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Vorwort

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Meine Tochter Antonia ist heute bei mir zu Besuch. Ich mache uns Kaffee und sehe von der Küche aus, wie unruhig sie auf dem Stuhl hin und her rutscht, mit großen, wunderschönen Augen, die neugierig und unruhig auf die Dinge warten, die da kommen.

„Mama, erzähl’ mir alles von früher. Ich möchte jetzt endlich wissen, was damals los war!“ „Bleib ruhig, wir haben uns lange nicht gesehen, ich weiß nicht …“ Ich höre auf zu reden. Bin ich etwa misstrauisch?

Ich kenne meine Tochter eigentlich gar nicht mehr. Wir haben uns geschlagene zehn Jahre nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht wie sie denkt und was sie fühlt. Ich weiß nicht, wer ihr erster Freund war, ob sie Liebeskummer hatte, wie sie alles verkraftet hat. Was darf ich ihr jetzt nach all den langen und sehr schmerzvollen Jahren erzählen? Was darf ich ihr erzählen? Ich weiß ja nicht einmal, ob ich mich freue, dass sie auf einmal hier ist. Einhunderttausend Mal habe ich mir gewünscht, sie möge doch aus eigenem Antrieb, weil sie mich vermisst, zu mir kommen. Doch zehn Jahre sind eine lange Zeit und in dieser Zeit habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es nur wenige Menschen gibt, die einen als Mensch und Person vermissen und sich Gedanken um einen machen, auch wenn man sich nicht immer meldet.

Es ist erschreckend, wie ähnlich sie mir doch sieht. Es ist, als würde ich in einen Spiegel von früher sehen und mich noch einmal betrachten und dann die bittere Wahrheit. Damals war ich so voller Tatendrang. Ich wollte so viel bewegen und jetzt

habe ich nichts geschaffen von all dem, was ich damals wollte. Nur meinen Prinzipien bin ich treu geblieben, auch denen von damals.

Man taucht wieder in eine alte Zeit, die endlos lange her ist – Jahrzehnte – und die ganzen Emotionen kommen wieder, die ganze Gefühlswelt zwischen Liebe und Hass. Es werden sicher Tränen rollen. Inwieweit habe ich jetzt noch das Recht, mein Kind zu belasten. Aber ich habe das Recht, mich zu entlasten, denn eine Schuld liegt schwer auf meinem Herzen, wie eine Last, die mich seit Jahren erdrückt. Aber es hat auch ihre Entwicklung beeinflusst und in erster Linie die eines zerrissenen Kindes, was nicht verdient hat, dass man ihr die Mutter nahm.




Die eine Hälfte Leben

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