Читать книгу Sirrah - Petra Gugel - Страница 5
3. Ferien
ОглавлениеAm frühen Morgen klapperte Arneb lautstark mit dem Frühstücksgeschirr. Sirrah vergrub den Kopf unter dem Kissen. Aus ihrem wichtigsten Vorhaben für die Ferien, morgens lange zu schlafen, schien nichts zu werden. Mürrisch tappte sie ins Badezimmer und gönnte sich eine ausgiebige Dusche. Als sie in ihren Wohlfühlklamotten die Wendeltreppe hinunterschlurfte, waren Menkar und Arneb mit dem Frühstück längst fertig.
Menkar goss seiner Tochter eine Tasse Tee ein und legte ihr ein Stück Obstkuchen auf den Teller. „Guten Morgen, du Langschläfer!“, begrüßte er sie fröhlich.
Wie man am frühen Morgen schon so gut gelaunt sein konnte, war Sirrah rätselhaft. „Von wegen Langschläfer. Ihr habt einen solchen Radau veranstaltet, der würde sogar einen Toten aufwecken!“
Arneb schnitt eine Grimasse. „Entschuldigung, dass du dich durch unsere Arbeit belästigt fühlst!“
Sirrah biss lustlos in ihren Kuchen. Sie hasste Gebäck vom Vortag. Die Früchte waren matschig und der Teigboden durchgeweicht.
„Übrigens, eure Mutter hat eine wichtige Aufgabe für dich und Arneb“, erklärte Menkar. „Die Gemüsepflanzen im Gewächshaus sind von Fliegenraupen befallen. Dagegen muss dringend etwas unternommen werden. Also beeil dich mit dem Frühstück, die Raubkäfer warten schon!“
Sirrah verzog das Gesicht. Sicher, die einfachste Methode der Schädlingsbekämpfung war, die Schmarotzer von ihren natürlichen Feinden beseitigen zu lassen. Trotzdem fand sie es grausam. Die Raubkäfer legten ihre Eier in die Fliegenraupen, und wenn die Käferlarve schlüpfte, fraß sie ihren Wirt bei lebendigem Leib auf. So elend sollte niemand zu Grunde gehen, nicht einmal ein Pflanzenschädling.
Sirrah war der Appetit vergangen. Sie ließ den Kuchen liegen und schob den Teller beiseite.
„Schon fertig? Dann könnt ihr ja gleich loslegen!“, stellte Menkar ungerührt fest. Er gab Sirrah und Arneb je einen Korb voller durchsichtiger Behälter, in denen es von schwarzen Käfern nur so wimmelte.
Seufzend machte sich Sirrah auf den Weg. Sie öffnete die Tür des Gewächshauses und stöhnte, als sie die schier endlosen Pflanzenreihen erblickte. Wahrscheinlich würde es den halben Tag dauern, die Raubkäfer zu verteilen.
Draußen rumpelte der Roder über das Rübenfeld. Sirrah sah hinüber. Tihal saß auf dem Fahrersitz und lenkte das lärmende Ungetüm mit einer Hand über die Ackerfurchen. Er trug ein abgetragenes Hemd und dazu eine ausgefranste Hose. Arneb hätte in diesem Aufzug vermutlich nicht einmal den Müll hinausgetragen.
Als ob er ihren Blick gespürt hätte, drehte sich Tihal herum und lächelte sie an. Die gigantische Staubwolke, die ihn einhüllte, schien er nicht wahrzunehmen.
Tihal brachte die Erntemaschine vor den Geschwistern zum Stehen. Er ignorierte die Leitersprossen, die zum Hinabsteigen angebracht waren, und sprang mit einem gewandten Satz hinunter. „Na Sirrah, wie steht’s mit der Revanche?“
Arneb machte ein fragendes Gesicht. „Welche Revanche?“
„Hast du ihm das gar nicht erzählt?“ Tihal sah Sirrah spöttisch an. „Du möchtest wohl keine Zuschauer bei deiner Niederlage haben!“
„Niederlage? Wovon träumst du eigentlich nachts?“
Tihal grinste spitzbübisch. „Na, von dir natürlich!“
„Dann hoffe ich sehr, dass es Albträume sind!“, giftete Sirrah. Doch ohne dass sie es verhindern konnte, machte sich ein seltsames Kribbeln in ihrer Magengegend bemerkbar. Sie fragte sich, wie das möglich war. Tihal gab sich ja nun wirklich keine Mühe, ihr zu gefallen.
„Worum geht’s eigentlich?“, fragte Arneb.
Als Sirrah es ihm erklärte, konnte sie ihm ansehen, wie er mit sich kämpfte. Dass seine Schwester mit ihrer großen Klappe einmal den Kürzeren ziehen könnte, wäre für ihn bestimmt eine Genugtuung. Andererseits ahnte er wohl das Dilemma, das auf ihn zukam. „Lass mich da bloß raus. Ihr fangt immer an zu streiten, und wenn ich nicht auf deiner Seite bin, bist du wieder tagelang sauer auf mich!“
„Sei kein Spielverderber!“
„Ich hab ’nen Haufen Käfer zu verteilen“, murmelte Arneb und verdrückte sich eilig ins Gewächshaus.
Doch so einfach kam er nicht davon. Sirrah ließ Tihal auf dem Acker stehen und stellte ihren Bruder zwischen Bohnenranken und Eierfruchtpflanzen zur Rede.
„Stell dich nicht so an! Da ist doch nichts dabei, wenn du den Schiedsrichter spielst. Außerdem brauche ich dich zum Trainieren!“
„Von wegen, du bist sowieso besser als ich!“
„Damit hast du ausnahmsweise sogar einmal Recht. Aber ich muss gewinnen, das fordert die Familienehre!“
„Du spinnst ja. Es ist doch piepegal, wer von euch besser in diesem blöden Spiel ist!“
Sirrah verkniff sich das Schimpfwort, das ihr auf der Zunge lag. Hier war Taktik gefragt. „Isa wird nicht gerade begeistert sein, wenn ich ihr erzähle, dass du mich im Stich gelassen hast. Schade, ich hätte ihr gerne etwas Nettes über dich gesagt! Ich könnte sie sogar zu uns einladen, wenn wieder Sternschnuppenzeit ist. Dann könnt ihr euch zusammen auf die Terrasse setzen und zusehen. Stell dir nur vor, wie romantisch das wird!“
Sirrah verdrehte die Augen und machte einen Schmollmund, ihrer Meinung nach das typische Aussehen eines schmachtenden Verehrers. Sie wusste, dass jedes Jahr zur Erntezeit ein großer Meteorstrom an ihrer Heimatwelt vorbeizog. Viele dieser Gesteinsbrocken wurden von der Schwerkraft des Planeten eingefangen und verglühten als leuchtende Sternschnuppen in der Atmosphäre. Dieses Feuerwerk am nächtlichen Himmel durften zwei Frischverliebte keinesfalls verpassen.
Arneb begann zu verhandeln. „Das mit dem Schiedsrichter kannst du vergessen. Aber ich trainiere mit dir. Dafür reservierst du mir den Platz neben Isa!“
„Mann, muss Liebe schön sein!“ Sirrah verzog das Gesicht. „Hoffentlich ist das nicht ansteckend!“
Am Ende der Woche hatte sie es geschafft: Das letzte Getreidefeld war abgeerntet. Sirrah parkte den Mähdrescher in der Maschinenhalle und betrachtete die Flut aus Getreidekörnern, die sich aus dem Laderaum in den Container ergoss. Wenn dies nur die letzte Erntezeit wäre, die sie zu Hause verbrachte!
Das Rauschen des Korns übertönte seine leisen Schritte. „Na, hast du inzwischen fleißig trainiert?“ Wie aus dem Nichts erschienen, stand Tihal plötzlich vor ihr.
„Brauch ich nicht.“ Sirrah straffte die Schultern. „Arneb habe ich neulich fünf zu eins besiegt!“ Warum hatte Tihal das blöde Spiel nicht einfach vergessen?
„Tatsächlich?“ Mit einem liebenswürdigen Lächeln lehnte er sich an den Container. „Dein Bruder ist allerdings auch kein ernsthafter Gegner!“
„Das können wir gerne nachprüfen. Ich bin hier gleich fertig, du kannst schon mal einen Ball holen!“
„Ist bereits erledigt!“ Tihal hielt Sirrah einen kleinen, elastischen Ball vor die Nase.
Misstrauisch betrachtete sie ihn von allen Seiten. „Du hast damit doch nicht irgendwas angestellt?“
„Du weißt, dass ich das nicht nötig habe!“
Sirrah ließ die Luke des Containers mit einem Knall zufallen. Was nahm sich dieser Kerl bloß heraus? Ihre Großmutter würde jetzt vermutlich sagen, dass er die einem jungen Mann geziemende Zurückhaltung vermissen ließ.
Sirrah stieß das Tor der Maschinenhalle mit einem Fußtritt auf. Entschlossen stiefelte sie zu dem Spielfeld, das Adhara vor vielen Jahren für ihre Kinder hatte anlegen lassen. Tihal folgte Sirrah mit einem zuversichtlichen Grinsen.
Pi-Tzi war ein Ballspiel, das die ersten Siedler aus ihrer alten Heimat mitgebracht hatten. Man benötigte dazu ein rechteckiges Spielfeld von mindestens sechs Metern Länge und drei Metern Breite, das an den Längsseiten von dreieinhalb Meter hohen Mauern begrenzt wurde. Dort war in zwei Metern Höhe je ein Ring mit dreißig Zentimetern Durchmesser angebracht, der das Ziel darstellte. Zwei Spieler oder zwei Mannschaften mussten nun versuchen, einen kleinen Ball durch einen der beiden Ringe zu schießen. Um diese Aufgabe etwas schwieriger zu gestalten, durfte man den Ball jedoch nicht mit den Händen berühren. Erlaubt waren nur alle anderen Körperteile wie Arme, Beine und Hüften. Somit war bei diesem Spiel reine Körperkraft weniger ausschlaggebend als Ausdauer und Geschicklichkeit.
„Du bekommst den ersten Wurf!“, rief Sirrah großzügig.
Tihal eröffnete das Spiel mit einem kräftigen Wurf an die Seitenwand. Doch der Ball prallte in die falsche Richtung ab, und Sirrah erwischte ihn noch vor Tihal mit dem Arm. Mit einer sicheren Bewegung beförderte sie den Ball durch den Zielring.
Sie grinste Tihal spöttisch an. „Weißt du eigentlich, dass in grauer Vorzeit die unterlegene Mannschaft den Göttern geopfert wurde?“
„Mach dir keine falschen Hoffnungen. Wir haben ja gerade erst angefangen!“
Das Spiel ging in die nächste Runde. Diesmal hatte Sirrah weniger Glück, und Tihal machte seinen ersten Treffer mit einem gut gezielten Kopfball. „Wird wohl nichts mit dem Opfer!“
„Freu dich bloß nicht zu früh!“ Lässig lupfte Sirrah den Ball mit dem rechten Bein nach oben, zielte jedoch nicht genau genug und verfehlte den Ring um einen halben Meter. Der Ball kullerte über die Bodenplatten und blieb außerhalb des Spielfeldes liegen.
„Ball im Aus!“, rief Tihal.
„Das sehe ich selber, du Schlaukopf!“
Als Sirrah den Ball aufhob, löste sich ein Schweißtropfen von ihrer Stirn. Er hinterließ einen dunklen Fleck auf dem Boden. Ihre Zunge klebte am Gaumen, und ihr Rachen fühlte sich an wie Schleifpapier. Warum hatte sie bloß nicht daran gedacht, etwas zu trinken mitzunehmen?
Sie warf den Ball zurück auf das Spielfeld, wo Tihal ihn mit dem Arm erwischte und mit traumwandlerischer Sicherheit durch den Ring schoss.
„Zwei zu eins!“, rief er grinsend.
Sirrah biss sich auf die Lippe. Jetzt bloß nichts anmerken lassen!
Die nächste Runde begann. Doch obwohl sie von einer Seite des Spielfeldes auf die andere hetzte, konnte sie keinen Treffer erzielen. Endlich flog der Ball in ihre Richtung. Sirrah machte eine Faust und schoss den Ball mit aller Kraft durch den Ring.
„Handspiel!“, reklamierte Tihal.
„Quatsch!“
„Ich hab’s genau gesehen!“
„Dann lass dir die Augen untersuchen. Ich hab den Ball mit dem Gelenk getroffen!“
„Von wegen, du schummelst schon wieder. Das ist vermutlich auch der einzige Grund, warum du gegen deinen Bruder gewinnst!“
„Was bildest du dir eigentlich ein?“ Diesmal war er eindeutig zu weit gegangen.
„Du siehst richtig hübsch aus, wenn du dich so aufregst!“ Aus seinem überheblichen Grinsen war ein verlegenes Lächeln geworden.
„Willst du mich verarschen?“ Sirrah schnappte nach Luft. „Oder ist das am Ende der Grund, warum du mir ständig auf die Nerven gehst?“
Tihal blickte sie treuherzig an. „Was soll ich denn sonst anstellen, damit du mal Notiz von mir nimmst?“
Anscheinend meinte er es ernst. Sirrah wusste nicht, ob sie ihn erwürgen oder umarmen sollte. „Warum hast du mich nicht einfach auf eine Tasse Tee eingeladen? Macht man das nicht normalerweise so?“
„Wärst du denn gekommen?“
„Keine Ahnung“, antwortete Sirrah ehrlich. „Ich kenne dich einfach schon so lange. Irgendwie bin ich daran gewöhnt, mit dir zu streiten!“
„Siehst du? Für dich bin ich doch schon ein Teil des Inventars, wie der alte Rübenernter!“
„Das stimmt nicht“, sagte Sirrah lachend. „Außerdem siehst du wesentlich besser aus als das rostige Ding!“
„Bist du jetzt nicht mehr sauer auf mich?“
Sirrah sah ihm an, wie verlegen er war. Er verbarg es zwar hinter einem schiefen Lächeln, doch sein unsicherer Blick verriet ihn. Wie konnte jemand nur so frech und gleichzeitig schüchtern sein? Diese Mischung gehörte eindeutig verboten. Sie machte jede Art von Gegenwehr unmöglich.
„Ich verzeihe dir, wenn du mir etwas zu trinken holst!“ Inzwischen schwitzte Sirrah dermaßen, dass ihre Bluse am Körper klebte, und ihr Herz klopfte so schnell, als wollte es sich selbst überholen. Sirrah war sich nicht sicher, ob es an der Anstrengung oder an Tihals Geständnis lag.
Tihal spurtete los und kam kurz darauf mit seiner Provianttasche zurück. Er gab Sirrah einen Becher Wasser, den sie in einem Zug leerte.
„Hättest du Lust, zum Teich zu gehen?“, schlug Tihal vor. „Etwas Abkühlung könnte nicht schaden!“
„Warum nicht?“ Sirrah drückte ihm den leeren Becher in die Hand. „Warte einen Moment, ich bin gleich wieder da!“
Sirrah lief in die Küche, wo Menkar am Herd stand und in einem großen Topf herumrührte. „Ich komme heute Mittag nicht zum Essen. Kannst du mir vielleicht etwas Kaltes einpacken?“
Menkar verschloss den Topf mit einem Deckel. „Möchtest du dich vor dem Gemüseeintopf drücken?“
„Nein. Mir ist nur so heiß, deshalb wollte ich zum Teich.“
„Gehst du mit Arneb hin?“
„Nein.“
„Nur du ganz allein?“
„Ist das ein Verhör?“
„Geht’s dir nicht gut?“ Menkar sah Sirrah besorgt an. „Du bist so rot im Gesicht!“
„Warum willst du eigentlich immer alles wissen? Ich war mit Tihal Pi-Tzi spielen, und dabei ist uns eben heiß geworden. Deshalb wollten wir uns am Teich etwas abkühlen. Bist du nun zufrieden?“
Menkars verwirrter Ausdruck wich einem wissenden Lächeln. Er packte Sirrah einige Stücke Rührkuchen und eine Flasche Saft ein. „Ich wünsche euch beiden einen schönen Nachmittag!“