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Kapitel 3

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Der Verdacht

Am Freitagmorgen kam Kriminalhauptkommissar Korbinian Kronfeld gut gelaunt in die Kantine des Polizeipräsidiums. Der geschiedene Endvierziger hatte sich angewöhnt, sein Frühstück im hauseigenen ›Gourmettempel‹, wie die Gäste die Kantine respektvoll nannten, zu holen. Sein Kühlschrank zu Hause füllte sich leider nicht von allein. Schnurstracks marschierte er zu dem Buffet, wo die leckeren, frisch belegten Semmeln, die von der Chefin morgens selbst zubereitet wurden, schon bereit lagen.

»Einen wunderschönen guten Morgen Sternchen«, lächelte er Kathi an, »meine übliche Leberkässemmel bitte.«

Viele ihrer Gäste nannten Kathi ›Sternchen‹. Kathis Kochkünste wurden sehr geschätzt. Irgendwann hatte mal einer gesagt, sie hätte längst einen Gourmet-Stern verdient. Da kamen einige Stammgäste auf die Idee, ihr eine Urkunde für ›Die beste Sternchenköchin‹ zu verleihen. Der dazugehörige selbstgebastelte Stern hing seitdem stolz neben dem Eingang zur Kantine.

»Guten Morgen«, lächelte Kathi matt, »wie immer, eine Leberkässemmel.«

»Du meine Güte, du siehst aus, als hättest du die Nacht durchgemacht. Habe ich eine Party verpasst?«

»Nein, keine Party, nur schlecht geschlafen.«

»Kathi, du arbeitest zu viel. Ich glaube, ich muss mal mit deinem Max ein ernstes Wörtchen reden. Ihr solltet Urlaub machen. Obwohl, vielleicht bekommst du da noch weniger Schlaf?«, zwinkerte Kronfeld grinsend. Er nahm sein Frühstück entgegen und gab ihr einen 5 Euro Schein. Sie kramte in der Kasse nach dem Wechselgeld.

»Kathi, was ist passiert?«, fragte Kronfeld plötzlich besorgt.

»Nichts, wie gesagt, nur schlecht geschlafen.«

»Das glaub ich dir nicht. Kathi, schau mich an und erzähl mir was los ist.«

Als sie aufblickte, sah sie die Sorgenfalten auf seiner Stirn, das Lächeln war verschwunden.

»Wie kommst du darauf … «

»Auf der Leberkässemmel fehlt der Leberkäs«, rief er erstaunt, »du bist ganz schön durch den Wind. Also, was ist passiert?«

Da musste Kathi doch lachen. »Entschuldige bitte, das ist mir noch nie passiert. Ich bin wohl tatsächlich etwas geistesabwesend. Es ist nur so … « Sie wurde wieder ernst. »Mein Vater ist gestern ganz plötzlich verstorben. Und ich weiß nicht warum. Verstehst du? Er war doch nicht krank.«

»Oh, das tut mir leid.« Verlegen gab er ihr die Semmel zurück. »Da kann es natürlich schon sein, dass man mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache ist. Herzliches Beileid.« Er überlegte kurz, seine kriminalistische Neugier war erwacht. »Aber was meinst du mit deiner Bemerkung ›du weißt nicht warum‹, glaubst du, mit seinem plötzlichen Ableben stimmt etwas nicht?«

»Oh, nein … nein, es kam nur so überraschend. Es würde ihm doch niemand etwas antun … nein, das ist abwegig.«

»Gut, aber wenn ich dir irgendwie helfen kann … «

»Sag ich es dir, danke.« Sie belegte die leere Semmel mit einer extra Scheibe Leberkäs und reicht ihm sein Frühstück schmunzelnd zurück.

In Gedanken versunken ging Korbinian Kronfeld in sein Büro. Er kannte Kathi seit acht Jahren, seit sie bei Frau Sedelmayer, der früheren Kantinen-Pächterin, als Jungköchin angefangen hatte.

Maria Sedelmayer hatte ihm auf ihrer Abschiedsparty, als sie vor drei Jahren in den Ruhestand ging erzählt, dass sie die Kathi schon seit ihrer Kindheit kennt.

»Ich betrieb damals einen Imbiss Ecke Webergasse und Stadtplatz, ganz in der Nähe, wo die Kleine wohnte. Das Mädchen war nach der Schule oft allein auf der Straße unterwegs, sie ging nicht gern nach Hause. Es kümmerte sich ja auch keiner um sie. Ich glaube ja bis heute, mit der Familie stimmt etwas nicht. Der Mutter war sie lästig, die duldete sie nicht in ihrem Geschäft. Und ihre beiden älteren Schwestern … denen war sie vor allem im Weg. Ich habe da aus der Nachbarschaft hässliche Dinge gehört, das kann ich Ihnen sagen. Diese widerlichen Gören haben regelrecht versucht, die Kleine los zu werden. Das war zu der Zeit, als Kathi noch kleiner war, bevor sie zur Schule kam. Einfach abgeschoben haben sie sie, ja direkt ausgesetzt. Und dabei geriet Kathi nicht nur einmal in Lebensgefahr. Sie hätte ja auch entführt werden können. Abscheulich sage ich nur. Was da alles hätte passieren können!«

»Das ist ja unglaublich«, Kronfeld stellten sich die Nackenhaare auf, »wenn die Nachbarn das wussten, warum hat niemand die Familie angezeigt? Das war zumindest Verletzung der Aufsichtspflicht. Ganz abgesehen vom moralischen Standpunkt.«

Frau Sedelmayer seufzte: »Was glauben Sie denn! Man hatte natürlich den Eltern erzählt, was die arglistigen Schwestern trieben, aber die Mutter stellte sich immer schützend vor sie und wiegelte ab, es sei nur ein Versehen, nicht böse gemeint, eine dumme Nachlässigkeit und so weiter. Was sollte man da machen? Immerhin hörten diese Gemeinheiten ja auf, als Kathi in die Schule kam. Zu der Zeit habe ich sie dann auch kennengelernt. Sie kam auf dem Weg von der Schule immer an meinem Imbiss vorbei. Mir war aufgefallen, dass sie ständig vor meinem Laden trödelte und neugierig herüber sah und ich hatte das Gefühl, sie sucht Ansprache. Da habe ich nicht lange gezögert und sie zu mir geholt.« Mit einem glücklichen Lächeln erzählte sie weiter: »Sie war so ein liebes Mädchen. Und ich bin fest überzeugt sie hat mich gesucht und gefunden. Deswegen habe ich sie unter meine Fittiche genommen. Sie war für mich die Tochter, die ich mir gewünscht hätte. Zuerst war sie eher schüchtern und immer ein wenig traurig. Aber wir haben viel miteinander geredet und mit der Zeit wurde sie zutraulicher. Sie erzählte mir von ihrem Aschenputteldasein und ich meinte, dann komm doch einfach nach der Schule zu mir. Von da kam sie jeden Tag. Wir hatten viel Spaß miteinander. Sie blühte auf und irgendwann kam sie mit ganz neuen Ideen für den Imbiss. Eine neue Speisekarte, neue Dekorationen ... ja, sie war so begeistert. Damals war sie schon fest entschlossen, Köchin zu werden und irgendwann ein eigenes Restaurant zu führen.«

Gleich nach dem Abitur begann Kathi zielstrebig ihre Ausbildung zur Köchin. Dieser lange gehegte Berufswunsch war nicht nur ein Kindertraum gewesen, sie hatte damals schon gefühlt, dass es ihre Berufung war.

»Als Kind sagte sie immer, sie will in meinen Laden kommen und bei mir arbeiten. Aber dann musste ich den Imbiss aufgeben, weil der Hausbesitzer meinen Vertrag nicht verlängerte. Er baute das ganze Haus um und jetzt ist dort so ein Schicki-Micky-Cafe drin.« Sie rümpfte die Nase. »Aber nichts Schlechtes, wo nicht auch was Gutes drin steckt«, strahlte sie zwinkernd, »kurz darauf war die Ausschreibung für die Polizeikantine und ich hab den Zuschlag bekommen. Und als Kathi mit ihrer Ausbildung fertig war, stand sie einen Tag später vor meiner Tür.« Frau Sedelmayer hatte feuchte Augen bekommen. »Sie machte dann auch noch eine ›Aufstiegsfortbildung‹ zur Küchenmeisterin und jetzt übernimmt meine Kleine schon den Laden«, fügte sie stolz hinzu.

»Ich glaube, darüber sind wir alle sehr glücklich«, hatte Korbinian ihr lächelnd bestätigt. Diese Geschichte hatte ihn sehr berührt und machte ihm Kathi nur noch sympathischer.

Kathi war immer gut gelaunt und freundlich zu ihren Gästen. Sie sprach nie über ihrer Familienverhältnisse. Keiner ihrer Gäste wussten mehr als das Wenige, das Frau Sedelmayer drei Jahre zuvor im kleinen Kreis erzählt hatte. Es war aber allgemein bekannt, dass die junge Frau verlobt war und die Hochzeitsglocken bald läuten sollten. Ihr Lebensgefährte, der 35-jährige Steuerberater Maximilian Bürger, hatte schon Frau Sedelmayer geschäftlich betreut und war von Kathi quasi mit Haut und Haar übernommen worden.

›Jetzt hab ich nicht mal gefragt, wann die Beerdigung ist‹, dachte Kronfeld zerknirscht, ›aber da muss ja keiner von uns hin, wir haben den Mann ja nicht mal gekannt. Ich rede gleich mit den Kollegen und wir werden der Kathi eine Kondolenzkarte schicken‹.

In seinem Büro setzte er sich an den Schreibtisch, aß genüsslich seine belegte Semmel und sinnierte weiter. ›Bei einem Todesfall in der Familie eines Bekannten weiß man nie genau, was man sagen soll‹, überlegte er, ›das ist fast schwieriger als fremden Leuten eine Todesnachricht zu überbringen. Wird Kathi sehr trauern? Mm, eher nicht, sie hatte ja wohl keine enge Beziehung zu ihren Eltern … ‹

Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken.

»Hauptkommissar Kronfeld«, meldete er sich dienstbeflissen.

»Hier spricht Doktor Seeberg, guten Tag«, erklang die brüchige Stimme eines älteren Herrn am anderen Ende, »ich hoffe, ich bin bei Ihnen richtig, ich bin etwas durcheinander.«

»Guten Tag, Herr Doktor Seeberg«, sagte Kronfeld freundlich, »worum geht`s denn? Was kann ich für Sie tun?«

»Also, es ist so: Ich bin der Hausarzt der Familie Sailer, das sind die mit dem Modegeschäft in der Webergasse. Vielleicht kennen Sie die Leute? Na ja, ist ja auch egal. Jedenfalls rief die Frau Sailer mich gestern am frühen Abend wegen eines Notfalls an. Sie sagte, ihrem Mann ginge es nicht gut und ich sollte schnell kommen. Ich bin natürlich sofort hingefahren. Keine 15 Minuten habe ich gebraucht, bis ich dort war, aber als ich ankam, war der Mann tot.« Hörbar erschöpft und schwer atmend machte der Arzt eine Pause.

»Nun«, meinte Kronfeld geduldig, »das ist sicher schlimm für die Familie. Was war denn die Todesursache? Er war doch sicher krank?«

»Tja, wie soll ich sagen ... eigentlich nicht«, stopselte der Arzt unbeholfen herum.

Plötzlich stutzte der Kommissar. Er war nicht krank? Das hatte er doch heute schon mal gehört. Richtig, Kathi hatte das gesagt!

»Herr Doktor Seeberg«, wie elektrisiert sprang er von seinem Stuhl auf, »wie sagten sie ist der Name der Familie?«

»Sailer. In der Webergasse, die mit dem Laden, sie wissen schon.«

Ja natürlich, dämmerte es dem Kommissar, Kathis Nachname war Sailer. Der Arzt sprach von Kathis Vater.

»Das müssen Sie mir jetzt genau erzählen«, ereiferte er sich. Nun schenkte er dem Arzt seine ganze Aufmerksamkeit.

»Na wie gesagt, als ich dorthin kam, war der Mann bereits tot. Seine Frau meinte, er saß auf seinem Stuhl, hätte plötzlich über Schmerzen in der Brust geklagt und ist dann einfach zusammengesackt. Herzinfarkt. Ich sollte gleich den Totenschein ausstellen, sie hatte nämlich schon ein Beerdigungsinstitut angerufen, die wollten die Leiche gleich abholen.«

»Jetzt mal langsam, Herr Doktor. Die Frau stellte selbst den Tod durch Herzinfarkt fest? Sie sind doch der Arzt, Sie haben doch die Leichenschau vorgenommen. Was war also Ihrer Meinung nach die Todesursache? Was steht im Totenschein?«

»Das ist es ja, was mich jetzt so beunruhigt. Ich habe Herzinfarkt reingeschrieben. Die Frau hat mich völlig verwirrt, direkt überrumpelt, sie war hysterisch. Sie hat geschrien, geheult und geflucht. Da habe ich nicht lange überlegt. Aber jetzt bin ich nicht mehr sicher, ich habe mir die Krankenakte von Herrn Sailer heute nochmal angeschaut. Meiner Meinung nach hatte er ein gesundes Herz. Sicher, leicht erhöhter Blutdruck, zu viel Gewicht, ich glaube, auch zu viel Alkohol. Aber das hätte ihn mit Sicherheit nicht umgebracht.«

»Herr Doktor Seeberg, Sie wissen doch genau, dass bei unklarer Todesursache sofort die Gerichtsmedizin eingeschaltet werden muss. Warum haben Sie das nicht gestern schon gemeldet?« Kronfeld war aufgebracht.

»Aber deswegen rufe ich doch jetzt an!«, die Stimme des Arztes klang plötzlich weinerlich, »Sie haben doch gehört, die Frau hat mich so fertig gemacht, dass ich nicht mehr klar denken konnte.«

Das Nervenkostüm des bereits 70-jährigen Doktor Seeberg war schon lange angeschlagen, aber er konnte sich nur schwer eingestehen, dass er zu alt für den Job war. Doch immerhin suchte er schon seit zwei Jahren einen Nachfolger, oder wenigstens einen Partner für seine Arztpraxis, aber weit und breit war kein Interessent zu finden. Deshalb machte er weiter. Aus reinem Pflichtgefühl, wie er sich selbst einredete, er konnte nicht einfach so aufhören. Er konnte doch seine Patienten nicht im Stich lassen. Aber es unterliefen ihm Fehler. Schon zweimal hatte er eine falsche Diagnose gestellt und sich in der Medikation geirrt, was jedoch Gott sei Dank für die Gesundheit der betroffenen Patienten keine negativen Folgen gehabt hatte. Und jetzt schon wieder ein Fehler!

»Ist ja gut«, sagte Kronberg einlenkend, »beruhigen Sie sich wieder. Es ist sicher noch nicht zu spät. Ich setze mich mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung und beantrage eine Obduktion. Wie heißt das Beerdigungsinstitut?«

Vernehmlich erleichtert atmete der Arzt auf. »Es ist die ›Rest-In-Peace‹ GmbH, in der Millerstraße. Ich habe gestern noch gewartet, bis sie ihn geholt haben. Dann bin ich nach Hause gefahren.«

»Gut, ich werde alles in die Wege leiten. Wegen ihrer Aussage melde ich mich wieder bei Ihnen. Danke für den Anruf.«

Kronfeld hatte es jetzt eilig. Der Leichnam musste so schnell wie möglich in die Rechtsmedizin. Mit fliegenden Fingern fand er die Telefonnummer der ›RIP‹ GmbH, sie war bereits in seinem Verzeichnis gespeichert, da man schon öfter mit dem Institut zu tun gehabt hatte. Knapp gab er dem Bestatter die Anweisung, die Leiche des Herrn Sailer für den Transport bereitzustellen, sie werde in Kürze abgeholt. Dann rief er bei der zuständigen Stelle der Staatsanwaltschaft an, erklärte den Sachverhalt und beantragte die Obduktion. Als das erledigt war, ging er zu seinem Chef, Kriminalrat Lackner, um Bericht zu erstatten.

»Sie glauben also, der Mann ist keines natürlichen Todes gestorben?«, fragte Lackner, nachdem Kronfeld seine Fakten vorgetragen hatte.

»Tja, könnte sein. Kathi hat ja selbst gesagt, der plötzliche Tod ihres Vaters ist ihr unerklärlich.«

»Unerklärlich, aber vielleicht doch natürlich? Ist es nicht voreilig, deshalb gleich ein Tötungsdelikt zu vermuten?«

»Ich weiß ja auch nicht … ob es sich wirklich um ein Tötungsdelikt handelt, werden wir nach der Obduktion wissen. Ich hoffe nicht, aber schließlich müssen wir doch ungeklärten Todesursachen auf den Grund gehen.«

»Ja, Sie haben ja recht. Schauen wir nach der Obduktion weiter.« Lackner widmete sich wieder den Unterlagen auf seinem Tisch. »Und informieren Sie die Angehörigen«, rief er noch, als Kronfeld den Raum verließ.

›Das mach‘ ich am besten gleich‹, überlegte der Kommissar nach einem Blick auf seine Armbanduhr. Es war gleich halb elf. Zwar gab es um diese Zeit in der Kantinenküche viel zu tun, die Mittagsmenüs mussten pünktlich um zwölf Uhr fertig sein, aber Kathi beschäftigte dort noch zwei weitere Köche. So konnte sie sicher einige Minuten für ihn erübrigen.

Auf dem Weg zu seinem Büro blieb er zögernd stehen. ›Aber wie sieht denn das aus, wenn ich sie zu mir zitiere? Nicht gut,‹ entschied er und machte kehrt.

An der Brotzeittheke stand nun eines der Servicemädchen, so ging Kronfeld durch die breite Pendeltür direkt in den Küchenbereich. Dort rührte Kathi gerade in einem riesigen Topf mit Gemüsesuppe. Er winkte ihr zu und rief: »Hast du mal ein paar Minuten? Ich muss dir etwas sagen.«

Die Köchin schaute ihn fragend an, legte dann den Kochlöffel zur Seite und kam zur Tür.

»Schon wieder hungrig?«, schmunzelte sie, »zum Mittagessen ist es aber noch zu früh.«

»Komm, setzen wir uns einen Moment«, sagte Kronfeld ernst und führte sie an einen Tisch. Zaghaft folgte sie ihm.

»Was ist jetzt mit dir los?« fragte sie unsicher, »war mit der Leberkässemmel noch etwas nicht in Ordnung?«

»Nein, nein. Die war ein kulinarischer Hochgenuss, wie immer … « Eben noch schmunzelnd wurde er gleich wieder ernst. »Es geht um deinen Vater.«

Erschrocken riss Kathi die Augen auf. »Um meinen Vater? Wieso? Was meinst du?«

Korbinian Kronfeld berichtete ihr zunächst von Doktor Seebergs Anruf. »Wie hast du von seinem Tod erfahren?«, fragte er dann.

Verdattert lehnte Kathi sich zurück. »Meine Mutter rief gestern Abend an und sagte, er sei ganz plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. Das war‘s.«

»Das war alles? Sie hat nichts von den genaueren Umständen erzählt?«

»Nein, sonst hat sie nichts gesagt. Die Konversation mit meiner Mutter beschränkt sich immer nur auf das Nötigste, wir haben nie viel miteinander geredet«, seufzte Kathi, »sie hat nur noch erwähnt, dass die Beerdigung am Montag ist. Wann und wo wollte sie mir noch mitteilen.«

»Tja, das wird wohl nicht gehen. Nach Doktor Seebergs Anruf habe ich die Staatsanwaltschaft informiert und eine Obduktion veranlasst.« Abwartend sah Kronfeld sein Gegenüber an. Wie würde sie das auffassen?

»Oh«, sagte sie nur, »weiß das meine Mutter schon?«

»Nein, ich wollte zuerst mit dir sprechen. Aber jetzt werde ich sie gleich anrufen. Nach der Obduktion sehen wir weiter.«

»Gut«, sagte Kathi etwas bestürzt, »ja dann … dann geh ich jetzt wieder.« Wie eine Schlafwandlerin setzte sie langsam einen Fuß vor den anderen und begab sich wieder an die Arbeit.

Kurz vor halb zwei kam Kathis Verlobter, Max Bürger, wie verabredet zum Mittagessen. Er kam immer etwas später, wenn der größte Ansturm vorbei war. So hatte Kathi Zeit, sich für einige Minuten zu ihm zu setzten.

»Wie geht‘s dir, mein Mädchen«, fragte er mitfühlend, als sie aus der Küche auf ihn zu kam. Er nahm sie in den Arm und streichelte beruhigend über ihren Rücken. »Ist es nicht doch zu viel für dich, dass du heute arbeitest?«

»Nein, ganz und gar nicht. Es geht mir gut. Setz dich, ich bring dir dein Essen und dann muss ich dir etwas Merkwürdiges erzählen.«

Während Max aß, berichtete Kathi ihm von dem Gespräch, das sie drei Stunden vorher mit Kommissar Kronfeld geführt hatte.

»Das ist in der Tat seltsam«, meinte er und wischte sich seinen Mund mit der Serviette ab, »er kann doch nicht ernsthaft annehmen, dass dein Vater ermordet wurde?«

»Na ja, er ist Kriminaler. Da muss er wohl so denken. Aber ich bin sicher, die Obduktion bestätigt eine natürliche Todesursache … was denn sonst.«

Peter Kirschner, der Jungkoch, erschien in der Küchentür und rief: »Kathi, Telefon.«

Mit einem Blick in seine Richtung rief sie zurück: »Ich komme.« Und zu Max gewandt sagte sie: »Bleibst du noch etwas?«

»Eigentlich müsste ich wieder los, aber wenn du möchtest … «

»Ist schon in Ordnung, Schatz. Geh nur, wir sehen uns heute Abend.« Sie küsste Max zum Abschied und ging in ihr kleines Büro, dass sich im hinteren Teil der Küche befand. Dort hatte sie ein Telefon mit Festnetzanschluss. Alle Anrufe, ob herein oder hinaus, liefen über diesen Anschluss. Kathi duldete keine Handys in der Küche, auch ihr eigenes war deswegen während der Arbeitszeit ausgeschaltet.

»Sailer«, meldete sie sich.

»Auch Sailer«, tönte vom anderen Ende der Leitung eine gereizte Stimme zurück, »bist du von allen guten Geistern verlassen?«

Es war Kathis zweitälteste Schwester Walburga. »Wie bitte? Was soll das Walli?«

»Das kannst du dir doch denken. Mom ist stocksauer. Was fällt dir ein, uns die Polizei auf den Hals zu hetzen. Vater ist gestorben und du erzählst deinen Kriminalerfreunden Schauermärchen!«

»So einen Blödsinn, was redest du denn da?«

»Du weißt genau, was ich meine. Misch dich gefälligst nicht in unsere Angelegenheiten ein. Sie haben ihn wieder aus dem Beerdigungsinstitut geholt und wollen eine Obduktion machen. Das ist deine Schuld. Wie konntest du nur! Mom ist außer sich.«

»Also hör mal, wie kommst du auf die Idee, ich hätte das veranlasst? Das ist immer noch Sache der Polizei. Doktor Seeberg rief an und informierte den Kommissar über einen Todesfall mit unklarer Todesursache. In so einem Fall muss die Gerichtsmedizin feststellen, woran dieser Mensch gestorben ist. Dazu sind sie verpflichtet, das haben sie euch doch sicher erklärt. Wollt ihr denn nicht wissen, woran Vater gestorben ist?«

»Er hatte einen Herzinfarkt. Das ist doch klar.«

»Aber dem Arzt war es eben nicht klar. Und jetzt wird das untersucht. Warum regt ihr euch darüber so auf? Ihr habt doch nichts zu verbergen?«

»Du spinnst ja total!«, schrie Walli hysterisch, »Mom will nicht, dass sie an ihm herumschnipseln. Die wollen doch nur seine Organe stehlen!«

»Also, jetzt reicht‘s aber. Das ist doch nicht dein Ernst. Kommissar Kronfeld wird über deine haarsträubende Behauptung nicht gerade begeistert sein. Außerdem ist es sowieso zu spät, Vaters Organe für eine Spende zu entnehmen. Das müsstest du eigentlich wissen.«

»Ja ja, renn‘ nur gleich wieder zu deinem Bullen, du Mimose.«

»Mimose passt in diesem Fall nicht«, Kathi verdrehte genervt die Augen, Walli benutzte immer die falschen Vergleiche, »und ich werde ihm eure unverschämten Unterstellungen nicht mitteilen, das könnt ihr schon selbst machen.«

»Das werden wir auch!«, schnaubte Walli und beendete wütend das Gespräch.

Beunruhigt ließ sich Kathi in ihren Bürostuhl fallen. Es war nicht Wallis Ton, der sie so erschütterte, den war sie gewöhnt, es war die haltlose Verdächtigung, die Rechtsmediziner würden Organhandel betreiben. ›Das gibt‘s doch gar nicht‹, dachte sie aufgewühlt, ›die können das doch nicht wirklich glauben!‹ Wahrscheinlich hatte Walli ihrer Mutter diesen unerhörten Schwachsinn erst eingeredet. Sie hatte schon immer einen dramatischen Hang zu Übertreibungen gehabt. Kathi seufzte tief und ihre Gedanken wanderten unwillkürlich zu ihrer älteren Schwester.

Das ehrbare Haus

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