Читать книгу Zugtiere in Trägerhosen - Phil Gaimon - Страница 11
ОглавлениеKAPITEL 4
Ich ging zurück in die Höhe nach Big Bear und brachte dort vier Wochen intensives Training hinter mich. Bluttests zeigten, dass dies den gewünschten Einfluss auf meinen Hämatokrit hatte, aber der Preis dafür war nicht ganz ohne: Es war zermürbend, so lange Zeit allein in einem verlassenen Skiresort zu hausen. Entsprechend froh war ich, als ich beim fünftägigen Cascade Classic, das mir als letzte Vorbereitung auf Utah und Colorado diente, meine Kollegen endlich wiedersah. Ich erzählte jedem, der es hören wollte, dass ich fünf Kilometer vor dem Ziel attackieren und die erste Bergetappe des Cascade gewinnen würde. Sie lachten und dann sahen sie zu, wie ich genau das tat. Mancebo wurde Zweiter, nachdem er sich am ersten Anstieg etwas in den Mund stopfte, was nach einer Vereinsration Koffeintabletten aussah, getreu der althergebrachten Logik des europäischen Radrennsports: Finde heraus, wie viele Pillen dich umbringen, und dann schluck genau eine weniger.
Auf dem Gipfel genoss ich eine kurze Podiumszeremonie, gefolgt von einer langwierigen Pinkelzeremonie für die Dopingaufsicht. Ich bilde mir normalerweise viel darauf ein, wie zügig ich die einzelnen Schritte einer Dopingkontrolle hinter mich bringe: Formulare ausfüllen, die Nummer auf der Packung der entsprechenden Ampulle zuordnen, die offizielle Versiegelung öffnen, und so weiter. Es ist der immer gleiche Ablauf und man möchte vor der USADA ja nicht wie ein Anfänger dastehen, aber an diesem Tag war ich dehydriert und im ersten Versuch schaffte ich gerade neun Milliliter, was zusätzlichen Papierkram erforderlich machte.
Wochen später erhält man per E-Mail Bescheid, dass die Tests abgeschlossen sind, also loggt man sich auf der Website der USADA ein und lädt den offiziellen Brief herunter (er fängt an mit »Herzlichen Glückwunsch!«). Natürlich habe ich nie betrogen, trotzdem beschleunigte sich jedes Mal, wenn ich auf den Download des Briefs wartete, mein Puls, so wie man auch nervös wird, wenn man am Flughafen von einem Polizeihund beschnüffelt wird. Ich dachte an Contadors Ausrede vom »verunreinigten Fleisch« und an die Tacos, die ich mir an einer Imbissbude geholt hatte. Könnte ein Taco verunreinigt sein?
Falls Sie Bücher von anderen Radprofis gelesen haben, wissen Sie, dass alle irgendeine Art von Doping-Beichte parat haben, ich bringe es also am besten gleich hinter mich. Liebe USADA, erinnerst du dich an jenen Tag beim Cascade, als du mich am Ziel auf einem Campingstuhl hast sitzen und eine Stunde lang Wasser trinken lassen, bis ich den Urinbecher vollmachen konnte? Und erinnerst du dich an die vielen Male, als du bei mir zu Hause auf der Matte standest, um mir Blut abzunehmen? Ich war nicht immer ganz ehrlich zu dir, USADA. Die Wahrheit ist, dass ich zwischen 2008 und 2013 mehrere deiner Kugelschreiber geklaut habe. (Mir gefällt der Gedanke, dass ich dafür verantwortlich bin, dass sie in dem Laden inzwischen auf iPads umgestiegen sind.)
Mein Vorsprung schmolz nach der ersten Etappe dahin, so dass ich beim Cascade am Ende nur Fünfter wurde, und wann immer es im Monat darauf in Utah und Colorado bergauf ging, fand ich mich gleich in der zweiten oder dritten Gruppe wieder. Ich hatte mich als der beste Kletterer bei den Continental-Rennen erwiesen, aber gegen die Topfahrer und die großen Teams kletterte ich wie ein Elefant.
Bei Bissell arbeiteten wir zusammen, aber unsere Strategie bei großen Rennen war breit gefächert: Carter und ich hofften, unter die ersten zehn im Gesamtklassement zu kommen, während andere sich auf Sprints oder Ausreißergruppen konzentrierten. Ich stellte fest, dass WorldTour-Teams anders vorgingen, mit acht Fahrern, die alle auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten. In einem Feld von 150 Fahrern haben nur zehn die Aussicht auf ein gutes Resultat und ihre Teamkollegen haben verschiedene Aufgaben zu erfüllen, um dies zu ermöglichen: vorne fahren, um Ausreißer zu stellen, für die Kapitäne Trinkflaschen vom Begleitwagen holen, den Sprintern helfen, wenn sie am Berg abgehängt werden. Solche Helfer nennt man Domestiken. Sie bilden die Arbeiterklasse des Profiradsports. Diese Rolle würde mir vermutlich im nächsten Jahr blühen.
Bei den meisten Radsportfans läuft der Fernseher nur im Hintergrund, solange die Domestiken ihrer Arbeit nachgehen. Erst in der Schlussphase, wenn die Kletterer sich gegenseitig attackieren oder die Anfahrer den Sprint anziehen und um die Positionen kämpfen, schauen alle gespannt hin. Dann spielen sich die Dramen ab. Der Ruhm. Die Stürze.
Domestiken müssen sich um dieses Chaos keine Gedanken machen. Wenn die großen Namen schließlich Ernst machen, rücken sie in den Hintergrund und jemand ruft: »Gruppetto!« – das Stichwort für die Hälfte des Feldes, die Beine hochzunehmen und schwatzend und scherzend gemütlich Richtung Ziel zu fahren. Als zukünftiger WorldTour-Profi wurde von mir mit meinen 26 Jahren erwartet, in Utah aufs Podium zu fahren, aber stattdessen erlebte ich mein erstes Gruppetto, während der 21-jährige Lachlan Morton für Garmin-Sharp die Etappe am Mount Nebo gewann. Ich war erneut im Gruppetto, als Danielson in Snowbird die Führung in der Gesamtwertung übernahm, und ich war dort auch einen Großteil der Tour of Colorado anzutreffen.
Die Fahrer im Gruppetto sind in der Regel eine anonyme Meute, aber in diesen Wochen gab es eine Ausnahme: Jens Voigt. Jens war bekannt für seine unermüdlichen Attacken und seine Leidensmiene, wenn er einen seiner aussichtslosen Versuche startete, dem heranstürmenden Feld ein Schnippchen zu schlagen. Keine Ahnung, was die Fans in Europa von Jens hielten, aber eine Kultur wie die unsere, in der jedem eingebläut wird, seinen Träumen zu folgen, liebt einen Kerl, der alles daran setzt zu gewinnen, sich immer wieder aufs Neue voll reinhängt und scheitert. Somit war Jens der gefeierte Held, wo auch immer er in den USA auftauchte, und heimste den Beifall der Zuschauer ein, wenn er Minuten hinter den Siegern im Ziel eintrudelte. Ich respektierte seine Entschlossenheit, aber ich hatte ein kleines Problem mit Jens: Er war in der schmutzigsten Dekade des Radsports für einige der fragwürdigsten Teams gefahren und behauptete dennoch beharrlich, nie etwas genommen oder auch nur etwas Verdächtiges bemerkt zu haben.
Entweder brauchte Jens einen Augenarzt oder er erzählte einen Haufen Mist, aber als er fragte, ob ich einen Witz hören wollte, fühlte sich ein Teil von mir geschmeichelt, dass ein so berühmter Fahrer meine Existenz zur Kenntnis nahm.
»Drei Männer waren beim Guinness-Buch der Rekorde«, begann er. »Einer sagt: ›Ich möchte den Rekord für die kleinsten Hände der Welt.‹ Die beiden anderen warten, bis er ganz aufgeregt wieder herauskommt, mit einer Bescheinigung für seinen neuen Weltrekord. Der zweite Typ geht rein und sagt: ›Ich möchte den Rekord für die kleinsten Füße.‹ Auch er kommt mit einer Bescheinigung wieder. Dann sagt der Dritte: ›Ich möchte den Rekord für den kleinsten Penis.‹ Sie warten und warten, bis auch er schließlich mit seiner Bescheinigung wiederkommt. ›Gratuliere, Jens!‹, sagen sie.«
»Wenn du den Witz erzählst, kannst du jeden Namen nehmen, den du willst!«, erläuterte Jens mit seinem fetten deutschen Akzent. »Du kannst deinen eigenen Namen nehmen oder den Namen der Person, der du den Witz erzählst, oder sogar meinen, wenn du möchtest.«
»Ich verstehe. Danke, Jens.«
Ich erzählte ihm im Gegenzug den Witz über meinen Cousin Mike, der bei mir zu Besuch war.
»Ich vergaß anzuklopfen und ging einfach in sein Zimmer rein und, nun ja, er ist 13, du kannst dir ja vorstellen, was er gemacht hat. Ich sage: ›Mike, wenn du so weitermachst, wirst du davon eines Tages noch blind.‹
Darauf Mike: ›Hey Phil, ich bin hier drüben.‹«
Jens hat ihn nicht verstanden.
An die Schwanzwitze kann ich mich Wort für Wort erinnern, aber fragen Sie mich nicht, wer in Colorado die Etappen gewonnen hat, denn mit meinen zehn Minuten Rückstand bekam ich nicht viel davon mit. Gut möglich, dass es Peter Sagan war, ein junger Allrounder aus der Slowakei. Sagan hatte ein paar große Rennen gewonnen, war aber vor allem dafür bekannt, bei der Flandern-Rundfahrt 2013 einem der Podium-Mädchen, die mit der Siegerehrung betraut waren, an den Hintern gegrapscht zu haben. Ich hatte gehofft, dass der Zwischenfall der misogynen Unsitte vom Küsschen für den Sieger ein Ende bereiten würde, aber die Veranstalter beharrten darauf, dass es Tradition wäre, Hostessen anzuheuern, um sie in kurzen Röcken herumstehen zu lassen, und dass sie keineswegs sexuelles Freiwild wären. Schön und gut, aber nach allem, was ich gesehen habe, landen die meisten von ihnen nach dem Rennen in irgendwelchen Hotelzimmern.
In Colorado wurde ich nach einer Etappe für eine stichprobenartige Dopingkontrolle ausgelost, was angesichts meines 80. Platzes beweist, dass die Sache tatsächlich nach dem Zufallsprinzip funktioniert. Bei dem Prozedere gibt man an, welche Vitamine man nimmt und ob man medizinische Ausnahmegenehmigungen hat, sogenannte TUEs, die einem gestatten, bestimmte Substanzen zu nehmen, sofern sie von einem Arzt verschrieben wurden. Ich hatte lediglich ein Multivitamin anzugeben, aber mit mir im Raum war ein WorldTour-Fahrer, der einen ganzen Katalog herunterbetete, angefangen von einer Reihe harmloser Präparate, die wahrscheinlich auch Ihre Mutter nimmt, bis hin zu TUEs für Asthmamittel, das erlaubte Limit an Kortison, ein Schmerzmittel namens Tramadol, viel zu viel Koffein und eine lange Liste an Dingen, von denen ich noch nie gehört hatte. Hätte Hunter S. Thompson sich in den Kopf gesetzt, einen Marathon zu laufen, hätte so seine Einkaufsliste ausgesehen. War das normal? War es das, womit ich mich in Europa würde herumschlagen müssen?
Ich war nicht der einzige Continental-Fahrer, der sich – unvorbereitet auf die längeren Etappen und die härtere Konkurrenz und mit nicht annährend genug Pillen ausgestattet – in diesen Wochen sehr schwertat. Pat McCarthy erwischte Freddie Rodriguez mal wieder dabei, sich bergauf eine Sticky Bottle zu genehmigen, also packte er Freddie an seinem Meistertrikot und stauchte ihn zusammen, bis der Wagen weiterfuhr.
Die Tasche eines Teamarztes in der WorldTour.
Richtig harte Rennen offenbaren stets die Betrüger, und ich habe festgestellt, dass Profis auch häufiger stürzen, wenn sie im roten Bereich fahren. Kennen Sie das, wenn Sie bei der Arbeit am Schreibtisch sitzen und plötzlich überschlagen sich um Sie herum Menschen und Maschinen, und alles, was Sie inmitten des Lärms aus berstendem Karbon, reißendem Fleisch und den Schmerzensschreien erwachsener Männer tun können, ist, so fest wie möglich die Bremse an Ihrem Bürostuhl zu ziehen? Dann blockieren die Räder, Sie sind in die falsche Richtung unterwegs und genau in dem Moment, als der Boden Sie herunterzieht und Sie denken, jetzt ist alles vorbei, lassen Sie die Bremse los, vom Schwung werden Sie wieder aufgerichtet, Sie finden eine Lücke im Gemetzel und sind zurück im Büro und scherzen mit Ihren Kollegen, als wäre nichts gewesen? Ach, so etwas gibt es bei Ihnen auf der Arbeit nicht? Sie Glückspilz.
Da wir keinen Co-Sponsor auftreiben konnten, erreichte die Stimmung im Team gegen Ende des Sommers ihren Tiefpunkt. Chris Baldwin kündigte an, seine Karriere zu beenden, Colorado war somit sein bittersüßes Abschiedsrennen, so dass es umso tragischer war, als er mit einem Finger in sein Vorderrad kam und das Rennen nicht beenden konnte. Ich hatte stets zu Chris aufgeschaut, aber unser Verhältnis war schwierig geworden, seit ich meinen WorldTour-Vertrag unterschrieben hatte. Er mäkelte bei Teambesprechungen herum und führte einmal sogar selbst die Verfolger wieder heran, als ich beim Cascade Classic gute Aussichten auf einen zweiten Etappensieg hatte. An jenem Tag in Colorado hatte er einen Streit wegen Trinkflaschen angefangen und ich meinte zu ihm, dass ich ihm nach der Etappe im Bus in den Arsch treten würde. Dann versuchte Chris, während der Fahrt den Sensor seines Radcomputers an der Gabel zu justieren, und landete im Krankenhaus. Baldwin war ein technisch solider Fahrer, aber ein kurzer Moment der Unachtsamkeit bei 55 Sachen die Stunde reichte aus, und er saß kurz vor Steamboat Springs im Dreck und hoffte, dass man seinen Zeigefinger wieder annähen könnte.
Chris kehrte am nächsten Tag zum Rennen zurück und im Jahr darauf als Kommentator, aber er ging mir stets aus dem Weg. Ein Freund vermutete, dass Baldwin sich unbewusst absichtlich den Finger abgesäbelt hätte, nur um der Abreibung zu entgehen, die ich ihm versprochen hatte. Wir waren beide über 1,80 Meter und wogen 67 Kilogramm, hatten keine nennenswerte Oberkörpermuskulatur, aber dafür eine WeltklasseAusdauer und einen starrsinnigen Willen zum Leiden, es wäre also ein toller Kampf geworden. Aber Chris, falls du das liest: Ich hätte dich nur ein bisschen angeschnauzt.
Nachdem Baldwin raus war, setzte bei Bissell der große Schwund ein. Wir waren mit acht Fahrern angetreten, aber eines Morgens saß ich beim Frühstück nur noch mit Carter Jones, Pat McCarty und Jason McCartney zusammen. Jason meinte, er hätte einmal die Vuelta a Espana bestritten und damals hätten nur drei Fahrer seines Teams die Rundfahrt beendet. Er war ein weiterer früherer Teamkollege von Lance, und als ich ihm verriet, dass ich im kommenden Jahr in Spanien stationiert sein würde, hatte er viele gute Ratschläge für mich, und dazu ein drei Jahre altes Klapphandy mit spanischer SIM-Karte, das er mir zum Spottpreis von 40 Dollar verkaufen wollte.
Pat und Jason kannten Danielson noch aus der Zeit, als er gedopt hatte, also fragte ich, was sie von meinem neuen Freund und Wohltäter hielten.
»Mann, als wir Teamkollegen waren, sagten selbst die Spanier, dass er ›die Medizin missbraucht‹«, meinte Pat stirnrunzelnd (wenn selbst die Spanier es sagen, musste was dran sein).
»Aber wie ist es heute? Meinst du nicht, dass er sich vielleicht geändert haben könnte?«
»Du kennst mich ganz gut, oder, Phil? Du weißt, ich bin ein anständiger Kerl, oder?«
»Klar, Pat. Der beste«, sagte ich, mich an all die Male erinnernd, als er mich in Big Bear auf Burger eingeladen hatte, als mein Gesicht völlig zerschunden war.
»Wenn du mal mit Tom abhängst, erkundigst du dich nach mir und schaust, was er sagt. So weißt du, ob er in Ordnung ist.«
Mir gefiel McCartys Antwort (hatte was von Der Pate), aber ich wusste bereits, dass Danielson ihn nicht leiden konnte. Ich mochte Freunde auf beiden Seiten haben, aber die gegenseitigen Ressentiments und die Wut aus jenen Jahren würde ich nicht überwinden können. Auch Pat beschloss, seine Karriere zu beenden, als Bissell den Betrieb einstellte, und scherzte, wie fett er werden würde, wenn er mit dem Radsport aufhörte. Die Weihnachtskarte, die er in jenem Jahr schickte, war ein Foto von sich und seiner Freundin, mit digital vergrößerten Wänsten und Doppelkinnen. Auf der Rückseite hatte Pat eine kurze Nachricht notiert: »Folge weiter deinem Traum, Phil.« Ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich verarschte.
Jason McCartney wollte sich derweil nicht über Doper äußern. Ich glaube nicht, dass er selbst berüchtigte Ärzte aufgesucht hatte, aber viele der Kollegen aus seiner Zeit fuhren nach Mexiko, um EPO zu kaufen, oder bestellten Mittel übers Internet und hofften, dass sie nicht sterben würden, wenn sie sich das Zeug irgendwo allein im Badezimmer spritzten, weil sie das für nötig hielten, um ihre Jobs zu behalten.
Pat und Jason brachten mir bei, wie man in der WorldTour seine »Schlechtwetter-Tasche« für die Rennen packte. Bei Bissell konnten die Fahrer Überschuhe und Armlinge im Teamwagen verstauen, falls diese Sachen im Rennen gebraucht würden, aber in Europa hat jeder Fahrer eine eigene Tasche im Kofferraum mit Jacken, Westen, Handschuhen und Überschuhen, um für jede Witterung gewappnet zu sein.
Omer bekam das Gespräch mit und mahnte mich noch einmal, stets ein Polohemd mit Teamlogo im Koffer zu haben.
»Hier kannst du mit so was durchkommen, aber nicht in der WorldTour«, sagte er.
»Wenn ich damit durchkommen kann, warum fängst du dann immer wieder davon an?«, fragte ich.
»Was zum Geier weiß der Typ schon von der WorldTour?«, lachte Pat, als Omer außer Hörweite war.
Die Schlussetappe fand auf einem Rundkurs in der Innenstadt von Denver statt. Ted King kontrollierte für Peter Sagan an der Spitze des Feldes das Tempo. Nur um etwas zu tun zu haben, fuhr ich nach vorn und löste mich mit Ted ab, bis Jason kam und mir zuflüsterte.
»Phil, bezahlen sie dich dafür, vorne zu fahren?«
Ich hatte von erschöpften Teams gehört, die solche Deals machten, aber natürlich war das hier nicht der Fall. »Klar«, sagte ich, »Cannondale brauchte unbedingt noch ein paar PS. Sie haben mich den ganzen Tag bekniet, also meinte ich, sie sollten ihre Scheckbücher zücken. Nächste Woche lasse ich bei mir zu Hause einen Pool einbauen.«
»Dann verschwinde von hier vorne, Phil. Du arbeitest nicht umsonst für eine andere Mannschaft.«
»Was kriegt man denn dafür, für ein anderes Team die Arbeit zu machen?«, fragte ich, nachdem wir uns ins Feld zurückfallen ließen.
»Ich kannte Typen, die tausend Dollar am Tag bekamen, wenn eine Mannschaft verzweifelt genug war«, sagte Jason.
Nach der Etappe hätte ich Ted oder Sagan aufsuchen sollen, um einen Dollar für meine drei Pedalumdrehungen vorne im Wind einzutreiben, aber ich war zu sehr mit den Popeln beschäftigt, die sich durch die trockene, verschmutzte Luft von Denver in meiner Nase bildeten. Meine Mutter hatte meine halbe Kindheit mit dem Versuch verbracht, mich vom Popeln abzubringen, bis mein Großvater mir einen aufrichtigen Rat gab, wie ihn Erwachsene Kindern viel öfter geben sollten (statt diesem Quatsch darüber, seinen Träumen zu folgen):
»Achte nur darauf, dass es keiner sieht«, sagte er.
Opa hatte eine riesige Nase, wenn ich also jemandem vertrauen konnte, wenn es ums Popeln ging, dann ihm. Ich suchte mir einen Platz hinten im Wohnmobil und begann, meine Nasenlöcher zu bearbeiten.
Colorado war das letzte Rennen der Saison, es war daher an der Zeit, Abschied zu nehmen. Pat kam gerade aus der Dusche, also bekam er eine große, feuchte Umarmung, aber als ich Jason die Hand hinhielt, ließ er mich hängen. »Alles Gute in Europa, Phil. War schön, dieses Jahr mit dir zu arbeiten, aber ich gebe dir nicht die Hand, denn ich habe dich gerade popeln sehen.«
Erzählen Sie’s nicht meinem Opa.
Tejay van Garderen gewann die Tour of Colorado, aber alle Augen waren auf Chris Horner gerichtet, der in Utah Zweiter wurde und ein paar Wochen später die Vuelta a España gewann. Er hatte vier Mal das Redlands Classic gewonnen, bevor ich überhaupt mein erstes Rennen bestritt, und war lange Jahre als Domestik in Europa gefahren. Die Fans liebten die Geschichte vom Fahrer, dessen große Stunde nun im Alter von 41 Jahren schlug, aber wenn etwas im Radsport zu schön scheint, um wahr zu sein, dann ist es das meistens auch. Während Danielson und mehrere seiner Kollegen öffentliche Geständnisse ablegten, zogen andere Fahrer es vor, ihre Namen aus den Aussagen streichen zu lassen. Horner hat es stets bestritten, aber generell wird davon ausgegangen, dass er sich hinter »Fahrer 15« verbirgt. Ich schätze, 2013 war er runter vom guten Zeug, aber das Antidoping-System hatte immer noch ein paar Schlupflöcher und man munkelte, dass er die erste Jahreshälfte »verletzt« pausierte, um sich mit Kortison vollzupumpen. Als effektive Behandlung für kaputte Gelenke und Entzündungen ist Kortison abseits des Wettkampfs erlaubt, es ist daher üblich, das Steroid zwischen den Rennen zu missbrauchen, um an Kraft zuzulegen und Körperfett abzubauen. Chris wurde nicht positiv getestet, aber alle anderen Mannschaften blieben misstrauisch und es sagt einiges, dass er als frisch gebackener Sieger einer der drei großen Landesrundfahrten dennoch arge Schwierigkeiten hatte, einen Vertrag für die folgende Saison zu bekommen. Es war frustrierend, den Zuspruch zu erleben, den Typen wie Horner und Voigt erhielten, aber wenn ich schon selbst nicht daraus schlau wurde, wem ich trauen konnte und wem nicht, wie konnte ich es dann von den Fans erwarten?