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Vorwort

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Das Haus befand sich schon seit Generationen in Familienbesitz. Es war ein schmuckes Stadthaus in Lindenburg, Hausnummer 4 in der Webergasse, einer Nebenstraße des historischen Stadtplatzes. Das ›Poltz-Haus‹, wie es nach seinem Erbauer genannt wurde, war ein hohes, schmales Haus inmitten einer Zeile anderer hoher, schmaler Häuser. Über dem Erdgeschoss der Hausnummer 4, in dem ein Stoffladen nebst Schneiderwerkstatt untergebracht war, ragten drei Etagen empor, und in jeder dieser drei Etagen befand sich eine geräumige Vier-Zimmer-Wohnung.

Die Vorfahren der jetzigen Bewohner waren eine Dynastie von Tuchhändlern und Schneidern gewesen, die es schon in der Kaiserzeit zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatten. Doch mit dem Ersten Weltkrieg begann der unausweichliche Abstieg. Es standen schwere Zeiten bevor. Während der großen Inflation 1923 gingen die Geschäfte in den Keller. Das gute Geld war nichts mehr wert, die schönen Stoffe wurden nicht mehr gekauft, niemand ließ sich mehr ein schickes Kleid oder einen eleganten Anzug schneidern. Als 1924 die Reichsmark eingeführt wurde, und die sogenannten Goldenen Zwanziger Jahre begannen, erholte sich die Wirtschaft und es kehrte auch im ›Poltz-Haus‹ wieder Normalität ein. Der Handel florierte. Allerdings nur bis 1929, als die Weltwirtschaftskrise die Menschen abermals in die Knie zwang. Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit sorgten erneut für eine schwindende Kaufkraft. Anfang der Dreißigerjahre beherrschten wirtschaftliche Not und politische Unruhen den Alltag. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten schien es dann endlich aufs Neue aufwärts zu gehen. Doch der vermeintliche Aufschwung fand ein jähes Ende, als der große Krieg begann.

Die beiden Söhne der Familie Poltz mussten an die Front. Aus Angst vor Bombardierung verbarrikadierten die Eltern das Geschäft und flüchteten zu Verwandten aufs Land. Um Plünderungen vorzubeugen, lagerten sie ihre kostbaren Stoffballen kurzerhand in einem geheimen Raum hinter einem Vorratsschrank im Keller.

Anfang 1945, als die Bevölkerung schon auf das Ende der Kampfhandlungen hoffte, da die ›Befreier‹ bereits weite Teile des Landes besetzt hatten, fielen zu allem Unglück noch einige Bomben auf die schöne, mittelalterliche Altstadt. Das historische Tuchhändlerhaus musste ebenfalls einen Treffer hinnehmen, die Schäden hielten sich aber, wie durch ein Wunder, in Grenzen. Durch eine furchtbare Ironie des Schicksals wurde das alte Ehepaar Poltz, das just an diesem Tag in die Stadt zurückkehrte, von einer dieser Bomben getötet. Der älteste Sohn war schon ein Jahr zuvor in Stalingrad gefallen.

Josef Poltz, der jüngere Sohn und letzte Überlebende der Familie, befand sich zu dieser Zeit nicht weit entfernt in einem Sanatorium für Kriegsversehrte. Bei einem Einsatz an der Ostfront hatte er durch eine Granate ein Bein verloren, das nun in der Heilanstalt von einer Prothese ersetzt worden war. Seine Genesung machte gute Fortschritte, daher fürchtete er, nach seiner Entlassung wieder an die Front geschickt zu werden, was in der damaligen Phase des Krieges nicht so abwegig war. So beschlossen er und einige Kameraden in die nahe gelegenen Berge zu fliehen. Dort wurden sie von einem Bergbauern bis Kriegsende versteckt und versorgt.

Nach ihrer Rückkehr in die Stadt reparierten Josef Poltz und seine Nachbarn mit großem Fleiß und einfachsten Mitteln die Schäden an ihren Häusern, so dass sie bald wieder bewohnbar waren.

Poltz war, wie schon sein Vater und Großvater, gelernter Herrenschneider. So setzte er die Tradition seiner Familie fort und eröffnete bald darauf wieder einen neuen Stoffladen mit Schneiderei. Welch großes Glück war es, dass die Stoffballen im Kellerversteck unbeschadet überlebt hatten.

Als die Wohnung im ersten Stock eingerichtet war, heiratete er 1948 seine Jugendliebe Klara und zog dort mit ihr ein.

Doch das Geschäft lief nur schleppend. Die Menschen waren arm und konnten sich keinen Schneider leisten. Sie kauften lieber billigen Stoff und nähten sich die Kleidung selbst. Noch dazu kam, dass Josef Poltz zwar ein guter Schneider, aber ein lausiger Geschäftsmann war. Klara erkannte bald die Notwendigkeit, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Sie überredete ihren Mann, Nähkurse zu geben und verkaufte neben Stoffen auch Schnittmuster, Kurzwaren und allerlei Nähutensilien, eben alles was man zum selbst schneidern brauchte. Auf Nachfrage erweiterte Klara das Sortiment als Nächstes mit Strumpfwaren und Unterwäsche.

Mit der Zeit verdienten die Männer wieder gutes Geld und die Damenwelt sehnte sich nach neuer, modischer Kleidung. Um die Wünsche ihrer Kundinnen zu erfüllen, vergrößerte Klara ihr Warenangebot mit Strickwaren und eleganter Damenkonfektion. Klara hatte ein gutes Händchen bei der Auswahl ihres Angebotes und die Umsätze stiegen kontinuierlich.

Nun investierten die Poltz‘ ihren Gewinn in die oberen Etagen des Hauses. So waren die beiden Wohnungen bald instand gesetzt, konnten gut vermietet werden und die Familie brachte es allmählich erneut zu bescheidenem Wohlstand.

1950 kam ihre einzige Tochter Anna zur Welt.

Das ehrbare Haus

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