Читать книгу SterbeMund - Petra Frey - Страница 7

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Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt…

Waren Sie schon einmal tot? Vermutlich nicht. Ich schon. Mehrmals sogar. Damals, Anfang der Achtziger. Zu Beginn meiner Ausbildung zur Schauspielerin kam das Angebot auf ein paar verlockende Silberlinge. Ein Drehtag für den „Tatort“ als Leiche. Ich nahm den Auftrag an und eh ich mich versah, lag ich tot aufdem Boden.Erstochen voneinemPsychopathen, derkeine Frauenmochte oder so ähnlich. Genau kann ich mich an die Story nicht mehrerinnern, aber daran, dassmeine Hände durch die unbequeme Haltung eingeschlafen waren und schmerzten.

Ein mieser Job. Leiche – definitiv kein Beruf mit Zukunft. Nicht für mich. Na ja, was soll‘s, ich musste keinen Text lernen. Im Gedächtnis blieb mir ein Kollege, der den Gerichtsmediziner zum Besten gab. Er sollte bei mir, der „Regungslosen“, laut Drehbuch, vor Ort den Tod feststellen. Vor mir kniend und unbeholfen tapste er an mir herum. Offensichtlich hatte er tags zuvor einen gemütlichen Abend bei leckerem Knoblauch und Wein gehabt. Ein kleiner Rülpser seinerseits ließ mich daran teilhaben.

Nicht schön. Mein Rendezvous mit Joe Black hatte ich mir anders vorgestellt.*

Persönlich war ich dem Tod bis dahin nie begegnet. Einmal davon abgesehen, dass ich in meiner frühesten Kindheit mein kleines, schwarzbraunes Meerschweinchen beerdigen musste.

„Herr Purzel“ war in die Jahre gekommen und hatte seine besten Zeiten hinter sich. Wie bei alten Opas fielen Herrn Purzel die Haare, bzw. das Fell, aus. Frieren musste er trotzdem nicht, denn ich strickte ihm einen weiß-blau karierten MeerschweinchenSpezialpullover. Wir hatten, ungeachtet seiner Ganzkörperglatze, eine recht gute Zeit miteinander. Er war mein Freund, mein Verbündeter in der Welt der Erwachsenen. Gemeinsam hörten wir gerne revolutionäre, laute Hardrockmusik. Auch schon wegen des kräftigen, brummenden Basses, der den Meerschweinchenkäfig ordentlich zum Vibrieren brachte. Herrn Purzel gefiel‘s. Wir versprachen uns ewige Treue. Doch kam es erstens wie es kommen musste, und zweitens anders als ich dachte. Mein Kumpel hielt sich nicht an unsere Abmachung, denn eines Morgens, als ich in den Käfig fasste, hielt ich einen kalten, harten Klumpen in der Hand. Völlig starr und regungslos glubschten mich seine riesigen, unbeweglichen Augen an. Herr Purzel hatte sein Wort gebrochen und sich vom den Acker gemacht. Die arme, kleine Meersau. Tot. Und ich? Verlassen, von meinem besten Freund.

Jahre später als junge Frau hatte ich durchaus Visionen, wie ich von dieser Erde abtreten wollte. Nach einem erfüllten Leben im Alter von vielleicht so 90 geschmeidigen Lenzen, einer glücklichen Ehe, mit Kindern und Enkelkindern.

In meiner Phantasie erlaubte ich mir ein paar kleine, altersbedingte Zipperlein, aber die große, leidende Krankheit wünschte ich mir nicht. Wenn schon sterben, dann kurz und knackig. Vielleicht ein Sekundentod: Umfallen und nichts mehr damit zu tun haben. Ja, so würde es mir passen, wenn es denn schon sein muss. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt. Es war mir auch egal. Ich war jung, da ist die Vorstellung, dass man selbst einmal alt und gebrechlich werden könnte, ganz weit weg. Der Tod als solches fand bis dahin keinen Platz in meinem Leben. Doch es sollte anders kommen…

Jetzt, 35 Jahre später, ist meine Idee, wie mein Leben auszusehen hat, glücklicherweise in Erfüllung gegangen. Ich habe einen wunderbaren Mann, zwei fabelhafte Kinder und eine reizende Stieftochter mit zwei süßen Enkeln. Die angedachten 90 Jahre Lebenszeit sind nicht mehr arg weit weg, wenn ich bedenke, wie schnell die letzten Jahre vergangen sind. Mit zunehmendem Alter bekommt man nicht nur Falten, sondern auch eine andere Wahrnehmung. Es hat sich einiges in meiner persönlichen Einstellung geändert. Ich merke, die Zeit geht auch an mir nicht spurlos vorüber. Beim Ausfüllen der Online Formulare muss ich im Feld für das Geburtsjahr inzwischen soweit nach unten scrollen, dass ich bis dahin vergessen habe, was ich eigentlich wollte. Als meine sechsjährige Enkeltochter die Schallplattensammlung meines Mannes entdeckte, rief sie bewundernd: „Oma, ihr habt aber große CDs!“ Mal sehen was sie sagt, wenn ich ihr den alten Kassettenrekorder zeige…

Grundsätzlich war mein damaliger junger Gedanke vom Tod und Sterben ja nicht verwerflich. Einfach umfallen, keine Schmerzen haben und sich um nichts und niemanden mehr kümmern müssen. Ja, und schnell sollte es gehen, wenn es denn schon sein muss.

Mit dieser Illusion bin ich nicht allein. Viele Menschen denken so. Die Idee vom schnellen Abschied kommt wahrscheinlich daher, dass sich die meisten Menschen heutzutage nicht mehr mit dem Tod auseinandersetzen. In der modernen, hektischen Zeit hat der Tod keinen Platz. Vieles muss dynamisch, erfolgreich und vor allem schnell sein. Alles Attribute, die in den meisten Fällen dem Tod und dem Sterben nicht zugeordnet werden können. Er passt einfach nicht in unseren Zeitgeist, der langsame Tod.

Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern

- Benjamin Franklin -

* “Rendezvous m it Joe Bl a ck“ ist ein US-ame rikanisc her S pielfilm des Regisseurs Martin Brest aus dem Jahr 1998, in demder Tod in menschlicher Gestalt ein en sterbenden Milliardär bittet, ihm zu helfen, das Leben kennenzulernen. Der Film startete am 14. Januar 1999 in den deutschen Kinos.

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