Читать книгу Sirrah - Petra Gugel - Страница 6

4. Freundschaft

Оглавление

Sie gingen den schmalen Pfad entlang, der zum Teich führte. Sirrah fand, dass der Wald heute irgendwie schöner aussah als sonst. Die wenigen Sonnenstrahlen, die den Weg durch das dichte Blätterdach fanden, malten ein leuchtendes Muster auf den Waldboden, und die Libellen, die über den Teich hinwegbrummten, schimmerten wie polierte Edelsteine.

Sirrah setzte sich neben Tihal auf den Steg und streckte die nackten Zehen ins Wasser. Sie leerte ihre Tasche und stellte fest, dass ihr Vater außer Kuchen und Saft auch Teller, Becher und Servietten eingepackt hatte. Es war beinahe ein richtiges Picknick.

Sirrah lehnte sich zurück. Der Wind wisperte im Schilf, und Splitter aus Sonnenlicht tanzten über den Wellen. Irgendetwas sollte sie jetzt sagen. Nur was?

„Übrigens, wie lange, ich meine, seit wann…“ Mühsam rang sie nach Worten. Wie sprach man bloß mit jemandem, mit dem man bisher immer nur herumgeblödelt hatte, über seine Gefühle? Nie zuvor hatte sie sich so unsicher gefühlt.

„Du meinst, wann ich mich in dich verliebt habe?“ Wieder hatte Tihal dieses verlegene Grinsen im Gesicht. „Kannst du dich noch erinnern, als du das erste Mal mit dem Mähdrescher gefahren bist? Du hast ausgesehen wie eine Königin auf ihrem Streitwagen.“

„Ich hatte Dreck im Gesicht und Staub auf den Haaren!“

„Nun, so ein Feldzug ist ja auch eine schmutzige Angelegenheit!“, sagte Tihal lachend.

Sirrah lachte mit. Wie hatte sie diesem verrückten Kerl nur jemals böse sein können?

„Ich frage mich nur, wieso du mich als Kind dann ständig geärgert hast!“

„Damals habe ich dich auch ziemlich beneidet“, gestand Tihal.

„Weswegen denn?“

„Du kannst vielleicht Fragen stellen. Zum Beispiel durftest du zur Schule gehen, während ich mich hier mit diesem dämlichen Lernprogramm herumplagen musste!“

„Glaub mir, da hast du nicht viel verpasst. Wenn man an Langeweile sterben könnte, dann wäre ich in Staatskunde schon längst tot vom Stuhl gefallen!“

„Aber du hast eine Ausbildung, und wenn du deine Prüfungen bestanden hast, kannst du machen, was immer du möchtest. Ich dagegen werde hier Rüben ernten, bis ich verrotte!“

Tihals Gesicht wurde ernst. Sirrah kam es so vor, als würde sich eine Wolke vor die beiden Sonnen ihrer Heimatwelt schieben.

„Irgendwie dachte ich immer, ihr Jungs seid froh, wenn ihr zu Hause bleiben könnt!“ Verlegen zupfte sie einen Krümel von ihrer Bluse. „Es tut mir leid, wenn du deswegen unglücklich bist.“

„Das muss es nicht. Du kannst schließlich nichts dafür. Außerdem bist du der einzige Grund, der mich diese Einöde ertragen lässt. Die Sache hat nur einen einzigen Haken: Du kannst es einfach nicht lassen, zu schummeln!“ Jetzt lächelte er wieder.

Sirrah lächelte zurück. „Damit du endlich Ruhe gibst, schwöre ich dir hiermit den heiligen Eid, niemals wieder zu schummeln!“ Sie setzte eine feierliche Miene auf und sah Tihal tief in die Augen. Wieder fiel ihr auf, wie außergewöhnlich dunkel sie waren. Wie zwei Kohlen, die in Milch schwammen.

„Wenn du mich so ansiehst, wird mir ganz schwindlig“, sagte Tihal.

„Deinen Gesundheitszustand will ich natürlich nicht ruinieren!“ Sirrah grinste. „Schließlich steht die Obsternte vor der Tür!“

„Du bist herzlos!“ Tihal machte ein gequältes Gesicht. „Da kann ich mich ja gleich ertränken!“ Er ließ sich ins Wasser plumpsen und verschwand unter der Wasseroberfläche.

Sirrah wartete darauf, dass er wieder zum Vorschein kam. „Lass den Quatsch. Du musst nicht damit angeben, wie lange du die Luft anhalten kannst!“

Doch auch nach einer weiteren Minute tauchte Tihal nicht wieder auf. Hatte er sich womöglich in einer Schlingpflanze verfangen? Sirrah beugte sich über den Rand des Steges und versuchte angestrengt, im trüben Wasser etwas zu erkennen.

Plötzlich packten sie zwei Hände und zogen sie mit einem Ruck hinunter. Sirrah klatschte in den Teich. Wasser drang ihr in Nase und Ohren. Als sie keuchend und prustend wieder an die Oberfläche kam, war sie erleichtert und wütend zugleich.

„Wärst du doch nur ertrunken!“, keifte Sirrah. „Das dauert ewig, bis meine Klamotten wieder trocken sind!“

„Das war eine reine Verzweiflungstat“, beteuerte Tihal. „Und dann habe ich mich nur an deine rettenden Arme geklammert!“

Sirrah stakste durch den zähen Schlamm zum Ufer, blieb jedoch auf halbem Weg stecken. „Verdammt! Ich hasse diese Pampe!“

Tihal watete zu Sirrah und versuchte, sie aus dem Schlamm zu zerren. Ohne Erfolg. Nach wenigen Schritten versank auch er im weichen Untergrund, stolperte und landete mit einem schmatzenden Geräusch im Matsch.

Als sie ihn ansah, verflog ihre Wut. Tihal war von oben bis unten mit Schlamm bedeckt, es sah einfach zu komisch aus. Sirrah lachte, bis sie Bauchschmerzen bekam. Ein wenig fühlte sie sich wieder wie ein Kind. Eigentlich war das noch gar nicht lang her.

Irgendwie schafften sie es, auf allen vieren ans Ufer zu kriechen. Sirrah ließ sich auf einem Baumstumpf nieder und japste nach Luft.

Tihal legte zaghaft seine Hand auf ihre. „Weißt du eigentlich, wovor ich in letzter Zeit immer Angst hatte?“

Sirrah grinste. „Dass du dich in ein Schlammmonster verwandelst?“

„Quatsch. Dass du dich in einen anderen verliebst, natürlich“, gestand Tihal. „Oder dass deine Eltern versuchen, dich mit irgendeinem geschniegelten Heini zu verkuppeln!“

„Glaubst du etwa, so einer würde mir gefallen?“ Sirrah kicherte. „Aber stell dir vor, so etwas ist tatsächlich schon passiert! Letztes Jahr haben wir eine Freundin meiner Mutter besucht. Die hat einen Sohn, der ist noch langweiliger als Arneb, und das will was heißen! Während der ganzen Heimfahrt hat mir meine Mutter vorgeschwärmt, was für ein netter und wohlerzogener Junge das doch sei!“

„Und, was hast du gesagt?“

„Dass sie selbst mit ihm ausgehen soll, wenn er ihr so gut gefällt. Seitdem hat sie weitere Versuche in der Art gelassen!“

Als Sirrahs Kleider trocken waren, verschwanden die beiden Sonnen hinter den Bäumen, und der Himmel brannte in leuchtendem Orange.

„Ist das nicht romantisch?“, flüsterte Tihal. „Wir zwei allein im Sonnenuntergang!“

„Das ist so was von kitschig, dass mir gleich schlecht wird“, log Sirrah.

„Also, mir gefällt es!“, widersprach Tihal lächelnd.

Was sollte sie darauf nur erwidern? Zugeben, dass sie die Stimmung zwar mochte, ihr das gleichzeitig aber auch irgendwie peinlich war? Am besten, sie zog sich mit einer Ausrede aus der Affäre.

„Ich muss jetzt los!“, sagte Sirrah. „Mein Vater hat bestimmt schon das Abendessen fertig.“

„Sehen wir uns morgen?“ Tihal machte ein erwartungsvolles Gesicht.

„Ich weiß noch nicht. Isa kommt morgen zu Besuch. Und Arneb habe ich versprochen, dass wir abends alle zusammen die Sternschnuppen beobachten. Allerdings habe ich keine rechte Lust dazu. Mit Sicherheit wird es schrecklich peinlich werden, wenn Arneb und Isa sich anschmachten!“

„Warum kommst du nicht zu mir? Wir setzen uns mit meinem Vater auf die Veranda, und er wird wieder einige von deinen Kinderstreichen zum Besten geben. Das wird sicher lustig!“

„Mal sehen!“ Sirrah sammelte Teller und Becher zusammen und verstaute alles in ihrer Tasche. „Bis dann!“

„Bekomme ich kein Abschiedsküsschen?“, fragte Tihal.

„Ein gut erzogener Junge fragt so was nicht!“

„Ich bin nicht gut erzogen!“

„Das nächste Mal!“, versprach Sirrah und machte sich auf den Heimweg.

Als sie zu Hause ankam, deckte Arneb gerade den Tisch. „Wo kommst du denn her?“

Menkar eilte aus der Küche und starrte sie erschrocken an. „Du liebe Zeit, wie siehst du bloß aus!“

„Bin in den Teich gefallen“, murmelte Sirrah. Das passte ja wieder wunderbar. Die halbe Familie war versammelt und glotzte sie an wie eine Sensation auf dem Jahrmarkt.

„Mitsamt den Kleidern?“ Menkar runzelte die Stirn. „Und was war mit Tihal?“

„Irgendwie sind wir beide reingefallen. Wir versuchten, uns gegenseitig herauszuziehen. Aber du weißt ja, wie schlammig das Ufer ist!“

„Zieh bloß das schmutzige Zeug aus, bevor hier alles dreckig wird!“

Sirrah spurtete die Wendeltreppe hinauf und verschwand im Bad. Sie stopfte ihre Kleider in den Wäscheschacht und drehte das warme Wasser auf. Nichts brauchte sie jetzt nötiger als eine lange, entspannende Dusche.


Sirrah

Подняться наверх