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verschiedene welten

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Vater an diesem Abend nicht zu Hause gewesen wäre. Vielleicht sässe ich jetzt in meinem Zimmer, einen Controller in der Hand, und würde mit einem Gegner um die Wette rasen, statt im Zürichsee zu versinken.

Aber Vater war zu Hause.

Und mir geht die Luft aus. Der Druck in meinen Lungen nimmt langsam zu. Fast begrüsse ich den Schmerz, wenigstens lenkt er mich von der Wut ab, die ein fester Teil von mir geworden ist.

Was kann ich dafür, dass ich in Kosova zur Welt gekommen bin? Habe ich etwa darum gebeten? Nicht, dass ich etwas gegen meine Heimat hätte. Meine Ferien verbringe ich gerne in Lebushe, wo die meisten meiner Onkel wohnen. Ich habe 58 Cousins und Cousinen in der Gegend, überall bin ich willkommen. In den Sommermonaten sitzen wir zusammen – nicht alle auf einmal natürlich – und tauschen Neuigkeiten aus, spielen Fussball, essen und trinken bis spät abends. Prizren und Peja sind ganz nah, manchmal setzen wir uns auch dort in ein Café. Es ist viel lockerer als in der Schweiz, und es wird viel gelacht, jedenfalls in den Ferien.

Aber es ist auch anders. Wenn ich dort bin, kommt mir das ganz natürlich vor. Du siehst zum Beispiel nie ein Mädchen, das alleine unterwegs ist. Und auch keines mit bauchfreiem T-Shirt, zumindest nicht auf dem Land, wo ich herkomme. Die meisten meiner Cousins teilen sich ein Zimmer, niemand hat einen Raum für sich alleine. Was immer man tut, irgendjemand sieht einen dabei. Für mich ist das ganz okay – wenn ich in Kosova bin.

Das Problem ist, dass Vater keinen Unterschied macht. Auch in der Schweiz behandelt er uns, als wären wir in Kosova. Ich habe zwar mein eigenes Zimmer, aber mein Lehrlingslohn geht auf Vaters Konto. Chris darf seinen behalten, dafür zahlt er einen Beitrag an die Wohnungsmiete. Wenn ich etwas brauche, muss ich Vater fragen, und er entscheidet, ob es nötig ist. Das wiederum hängt von meinen Noten ab. Sind sie gut, so liegt ein Hunderter für ein neues Fifa-Spiel drin. Sind sie schlecht, so kassiere ich von Vater einen strengen Blick statt Geld. Es ist ganz schön mühsam, nicht selbst entscheiden zu dürfen.

Einmal fragte mich Chris, warum ich immer gehorche. Die Erklärung dafür in Worte zu fassen, ist nicht leicht. Vater hat mich noch nie richtig geschlagen, ab und zu habe ich zwar eine Ohrfeige kassiert, aber das war’s dann schon. Das Problem liegt ganz woanders: Wenn ich Vater nicht gehorche, weiss es die ganze Familie. Es ist, als würde man mit einem rosaroten BMW herumkurven. Oder Ballett am Hauptbahnhof tanzen. Es fällt einfach auf. Plötzlich wäre ich der Aussenseiter. Ausserdem würde Vater sein Gesicht verlieren, weil er seinen Sohn nicht im Griff hat. Das würde dem Ruf unserer Familie schaden.

Kurz: Baue ich Mist, so trifft es alle.

Bis jetzt hatten Vater und ich die gleiche Vorstellung von Mist. Ich war nicht stolz auf meinen Ausrutscher mit dem Taxi. In Handschellen abgeführt zu werden, fuhr mir ganz schön ein, auch wenn einige Kollegen das cool finden.

Aber dass Nicole auch in die Kategorie «Mist bauen» fiel, war mir nicht klar. Nun ja, irgendwie schon. Sonst hätte ich mir nicht solche Mühe gegeben, meine Gefühle für sie zu verbergen. Richtig bewusst wurde es mir aber erst, als Vater handelte.

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