Читать книгу FREMDE HEIMAT - Petra E. Jörns - Страница 12

5.

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Mit einem Stöhnen stemmte sich Alan in die Höhe, schleppte sich ins Offiziersgemeinschaftsbad und stützte sich auf einem der Waschbecken ab. Es dauerte eine Weile, bis er es wagte, den Kopf zu heben, um einen Blick in den Spiegel zu riskieren. Der Mann, der ihn daraus anstarrte, war ihm fremd. War der Preis, den er zahlen musste, wirklich das Ergebnis wert? Benommen lauschte er auf seinen Herzschlag, bis er die Kraft fand, sich wieder zu regen.

Seine Finger bebten so sehr, dass er es kaum schaffte, das Wasser anzustellen. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, ließ es über seinen Oberkörper laufen. Es nutzte nichts, sich etwas vorzumachen. Er vertrödelte Zeit. Er zwang sich, nach dem Rasierapparat zu greifen, und widmete sich gründlich den Stoppeln in seinem Gesicht. Danach zog er sich aus, warf die Kleider in den Schacht für die Schmutzwäsche und stieg unter die Dusche, darum bemüht, seinen Handlungen den Anschein von Normalität zu verleihen. Das warme Wasser auf seiner Haut schaffte es, die Erinnerung an die Krankenstation zu vertreiben.

Als er sich abtrocknete, blieb er am Datensender hängen. Mit einem Fluch feuerte das Handtuch in die Ecke und schlug gegen die Wand, dass es schmerzte. Wieder und wieder. Er wollte nicht sterben. Der Gedanke würgte ihn. Nach Atem ringend hielt er inne und legte die Stirn an die Wand. Eine Weile stand er so, bis ihm klar wurde, dass er vor Kälte zitterte. Mit einem Stöhnen stemmte er sich von der Wand ab, wandte sich wieder dem Waschbecken zu und putzte sich die Zähne.

Gott, was machte er hier eigentlich?

Der Knoten in seinen Eingeweiden wollte sich nicht lösen. Nur mit einem Handtuch bekleidet schlurfte er zurück in sein Quartier, suchte sich im Dunkeln frische Kleider heraus und zog sie an. Als er die Hand nach dem Öffnungsmechanismus des Schotts ausstreckte, zitterte sie so sehr, dass er innehielt. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Er hatte Angst. Angst davor, die Brücke zu betreten. Angst davor, in die Augen der anderen zu blicken. Er wollte kein Mitleid.

Sie wussten es nicht. Niemand wusste es, außer Mabuto und Hayes. Und die würden es für sich behalten.

Er holte tief Luft und drückte auf das Panel. Es war Zeit, sich der Angst zu stellen.


Vor dem Schott zur Brücke zögerte er erneut. Es zu öffnen, kostete ihn all seinen Mut.

»Alan!«

Dean entdeckte ihn als Erster, als er eintrat. Er packte Alan an der Schulter, zog ihn zu sich heran und deutete einen Schlag gegen seinen Bauch an.

»Du siehst beschissen aus, Alter!«, setzte er hinzu und lachte über das ganze Gesicht.

»Willkommen, Sir«, sagte Nguyen und salutierte.

Pola tat es ihm nach.

Benommen erwiderte er den Gruß.

»Es freut mich, Sie zu sehen, Mister McBride.« Mabutos Stimme brachte Alan zur Besinnung.

»Danke, Sir.«

Ihre Blicke begegneten sich. Mabutos Miene war wie aus Stein gemeißelt.

»Gehen Sie auf Ihren Platz!«, sagte er nur.

War er etwa neidisch?, wunderte sich Alan.

Auf unsicheren Beinen ging er zum Steuerpult, wo Pola neben dem Stuhl stand und auf ihn wartete.

»Sir!« Zum ersten Mal seit der Schlacht lächelte sie ihn an.

Er räusperte sich, während er sich setzte und die Hände auf die vertrauten Kontrollen legte.

»Ich übernehme heute und morgen die Zweierschicht. Dann sehen wir weiter«, sagte er.

»In Ordnung, Sir.«

In ein paar Wochen würde niemand mehr ihre Fehler korrigieren, begriff er plötzlich.

»Pola!«

»Ja, Sir?«

»Wenn Sie möchten … dann könnten wir morgen vor der Zweierschicht ein paar Berechnungen machen.«

Verdutzt sah sie ihn an. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Ich würde mich freuen, Sir.«

»Gut, dann bis morgen.«

»Bis morgen, Sir.«

Alan wandte sich dem Monitor zu und runzelte die Stirn. Wie sollte er Mabuto unter diesen Voraussetzungen davon überzeugen, ihn mit der Krail-on-Frau reden zu lassen?


»Mister McBride, auf ein Wort.«

Nach vier Stunden auf der Brücke konnte Alan kaum noch sitzen. Als Mabuto ihn ohne Vorwarnung ansprach, zuckte er zusammen und drehte sich so schnell um, dass ihm schwindelig wurde.

»Sir?«

»Mister Fiorentino, Sie haben die Brücke.«

Mabuto gab Dean einen Wink und stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging er in den Bereitschaftsraum. Er wartete, bis Alan ihm gefolgt war, und schloss hinter ihnen das Schott.

»Kaffee?«, fragte er.

Alan nickte.

»Setzen Sie sich!«

Während Alan der Aufforderung nachkam, schenkte Mabuto zwei Tassen mit Kaffee ein und setzte sich Alan gegenüber an den Tisch. »Milch, Zucker?«

»Zucker!«, erwiderte Alan.

Mabuto schob ihm die Zuckerdose hin und rührte Milch in seinen Kaffee. Er ließ Alan Zeit, sich Zucker zu nehmen, und nippte an seiner Tasse.

»Muss ich Ihnen die Pause dienstlich vorschreiben?«

Das Blut schoss in Alans Gesicht. »Nein, Sir.«

»Dann denken Sie künftig daran.« Mabuto nahm noch einen Schluck und sah mit gerunzelter Stirn auf seine Tasse, bevor er Alan anblickte. »Kommen Sie klar?«

Nach einer Weile nickte Alan. »Ich denke schon.«

»Ich muss mich darauf verlassen können. Einen Ausrutscher wie auf der Krankenstation erlaube ich Ihnen in der Öffentlichkeit nicht.«

»Aye, Sir.«

»Gut, dann reißen Sie sich zusammen und bemühen Sie sich, den Erwartungen der Crew gerecht zu werden.« Nach diesen Worten trank Mabuto seine Tasse aus.

Welche Erwartungen?

»Sie sind Ihr Held«, setzte Mabuto hinzu.

Bei den Worten wurde Alan kalt. Mit Bedacht setzte er die Tasse ab. »Sir, mit Verlaub. Darf ich fragen, was Ihre Gespräche mit der Krail-on-Frau ergeben haben?«

Mabuto stand auf, als wollte er Alan zeigen, dass das Gespräch beendet war. »Sie dürfen. Um es in kurzen Worten auszudrücken: Sie ist nicht sehr mitteilsam.«

Sie redete also tatsächlich nicht mit ihm. Kein Wunder, dass er wütend war.

»Noch etwas?« Mabuto stellte die Tasse neben den Kaffeeautomaten und drehte sich zu Alan um.

Alan umklammerte den Griff seiner Tasse. »Sir, mit Verlaub. Aber vielleicht wäre es von Nutzen, wenn ich mit ihr rede.«

»Was sollte das bringen?«

»Vielleicht hält sie mich immer noch für den Kommandanten dieses Schiffes.«

Falsche Antwort.

Mabuto ballte kurz die Hände und öffnete das Schott. »Ich werde über Ihren Vorschlag nachdenken, Mister McBride.«


Alan war froh, als die Schicht beendet war und Pola ihn ablöste. Sie sah ausgeruht aus, die Ringe unter ihren Augen waren verschwunden.

Hatte man ihm den Schlafmangel auch so angesehen?

Vor der Brücke wartete Dean auf ihn. »Gehen wir zur Kantine?«

Alan nickte. Hunger hatte er eigentlich keinen, dafür war er zu müde. Andererseits hatte er Angst davor, in die Dunkelheit und Einsamkeit seines Quartiers zurückzukehren.

Lustlos stocherte er auf seinem Teller herum und beobachtete Dean, der sich auf sein Essen stürzte, als sei er am Verhungern. Als er sah, dass Dean die Stirn runzelte, probierte er etwas von dem Eintopf auf seinem Teller. Doch nach ein paar Löffeln schob er den Teller angewidert von sich.

»Kann es sein, dass du ziemlich fertig bist?«, fragte Dean.

»Könnte man so sagen.«

»Ehrlich gesagt war ich ziemlich überrascht, als ich dich heute schon auf der Brücke gesehen habe. So wie ich Doktor Hayes verstanden hatte, wollte sie dich doch noch auf der Krankenstation behalten. Zur Beobachtung.«

»Sie hat mir ’nen Sender verpasst.« Alan rührte in seinem Essen herum. »Du kennst doch Hayes! Wen sie einmal in ihren Fingern hat, den lässt sie so schnell nicht mehr gehen.« Von wegen Therapie! Er brauchte doch keinen Seelenklempner.

Dean lachte. »Hayes, die Fliegenfalle!«

»Hör auf damit! Das ist nicht witzig!«

»Ach was! Hayes kann es vertragen.«

»Sie erwürgt dich, wenn sie das hört«, knurrte Alan.

»Hayes doch nicht! Damit würde sie ja ihren hippokratischen Eid verletzen! Nein, sie würde dich so lange pflegen, bis du freiwillig den Abgang machst.« Dean lachte.

Wie recht er doch hatte! Alan biss sich auf die Lippen. »Entschuldige! Aber ich glaube, ich gehe jetzt lieber ins Bett. Bis morgen!«

»Wie? Du willst mich nicht dazu pressen, mit dir in den Trainingsraum zu gehen?«

Ohne nachdenken zu müssen, schüttelte Alan den Kopf. »Heute nicht. Morgen vielleicht.«

»Na dann! Bis morgen!«

Alan flüchtete aus der Kantine. Entgegen seiner Art ließ er das Tablett einfach auf dem Tisch stehen. Als er sein Quartier erreichte, war er so müde, dass er gerade noch in der Lage war, sich auszuziehen. Danach fiel er ins Bett und schlief augenblicklich ein.

Nach ein paar Stunden erwachte er wieder, weil er Durst hatte. Im Halbschlaf tappte er ins Offiziersgemeinschaftsbad und trank Wasser aus dem Zahnputzbecher. Doch als er wieder im Bett lag, konnte er nicht einschlafen. Endlich hielt er es nicht mehr aus, setzte sich auf und starrte die Fotografien an, die auf dem Klapptisch standen. Seine Füße wurden kalt. Er wünschte sich Dean herbei.

Es hat keinen Sinn, vor ihm davon zu laufen. Er brauchte ihn. Er war sein Freund.

Erschöpfung trieb ihn schließlich zurück ins Bett und sorgte dafür, dass er einschlief.


Als er aufwachte, war die Hälfte der Einserschicht schon verstrichen. Im ersten Moment erschrak er, bis er sich daran erinnerte, dass Pola die Einserschicht für ihn übernommen hatte. Er hatte noch drei Stunden Zeit, bis die Zweierschicht begann. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich so viel Zeit lassen zu können. Er trödelte im Bad herum, bis ihn der Hunger endlich in die Kantine trieb.

Er hielt Ausschau nach Dean, entdeckte jedoch nur Nguyen, der allein an einem der Tische im Offiziersbereich saß. Mit einem Seufzen wollte Alan mit seinem Tablett einen der anderen Tische ansteuern, als Nguyen aufsah und ihn anlächelte.

»Wollen Sie sich zu mir setzen, Sir?«, fragte Nguyen.

Obwohl er eigentlich keine Lust hatte, änderte Alan seine Richtung und ließ sich neben Nguyen auf den Stuhl sinken.

»Hallo.«

»Wie geht es Ihnen?«, fragte Nguyen, während er einen Toast butterte.

Alan seufzte. »Nicht so gut, wie es mir lieb wäre.«

»Das kann ich verstehen.« Nguyen legte das Messer ab und öffnete die Verpackung der Marmeladenschachtel. Alan kam es vor, als wollte er eigentlich etwas ganz anderes wissen.

»Wie waren sie?«, fragte Nguyen endlich.

Verwirrt hörte Alan auf, seinen Kaffee umzurühren. »Wer?«

»Die Krail-on.« Nguyens Augen leuchteten.

»Oh, die! Groß, mindestens einen halben Kopf größer als ich. Breit, viele Haare. Naja, irgendwie schon beeindruckend.« Die magere Beschreibung wurde Alans Erinnerung nicht gerecht.

»Und? Wie war es dort? Mister Mabuto hat uns nur gesagt, dass Sie den Kampf gewonnen haben. Wie war es? Ich meine, wie war es wirklich?« Nguyen vergaß vor Neugierde, die Marmelade auf seinen Toast zu streichen.

»Ich …« Alan stockte. Wie in Trance legte er den Löffel aufs Tablett.

»Wenn Sie nicht darüber reden wollen, kann ich das verstehen. Wirklich kein Problem«, wehrte Nguyen ab und wandte sich wieder seinem Toast zu.

»Nein«, sagte Alan.

Nguyens Bitte war eine Herausforderung für ihn, eine Herausforderung, sich seinen Ängsten zu stellen. Erst stockend, dann immer schneller begann er, zu erzählen. Er ließ nichts aus, seinen Preis für den Sieg, seine Vermutung, dass Sorai-an das Sagen hatte, die Beschreibung des Saals, das Bad in der Menge, den Kampf.

»Und dann haben Sie ihn getötet?«, fragte Nguyen atemlos.

Alan schüttelte den Kopf. »Nein, es war nur ein Kratzer. Stark hatte seine Waffe mit Gift behandelt.«

»Aber Sie wurden doch auch verletzt«, wandte Nguyen bestürzt ein.

»Dean und Mister Benton haben mich zum Shuttle gebracht und mir das Gegengift gegeben.«

Nguyen stieß ein kleines Lachen aus. »Gut, dass Doktor Hayes das Gegengift gefunden hat.«

»Ja.«

Alan starrte an Nguyen vorbei ins Nichts. Er wollte hier weg. Fort von Nguyen, zurück in sein Quartier. Nichts denken müssen, alles vergessen. Alles, alles …

»Und wo war die Frau, die Sie mit an Bord gebracht haben?«, fragte Nguyen.

Alan keuchte, Schweiß auf der Stirn. »Die Frau?«

»Sir, alles in Ordnung mit Ihnen?« Nguyen beugte sich über den Tisch.

»Was? Ja. Sicher.« Mit zitternden Fingern tastete Alan nach der Kaffeetasse. »Die Frau«, wiederholte er. »Sie wollte uns aufhalten und ist uns ins Shuttle gefolgt. Als die Krail-on kamen, ist Dean zurückgeflogen und hat sie mitgenommen.«

»Komisch«, meinte Nguyen.

Komisch.

»Kass-Un.« Er hörte ihre Stimme, sah, wie sie vor ihm auf die Knie fiel, als er die Hand nach ihr ausstreckte.

Nguyen hatte recht. Es war merkwürdig. Weshalb war sie uns entgegengekommen? Und weshalb war sie uns aufs Schiff gefolgt?

»Sir?«

Nguyens Stimme holte Alan in die Realität zurück. Er bemerkte, dass er die Kaffeetasse in der Hand hielt, und starrte auf ihren Inhalt.

Sie trug ein weißes Kleid. Also gehört sie ebenfalls zu den Heilerinnen. Zu den Beraterinnen. Brauchte ein Kass-Un zwei Heilerinnen oder Beraterinnen? Gewöhnlich nicht, gab sich Alan selbst die Antwort.

Alan nahm einen Schluck Kaffee und setzte die Tasse ab, wandte sich seinem Toast zu und butterte ihn.

Warum war sie zu ihm gekommen? Hatte sie sich Hilfe von ihm erhofft? Und warum war sie ihm ins Shuttle gefolgt? Warum war sie nicht auf das Krail-on-Schiff zurückgekehrt, als die Krail-on im Hangar auftauchten?

Alan stutzte. Den Mund schon geöffnet, um in den Toast zu beißen, legte er ihn zurück auf den Teller.

»Ich Idiot«, keuchte er.

»Sir?« Nguyen blickte ihn neugierig an.

»Danke«, sagte Alan. »Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«


Pola empfing ihn mit einem Lächeln, als Alan wie verabredet vor Ablauf der Einserschicht auf der Brücke erschien. Sie war wie ausgewechselt.

»Setzen Sie sich«, meinte sie. »Ich habe jetzt lange genug gesessen.«

Alan nahm ihren Vorschlag gerne an. »Schön. Wollen wir eine Triangulation zusammen berechnen?«

Pola lutschte an ihrer Unterlippe. »Wie Sie meinen.«

Mit ein paar Eingaben hatte Alan ein Manöver ausgesucht und holte es auf seine Anzeige. Auffordernd blickte er Pola an. Die Frau seufzte und runzelte die Stirn, während sie die Daten auf ihr Notepad übertrug. Danach verzog sie sich in den Bereitschaftsraum.

Nachdem sie gegangen war, starrte Alan mit gerunzelter Stirn auf den Monitor. Schließlich beugte er sich vor und begann, in den Kursdaten zu blättern. Endlich fand er den Eintrag, den er suchte. Der Tag, als sie Stark das erste Mal begegneten. Er studierte die Kursvektoren der beiden Schiffe und rieb sich die Stirn.

In diesem Moment kam Pola zurück, um ihm das Notepad zu übergeben.

Alan studierte ihre Lösung und fand schon auf den ersten Blick einen Fehler. »Sie haben vergessen, die Masseauswirkungen dieser beiden Objekte mit einzubeziehen.«

Polas Schultern sanken herab. »Ich dachte, das sei nicht relevant.«

»Naja, wenn Sie eine Lichtsekunde Unterschied nicht als relevant erachten.«

»Es tut mir leid. Ich lerne das nie.«

Das war früher der Punkt gewesen, an dem Alan regelmäßig die Geduld verloren hatte. Er bemerkte Mabutos Blick und bat alle Heiligen, die ihm einfielen, um Nachsicht und Geduld. »Ach was! Wenn Sie’s sich nicht merken können, dann schreiben Sie’s sich einfach auf. In einer Woche können Sie es auswendig.«

Pola sah ihn zweifelnd an. »Aufschreiben?«

»In Ihr Notepad, ja! Jetzt!«

»Was denn?«

»Na, alles!«

Alan skippte die Kursprojektion weg, überließ Pola den Platz und schaute ihr dabei zu, wie sie die Aufgabe von der Konsole auf ihr Notepad transferierte.

»Und jetzt?«

Alan schaffte es, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. »Jetzt rechnen Sie es noch einmal nach.«

Pola seufzte und verzog sich in den Bereitschaftsraum, während sich Alan wieder ans Steuerpult setzte. Mit einem Tastendruck holte er sich die Kursprojektionen wieder auf den Schirm. Der Winkel war offensichtlich. Er prüfte seine Vermutung und sank in den Stuhl zurück. Warum hat damals keiner Verdacht geschöpft?

Mit klopfendem Herzen drehte er sich zu Mabuto um, der irgendwelche Daten auf einem Notepad studierte. Das musste er erfahren.

In diesem Moment kehrte Pola zurück. »Es klappt nicht«, meinte sie.

Ein Seufzen kam aus Alans Mund. Mit Blick auf Mabuto speicherte er seine Daten ab und rief ihren momentanen Kurs wieder auf den Monitor. »Sir, erlauben Sie?« Alan deutete Richtung Bereitschaftsraum.

Mabuto nickte knapp.

Alan deutete einen Gruß an und verließ mit Pola die Brücke. Als das Schott sich hinter ihnen schloss, ließ sich Pola mit einem Seufzen in einen der beiden Stühle fallen.

»Kaffee?«, fragte Alan.

Als Pola nickte, schenkte er zwei Tassen ein und setzte sich neben sie. »Machen wir es zusammen?«

Sie nickte nur.

Aufmunternd lächelte er sie an. »Schön. Dann ganz von vorn. Wir schaffen das schon.«

Nach einer Viertelstunde hatten sie die Berechnung gemeinsam durchgeführt. Erleichtert ließ sich Pola in ihrem Stuhl zurücksinken.

»Uff! Danke! Ich glaube, jetzt habe ich es endlich kapiert!«

»Keine Ursache. Wenn Sie möchten, machen wir morgen weiter.« Alan wunderte sich, warum er das nicht schon früher getan hatte, anstatt sich dauernd über Pola zu ärgern.

»Gerne.«

»Dann bis in einer Stunde.«

Nachdem Pola den Bereitschaftsraum verlassen hatte, räumte Alan die Tassen weg und kehrte auf die Brücke zurück. Er brannte darauf, Mabuto von seiner Entdeckung zu erzählen. Doch der Stuhl vor der Kommandotafel war leer.


Mit Wut im Bauch stürmte Alan in den Trainingsraum. Der Appetit war ihm vergangen. Mabuto war während der gesamten Zweierschicht nicht auf der Brücke aufgetaucht. Er schlief und wollte nicht gestört werden. Alan war in der richtigen Laune, seine Frustration an den Geräten auszulassen. Mit aufeinandergebissenen Zähnen setzte er sich an eine der Bänke, um Sit-ups zu machen.

Das Erste verlangte seine ganze Kraft von ihm. Die Folgenden fielen ihm nicht leichter, wenn seine Bewegungen auch flüssiger wurden. Aber die Wut half ihm. Nach zwanzig hielt er inne, pumpte Luft in seine Lungen und starrte an die Wand. Fünfzig, nur fünfzig. Sonst hatte er mühelos über hundert geschafft.

Er quälte sich durch die Wiederholungen, kämpfte gegen sich und die Erschöpfung, reduzierte sein Dasein auf diesen einzigen Zweck, wenn auch seine Muskeln protestierten und sein Herz hämmerte. Bis er endlich mit zitternden Muskeln die fünfzig erreichte. Er ließ sich nach vorne sinken, um sich mit den Armen auf den Knien abzustützen, schloss die Augen und genoss den Triumph, der ihn erfüllte.

»Nicht in Form heute, Sir?«, störte ihn eine bekannte Stimme.

Als Alan aufsah, fiel sein Blick auf Grahams breite, rot behaarte Brust, der gerade mit einem Ausatmen eine Hantel absetzte. Sein Trabant Malucci beobachtete ihn dabei.

»Noch nicht«, erwiderte Alan. Mit einem Stöhnen stand er auf und rieb sich mit dem Handtuch den Schweiß vom Nacken.

»So wie ich Sie kenne, machen Sie uns spätestens nächste Woche schon wieder alle nass«, grinste Malucci.

Alan versuchte ein Lächeln. »Danke für die Blumen!«

»Oh, Sir, Sie kennen mich doch! Ich würde niemals lügen, um mich bei jemandem einzuschmeicheln.«

»Halt den Mund«, knurrte Graham und versetzte Malucci einen Stoß.

»Hey, warum denn?«

»Weil du heute wieder dein Gehirn vergessen hast.« Graham schob Malucci beiseite, während er Alan einen entschuldigenden Blick zuwarf.

Alan winkte ab. »Schon vergessen.« Er kannte die beiden.

Mit einem Seufzen wandte sich Alan der Stange zu, an der er seine Klimmzüge machte. Als er zu ihr hinaufblickte, schien sie ihn zu verhöhnen.

Das war Blödsinn. Es hatte keinen Sinn, sich kaputtzumachen, nur weil er wütend auf sich selbst war, weil er die Gelegenheit verpasst hatte, mit Mabuto zu sprechen. Morgen war auch noch ein Tag.

Er wollte sich gerade ein Fahrrad suchen, um sich darauf etwas abzukühlen, als das Schott zischte und Hancock und Jerome hereinkamen. Hancock warf Alan einen Blick zu, der mit einem Schlag alle Vernunft aus Alans Hirn fegte. Die beiden tuschelten miteinander. Jerome lachte. Zitternd vor Zorn lehnte Alan die Stirn an die Wand und rang nach Atem. Mit einem Keuchen trat er schließlich unter die Stange.

Mistkerle!

Er ließ das Handtuch auf den Boden fallen und sprang hoch. Einen Herzschlag hing er dort, fühlte, wie sein Gewicht an seinen Muskeln zerrte, begriff in diesem Augenblick, dass er zu viel von sich verlangte, doch loszulassen, wäre einer Niederlage gleichgekommen. Er schloss die Augen, um sich zu konzentrieren, spannte die Muskeln an und zog sich Millimeter für Millimeter der Stange entgegen.

Wie durch einen Tunnel hörte er Hancocks Stimme.

Die Wut gab ihm die Kraft, die fehlenden Millimeter zu bewältigen. Nicht nachlassen, befahl er sich, als er am Scheitelpunkt bemerkte, wie seine Kräfte erlahmten. Er musste langsam nachgeben, sonst kam er nie wieder nach oben.

Doch er schaffte es auch ein zweites Mal, die Stange mit dem Kinn zu erreichen, hangelte sich von einer Wiederholung zur nächsten, stur sein Ziel vor Augen, nicht bereit, aufzugeben. Irgendwann kam er bei zwanzig an. Noch fünf, motivierte er sich. Aus fünf wurden zehn und noch einmal zehn. Jetzt fehlten nur noch weitere zehn bis zu fünfzig.

Er wusste nicht, wie er sie schaffte, aber er trotzte sie sich mit einem zornigen Stöhnen bei jedem Hochreißen des Körpers ab, bis er fünfzig zählte. Er begriff kaum noch, dass er nun die Stange loslassen konnte. Endlich sprang er.

Die Beine gaben unter ihm nach. Er fand sich auf dem Boden sitzend wieder, schweißüberströmt, während sich eine Hand auf seinen Nacken legte.

»Hol ein nasses Handtuch!«

Alan wollte protestieren, brachte aber keinen Ton heraus.

Graham ließ ihm keine Wahl, drückte ihn zu Boden und winkelte seine Beine an. Alan fühlte ein kaltes Tuch in seinem Gesicht und in seinem Nacken und kam langsam wieder zu sich.

Das Erste, was er erblickte, waren Grahams rote, zusammengezogene Augenbrauen.

»Geht’s wieder, Sir?«, fragte er.

Alan nickte und versuchte sich aufzusetzen, doch Graham hielt ihn fest.

»Sich einmal zu blamieren, das genügt, Sir.«

Ausgezählt.

Alan starrte an Graham vorbei an die Decke und schloss die Augen, lauschte auf seinen Herzschlag, während Graham neben ihm sitzen blieb. Nach einer Weile räusperte sich dieser und berührte Alans Arm.

Wortlos richtete sich Alan auf, wartete darauf, dass der Schwindel verging, um vorsichtig aufzustehen. Er entdeckte Hancock und Jerome in einer Ecke, die kurz zu ihm herübersahen. Ihr Anblick brachte sein Blut zum Kochen.

Ein Schlag von Graham gegen seine Schulter brachte ihn zur Besinnung. Gedemütigt pflückte Alan sein Handtuch auf und flüchtete in den Duschraum.

Als das Wasser über seinen Körper lief, zitterte er vor Scham und Zorn. Idiot, maßregelte er sich selbst. Er war gestern noch auf der Krankenstation gewesen. Glaubte er etwa, auf diese Weise konnte er Hayes oder Mabuto davon überzeugen, dass es richtig war, ihn zu entlassen? Sicher nicht.

Als er das Gesicht dem Wasser entgegen hob, erfasste ihn Schwindel. Er taumelte. Mit einem Keuchen riss er die Augen auf und stützte sich an der Wand ab. Seine Hand betastete den Sender und plötzlich wurde ihm trotz des warmen Wassers kalt.


»Heh, Alan! Siehst du überhaupt aufs Brett?«

Alan zuckte zusammen und sah in Deans Gesicht, der sich ihm über das Schachbrett, das zwischen ihnen auf Deans Bett lag, entgegenbeugte.

Alan war mit einem Mal speiübel. Er sprang auf, sodass die Schachfiguren durcheinander purzelten, und stürmte zum Schott. Davor blieb er stehen und lehnte die Stirn an das Metall. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust.

»Es ist aus«, flüsterte er.

»Aus? Wovon redest du da?«

Alan hörte das Quietschen der Federaufhängung, als Dean vom Bett aufstand.

»Aus«, wiederholte er und drehte sich zu Dean um. »Vorbei. Doktor Hayes gibt mir noch maximal zwei bis drei Wochen. Eher weniger.«

Endlich war es heraus.

Dean klappte der Mund auf.

»Aber … ich meine, kann Doktor Hayes denn nichts tun? Warum hat sie dich dann entlassen?«

»Eine Art letzter Gefallen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.« Nach einem tiefen Atemzug kehrte Alan zum Bett zurück und setzte sich wieder.

Wie erstarrt stand Dean mitten im Raum.

»Scheiße«, sagte Dean nach einer Weile und ließ sich neben Alan aufs Bett sinken. »Scheiße.«

Alan starrte auf das Schott. Jetzt, da er es ausgesprochen hatte, begriff er die Worte in ihrer ganzen Tragweite. Der Tunnel öffnete sich wieder vor ihm, zog ihn hinein, dass ihm schwindelte. Mit einem Keuchen hob er die Hand, um sich die Stirn zu massieren. Stieß auf kalten Schweiß, der ihn ins Schleudern brachte.

Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter.

»Kommst du klar?«

Alan nickte. Der Sog verebbte.

»Heh, wenn … wenn du Hilfe brauchst oder reden willst … Ich bin da.«

»Ich weiß«, würgte Alan hervor.

Deans Hand drückte Alans Schulter. Bevor Dean loslassen konnte, griff Alan nach Deans Handgelenk und hielt ihn fest. Er brauchte seinen ganzen Mut, um ihn anzusehen. Aber Dean wich seinem Blick nicht aus.

»Danke«, sagte Alan nach einer Weile. Er überwand sich, ließ Deans Handgelenk los und schaffte ein Lächeln.

»Nichts zu danken.«

Die Worte weckten neue Kraft in Alan.

Er musste einige Dinge in die Wege leiten. Bevor es vielleicht zu spät war.


Als die Kommanlage neben dem Schott knackte, lag Alan noch im Bett. Er war schlicht zu müde, um aufzustehen.

»Hier ist Benton«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Doktor Hayes möchte Sie auf der Krankenstation sehen.«

Alan wurde mit einem Schlag speiübel. Er starrte an die Decke, bis er endlich begriff, dass Benton ein zweites Mal nach ihm gerufen hatte. Mit einem Stöhnen setzte er sich auf. Sein Quartier schwankte. Eine Hand als Stütze an der Wand wankte er zum Schott, betätigte den Öffnungsmechanismus und blickte auf Bentons Brust.

Verdutzt sah der Pfleger auf Alan herab. »Äh, Sir! Ich warte gerne vor der Tür, bis Sie sich angezogen haben.«

Erst in diesem Augenblick wurde Alan bewusst, dass er nur mit einer Unterhose bekleidet war.

»Was ist los?«

»Doktor Hayes will Sie sofort sprechen. Wegen der Blutwerte.«

»Welche Blu…«

Bevor Alan das Wort beenden konnte, wusste er, was der Pfleger meinte. Seine Hand fand den Sender, der auf seinem nackten Bauch befestigt war. Die Übelkeit verstärkte sich.

»Warten Sie!«

Damit schloss er dem Pfleger das Schott vor der Nase und taumelte einen Schritt zurück in sein Quartier. Er schwitzte.

Aus.

Er rang nach Luft, tastete blind nach seinen Kleidern und zog sich an. Mit bebenden Fingern öffnete er das Schott.

»Ich komme.«

Als sich das Schott hinter ihm schloss, kam sich Alan wie ein zum Tode Verurteilter vor, der zu seiner Hinrichtung gerufen worden war.


»Kommen Sie hierher«, sagte Hayes zu Alan anstatt einer Begrüßung. Ihre Hand wies auf die Behandlungsliege, die Alan schon kannte.

Er biss die Zähne zusammen und setzte sich wortlos auf die Liege.

»Sie können gehen, Mister Benton«, wandte Hayes sich an den Pfleger. Erst als das Schott sich hinter Benton geschlossen hatte, zog Hayes einen Stuhl heran und setzte sich Alan gegenüber. »Ihre Harnstoffwerte sind zu hoch, Mister McBride. Ich muss mir das näher ansehen.«

Alan fröstelte. »Und … was heißt das?«

»Es könnte heißen, dass das eingetreten ist, was ich befürchtet habe.«

Die Zeit stand still. Er sah nichts mehr, hörte nichts mehr, schmeckte nichts mehr, war mit einem Mal blind und taub.

Bis Hayes seinen Arm berührte. »Darf ich?«

Er schreckte zusammen, blickte sie verwirrt an und nickte endlich.

Sie studierte sein Gesicht, tastete seine Wangenknochen ab, schien zu beobachten, wie die Haut unter ihren Fingern nachgab.

»Wie lange haben sie die Ödeme schon?«

Wasseransammlungen?

»Ich … weiß es nicht.«

»Fühlen Sie sich müde, schlapp?«

»Naja, schon«, gab er zu. »Aber ist das nicht normal?«

»In einem gewissen Rahmen schon.«

Und wie sah der aus?

»Ziehen Sie die Jacke aus und drehen Sie sich bitte um. Ich möchte Ihren Rücken abtasten.«

Alan gehorchte. Hayes begann, seinen Rücken abzuklopfen. Als sie die Höhe der Lendenwirbelsäule erreichte, zuckte er zusammen. Sie hielt inne, um sich dann seinen Flanken zu widmen.

»Was machen Sie da?«

»Ihre Nieren abklopfen.« Sie seufzte. »Es fällt mir schwer, es Ihnen zu sagen, aber es deutet bisher alles daraufhin, dass mit Ihren Nieren etwas nicht stimmt. Um sicher zu sein, brauche ich noch einen Scan von Ihnen, eine Ultraschallaufnahme und einige Blutwerte.«

Die Erinnerung an die Schläuche überfiel ihn. Er schwitzte. Um das Zittern seiner Finger zu verbergen, legte er sie auf seine Oberschenkel.

»Fangen Sie an.«

»Gut.«

Danach zog sie einen Rolltisch heran und bereitete eine Spritze und einige Röhrchen zur Blutabnahme vor. Alan ließ es wortlos über sich ergehen.

Sie legte die Röhrchen in einer Konsole in eine Öffnung, verschloss diese wieder und gab eine Reihe von Daten ein, bevor sie sich ihm wieder zuwandte.

»Die Blutanalyse läuft. Wir können in der Zwischenzeit den Scan und die Ultraschalluntersuchung durchführen.«

Wieder nickte er nur, ließ sich von ihr zu einer Liege führen, die mit einem Sichtschutz vom Rest des Raumes abgetrennt war. Auf ihr Geheiß machte er seinen Bauch frei und streckte sich dort aus, starrte an die Decke, während sie den Sender und den Schlauch entfernte. Als sie Gel auf seinen Bauch gab, zuckte er zusammen.

»Können wir jetzt noch einmal über die Therapie reden?««, fragte sie.

»Wozu?«

»Weil ich glaube, dass Sie sie dringend brauchen.«

»Ich wüsste nicht, weshalb.«

Hayes schwieg und begann, mit dem Ultraschallsender seine Bauchdecke abzufahren, während sie dabei den Monitor des Geräts studierte.

»Und?«, quetschte Alan hervor.

»Vergrößert. Ich werde noch einen Scan machen, aber ich fürchte, das Ergebnis wird das gleiche sein.«

Sie deutete erneut auf die Pritsche. Aber Alan starrte sie nur an. Eine Woge aus Panik rollte auf ihn zu.

»Was … was heißt das?«

»Dass Sie hierbleiben werden. Es tut mir leid, aber …«

»Nein!«

Mit einem Keuchen schlug Alan ihre Hand beiseite und versuchte, aufzustehen. Aber Hayes versperrte ihm den Weg und packte ihn am Handgelenk.

»Mister McBride, reißen Sie sich zusammen. Denken Sie, das macht mir Spaß?«

Wortlos entriss Alan ihr seinen Arm.

»Ihre Nieren versagen. Ich kann Sie nicht einfach wieder gehen lassen, sonst sind Sie morgen oder spätestens übermorgen tot.«

»Ich will mit Mister Mabuto sprechen.« Alans Stimme bebte.

»Sehen Sie den Tatsachen ins Gesicht! Ich kann versuchen, Sie medikamentös einzustellen, oder wir müssen regelmäßig eine Blutwäsche durchführen, damit …«

Die Wände kamen auf ihn zu.

»Nein!«, keuchte er. »Ich kann nicht … Lassen … Sie mich gehen.«

»Mister McBride!«

Er sprang auf, versuchte, an ihr vorbeizukommen.

Raus. Er musste hier verschwinden, bevor sie ihn wieder mit Schläuchen an ein Bett fesseln konnte.

Aber Hayes versperrte ihm den Weg.

»Lassen Sie mich gehen!«

»Mister McBride, seien Sie vernünftig. Wenn Sie jetzt gehen, muss ich Sie mit Gewalt zurückbringen lassen. Das führt doch zu nichts. Weder Sie noch ich wollen, dass ich Sie hier an ein Bett fesseln lassen muss. Oder?« Ihre Stimme klang mit einem Mal sanft.

Alan war eiskalt. Zitternd setzte er sich zurück aufs Bett.

»Ich muss mit Mister Mabuto sprechen.«

Hayes seufzte. »Akzeptieren Sie es doch endlich, Mister McBride. Es nutzt nichts, die Augen zu verschließen.«

»Ich verschließe nicht meine Augen«, schrie er sie an. »Ich muss mit Mister Mabuto sprechen. Es ist wichtig.«

»Mister McBride, Alan. Ich will Ihnen doch nur helfen …« Hayes streckte die Hand nach ihm aus.

Nach Atem ringend starrte sie an. »Ich will mit Mister Mabuto sprechen!«

»Wie Sie wollen!«

Hayes presste die Lippen aufeinander, stolzierte zur Schiffskommunikation und schlug auf einen Schalter. »Krankenstation an Brücke. Doktor Hayes spricht. Mister Mabuto, kommen Sie bitte auf die Krankenstation. Es eilt.«

»Brücke an Krankenstation. Mabuto spricht. Ich komme.«

»Zufrieden?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, stopfte Hayes die Hände in die Taschen ihres Kittels und kehrte zu ihm zurück.

»Wären Sie dann so freundlich, sich hier auf diese Liege zu legen, bis der Lieutenant kommt? Damit ich meine Daten bekomme. Oder ist das zu viel verlangt?«

Endlich gehorchte Alan. Mit Gewalt sperrte er die Erinnerungen weg, die ihn überfallen wollten, und zwang sich dazu, ihre Untersuchungen über sich ergehen zu lassen. Er hoffte nur, dass er sich Mabuto gegenüber besser im Griff hatte.


Nach einer Weile zischte das Schott und Mabuto kam herein.

»Was ist los?«, wollte er wissen.

»Fragen Sie nicht mich. Fragen Sie ihn«, erwiderte Hayes. Mit den Worten kehrte sie ihnen den Rücken zu und ging zu einem Schott, das in einen Nebenraum führte. »Ich bin nebenan, falls Sie mich brauchen.«

»Nun«, sagte Mabuto. »Ich höre.«

Alan stand auf und zog das Shirt über seinen Bauch. »Sir, ich muss mich entschuldigen …«

»Das haben Sie schon einmal getan. Mir fehlt die Geduld, es mir noch einmal anzuhören. Sie kennen unsere Abmachung.«

»Darum geht es nicht, Sir. Ich habe nachgedacht und ein paar Dinge herausgefunden, die ich Ihnen mitteilen wollte.«

Mabuto runzelte die Stirn. »Schön, dann sprechen Sie.«

Müde rieb sich sich Alan über das Gesicht. »Wir hatten mehrere Schiffe auf den Sensoren, aber es war Stark, der mit uns Kontakt aufnahm. Und er kam nicht zufällig vorbei. Sein Kursvektor belegt es, Sir.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Das ist noch nicht alles, Sir. Ich glaube außerdem, dass die Krail-on-Frau, die an Bord ist, bei uns Schutz gesucht hat. Meiner Meinung nach ist sie geflohen.«

»Wie kommen Sie darauf?«

Alan schüttelte den Kopf. »Sir, die Frage ist, was war so wichtig, dass jemand mit einer Gefangenen an Bord seinen Kurs änderte, um uns abzufangen? Warum hat ausgerechnet dieses Schiff uns abgefangen?«

Eine Weile herrschte Stille.

Dann fragte Mabuto: »Haben Sie eine Vermutung?«

»Irgendjemand will unseren Hyperantrieb. Der Chief hat bei einer der Besprechungen erwähnt, wie interessiert Stark daran war. Und ich glaube nicht, dass wer auch immer da seine Finger im Spiel hat, sich mit dem Ergebnis zufriedengibt.«

»Stark ist tot.« Das Interesse in Mabutos Augen erlosch.

»Stark ist nicht relevant. Die Frau in Weiß hatte das Sagen. Da bin ich sicher. Und unser Passagier ist ebenfalls eine Frau in Weiß. Ich glaube, sie kann uns eine Menge erzählen.«

Mabuto schwieg. Alan glaubte schon, er habe das Spiel verloren, da hob Mabuto nach einem tiefen Atemzug den Kopf und sah ihn an.

»Und was schlagen Sie vor?«

»Lassen Sie mich das Spiel fortsetzen, Sir. Lassen Sie mich vor ihr den Kass-Un spielen. Ich bin so gut wie tot. Es ist vielleicht das Letzte, was ich für die Crew tun kann.«

Indirekt versuchte er, Mabuto damit zu verstehen zu geben, dass er keine Konkurrenz für ihn war. So musste es doch funktionieren.

Mabuto musterte ihn einen schier endlosen Augenblick, bis er endlich antwortete.

»Ich werde mit Doktor Hayes reden.«


Alan setzte sich auf die Liege. Sein Blick folgte Mabuto, der zu Hayes in den Nebenraum ging, und wartete darauf, dass sich das Schott hinter ihm schloss. Doch das Zischen blieb aus.

»Was war los?«

Alan musste sich anstrengen, aber Mabutos Stimme war immer noch gut zu verstehen.

»Mister McBride hat eine immunogene Nephritis. Ich habe seine Daten gerade eben analysiert. Wenn er nicht behandelt wird, ist er in wenigen Tagen tot.«

»Weiß er es schon?«

»Mehr oder weniger.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass der Junge dringend eine Verhaltenstherapie braucht. Er hat eine ernsthafte Psychose. Ich muss darauf bestehen, dass er auf der Krankenstation bleibt.«

»Bleiben Sie bei der Sache, Doktor Hayes. Gibt es eine Alternative?«

»Ich soll sachlich bleiben? Sagen Sie das Mister McBride. Er benimmt sich, als wolle ich ihn umbringen und verweigert jeden Therapieansatz!«

»Sie glauben also, dass Sie seinen Tod verhindern können?«

»Es muss einen Weg geben! Ich brauche nur mehr Zeit.«

»Und wenn Sie sich irren?«

Eine Weile herrschte Schweigen, bevor Hayes antwortete. »Dann habe ich es wenigstens versucht.«

»Hören Sie mir gut zu, Doktor Hayes! Ich brauche ihn. Ich brauche ihn, damit er mit dieser … unserer Passagierin spricht, die sich nach wie vor beharrlich weigert, mit mir zu reden. Bevor ich nicht weiß, was gespielt wird, kann ich nicht auf ihn verzichten. Und …«

»Warum haben Sie ihn dann nicht gleich mit ihr reden lassen? Jetzt ist es vielleicht zu spät.«

»Ich hatte meine Gründe. Und außerdem brauche ich ihn, damit die Mannschaft ihren Helden hat. Sie haben doch selbst gesagt, dass die Stimmung der Crew sich seit seinem Sieg gegen den Krail-on wesentlich gebessert hat.«

»Und wenn er stirbt, bevor ich eine Behandlungsmöglichkeit gefunden habe? Wenn er vor den Augen der Crew zusammenbricht? Was dann?«

»Er wird nicht zusammenbrechen, dafür ist er zu stur. Und wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ihn retten können? Helfen Sie mit dieser Hoffnung nicht eher sich selbst als Mister McBride?«

»Oh nein, Mister Mabuto. Darauf falle ich nicht herein. Tatsache ist, dass Sie ihn opfern wollen. Zum Wohl der Crew meinetwegen, aber Sie wollen ihn opfern.«

»Das hat er selbst schon so vor dem Kampf entschieden. Machen Sie das, was er erreicht hat, nicht kaputt, indem Sie Ihr eigenes Wohl in den Vordergrund stellen.«

»Mein Wohl? Haben Sie sich schon gefragt, ob es Ihnen nicht vielleicht zu leicht fällt, ihn zu opfern? Ob es Ihnen vielleicht ganz gelegen kommt, wenn er stirbt?«

»Doktor Hayes, Sie vergessen sich!«

»Oh nein! Ich tue nur meine Pflicht. Er hat ein hübsches Gesicht, er ist jung und er hat Mumm. Die Crew verehrt ihn. Was können Sie dagegenhalten?«

»Doktor Hayes«, knurrte Mabuto. »Unterschätzen Sie mich nicht. Auch ich tue nur meine Pflicht – auch wenn es mir schwerfällt.«

»Ist das Ihr letztes Wort?«

»Das ist es.«

»Und was soll ich tun, damit Ihr Held nicht vorzeitig zusammenbricht?«

»Lassen Sie sich etwas einfallen! Führen Sie die Behandlung ambulant durch. Sie sind der Arzt.«

»Sie machen es sich verdammt einfach! Und wenn er sich widersetzt?«

»Seien Sie kompromissbereit. Dann wird er es auch sein.«

»Herzlichen Dank!«

»Und rufen Sie mich bitte, bevor Sie ihn die Krankenstation verlassen lassen.«

»Misstrauisch? Auf wen?«

»Ich bin nur vorsichtig, Doktor Hayes. Guten Tag!«

Kurz herrschte Schweigen. Dann näherten sich Schritte dem Schott.

»Einen Moment noch«, ertönte Hayes' Stimme. »Bevor ich es vergesse. Ich glaube, dass sich jemand bei den Antidepressiva bedient. Die Zahlen können einfach nicht stimmen.«

Die Schritte hielten inne. »Haben Sie einen Verdacht?«

»Nein. Mit Ihrer Erlaubnis wollte ich den Code zu den Medikamentenvorräten ändern.«

»In Ordnung. Tun Sie es und geben Sie mir den veränderten Code.«

»Wie Sie wünschen, Sir.«

Alan befeuchtete seine Lippen. Mabuto benutzte ihn wie … wie man ein Streichholz zum Anzünden benutzte und anschließend wegwarf. Aber er half ihm damit hier heraus. Hatte er Mabuto nicht ebenso benutzt?


In diesem Augenblick kam Hayes zu ihm zurück. Die Hände in den Taschen ihres Kittels sah sie ihn an.

»Ich habe es gehört«, kam Alan ihr zuvor. »Können Sie es mir erklären?«

Sie zögerte kurz, ehe sie ihm antwortete. »Sie haben eine immunogene Nephritis. Die Ergebnisse meiner Simulationen haben sich bestätigt. Ihr Körper reagiert mit Antikörpern auf den Gift-Gegengift-Komplex und verhindert so, dass er abgebaut und ausgeschieden werden kann. Dadurch werden Ihre Nieren geschädigt. Wenn wir nichts dagegen unternehmen, kann es zum Nierenversagen kommen.«

»Muss ich hierbleiben?«

»Interessiert es Sie nicht, zu erfahren, ob ich etwas dagegen tun kann?«

»Am Ergebnis wird sich letztendlich nichts ändern. Das haben Sie selbst gesagt.«

Hayes’ Gesicht verhärtete sich. »Na schön! Hier ist mein Angebot: Sie werden Ihren Sender wieder tragen und alle drei Tage hierherkommen, damit wir eine Dialyse durchführen können. Die Erste führen wir jetzt sofort durch. Und falls mir irgendetwas an den Werten nicht gefällt, die mir Ihr Sender übermittelt, werde ich Sie rufen lassen und von oben bis unten durchchecken. Das Gleiche gilt, wenn Sie merken, dass es Ihnen schlechter geht. Sind wir uns einig?«

Alan nickte. »Aye, Ma’m.«

»Ich verstehe Sie nicht, Mister McBride. Weshalb lassen Sie nicht zu, dass ich Ihnen helfe?«

Alan biss sich auf die Unterlippe und ignorierte ihren Blick. »Bringen wir es hinter uns.«

»Dann legen Sie sich bitte wieder hin. Wir werden die Dialyse hier durchführen.«

Er gehorchte und wartete mit stoischer Miene auf das, was kommen würde.


Nach drei Stunden entließ sie ihn endlich mit drei verschiedenen Pillen in den Hosentaschen und einer Handvoll guter Ratschläge.

»Trinken Sie viel«, sagte sie zum Abschied. »Das heißt mindestens zwei Liter Flüssigkeit täglich, besser jedoch drei Liter. Und wenn es Ihnen nicht gar zuwider ist, am besten in Form von Wasser.«

»Kein Problem.«

»Und achten Sie bitte darauf, dass das, was Sie trinken, auch wieder ausgeschieden wird. Sollte sich ein Missverhältnis einstellen, melden Sie sich bei mir.«

»Soll ich es abmessen oder genügt eine grobe Schätzung?«

Ein Lächeln huschte über Hayes’ Gesicht. »Eine Schätzung genügt völlig. Aber zur Sicherheit können wir den Urin auch über einen Blasenkatheter sammeln.«

»Nur über meine Leiche!«, knurrte Alan.

Hayes’ Lachen klang unecht.

»Denken Sie noch einmal über mein Angebot nach«, setzte sie leise hinzu.

»Wozu?«

Sie schwieg, zog einen Rolltisch heran und deutete auf Alans Bauch. Seufzend schob Alan sein Shirt nach oben. Mit sanften Fingern führte sie den Schlauch für den Sender wieder in seine Bauchdecke ein.

»Wenn Sie so weiter machen, sieht mein Bauch bald aus wie ein Schweizer Käse«, murrte Alan.

»Ich bin sicher, dass ich immer eine Stelle finden werde, an dem ich den Sender platzieren kann.«

»Geben Sie’s zu: Sie quälen mich gern.«

»Sie sollten daran denken, bevor Sie mich wieder ärgern.«

»Ich werd’s nicht vergessen.«

Hayes schüttelte mit einem Lächeln den Kopf. Endlich ließ sie ihn gehen.

Er war frei.

FREMDE HEIMAT

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