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5. Sternschnuppen

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Sirrah erwachte von den üblichen Geräuschen im Haus: Geschirrgeklapper und Stimmen, die sich etwas zuriefen.

Seufzend schwang sie ihre Beine über den Bettrand. Irgendetwas war doch heute los. Natürlich, Isa kam zu Besuch. Und am Abend würde es Sternschnuppen regnen!

„Guten Morgen, Arneb!“ Sirrah setzte sich an den Frühstückstisch und nahm sich ein Stück Früchtebrot. „Würde es dir etwas ausmachen, Isa von der Haltestelle abzuholen?“

„Wenn du möchtest.“ Arneb warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. Die Sache musste einen Haken haben.

„Wenn du keine Zeit hast, gehe ich selbst!“

„Kein Problem, ich bin fast fertig!“ Flink wie ein Pfeifhase verschwand Arneb in der Küche.

Menkar unterdrückte ein Grinsen.

„Ist Mutter schon wieder unterwegs?“, fragte Sirrah ihren Vater.

„Sie wollte zur Landwirtschaftsvereinigung, wegen der Helfer für die Obsternte. Vielleicht hast du Glück und sie schicken uns ein paar hübsche junge Männer!“

„Könnt ihr nicht endlich damit aufhören, mich zu verkuppeln?“

„Ich vergaß, dein Herz ist ja schon vergeben!“

„Da ist gar nichts vergeben. Ich möchte zur Raumflotte, oder hast du das schon vergessen?“

„Ich hatte gehofft, das legt sich wieder!“

Sirrah seufzte. Ihr Vater konnte sich vermutlich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sehr sie sich nach einem anderen Leben sehnte. Sie kam sich vor wie der Vogel ihrer Großmutter. Er lebte zwar in einer riesigen Voliere, in der sogar Platz zum Fliegen war. Trotzdem kam er nie hinaus.

„Ihr habt doch alle keine Ahnung“, sagte sie trotzig. „Ich könnte dort eine glanzvolle Karriere machen!“

„Meinst du nicht, das könnte ein wenig einsam werden?“, fragte Menkar. „Und Tihal wäre bestimmt auch nicht begeistert, wenn du von hier weggehst.“

„Was versteht der schon davon“, brummte Sirrah.

Die Haustür fiel rumpelnd ins Schloss. Arneb und Isa betraten kichernd das Wohnzimmer. Zweifellos war Isa die Einzige, die Arnebs Scherze witzig fand.

„Hallo Sirrah!“, rief Isa. „Na, wie geht’s dir?“

„Mir graust es jetzt schon vor der Büffelei!“ Sirrah zog die Nase kraus. „Möchtest du vorher noch eine Tasse Tee?“

Isa schüttelte den Kopf. „Bringen wir es so schnell wie möglich hinter uns!“

Sirrah schaltete ihren Bildschirm an. „Womit fangen wir an, Mathe oder Physik?“

Isa verzog das Gesicht. „Das ist wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera!“ Schließlich entschied sie sich für Physik. Die Differentialgleichungen zur Berechnung von Fallgeschwindigkeiten waren etwas, das Isa sich partout nicht merken konnte.

Am Nachmittag konnte Isa mit ihrem Wissen glänzen. Angestrengt versuchte Sirrah, Isas Vortrag über die berühmten Anführerinnen vergangener Tage zu folgen. Wie konnte sich Isa diesen ganzen Quatsch nur merken?

Nur mühsam unterdrückte Sirrah ein Gähnen. „Sag mal, was weißt du eigentlich über die Bewohner von Nardo?“

Isa sah ihre Freundin irritiert an. „Hörst du mir überhaupt zu?“

„Schon, das ist mir nur gerade so eingefallen!“

„Besonders viel geben die Datenbanken dazu nicht her. Wie du hoffentlich selbst weißt, stammen sie von denselben Vorfahren ab wie wir. Allerdings sind sie im Gegensatz zu uns fürchterliche Barbaren. Stell dir nur vor, sie züchten Tiere, um sie zu essen! Außerdem sind sie nicht gerade friedlich. Vor einem halben Jahrhundert haben sie wegen einiger Grenzstreitigkeiten beinahe einen Krieg mit uns angefangen!“

„Wenn sie es schaffen, Raumschiffe zu bauen, können sie nicht völlig unzivilisiert sein“, schlussfolgerte Sirrah.

„Seit wann interessierst du dich eigentlich so für unseren Nachbarplaneten? Glaubst du etwa diese Gerüchte über Tihal?“

„Keine Ahnung.“ Sirrah zuckte ratlos mit den Schultern. „Übrigens hat er mich gefragt, ob ich heute Abend mit ihm zusammen die Meteoriten beobachten möchte.“

„Und, gehst du?“

„Ich weiß auch nicht. Irgendwie geht mir das alles zu schnell!“

„Du solltest endlich herausfinden, was du für ihn empfindest!“

„Wäre es sehr unhöflich von mir, dich abends mit Arneb allein zu lassen?“

Isa kicherte. „Ich werde mich schon nicht langweilen!“

Die Mädchen beschlossen, mit dem Lernen aufzuhören. Draußen dämmerte es bereits, und Isas Magen knurrte.

„Sehen wir nach, wie weit das Abendessen ist“, schlug Sirrah vor. „Arneb hat bestimmt was Leckeres für dich gezaubert!“

Sirrah lag mit ihrer Vermutung richtig. Ihr Bruder hatte bereits den Tisch gedeckt, und aus der Küche drang ein verführerischer Duft.

Nach dem Hauptgang setzten sich alle auf die Terrasse, wo Arneb den Nachtisch servierte. Er brachte ein großes Tablett voller Törtchen, die er liebevoll mit Früchten und Streuseln garniert hatte.

„Isa, du kannst gerne öfter zu uns kommen“, sagte Menkar lächelnd. „Sonst ist Arneb nämlich nicht so fleißig. Da muss man ihm in den Hintern treten, damit er wenigstens einen einfachen Rührkuchen macht!“

Arneb überhörte die Bemerkung seines Vaters. Er setzte sich neben Isa auf eine Gartenbank und warf ihr verliebte Blicke zu, während sie seine Backkünste lobte.

„Die sind wirklich nicht übel!“, sagte Sirrah nach dem dritten Törtchen. „Falls ihr beide einmal heiraten solltet, wird Isa auseinandergehen wie Brotteig!“

„Das glaube ich kaum. Sie ist nämlich nicht so verfressen wie du!“, stichelte Arneb.

„Du solltest endlich lernen, die Klappe zu halten. Sonst wirst du nie ein perfekter Ehemann, und Isa lässt dich sitzen!“

„Könnt ihr euch nicht einmal vertragen?“, stöhnte Isa.

Sirrah grinste. „Du möchtest doch gerne zu dieser nervtötenden Familie gehören. Also gewöhne dich lieber gleich dran!“

Inzwischen war es dunkel geworden. Sirrah stand auf und begann, im Dielenschrank zwischen Schuhen und Putzmitteln herumzuwühlen. Eine Metalldose fiel scheppernd zu Boden. Sirrah fluchte leise. „Wo habt ihr nur wieder die Taschenlampe hingeräumt?“

„Die muss irgendwo im Schrank sein!“, rief Menkar aus dem Garten. „Wozu brauchst du sie?“

„Tihal hat mich eingeladen.“

„Ausgerechnet heute, wo deine Freundin zu Besuch ist?“

Sirrah war endlich fündig geworden und probierte die Lampe aus. „Arneb ist ja da. Isa fühlt sich also bestimmt nicht einsam!“

„Aber du anscheinend“, bemerkte Arneb grinsend.

„Das geht dich gar nichts an!“ Sirrah verdrehte die Augen. „Außerdem ist es nur ein Besuch aus reiner Höflichkeit!“

„Ich wünsche dir trotzdem einen schönen Abend!“, sagte Menkar lächelnd.

Sirrah knipste seufzend die Lampe an und machte sich auf den Weg. Warum musste diese Familie sich nur ständig in alles einmischen? Hin und wieder wäre es wirklich praktisch, Einzelkind und Halbwaise zugleich zu sein.

Mit flotten Schritten marschierte Sirrah über das abgeerntete Feld. Bald tauchten im Schein ihrer Lampe die ersten Obstbäume auf, und fünf Minuten später hatte sie Mizars Haus erreicht.

„Schön, dass du uns besuchen kommst!“, sagte Mizar. „Möchtest du eine Tasse Tee?“

Sirrah stieg die wenigen Stufen zur Veranda hinauf. „Ja, gern!“

Mizar verschwand im Haus, und Sirrah setzte sich neben Tihal auf Mizars selbst gezimmerte Holzbank.

Tihal grinste über das ganze Gesicht. „Ich wusste, dass du mir nicht widerstehen kannst!“

„Bilde dir bloß nichts ein!“ Sirrah verspürte den Wunsch, ihm wie eine Vierjährige die Zunge herauszustrecken. „Ich komme nur, weil ich nicht dabei zusehen möchte, wie Arneb und Isa sich anhimmeln!“

„Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich ein bisschen anhimmle!“

Mizar brachte Sirrah eine Tasse Gewürztee. „Ihr zankt euch doch hoffentlich nicht schon wieder!“

„Wir doch nicht!“

„Dann bin ich ja zufrieden“, sagte Mizar. „Was habe ich mit euch beiden nicht schon alles erlebt!“

„Weißt du noch, als sie mir die Farbe in die Haare gesprüht hat?“, erinnerte sich Tihal. „Es hat Wochen gedauert, bis die wieder rausging!“

„Ich finde, dass dir das Grün sehr gut gestanden hat“, bemerkte Sirrah schmunzelnd.

„Seht“, rief Mizar. „Die erste Sternschnuppe!“

Sirrah und Tihal blickten zum Himmel. Die Ankunft der Meteoritenschauer war jedes Jahr ein besonderes Ereignis. Hunderte davon verglühten in der Atmosphäre, und jeder hoffte, möglichst viele dieser Sternschnuppen zu sehen.

„Ich habe auch eine gesehen!“, rief Tihal.

„Dann hast du einen Wunsch frei! Allerdings darfst du nicht sagen, was es ist. Sonst geht er nicht in Erfüllung.“

Tihal sah Sirrah in die Augen. „Du weißt, was ich mir wünsche!“

„Ich bin mir nicht sicher, ob es dann auch funktioniert“, murmelte Sirrah verlegen.

„Da, noch eine!“, rief sie.

„Hast du dir auch etwas gewünscht?“, fragte Mizar.

Sirrah nickte.

„Ich hoffe, dass dein Wunsch in Erfüllung geht“, sagte Mizar. „Ich nehme an, ihr seid mir nicht böse, wenn ich mich schlafen lege. Ich habe morgen viel Arbeit!“

Sirrah und Tihal wünschten ihm eine gute Nacht. Eine Weile hörten sie ihn noch im Haus rumoren, dann löschte er das Licht. Die beiden saßen allein im Dunkel auf der Veranda und zählten Sternschnuppen, die wie ein glühender Funkenregen vom Nachthimmel fielen. Nach einiger Zeit rutschte Sirrah unruhig auf der Bank herum und griff nach ihrer Lampe.

„Du willst doch wohl nicht schon gehen?“, fragte Tihal.

„Ich muss ja noch nach Hause laufen!“

Tihal sah sie mit einem erwartungsvollen Blick an. „Bitte, bleib noch ein wenig hier!“ Sanft berührten seine Fingerspitzen ihre Wange.

“Was machst du denn da?“, flüsterte Sirrah.

„Ich weiß nicht. Eigentlich warte ich darauf, dass du endlich etwas machst. Aber ich fürchte, vorher werde ich alt und grau!“

Unsicher strich Sirrah über Tihals Haar. Der wirre Schopf fühlte sich unerwartet weich an, wie die Blätter des Seidenfarnes. Sirrah schloss die Augen. Irgendwie trafen ihre Lippen auf seine. Sie war sich nicht sicher, wer hier nun eigentlich wen geküsst hatte, aber letztendlich war es ihr auch egal. Alles, was sonst ständig in ihrem Kopf herumspukte, war plötzlich weit weg. Die wenigen noch arbeitenden Gehirnzellen ließen sie vermuten, dass Küssen womöglich eine Art Blutleere im Kopf verursachte, die einem auf wundervolle Weise den Verstand raubte.

Langsam öffnete Sirrah ihre Augen und blickte in die von Tihal. Im fahlen Sternenlicht erschienen sie ihr noch dunkler als sonst. Sie erinnerten Sirrah an jene geheimnisvollen schwarzen Löcher, die im Zentrum beinahe jeder Galaxie zu finden waren und um die alle Sterne kreisten, bis sie irgendwann hineingezogen und unwiderruflich verloren waren. Für einen Moment wünschte sie sich, an einem Ort wie in diesen Schwerkraftfallen zu sein. Denn dort, wo Raum und Zeit aufhörten zu existieren und Sekunden zur Unendlichkeit wurden, würde dieser rauschhafte Zustand ewig andauern.

Sirrah hatte es geahnt. Ihr klopfendes Herz und ihr rasender Puls brachten ihr das Bewusstsein viel zu schnell zurück. Zu den auf sie einstürmenden Gedanken gesellte sich auch die leidige Frage, was in aller Welt sie jetzt nur sagen sollte. Vermutlich war das der Grund, warum sich Verliebte so oft küssten. Man musste nichts sagen und konnte damit doch all das ausdrücken, wofür man keine Worte fand.

„Kaum zu glauben, wie schnell das mit dem Wunsch funktioniert hat!“ Tihal lächelte Sirrah überglücklich an. Er sah aus wie ein Kind, das nach langer Zeit vergeblichen Wartens endlich das ersehnte Geschenk bekommen hat.

„Ich darf doch, oder?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, legte den Arm um sie und lehnte mit einem zufriedenen Seufzer seinen Kopf an ihren.

Verliebtsein ist ein schönes Gefühl, dachte Sirrah. Es fühlte sich wegen ihrer glühenden Wangen und dem Herzrasen zwar beinahe wie eine Krankheit an, nur dass sie von dieser Krankheit möglichst niemals geheilt werden wollte. Sie spürte seinen Arm an ihrer Taille und genoss das feurige Schauspiel der Meteoriten, die noch immer in der Atmosphäre verglühten.

„Ich hoffe, dein Wunsch geht auch in Erfüllung“, flüsterte Tihal.

Etwas in Sirrah verkrampfte sich. Tihal hatte von ihren Plänen keine Ahnung. Wie würde er reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie möglicherweise bald von hier wegging? In ihrer Vorstellung sah sie bereits sein unglückliches Gesicht. Ein wenig fühlte sie sich wie eine Verräterin.

„Wie spät ist es eigentlich?“, fragte Sirrah.

„Keine Ahnung“, murmelte Tihal. „Wen interessiert das schon?“

„Irgendwann muss ich nach Hause gehen!“

„Aber jetzt doch noch nicht!“

„Die anderen werden bestimmt schon auf mich warten. Glaub mir, es macht keinen guten Eindruck, wenn ich noch allzu lange hier bleibe. Ich kann mir die blöden Sprüche schon lebhaft vorstellen!“

„Dann bleib hier und warte, bis alle schlafen. Oder geh erst nach dem Frühstück nach Hause. Ich würde sogar ausnahmsweise mein Bett mit dir teilen und versprechen, dass ich nicht schnarche!“

„Du bist unmöglich!“

Tihal grinste. „Was machst du morgen, hast du Zeit?“

„Ich denke schon, wenn Isa wieder nach Hause gefahren ist. Und was ist mit dir, hast du gar nichts zu tun?“

„Die Obsternte beginnt ja erst in paar Tagen. Und für dich habe ich immer Zeit!“

Sirrah wand sich aus Tihals Arm. „Ich muss jetzt wirklich los!“

Er fasste sie an der Hand. „Ich begleite dich noch ein Stück!“

Sie machten sich auf den Weg und überlegten lachend, was Isa und Arneb wohl den ganzen Abend gemacht hatten.

Vor dem Garten blieb Sirrah stehen. „Gute Nacht“, flüsterte sie. Sie wandte sich um, doch Tihal hielt ihre Hand fest.

„Was ist denn?“

Er fasste auch nach ihrer anderen Hand. „Du willst mich doch nicht schon wieder ohne Abschiedskuss stehen lassen?“

Sirrah lächelte. „Du hast doch heute schon einen Kuss bekommen. Hat dir das nicht gereicht?“

Tihal zog Sirrah näher zu sich heran. „Nein, hat es nicht!“

Grinsend drückte ihm Sirrah einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.

„War das etwa schon alles?“, fragte Tihal enttäuscht.

„Dann hast du etwas, worauf du dich freuen kannst“, neckte ihn Sirrah. „Bis morgen, und träum was Schönes!“

„Ich werde kein Auge zu bekommen!“ Nur widerstrebend ließ er ihre Hand los. „Also dann, bis morgen!“

Kurz darauf hatte ihn die Dunkelheit verschluckt.


Sirrah

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