Читать книгу Ein Sechserpack im Kuhstallfieber - Petra Gürtler - Страница 5

Viel Arbeit – doch Verstärkung naht!

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Endlich, ein letztes Mal in diesem Schuljahr läutete die Schulglocke und ungefähr zweihundert Grundschüler aus Niederbach und den Nachbardörfern stürmten aus dem Gebäude. Einige von ihnen taten dies ebenfalls zum letzten Mal, nicht nur für dieses Jahr! Alle aus der 4. Klasse, unter ihnen auch Wolle und Luisa. Beide gingen etwas langsamer und bedrückter neben einander her, als sie das an gewöhnlichen Schultagen oder gar am letzten Schultag normaler Weise taten. Luisa deshalb, weil sie im neuen Schuljahr eine andere Schule besuchen würde und dem mit gemischten Gefühlen entgegen sah. Eigentlich wollte sie später einmal aus dem Braunerhof ein Gestüt machen und Pferde züchten. Aber auch das Schreiben von Geschichten machte ihr viel Spaß, sie stellte es sich unheimlich spannend vor, für ein Fachmagazin über Pferde Berichte und Artikel zu schreiben. Ihre Eltern hatten ihr erklärt, dass man noch nicht wissen könne, was sie später mal machen werde. Außerdem bräuchte man auch als Pferdezüchter eine gute Ausbildung und als Journalistin, wenn auch nur für Pferdemagazine, sowieso. Da ihre Noten sehr gut waren, hatten sie sich gemeinsam für das Gymnasium in der Stadt entschieden. Leider sollte Wolle dann nicht mehr in ihre Klasse gehen, was eine ganz neue Erfahrung für Luisa sein würde. Wolles Noten waren nicht so berühmt, auch ein Grund, für sein betretenes Gesicht auf dem heutigen Nachhauseweg. Lernen war nicht so unbedingt sein Ding! Ungefähr zu Anfang der 3. Klasse hatte seine Mutter es aufgegeben, ihm die Lernerei schmackhaft zu machen. Als Loben und gutes Zureden, Schimpfen und Verbote und selbst eine größere Standpauke des Vaters nichts genutzt hatten, ließ sie ihn gewähren. Ihr Sohn baute eben viel lieber an seinem Baumhaus, half seinem Vater auf dem Feld oder im Schweinestall und reparierte alles, was auf dem Hof seiner Eltern kaputt ging. Sein Traum war es Bauer zu werden. Bauer und nichts anderes, wie sein Vater, sein Großvater und auch sein Urgroßvater schon. Deshalb fand er, dass er auf der Mittelschule gut aufgehoben war und wollte nach der neunten Klasse die Landwirtschaftsschule besuchen. So wäre er dann Bauer mit „Diplom“ und könnte sich für den Rest seines Lebens nur noch mit schönen Dingen beschäftigen. Schweigend schlenderten die beiden nebeneinander her. „Luisa!“, sagte Wolle. „Hm!“ antwortete sie. „Denkst du wir werden Freunde bleiben, wo du doch so viele neue Freunde finden wirst im nächsten Jahr?“ Luisa rempelte ihn in die Seite und schimpfte: “Was ist das denn für eine blöde Frage? Natürlich bleiben wir Freunde. Sissi ist doch auch unsere Freundin geblieben und geht schon ein Jahr auf das Gymnasium. Die Nachmittage, die Wochenenden und die Ferien gehören uns doch immer noch gemeinsam. Schließlich sind wir die Kuhstallbande, oder?“ Wolle grinste erleichtert und war gar nicht mehr so niedergeschlagen wegen der Noten und der Schule und alldem. „Eben, so ein Quatsch!“ stimmte er Luisa zu. „Außerdem sind jetzt erst mal Ferien und wir haben noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Wahrscheinlich werde ich heute noch fertig mit dem Bau der Stände. Kommst du sie dir heute Abend ansehen?“ Luisa ging in Gedanken ihren Terminplan durch. Um drei Uhr hatte sie versprochen bei der alten Oma Hohner vorbei zu kommen, um sich einen Brief an deren Schwester diktieren zu lassen. Es war übrigens bereits der fünfte, den sie im Laufe der Woche schrieb. Ihre Auftraggeber waren alle sehr großzügig gewesen, als sie hörten, worum es bei der Sache ging. 43 Euro hatte sie bereits mit Briefeschreiben verdient und noch sechs Aufträge warteten darauf, ausgeführt zu werden. Um 17.00 Uhr wollte sie mit ihren Eltern dann schon zum Bahnhof in die Stadt aufbrechen, denn um 17.38 sollte der Zug mit Bea ankommen. „Weißt du was, “ entschied sie deshalb kurzer Hand, „ich komme dann gleich mit Bea, wenn wir vom Bahnhof zurück sind. Vorher schaffe ich es nicht. Aber dann bist du der Erste, der sie kennenlernt, ist doch auch was, oder?“ Wolle war einverstanden und mittlerweile hatten sie auch schon den Braunerhof erreicht und verabschiedeten sich, bevor Wolle ausnahmsweise den Weg über die Straße zum Hof seiner Eltern nahm. Dieser hatte übrigens den Beinamen „Müllerhof“, weil der kleine Bach von Niederbach über das Grundstück verlief und in früheren Zeiten die Vorfahren der drei Buben zusätzlich eine Mühle am Bach betrieben hatten. Die Mühle stand immer noch an Ort und Stelle, war zwar etwas baufällig geworden, aber Mühlrad und Mühlenwerk funktionierten noch recht gut. Im August feierten sie jedes Jahr das Mühlenfest, zu dem das ganze Dorf eingeladen war. Den gesamten Abend über ließ man dann das Mühlenwerk laufen, was ein herrliches Klappern bescherte. Kurz dachte Wolle noch einmal an sein Zeugnis, das er seiner Mutter gleich präsentieren musste, doch da stürmte Juli bereits aus der Haustür und krähte lautstark: “Wo bleibst du denn so lange? Mama hat Dampfnudeln zu Mittag gemacht, mit Vanillesoße! Komm doch endlich!“ Schon waren Wolles Zeugnisgedanken wieder verscheucht, so schlechte Noten gab es nicht, die einem den Appetit auf Dampfdudeln mit Vanillesoße verderben konnten.

Nervös wippte Luisa auf dem Bahnsteig von ihren Zehen auf die Fersen und wieder zurück. Die Bahnhofsuhr zeigte bereits 17.45 Uhr, die Stimme des Bahnhofssprechers hatte eben Beas Zug mit einer Verspätung durch den Lautsprecher angekündigt. Luisas Eltern blinzelten sich verstohlen zu, natürlich war auch ihnen die Aufregung ihrer Tochter wegen der Ankunft der Freundin nicht verborgen geblieben. Da, endlich, in der Ferne konnte man den einfahrenden Zug bereits sehen. Beas Mutter hatte diese bis nach Nürnberg begleitet, die letzte Strecke mit dem Nahverkehrszug legte Bea nun alleine, das heißt in der Obhut des Zugbegleiters zurück. So konnte ihre Mutter bequem noch am selben Tag wieder nach Leipzig zurückkehren. Die Stimmung auf Bahnhöfen ist ja generell aufregend und schickt zumindest die Gedanken mit den an- und abfahrenden Zügen auf die Reise. Aber jetzt, wo die Bremsen des haltenden Zuges quietschten und nach dem Öffnen der Türen jeden Moment irgendwo Bea erscheinen musste, glaubte Luisa fast zu platzen vor Nervosität. „Da ist sie!“, rief sie plötzlich, während sie mit dem Arm den Bahnsteig entlang zeigte und augenblicklich in einem Affentempo in dieselbe Richtung davonbrauste. Ihre Eltern versuchten in gemäßigterem Tempo ihr zu folgen. Doch trotz aller Bemühungen waren sie immer noch gut zwanzig Meter entfernt, als die beiden Mädchen sich bereits zur Begrüßung in den Armen lagen. „Sag mal, was genau plant ihr wegen dieses Fohlens? E-Mails sind einfach immer zu kurz für befriedigende Informationen, du musst mir unbedingt sofort berichten..., oh, da sind ja deine Eltern, guten Tag Herr und Frau Brauner, ich freue mich so sehr, dass ich kommen durfte!“, plapperte Bea ohne Atem zu holen drauf los. Das war so ihre Art! Bea redete gern und viel, wollte man etwas erwidern, musste man schon einen sehr günstigen Moment erwischen, nämlich den, wenn auch Bea einmal Luft holen musste. Nach der offiziellen Begrüßung machten die Vier sich auf den Weg zum Parkplatz und als Luisa und Bea auf dem Rücksitz Platz genommen hatten, war Bea bereits über alle Einzelheiten im Bilde. Nebenbei auch Luisas Eltern, die bisher noch weniger über die „Rettungsaktion Ankas Fohlen“ gewusst hatten, als Bea aus Leipzig. „Da habt ihr euch aber ganz schön was vorgenommen!“, kommentierte Luisas Vater die Erzählinhalte seiner Tochter. „Selbstverständlich werde auch ich einen Kuchen für euer Büffet am Flohmarkt beisteuern!“, versprach anschließend seine Frau. „Habt ihr euch denn schon um die Handzettel gekümmert, die in der Umgebung verteilt werden sollen?“, fragte Bea die Freundin. Luisa schüttelte den Kopf und erklärte, dass zwar der Textentwurf bereits fertig sei, zu mehr aber noch keine Zeit gewesen war. „Ach, Herr Brauner, sicher haben sie in ihrem Büro einen ordentlichen Drucker zur Verfügung. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir den für die Herstellung der Zettel benutzen, oder? Mit den üblichen Haushaltsdruckern verhungern wir ja bei der Masse, die nötig sein wird. Oh, wo ist denn mein Handy, ich sollte doch gleich meiner Mutter Bescheid sagen, wenn ich angekommen bin...!“, Beas Wortschwall erheiterte die Brauners ungemein. Nur Luisas Vater war außerdem etwas beunruhigt bei dem Gedanken, dass die komplette Kuhstallbande ergänzt durch ein Energiebündel aus Leipzig in sein Architekturbüro einfallen würde, um Handzettel zu erstellen. Ach ja, das hatten wir noch gar nicht erwähnt! Direkt neben dem Kuhstall, angebaut, lag der ehemalige Schweinestall des Braunerhofes. Dieser hieß nun aber nicht mehr Schweinestall, so wie der Kuhstall noch immer Kuhstall hieß, sondern an der modernen Eingangstüre hieß ein einladendes Firmenschild mit der Aufschrift ARCHITEKTURBÜRO BRAUNER SPEZIALISIERUNG AUF HÄUSER IM LANDHAUSSTIL angehende Bauherren willkommen. Nach Beendigung seines Studiums hatte Luisas Vater den Schweinestall als erstes Objekt neu geplant und durch Umbau in sein heutiges Büro verwandelt. Seine Eltern gaben damals die Landwirtschaft auf, da er so gar nichts mit einem Dasein als Bauer anfangen hatte können und fürs Leben gern Häuser entwerfen wollte. Schon erreichte die Reisegesellschaft Niederbach und Bea hielt tatsächlich einmal den Mund, während sie interessiert aus dem Fenster schaute und auf Luisas Ortsbeschreibung hörte: „Das ist die Schule, die Kirche, der Bäcker, der Tante Anna Laden, jawohl so was gibt es noch und der heißt so, weil die Inhaberin Anna und nicht Emma heißt, der Bach, da drüben wohnt Sissi und hier sind wir schon!“, endete sie, als der Wagen in die Hofeinfahrt des Braunerhofes bog. „Papa“, entschied Luisa kurzentschlossen, „du bringst doch sicher gerne Beas Gepäck in unser Zimmer, oder? Wir müssen dringend noch auf einen Sprung zu Wolle, hab ich versprochen, sonst wird es zu spät.“ Hurtig nahm sie ihre Freundin bei der Hand und verschwand mit ihr in der Hecke, worauf sie Sekunden später in der Scheune des Müllerhofes auftauchten. Wolle sah sie erst nicht kommen und hörte sie auch nicht, da er wie wild mit einem Hammer Nägel in Flohmarkttische klopfte. In einer winzigen Pause ließ Bea ein fröhliches „Hallo“ ertönen, weshalb Wolle vor Schreck der Hammer aus der Hand und auf seinen bloßen Zeh in den Sandalen fiel. „Verdammt!“, war alles, was er in dem Moment zu Stande brachte und Bea meinte: „Das ist ja eine schöne Begrüßung!“ Wolle hielt sich den Zeh und brummte: „Das finde ich ehrlich gesagt auch.“ Bea lächelte trotzdem und hielt ihm die Hand entgegen, „dann kann es ja nur besser werden!“, meinte sie. Wolle musste dann doch lachen über Beas direkte Art, ließ den Zeh los und ergriff ihre Rechte.

Ein Sechserpack im Kuhstallfieber

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