie ihm die Daten auf Monitor drei«, antwortete Delacroix endlich.

»Aye, Sir.«

»Mister McBride.«

Alan drehte sich um und konnte mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. »Ja, Sir.«

»Sie haben gehört, was Mister Raceks Problem ist. Machen Sie sich an die Arbeit. Miss Skobzewa, Sie übernehmen solange das Ruder.«

»Aye, Sir. Danke, Sir.« Alan glaubte, ein Zucken um Delacroix' Mundwinkel zu sehen, bevor er sich wieder seinem Monitor zuwandte. Datensalat machte sich darauf breit. Alan lud sich die Übersetzungsdatei dazu und suchte nach Übereinstimmungen. Nach einer Weile wurde er auf eine Gruppierung aufmerksam. Er isolierte sie und schrieb einen Suchalgorithmus, der sich an der Struktur der Gruppe orientierte. Als das Ergebnis sichtbar wurde, lächelte er befriedigt. Er kam der Sache näher.

Die Zeit verstrich. Alan tauchte in die Zahlen ein, vergaß die Brücke um sich herum, die Bedrohung durch die Irhog und die Krail-on. Irgendwann wurden aus den Zahlengruppen Strukturen höherer Ordnung, die plötzlich Sinn ergaben. Es war wie das Erwachen aus einem Tagtraum. Der Traum wirkte realer als die Realität, die Zahlen waren so präsent, dass sie Alan mit ihrer Gegenwart erdrückten. Das Ergebnis schien so simpel.

Er wollte gerade Delacroix informieren, da drang Whites Stimme durch die Brücke. »Kehre auf die Sydney zurück, Sir. Sie können Mister McBride beglückwünschen. Rohstoffe und Schokolade. Der Handel geht klar.«

»Veranlassen Sie alles Erforderliche.«

»Ja, Sir.«

»Mister McBride.«

Alan wandte sich dem Commander zu. Hitze stieg in seine Wangen. »Die Analyse ist fertig, Sir.«

»Schicken Sie die Daten an Mister Racek. Und meinen Glückwunsch.«

»Danke, Sir.« Mit Schwung drehte sich Alan wieder dem Monitor zu und hieb in die Tasten. Es hatte funktioniert. Sie hatten Proviant erhalten und würden ihre Energiereserven auffrischen können. Und sie lebten immer noch. Kein Krail-on hatte ihren Kopf gefordert oder ihnen den Krieg erklärt.

»Doktor Hayes«, hörte Alan die Stimme des Commanders. »Sagen Sie dem Koch, er soll zur Feier des Tages die Fleischreserven anbrechen. Das wird die Stimmung hoffentlich etwas heben. Kümmern Sie sich darum.«

»Mit Vergnügen, Sir.«

Deans Ellbogen landete in Alans Seite. »Steak«, raunte er ihm zu. Seine Augen leuchteten.

In diesem Moment meldete sich White noch einmal per Funk. »Sir, noch eine Information. Sie, Mister Racek und ich wurden zwecks Besiegelung unserer Handelsbeziehungen von Sorai-an zum Essen eingeladen. Ich habe keinen Weg gefunden, diese Einladung zu umgehen, ohne dass es unhöflich wirkte. Da war nichts zu machen, Sir.«

»Verstanden, Misses White.«

Damit wurde die Verbindung gekappt.


Bevor Alan das Bedienungspanel erreichte, öffnete sich vor ihm das Schott zum Trainingsraum. Der Geruch von Schweiß und Metall schlug ihm entgegen. Ein Crewman stand vor ihm und kehrte ihm den Rücken zu. Die Neonbeleuchtung spiegelte sich in seiner Halbglatze.

»Ich sage dir, die werden uns alle verheizen. Wir sollten etwas unternehmen, bevor es zu spät ist«, ertönte es von irgendwo her.

Alan erkannte die Stimme sofort.

»Ich will damit nichts zu tun haben«, rief der Glatzkopf mit dem Bauchansatz. Im gleichen Augenblick drehte er sich um und lief direkt in Alan hinein. »Sir«, stotterte er, als er Alans Rang erkannte.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stürmte Alan an ihm vorbei in den Trainingsraum. Wie er erwartet hatte, fand er dort Hancock und Koh. Ein dritter Crewman saß bei ihnen auf der Trainingsbank, den Alan unter dem Namen Jerome kannte.

»Mister Hancock, ich hatte Sie gewarnt«, knurrte Alan.

»Sir«, begann Koh.

Hancock stand von der Bank auf und musterte Alan von oben herab. Neben ihm sprang Jerome auf.

Aber Alan hatte nicht die geringste Lust, sich irgendwelche Ausreden anzuhören. »Gehen Sie zu Lieutenant Commander White. Ich werde bei ihr Meldung erstatten. Sie wird wissen, wie sie mit Ihnen zu verfahren hat. Guten Tag, meine Herren.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Alan zu einem der Schränke und kramte seine Boxhandschuhe hervor. Er hörte, wie die drei hinter ihm mit Gemurmel abzogen. Das Zischen des Schotts zeigte ihm, dass sie gegangen waren.

Um eine Diskussion mit White zu umgehen, sprach Alan über den Schiffskomm eine kurze Mitteilung auf ihren Nachrichtenempfänger. Von White abgekanzelt zu werden, wünschte Alan nicht einmal seinem ärgsten Feind. Aber in ihrer Situation konnten sie sich solche Reden nicht leisten. Ein Funken genügte, um die Stimmung an Bord zum Kippen zu bringen.

Vielleicht hätte er noch einmal mit ihnen reden sollen, durchzuckte es ihn. Voll Zorn schlug er gegen den Spind und genoss das Krachen. Allein sein Ärger auf White hatte ihn davon abgehalten, angemessen zu reagieren. Das zu wissen, steigerte seinen Zorn umso mehr.

Alan begann, die Bandagen um seine Hände zu wickeln. Auf ein langes Warm-up hatte er heute keine Lust. Als er aufsah, entdeckte er den Crewman mit der Halbglatze, der immer noch neben dem Schott stand.

»Sir?«

»Was wollen Sie noch? Mister …?«

»Crewman Zimmermann, Sir. Ich wollte wissen … Soll ich mich auch …«

Alan runzelte die Stirn. »Weshalb? Sie haben sich von den anderen distanziert. Halten Sie sich künftig von ihnen fern.«

Mit offenem Mund starrte Zimmermann ihn an.

»Sie können gehen, Mister Zimmermann.«

Zimmermann löste sich aus seiner Starre und klappte den Mund wieder zu. »Ja, Sir. Danke, Sir«, beeilte er sich zu sagen und eilte aus dem Trainingsraum.

Alan blickte ihm hinterher. Zimmermann war sicherlich der Einzige der vier, der ihn nun nicht hassen würde. Dass er sich damit Feinde unter den Crewmen eingehandelt hatte, trug nicht dazu bei, seine Laune zu bessern.


Alan drosch auf den Sandsack ein, als ginge es um sein Leben.

»Heh, was ist los mit dir?« Dean schlang das Handtuch um seinen Hals und lümmelte sich auf eines der Trainingsgeräte. Seine Stirn zeigte nicht den Ansatz einer Schweißspur.

»Nichts«, antwortete Alan.

»Du hast doch alles, was du wolltest.«

Schweiß tropfte in Alans Augen. »Ich wollte nicht, dass sie sich von den Krail-on zum Essen einladen lassen.«

»Meinst du nicht, dass du etwas … äh … subjektiv bist, wenn es um White geht?«

»Bin ich nicht.« Alan versetzte dem Sandsack einen Haken, dass dieser ins Trudeln geriet. Er hielt inne, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte nach Atem ringend die Stirn gegen das Leder. »Sie hat’s vermasselt. Sie hätte sie dazu bringen müssen, eine Einladung bei uns anzunehmen.«

»Damit die Krail-on zu uns kommen?« Dean verdrehte die Augen. »Nun werd mal locker! Wo ist der Unterschied?«

»Der Unterschied?« Alan wirbelte zu ihm herum. »Unsere drei Führungsoffiziere wollen gemeinsam das Schiff verlassen. Das ist der Unterschied.«

»Kommst du jetzt mit den Dienstvorschriften?«

»Diese dreimal verfluchten Dienstvorschriften haben einen Sinn, Dean.«

»Dann sag es doch dem Commander.« Dean stand auf und bückte sich nach seinem Sweatshirt, das neben dem Sandsack auf dem Boden lag.

»Willst du etwa schon aufhören?« Alan hielt Dean die Hände mit den Boxhandschuhen entgegen. »Ich wollte noch ein paar Sit-ups machen.«

Dean hängte sich den Sweater um die Schultern und begann, die Schnürung von Alans Boxhandschuhen zu lösen. »Keine Lust.«

»Du könntest es vertragen.«

Dean grinste ihn an. »Dein Anblick demotiviert mich. Ich dusche lieber und mache mich fein. Ich will mein Steak nicht verpassen.«

Alan zog die Handschuhe von den Händen und warf sie in die Ecke zu seinen Sachen. Mit schnellen Bewegungen begann er, die Bandagen abzuwickeln. »Wann wollte der Commander denn seinen Besuch antreten?«

Dean sah auf die Uhr. »In einer halben Stunde, glaube ich.«

Alans Blick wanderte ebenfalls zur Uhr. »Okay. Ich komme nach.« Bei den Worten warf er die Bandagen zu den Handschuhen.

»Bis später.« Das Schott zischte, als Dean den Trainingsraum verließ.

Ohne aufzusehen, setzte sich Alan auf eine der Bänke, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und zählte seine Sit-ups. Bei Nummer einhundertundzwanzig hielt er inne. Sein Blick wurde von der Uhr gefangen. Noch zwanzig Minuten.

Alan stand auf. Er griff nach dem Handtuch, an dessen Zipfel sich Tropfen gesammelt hatten, und rieb damit den Schweiß von seiner Brust und seinem Gesicht.

Zum Kuckuck! Mochte White ihn doch unter Arrest stellen! Er musste wenigstens versuchen, mit dem Commander zu reden. Auch auf die Gefahr hin, dass der ihn danach für paranoid hielt.

Alan feuerte das Handtuch in die Ecke, zerrte sich den Sweater über den Kopf und joggte, ohne zu duschen, Richtung Hangar.


Alan ignorierte die Blicke, die ihm unterwegs zugeworfen wurden. Außer Atem kam er im Hangar an. Die Neonbeleuchtung dort schaffte es nicht, alle Ecken auszuleuchten, sodass Alan fast in den Commander hineinrannte. »Sir.«

Delacroix musterte ihn von oben bis unten. »Ihr Aufzug lässt zu wünschen übrig, Mister McBride.«

Unter dem Blick des Commanders nahm Alan Haltung an. Obwohl er wusste, dass das seine Aufmachung nicht ausgleichen konnte. »Sir, auf ein Wort«, begann er ein zweites Mal.

Irgendwo zischte es. Ozongeruch biss in Alans Nase.

Delacroix fixierte ihn. »Sprechen Sie, Mister McBride.«

Alan kam sich mit einem Mal wie ein Idiot vor. Er zögerte.

»Ich warte.«

Da platzte es aus Alan heraus. »Sir, Sie sollten nicht zu den Krail-on gehen. Nicht alle drei auf einmal.«

»Es lässt sich nicht umgehen.«

»Sir.« Alan rang nach Atem. »Denken Sie sich eine Ausrede aus. Jemand ist krank geworden. Irgendetwas. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Sie waren so … bedacht darauf, uns zu ihnen aufs Schiff zu locken. Da ist etwas faul, Sir.« Irgendwie hörte er sich an, als wäre er paranoid.

»Unsere neuen Handelspartner anlügen?« Der Commander runzelte die Stirn. »War das alles, was Sie zu sagen hatten, Mister McBride?«

»Nein, Sir. Doch, Sir.« Alan schluckte. »Es ist gegen die Dienstvorschriften. Die drei ranghöchsten Offiziere dürfen nicht gleichzeitig das Schiff verlassen.«

Die Augen des Commanders verengten sich. »Ich habe Ihre Einwürfe gehört, Mister McBride, und werde sie berücksichtigen. Sie können gehen.«

»Sir, ich bitte Sie. Diese Sorai-an war so bedacht darauf, Sie auf ihr Schiff zu locken. Die Dienstvorschriften haben doch ihren Grund.«

»Seit wann interessieren Sie sich denn für die Dienstvorschriften?«

Der Schock, Whites Stimme hinter sich zu hören, glich einem Kübel voll Eiswasser, der sich über Alans Kopf ergoss. »Ma’m.«

»Dann müssten Sie eigentlich wissen, dass Sie gerade Paragraf 15 a umgehen. Und dazu noch Paragraf 10 b, Absatz 2, wenn ich mir Ihren Aufzug betrachte.« White verschränkte die Arme vor der Brust. Einer ihrer Finger tippte auf ihren Arm. »Oder lese ich Kritik aus Ihrer Rede?«

»Ma’m, entschuldigen Sie mich?« Alan presste die Lippen aufeinander. Im Stillen wünschte er sich den Sandsack herbei.

»Es war doch Ihre Idee, mit den Krail-on Kontakt aufzunehmen. Was passt Ihnen jetzt nicht daran? Dass Sie es nicht sind, der die Lorbeeren erntet?«

»Misses White«, unterbrach sie der Commander scharf. »Mister McBride, Sie können gehen.«

Aber Alan hörte nicht auf seine Worte. Hitze wallte in ihm hoch, legte alle Vorsicht lahm, schrie nur danach, sich zu rechtfertigen. »Es war nicht meine Idee, dass die drei ranghöchsten Offiziere gemeinsam ihr Schiff besuchen. Sie können mir nicht die Schuld in die Schuhe schieben, wenn irgendetwas schiefgeht.«

»Wollen Sie mir etwa deswegen die Schuld geben?«, fauchte White. »Oder versuchen Sie nur im Voraus, ihre ach so reine Weste sauber zu halten, Mister McBride? Sie können gerne den drei Crewmen, die Sie mir gemeldet haben, beim Schrubben der Toiletten behilflich sein.«

Alan zitterte vor Zorn. »Ich habe keine Angst davor, mir meine Weste schmutzig zu machen. Im Gegensatz zu Ihnen stehe ich zu den Fehlern, die ich gemacht habe.«

»Mister McBride, begeben Sie sich auf Ihr Quartier. Sie befinden sich bis auf Weiteres unter Stubenarrest.« Die Stimme des Commanders klang wie aus Eis. Sein Blick richtete sich auf White. »Misses White.«

White deutete einen Gruß an. »Sir, meine Entschuldigung.«

Der Commander nickte, dann gab er ihr einen Wink, ließ Alan stehen und ging mit White auf Racek zu, der neben dem Shuttle auf sie wartete.

Mit aufeinandergebissenen Zähnen sah Alan ihnen hinterher.


Alan lag im Dunkeln auf seinem Bett und starrte an die Decke. Der Schweiß, der auf seinem Körper getrocknet war, fing an zu jucken.

Er hasste sie, diese White. Dieses Miststück. Dieses Aas. Er wünschte, er könnte es ihr irgendwie heimzahlen. Ihr irgendwann all die Ungerechtigkeiten, die sie ihm angetan hatte, unter die Nase reiben, damit sie begriff, wie er sich dabei fühlte. Damit sie endlich Ruhe gab.

Sie hatte nur Angst, erkannte er. Angst zu versagen.

Na und? War das ein Grund, ihn vor dem Commander schlechtzumachen? Alan hieb mit der Faust an die Wand. Er wollte keine Spielchen spielen, er war nicht daran interessiert, sich beim Commander einzuschmeicheln. Er wollte verdammt noch mal nur seine Arbeit tun. Und er wollte sie gut machen. Alles andere war ihm egal. Es ging ihm nur darum, dazu beizutragen, ihr aller Leben zu retten. Das war alles.

Wie kam sie dann darauf, dass er ihr Vorwürfe machen wollte? Oder, dass er versuchte, seine Akte sauber zu halten? Das war vielleicht ihre Art und Weise, mit den Dingen umzugehen, aber nicht seine. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Sie war diejenige, die das Ganze verbockt hatte. Hätte der Commander ihn geschickt, dann wäre das Gespräch mit den Krail-on anders ausgegangen.

Verflucht! Warum war er nur Junior Lieutenant?

Mit einem Stöhnen richtete er sich auf und barg das Gesicht zwischen den Knien. Was gäbe er darum, jetzt an ihrer Stelle zu sein. Oder Zweiter Offizier. Das würde ja schon genügen. Dann hätte sie kein Recht mehr, ihn so abzukanzeln. Wenn der Commander doch nur seine Andeutung wahr machen würde.

Bei Gott, er wünschte das Mabuto nicht. Er mochte ihn. Aber der Zweite Offizier war für dieses Schiff untragbar geworden. Er konnte seine Stelle nicht mehr ausfüllen. Es wurde Zeit, dass der Commander ihn seines Dienstes enthob und jemand anderen an seine Stelle setzte. Jemanden, der fähiger war.

Wieder hieb Alan an die Wand.

Aber er hatte es versiebt. Warum nur hatte er nicht seinen Mund gehalten? Er kannte White doch inzwischen. Er wusste doch, dass sie eine Giftspritze war. Weshalb ließ er es dann immer wieder zu, dass sie ihn provozierte? Weil er ein Idiot war. Weil er ein dreimal verfluchter hitzköpfiger Idiot war. Dass er hier saß, war nur gerecht. Er hatte es nicht anders verdient.

Und was war mit der Crew? Hatte sie es verdient, wenn sie aufgrund seiner Dummheit eine Chance verpasste?

Alan sprang auf und lief zum Schott. Ungewollt ballte er die Fäuste. Es drängte ihn danach, auf die Stahlfüllung einzuschlagen, um sich irgendwo abzureagieren. Um den Zorn loszuwerden, die Wut und die Hilflosigkeit. Stattdessen ließ er die Stirn gegen den Stahl sinken und stemmte die Fäuste dagegen.

Sie feierten jetzt in der Kantine, erinnerte er sich. Dean würde endlich sein Steak erhalten und vielleicht gab es ja sogar Schokoladeneis für Yael. Sie hatten es sich verdient. Sie hatten es verdient zu leben, ein langes Leben, ein glückliches Leben. Nicht diese Scheiße, in der sie hier saßen. Und White verbockte es und machte damit vielleicht ihre beste Chance auf eine bessere Zukunft zunichte.

Und er stand hier und konnte nichts dagegen tun. Nichts.

Alan hob den Kopf. Die Krail-on planten etwas. Er konnte es fühlen. Sie hatten die Sache geschickt eingefädelt, um die drei leitenden Offiziere auf ihr Schiff zu bekommen. Was wenn sie ein Attentat auf sie planten? Jetzt in diesem Augenblick? Bei dem Gedanken wurde ihm übel.

Sollte er Hayes um Hilfe bitten? Aber was sollte er ihr sagen? Dass er den Krail-on nicht traute? Dass er den Commander für inkompetent hielt? Entweder hielt sie ihn dann für paranoid oder für größenwahnsinnig. Das würde weder seine Situation verbessern, noch irgendetwas daran ändern.

Nein, das hatte alles keinen Sinn. Er musste sich zurückhalten und Informationen sammeln, damit er dem Commander handfeste Beweise vorlegen konnte, falls die Krail-on tatsächlich etwas planten. Vor allen Dingen musste er White gegenüber vorsichtiger sein. Sie würde ihre Position gnadenlos ausnutzen, um ihn in die Pfanne zu hauen. Das konnte er sich nicht leisten. Wenn er etwas ausrichten wollte, dann musste er zusehen, dass sich sein Verhältnis zum Commander wieder besserte. Dann würde der ihm zuhören.

Und damit hatte er schon halb gewonnen.


»Was haben Sie sich dabei gedacht, Mister McBride?« Der Commander hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und studierte Alans Gesicht.

Kaffeegeruch kitzelte Alans Nase.

»Nichts, Sir«, gestand er. »Ich war wütend.« Zu seinem Unwillen bemerkte Alan, wie Hitze in seine Wangen stieg.

»Ein für alle Mal, Mister McBride. Halten Sie sich Misses White gegenüber zurück! So, wie es aussieht, werden Sie noch eine recht lange Zeit mit ihr auskommen müssen.«

»Heißt das …« Alan schluckte.

»Unser Gespräch mit den Krail-on ist zu unserer vollsten Zufriedenheit verlaufen. Und wir wurden auch nicht vergiftet. Doktor Hayes hat uns alle drei untersucht. Nichts. Sie können sich also beruhigt wieder Ihrer Arbeit widmen.«

»Sir, es tut mir leid …«

»Nein, Ihr Einwand war berechtigt. Wäre Mister Mabuto in einer anderen Verfassung gewesen, hätte ich ihn geschickt anstelle von Misses White. Aber an seinem Zustand wird sich wohl in absehbarer Zeit nichts ändern. Genau deshalb brauche ich Sie, Mister McBride.«

Alan wurde kalt.

Der Commander ließ den Stuhl nach vorne kippen und legte die Hände auf den Tisch. »Arrangieren Sie sich mit Misses White. Das ist ein Befehl.«

»Aye, Sir. Wie Sie wünschen, Sir.« Als Alan aufstand, verhedderten sich seine Beine. »Danke, Sir.«

»Enttäuschen Sie mich nicht, Mister McBride.« Der Blick des Commanders durchbohrte Alan. Dann griff er nach einem Notepad und widmete sich seinem Inhalt.

Als Alan das Schott öffnete, räusperte sich der Commander, sodass sich Alan noch einmal umwandte.

»Übrigens. Sie haben nichts verpasst in der Kantine. Der Braten soll schauderhaft gewesen sein.«


»Das Essen war … exotisch. Etwas zu körnig für meinen Geschmack. Aber durchaus genießbar.« White plauderte mit Hayes, als Alan in den Besprechungsraum kam. Er nickte den beiden zu und ließ sich auf seinen Platz neben Hayes fallen.

Die Ärztin schenkte ihm ein Lächeln, während White Alan ignorierte, um sich dann von Hayes zu verabschieden und ihren Platz auf der anderen Seite des Besprechungstisches aufzusuchen. Der Platz Mabutos auf der anderen Seite des Commanders an Alans Seite des Tisches war wieder unbesetzt.

Mit einem Seufzen schlug Hayes die Beine übereinander und richtete ihren Blick auf den Commander.

Ein Räuspern zeigte, dass dieser mit seiner Ansprache beginnen wollte. »Die gute Nachricht zuerst. Unsere Verhandlungen mit den Krail-on waren auf ganzer Linie erfolgreich. Wir haben Proviant und Energiereserven erhalten, die für einige Monate reichen werden. Genug Zeit also, um uns nach anderen Quellen und nach Überlebenden umzusehen. Mein Dank an Mister McBride für diese Idee.«

Jemand lachte. Dean klatschte in die Hände und Raceks Bulldoggengesicht verzog sich zu der Andeutung eines Lächelns. »Meine Anerkennung«, flüsterte Hayes Alan zu.

Um den Blicken auszuweichen, die sich auf ihn richteten, studierte Alan die Tischplatte.

Mit einem Räuspern sorgte der Commander für Ruhe. »Nun zu dem Wermutstropfen bei der ganzen Sache.« Er fuhr die Kommandotafel aus der Decke und zeigte auf eine Kursprojektion, die dort abgebildet war. »Zu unserem Leidwesen legte uns Kass-Un Stark nahe, einen Kurs entlang der Grenze des Krail-on-Raums zu wählen. Er wird uns einige Tage mehr Zeit kosten, aber die einzigen Alternativen wären ein Kurs durch den Raum der Irhog oder der Pferdekopfnebel. Meinungen?«

Alan rieb sich die Stirn. Hatte der Krail-on überhaupt so viel Macht, dass er ihnen einen Kurs vorschreiben konnte? Er war nur ein Kass-Un. Und wieso hatte eigentlich keiner der Kass-Umo den Erstkontakt hergestellt, so wie es laut Boldens Aufzeichnungen bei den Krail-on üblich war? Wollte Stark die Reise der Sydney hinauszögern, um Zeit zu gewinnen?

»Sie kennen meine Meinung, Sir«, ergriff White das Wort. »Es gibt keine Alternative. Die anderen beiden Möglichkeiten sind indiskutabel.«

»Ein guter Pilot …« Racek wiegte den Kopf hin und her. Sein Blick traf Alan. »Was meiner Meinung nach wichtiger ist, war ihr Interesse an unserem Hyperantrieb.«

Delacroix runzelte die Stirn. »Das sehe ich ebenso. Aber ein Technikdeal kommt für mich nach wie vor nicht infrage.«

»Ich halte mich da heraus.« Abwehrend hob Hayes die Hände, als sie der Commander ansah.

Sein Blick wanderte zu Alan. »Mister McBride?«

Während Alan krampfhaft versuchte, White zu ignorieren, suchte er seine Argumente zusammen. »Sir«, begann er, »ich traue ihnen nicht. Wir sollten hier schnellstmöglich verschwinden und die Route durch den Pferdekopfnebel wählen.«

»Sie überschätzen sich, Mister McBride.« Whites Worte glichen einem gut platzierten Kinnhaken. »Das Heffner-Manöver durchführen zu können, bedeutet nicht, dass Sie ein guter Pilot sind, sondern beweist nur Ihren Mangel an Verantwortungsgefühl.«

Der Hieb saß. Alan fühlte sich zurückversetzt in die Zeit auf der Akademie, als ihm die Prüfungskommission eröffnet hatte, dass man ihn aufgrund des Heffner-Manövers, das er bei der Abschlussprüfung unerlaubterweise in der Simulation durchgeführt hatte, ohne Abschluss verabschieden wollte. Voll Zorn hatte er die Einrichtung seines Zimmers verwüstet, saß inmitten der Trümmer und erkannte, wie all seine Träume, all seine Wünsche und Hoffnungen zu Staub zerfielen. Er hatte seine Sachen gepackt, Leere in seinem Kopf, und Dean Beschimpfungen an den Kopf geworfen, der gekommen war, um ihn zu trösten.

In diesem Moment war der Kadett mit dem Brief gekommen, in dem die Prüfungskommission »auf Bitten eines ihrer Angehörigen«, Alan den Vorschlag unterbreitet hatte, ein Jahr und die Abschlussprüfung zu wiederholen. Dean hatte eine ganze Nacht gebraucht, um ihn davon zu überzeugen, das Angebot wenigstens in Erwägung zu ziehen. Denn Alan hatte gewusst, was der Preis sein würde, den er genau in diesem Augenblick wieder dafür zahlte: Missgunst und Neid. Selbst jetzt noch, da die Akademie nur noch eine Erinnerung an bessere Tage war. Der Makel verließ ihn nicht.

»Misses White.« Der Commander schlug auf den Tisch. »Lassen Sie Mister McBride ausreden!«

Ein Telefonat mit seiner Mutter hatte ihn damals davon überzeugt, weiterzumachen. »Willst du all deine Träume aufgeben, nur weil du Angst davor hast, jemand könne dir Steine in den Weg legen?« Die Worte hatten seinen Kampfgeist geweckt.

Alan hob den Kopf und biss die Zähne zusammen. »Ma’m, mit Verlaub, aber das tut nichts zur Sache. Sie sollten sich fragen, weshalb der Krail-on uns eine Route vorschlagen kann. Er ist nur ein Kass-Un, keines ihrer Clanoberhäupter, die normalerweise den Erstkontakt herstellen. Woher nimmt er seine Autorität? Entweder spricht jemand durch ihn oder er maßt sich Dinge an, die ihm nicht zustehen. Das ist das Entscheidende.«

»Ich denke, Sie sind paranoid, Mister McBride«, sagte White. »An einen reinen Zufall können Sie wohl nicht glauben?«

Aber ein weiterer Schlag des Commanders auf den Tisch unterbrach sie. »Genug. Ich werde über Ihren Einwand nachdenken, Mister McBride. Ich danke Ihnen allen. Sie können gehen.« Mit einem Nicken entließ der Commander die anwesenden Offiziere.

»Sir«, knirschte White.

»Ich sagte, Sie können gehen.« Die Hand des Commanders wies auf das Schott.

White sprang auf. Mit einem eisigen Blick auf Alan hämmerte sie auf das Bedienungselement neben dem Schott und stolzierte aus dem Besprechungszimmer hinaus.


»War das klug«, fragte Dean. »Übrigens Schach.«

Ein Blick auf das Schachbrett, das zwischen ihnen auf Deans Bett lag, zeigte Alan Deans Dame, die seinen König bedrohte.

»Ich weiß es nicht. Herrgott, ich weiß es nicht, Dean.«

Zornig versetzte Alan seinem König einen Stoß, sodass dieser quer über das Brett segelte. Er sprang von Deans Bett auf, machte zwei Schritte bis zum Schott, strich durch seine Haare, drehte sich um und ließ sich mit dem Rücken gegen das Stahlblech sinken. Dass der Commander trotz des Streits den Weg durch den Krail-on-Raum fortsetzte, war schlimm genug. Da brauchte er White nicht noch als Feind. Sein Blick wurde abgelenkt von einer vollbusigen Schönheit, die in Lebensgröße und mager bekleidet über Deans Bett prangte.

»Hätte ich denn meine Meinung für mich behalten sollen? Du weißt doch, was der Commander zu mir gesagt hat. Er will doch, dass ich ihm meine Ideen vortrage, soll ich da aus Angst, dass White mir einen Strick daraus dreht, schweigen?«

Dean schob das Schachbrett beiseite. »Nein, aber du könntest diplomatischer vorgehen.«

Alan lachte auf. Er ging zurück zum Bett und ließ sich neben Dean fallen. »Das versuche ich doch.«

Dean grinste. »Nicht gut genug, Alter.«

»Ich wüsste nicht, wie ich es besser machen sollte.«

»Indem du beispielsweise aufhörst, alle Doppelschichten an dich zu reißen. White wird dir irgendwann auf die Schliche kommen, jetzt wo sie und der Commander sich Mabutos Schicht teilen. Sie ist nicht dumm.«

»Du hast ja recht.« Mit einem Seufzen stützte Alan das Kinn auf die über den Knien verschränkten Arme. »Aber Pola schafft das nicht. Soll ich denn noch einmal dabei zusehen, wie jemand unter meinem Kommando … zerbricht.« Er quetschte das letzte Wort zwischen seinen Zähnen hervor.

»Alan, du konntest nichts dafür.«

Alan holte tief Luft. »Ich hätte es wissen müssen.«

»Woher denn?«

»Wir waren … die ganze Zeit … beisammen. Ich hätte es wissen müssen.« Alan versuchte, den Kloß hinunterzuwürgen, der in seiner Kehle wuchs.

Behutsam legte Dean die Hand auf seine Schulter. »Sie war nicht die Einzige. Viele haben sich damals … nach der Schlacht umgebracht. Du musst dir keine Vorwürfe machen.«

Alan sah Dean an. »Würdest du es nicht tun, wenn Deirdre sich umgebracht hätte?«

Dean schwieg. Deirdre war auf der Akademie seine Flamme.

Erinnerungen überfielen Alan. An Katsukos Lachen, ihre schlanken Hände, die die seinen streichelten, ihr Blick, in dem alles lag, wonach er sich sehnte – was er aber nie haben durfte. Nicht solange sie beide an Bord des gleichen Schiffes dienten.

»Ich quittiere den Dienst«, hatte sie gesagt, an jenem verrückten Freitag, als sie zurück aufs Schiff gerufen worden waren, nach Alans denkwürdigem Streit mit seinem Vater. Der Tag, an dem sie ausgerückt waren, um einer Nachricht nachzugehen, deren Spur ihnen das Zerstörungswerk der Irhog offenbarte. »Ich quittiere den Dienst, dann können uns die Dienstvorschriften egal sein.«

Sie hatte nie zu ihm gesagt: »Ich liebe dich.«

»Es tut mir leid.« Dean drückte Alans Schulter, bevor er die Hand zurückzog. »Aber, nun ja, es klingt vielleicht verrückt, wenn ausgerechnet ich das zu dir sage. Denk an deine Pflicht.«

»Ich weiß.« Mit brennenden Augen ließ sich Alan gegen die Stahlwand sinken.

»Versuch was Neues«, schlug Dean vor. »Red mit dem Commander! Lass Pola mit seinem Einverständnis wenigstens eine halbe Schicht zusätzlich fahren. Sonst läufst du in Whites Falle.«

»Und Pola? Wie sieht es aus, wenn ich sie beim Commander anschwärze? Immerhin ist sie meine Untergebene.« Hatte er dann nicht genauso versagt, überlegte Alan.

»Du hast alles versucht. Wenn du so weitermachst, machst du dich kaputt, Alter.« Bei den Worten begann Dean, das Schachspiel wegzuräumen.

Mit einem Seufzen strich sich Alan übers Gesicht. »Bin ich so ein mieser Vorgesetzter?«

»Quatsch«, grinste Dean. »Hey, Jäggi ist viel zu feige, um sich umzubringen, und Harrison ist so cool, der pisst Eiswürfel. Ich hab einfach nur Glück gehabt. Das ist alles.«

Gegen seinen Willen musste Alan lachen.


»Mister McBride.«

Whites Stimme glich einem Schlag gegen die Kniekehlen. Alans Schritt stockte. Er kam ins Schleudern, fasste sich im letzten Moment und nahm vor ihr Haltung an. Sie hatte ihn direkt vor der Brücke abgefangen. »Ma’m.«

»Ich warne Sie, Junior Lieutenant. Halten Sie sich zurück oder ich werde irgendetwas finden, das Ihnen das Genick bricht.« Ihre Augen spießten ihn förmlich auf.

»Ja, Ma’m. War das alles, Ma’m?« Alan neigte den Kopf, um einen Gruß anzudeuten. Alles, was er wollte, war, von hier fort zukommen.

»Nein«, fauchte White. »Glauben Sie ja nicht, dass ich tatenlos dabei zusehe, wie Ihre Profilierungssucht einem guten Mann den Gnadenstoß versetzt.«

»Ich habe nicht vor …«

»Denken Sie daran!« Mit einem Schritt kam White auf ihn zu und setzte ihm den Zeigefinger auf die Brust. »Ihr Fürsprecher ist tot. Sie haben niemanden mehr, der die Fehler wieder ausbügelt, die Sie begangen haben.«

Alan sah ihr in die Augen. »Ma’m, ich versichere Ihnen. Ich habe nie einen Fürsprecher gebraucht.«

Mit einem tiefen Atemzug nahm White den Finger von seiner Brust. »Reizen Sie mich nicht, Mister McBride. Ich bin noch nicht mit Ihnen fertig.« Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und öffnete mit einem Schlag auf das Bedienpanel das Schott.

So viel zu deinen Ratschlägen, Dean, dachte Alan.

FREMDE HEIMAT

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