Читать книгу Die eine Hälfte Leben - Petra Lehnert - Страница 8

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Kapitel 4

Ich gehe mit meinem blauen Auge arbeiten und man fragt mich. Das allererste Mal in meinem Leben sage ich voller Scham, dass mein Mann mich geschlagen hat.

Was ist das? Man bietet mir Hilfe an. Eben wusste ich noch nicht wohin und jetzt kann ich es mir aussuchen. Mein Boss bietet mir ein Hotelzimmer an. Es würde passen. Nick hätte es nicht so weit zur Schule, bis ich was gefunden habe.

Jetzt muss ich erst einmal zurück in mein Gefängnis, zu meinen Rentnerschwiegereltern. Ich hoffe, keiner kann mich stoppen. Ich packe ein paar Sachen, die in zwei große Koffer passen. „Wo willst du hin?“ „Weg! Lass’ mich durch!“ Ich bin am Auto. Die Koffer passen alle rein. Zuerst muss ich Nick abholen und dann Antonia. Es klappt alles. Beide Kinder sind im Auto und es herrscht eisige Stille. Bin ich eine schlechte Mutter?

Es ist Dezember, kurz vor Weihnachten und damit der denkbar schlechteste Termin, um ein neues Leben zu beginnen. Fünf Tage lebe ich nun schon in dem Hotel, in dem ich ja auch arbeite. Ich habe köstlich zu Abend gespeist. Wirklich. Noch nie in meinem Leben habe ich so gut gegessen, aber ich weiß, dass das hier keine Endlösung ist. Mein Mann war schon zweimal hier und hat mehrfach angerufen, doch alle haben gesagt, dass ich nicht zu sprechen sei. Ich war auch beim Arzt und man hat eine alte Kiefernfraktur festgestellt, die damals nicht behandelt wurde. Ich kann mich an diese Auseinandersetzung auch sehr gut erinnern. Das war auch in der Zeit, als er eigentlich schon ein Verhältnis hatte oder kurz vor einem anderen Verhältnis stand. Er weiß dann nicht, wo er hingehört oder was er machen soll. Er steht ja im Grunde immer zwischen seiner Mutter und anderen, ob ich das bin oder eine andere Frau. Mein Auge ist immer noch blau. Nein, es wird langsam lila, grün und braun-gelb. Komisch, dass da keine Schminke hilft. Man bekommt es einfach nicht weg. Als damals mein Unterkiefer gebrochen war, hatte ich auch wahnsinnige Schmerzen und konnte kaum sprechen oder essen. Aber man hat es äußerlich nicht gesehen und so konnte keiner fragen, was ich denn gemacht hätte.

Meine Kinder haben Spaß, vor allem Toni sieht alles locker. Sie ist der Mittelpunkt des Hotels und ich muss sie bremsen, dass sie mit ihren fünf Jahren nicht noch die ganz gut betuchten Gäste bedient. Sie ist ein so fröhliches und unbefangenes Wesen. Sie sagt, was sie denkt und lächelt wie ein Engel. Jedenfalls lächelt sie für die anderen immer. Wenn es mal nicht nach ihrem Willen geht, kann das Kind auch schon ganz schön laut werden und mit einem Augenaufschlag die Tränen spritzen lassen. Mein Sohn ist da immer einfacher gewesen. Dem flossen nur die dicken Kullertränen bei Matheaufgaben, die er nicht verstand. Sie tropften dann auf sein Heft und die ganze Aufgabe zerschwamm im Tränenmeer. Aber er war nie so theatralisch. Vielleicht sind das ja schon die ersten Anfänge zwischen den großen Unterschieden bei Mann und Frau und Mars und Venus. Ich grübele nun schon tagelang, wie es weitergehen soll. Es ist so peinlich. Von meiner Familie, meine Eltern und auch mein

Bruder Frank, ahnt niemand etwas. Meine ganze Abfindung und etliche Jahre Baustress habe ich in das misslungene Experiment gesteckt, in weiser Voraussicht, dass das nicht gut geht. Man hat versucht, an die Liebe und das Glück zu glauben und alles noch einmal aufleben zu lassen. Aber was kaputt ist, ist nicht so schnell wieder zu retten, schon gar nicht, wenn es um Gefühle geht. Die Vernunft sagt: „Geh’ zurück! Die Zähne zusammenbeißen. Er wird schon zu dir stehen. Er war ja auch schon ein paar Mal hier und wollte dich zurückholen.“ Mein Gefühl sträubt sich gegen diesen Gedanken, weil ich weiß, dass ich dort nicht glücklich sein werde. Was macht man, wenn beide Partner nicht das Glück des anderen wollen? Einer geht meist Kompromisse ein und bleibt auf der Strecke. Ich dachte immer, dass ich ein starker Mensch sei, dabei komme ich mir so jammervoll vor. Die Abstände, in denen man vor Scherbenhaufen steht, werden leider immer kürzer und die fröhlichen, geschweige denn zufriedenen Momente immer rarer.

Er ist da, um mit mir zu reden. Ich kann mich jetzt nicht verleugnen lassen. Das Kind hat er bereits auf dem Arm. Vor ein paar Tagen wollte er sie mir noch wegnehmen. Warum eigentlich? Ich habe das nicht verstanden und jetzt, wo ich die beiden so sehe, bin ich sehr froh. Es tut mir leid. Toni liebt ihren Papa, wie alle Kinder ihre Eltern lieben, und doch ist dieser Mann irgendwie … Er steht mit Tränen in den Augen vor mir. „Es sieht ernst aus. Es tut mir leid und es kommt nie mehr vor, nie mehr“, sagt er. Wie oft habe ich das schon gehört und all meine Gespräche wurden abgetan. Selbst meine Schwiegermutter ist der Meinung, dass das schon mal „vorkommen kann“. „Mama, gehen wir wieder nach Hause, bitte, bitte, bitte, Mami!!“

Fast fordernd bettelt das Kind um ein Zuhause. Was soll ich machen? Das hier ist auch keine Endlösung. Also packen wir und gehen nach Hause.

Wir kommen mit unserem ganzen Gepäck nach oben in unseren noch nicht ganz, aber fast fertigen Dachausbau. Und was sehen meine, noch nicht normal aussehenden Augen? Das kann nicht wahr sein. Am liebsten würde ich auf der Stelle umdrehen. Es ist zu spät! Die Kinder sind schon mit ihren Sachen in den Zimmern verschwunden. Was denkt sich dieser Mensch, wer ich bin und wo ich bin? Da sitzt doch tatsächlich Besuch auf dem Sofa. Wir haben uns noch nicht einmal ausgesprochen und wir haben schon Leute da. Das hat er sich schön gedacht, so braucht er nicht mit mir zu reden. Ich bin fassungslos. Bin nur ich diejenige, die so denkt? Habe ich einen Denkfehler? Meine Ex-Kollegin Martina und ihr Mann Alexander nebst Tochter Jasmin sitzen dort. „Wir wollten Video gucken“, sagt Martina ganz fröhlich und Alexander sieht mich nur bemitleidenswert an. Er bekommt den Mund nicht auf. Was denken die sich eigentlich? Sie sitzen hier und nehmen an, dass ich mir jetzt so ein gottverdammt blödes „Hot-Shots-Video“ ansehe. Ich nehme mir vor, ganz ruhig zu bleiben. Dann gehe ich zu den Kindern, packe die Sachen aus und höre das Gelächter aus dem Wohnzimmer über den doch so coolen Film. Mir geht es innerlich nicht gut. In ein paar Tagen ist Weihnachten und ein neues Jahr beginnt. Die Vorbereitungen auf das Fest und die Silvesterparty, die anlässlich unseres neuen Heimes bei uns stattfinden, laufen auf vollen Touren und lassen mich für Momente den Alltag und meine Gefühle vergessen.

Die Weihnachtsfeiertage gehen schnell vorbei. Sie waren hauptsächlich geprägt vom guten Essen. Wir hatten auch Schnee und man kann einen schönen Weihnachtsspaziergang machen, zu dem aber Martin wieder keine Lust hat. So gehe ich alleine mit den Kindern durch die weiße Pracht. Es macht allen Spaß, nur schmerzlich ist, wenn man andere Hand in Hand gehen sieht, gemeinsam mit den Kindern … Im Moment habe ich keine Alternative und nehme mir ein letztes Mal vor, alle Kraft zu sammeln und zu versuchen, dass aus unserer Familie doch noch einmal etwas wird. Ich wünsche mir ein „Gutes Neues“ und ich meine wirklich neues Jahr. Möge mein Mann die gleichen Vorsätze haben und sich wünschen, dass alles wieder funktioniert. Aber er scheint im Moment sowieso glücklich zu sein. Jetzt wird er bei Mama sitzen, Glühwein trinken und es wird über dies und das geredet, bloß nicht über Dinge, die belasten, die einen selbst belasten, über die anderen schlechten Menschen da draußen. Da wird ordentlich gelästert und wenn es dabei um die eigene Familie geht. Ich versuche, den klaren Wintertag zu genießen und gehe mit meinen Kindern spazieren.


Silvesterparty

Ich habe alles super vorbereitet, auch ein tolles Buffet. Ich bin stolz auf mich. Es wird allen bestimmt schmecken, da bin ich mir ganz sicher. So, nun können sie kommen, unsere Gäste. Ach, da höre ich schon meine Schwägerin Gitti, meinen Schwager Bruno, meine Schwiegereltern und Martina mit Familie kommen, die ja bei uns übernachten. Ich wünsche allen ein herzliches Willkommen. Alle sind guter Laune. Toni schnappt sich gleich Jasmin und verschwindet mit ihr ins Zimmer. Nick ist jetzt zwölf Jahre alt und wird bald dreizehn. Man merkt gar nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Er freut sich nur auf das Feuerwerk. Das ist ja typisch für das Alter. Sie sind cool, keine Babys mehr, aber dennoch nicht erwachsen. Die Stimmung ist gut. Allen schmeckt es. Wir haben die Musik aufgedreht und es wird getanzt. Das heißt im Moment nur mein Mann mit Martina. Alexander guckt schon so komisch. Stimmt da doch etwas nicht? Ich habe so ein komisches Gefühl, denn den ganzen Abend, seitdem alle da sind, ist mein Mann so komisch, so anders. Er beachtet mich gar nicht, so als wäre ich Luft. Komisch, ich dachte, wir wollen neu anfangen und welcher Tag ist da am besten geeignet, wenn nicht der letzte Tag im Jahr, um den ganzen Dreck hinter sich zu lassen und neu zu beginnen?! Vielleicht sehe ich auch schon Gespenster.

Viele Gespräche, gute und weniger gute. Die Zeit vergeht wie im Flug und mit ihr das Jahr 1994. Das war wieder einmal ein Jahr der Hoffnung für mich. Silvester hat mir immer etwas Kummer bereitet, genau wie das Silvester 1986/87. Damals war mein Mann beim Bund und er war Weihnachten beurlaubt.

Wir haben uns gestritten und ich weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich ging. Fakt ist, dass er damals freiwillig einen Tag eher weggegangen war. An Silvester, also am 01.01., hat er mir ein gesundes, neues Jahr gewünscht und mir eröffnet, dass er nicht in die Kaserne gefahren ist, sondern durch Zufall meine Vorgängerin getroffen und bei ihr übernachtet hat. Oh, das hat wehgetan. Jetzt ist das schon acht Jahre her.

Wir gehen alle nach draußen und stoßen mit Sekt an, wünschen uns ein gesundes, neues Jahr. Wo ist eigentlich mein Mann? Er hat mir als einziger kein neues Jahr gewünscht. Langsam werde ich etwas wütend. Meine Laune fängt an, sich zu verschlechtern. Nick kommt und meint, dass Papa mit Martina an der Straße stehen würde, um Raketen steigen zu lassen.

Nach zwei Stunden kommen beide wieder zu unserer Feier. Er hat mir immer noch kein gesundes, neues Jahr gewünscht. Scheinbar hat er es vergessen. Vergessen, weil eine andere Frau in seinem Leben eine Rolle spielt, eine Frau, die meine Kollegin war, die auch verheiratet ist und eine Tochter hat.























Die eine Hälfte Leben

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