Читать книгу #Fatboysrun - Philipp Jordan - Страница 15

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Auf dem Reiseplan unserer USA-Reise stand nämlich auch Atlanta. Wir wollten dort den Bruder meines Vaters und seine Familie besuchen. Meine Begeisterung für die USA war vor dem Besuch bei der Verwandtschaft schon extrem hoch, doch bei Onkel und Co. wurde sie noch einmal ins Unermessliche befördert. Meine Cousins, Frank Eike und Björn, waren etwa im selben Alter wie wir. Sind sie übrigens immer noch. Und wie es der Zufall wollte, hatte die zweite große Skatewelle auch den Süden der USA erreicht und meine Cousins ergriffen. Sie hatten beide eines dieser coolen, neuen – und im Vergleich zu unserem alten Fiberglas-Board – sehr großen Skateboards. Außerdem hatten sie völlig ausgelatschte Stoffturnschuhe, Chucks, die auf mich wie Billigschuhe wirkten und in Deutschland erst viele Jahre später zur großen Mode werden sollten. Wir hatten also eine direkte Connection zu diesem neuen Sport. Und nach viel Bettelei standen wir dann plötzlich mit ihnen in einem Skateshop. Mein Vater fand wahrscheinlich die Vorstellung cool, dass wir in der Zeit bei seinem Bruder mit seinen Neffen ein gemeinsames Hobby teilten und machte mit uns eine Art Deal. Wir durften uns ein Skateboard zusammenstellen und für die Ferienzeit benutzen, mussten es aber in Deutschland wieder abgeben und bis zu unserem Geburtstag warten. Was für ein Deal! Wo muss ich unterschreiben?

Überglücklich stand ich also in diesem Skateshop, meine Augen kreisten über die vielen bunten Holzbretter an der Wand. Die Aufdrucke waren genau mein Ding! Skatende Skelette, Monster, Blut und Schleim, wie cool war das bitte? Das hier war alles so weit weg von allen Sportarten, die ich kannte. In meinem Kaff spielten alle nur Fußball, und ich konnte mit den ganzen Adidas-gestreiften Proleten herzlich wenig anfangen. Ich entschied mich für das Vision Hippie Stick. Ein Brett überzogen mit grellfarbigen Punkten. Den Bezug zu psychodelischen Drogen hab ich erst später gerafft. Dazu suchte ich mir Slime-Balls-Rollen und Gullwing-Achsen aus. Ich hielt mein erstes Thrasher-Magazine in der Hand, das bis auf den Umschlag auf billigstem Zeitungspapier gedruckt war. Ich studierte die Fotosequenzen und war begeistert. Sogar die Druckerschwärze hatte einen ganz eigenen Geruch, den ich bis heute nicht vergessen habe.

In den Tagen in Atlanta konnte ich also meine ersten Schritte auf dem Skateboard machen, und das schmeckte definitiv nach mehr. Sicher nicht verwunderlich, dass die Monate bis zu meinem Geburtstag eine gefühlte Ewigkeit dauerten, aber als ich dann Ende Oktober endlich mein Skateboard in Händen hielt, war ich unendlich glücklich. Ab jetzt wurde fast jede freie Minute dem Skaten gewidmet. Mein Freund Johannes wohnte am Ende einer Sackgasse, direkt neben einem Wendehammer. Nachdem ich ihn erfolgreich mit dem Virus anstecken konnte, war dieser Wendehammer unser ganz persönlicher Skateplatz. Zusätzlich nutzten wir die Einfahrt seines Elternhauses, um eigene Rampen zu bauen. Wir karrten vom Sperrmüll und aus Baucontainern Holz heran und ließen unseren spärlichen Bau-Skills freien Lauf. Mein großer Bruder Hartmut, der handwerklich wesentlich begabter war, war zum Glück auch mit von der Partie, und so hatten wir nicht nur einige Schanzen, sondern auch eine den Umständen entsprechend stattliche Quarterpipe.

Aber der Skateplatz auf dem Dorf war nicht genug, es wollte auch die große Stadt auf Rollen erkundet werden. Karlsruhe ist eigentlich alles andere als eine Weltstadt oder Metropole. Böse Zungen behaupten, es sei übelste Provinz. Aber für mich war Karlsruhe damals die größte Stadt der Welt, und in der größten Stadt der Welt musste es doch noch andere Skater geben! Da Johannes und ich täglich mit der Bahn von unserem Dorf Waldbronn-Busenbach (ich kenne alle Witze …) nach Karlsruhe in die Schule fuhren, war es für uns der ideale Spielplatz, um uns auszutoben. Schnell hatten wir raus, wo man Skater treffen konnte. Damals war alles noch sehr übersichtlich, die Szene klein. Es gab in Karlsruhe nicht mal einen richtigen Skateshop. Die einzige Möglichkeit, ein qualitativ gutes Board zu kaufen, war Rainers Bike-Shop in Knielingen. Rainer Schadowski war Deutscher BMX-Meister und hatte im Keller seines Elternhauses mit seinem Vater einen kleinen BMX-Shop eröffnet, in dem er neben Rädern auch Skateboards anbot.

Die beiden ältesten Skater Karlsruhes waren Marc Menke und Chris Eggers. Sie waren wesentlich älter als wir Kinder, fast schon Männer. Chris war auch beim Bau der allerersten Halfpipe im Landkreis involviert. Es war ein sehr einfach gebautes Halbrund in einem Schrebergarten. Später waren die beiden die treibenden Kräfte hinter der ersten richtigen Rampe, die sie in Zusammenarbeit mit einem Sportverein zum Leben erweckten. Die Green Ramp wurde legendär, sie erlangte auch außerhalb Karlsruhes Berühmtheit und wurde zum Schauplatz einiger Contests. Ihr Freund Chicken, der noch früher auf dem Brett gestanden hatte als alle anderen, curvte dieses Riesen-Coping mit seinem Longboard wie kein Zweiter. Und dann war da noch Boris Steffen. Er war ein Naturtalent, das – als ich ihn 1986 kennenlernen durfte – noch mit Topfschnitt und Schienbeinschonern Freestyle fuhr. Diese Disziplin ist inzwischen praktisch ausgestorben, war aber vielleicht immer die technischste Disziplin und hat das heutige Streetskaten maßgeblich geprägt. Boris wechselte dann bald wieder zurück zu Street und war Inspiration und Vorbild für viele Skater der Stadt. Einen Skater wie Boris gibt es vermutlich in vielen Städten. Zumindest hat man Glück, wenn man so einen in seiner Stadt hat. Ein Naturtalent, nebenbei auch noch der netteste Mensch der Welt, den man einfach lieb haben muss. Viel besser als diese Typen, die alles können und Arschlöcher sind. Die gibts nämlich an jeder Straßenecke. Zudem hatte Boris seinen völlig eigenen Style. Der Style eines Skaters ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck, und Boris konnte mit seitlich raushängender Zunge und weit nach vorn ausholenden Armen komischerweise noch stylisher aussehen als die meisten anderen.

Der erste Treffpunkt der Skateszene war das Karlsruher Schloss. Dasselbe Schloss, das später als Kulisse für meinen Zieleinlauf dienen musste. Hier traf man an Wochenenden fast immer auch Karl. Von den meisten nur Kalle genannt, schien er direkt einem Hippie-Comic entsprungen. Er war sicher oberhalb der 50 und fuhr mit seinem Slalomboard immer seine Runden ums Schloss und durch die Spaziergänger. Dabei traf man ihn nie ohne kleines Radio an, das er in der Hand hielt, und aus dem laute Musik dröhnte. Seine große verspiegelte Sonnenbrille und die knallrote Baseballmütze rundeten die optische Freakigkeit ab. Alter Schwede, dieser Typ war seiner Zeit voraus. Ein Hipster, bevor es Hipster gab. Wobei: Waren die je hip?

Zum Schloss zog es mich in jeder freien Minute. Mit den Jahren entdeckten wir die Amisiedlung, in der US-amerikanische Soldaten mit ihren Familien wohnten. Natürlich gab es auch da skatende Kinder, und wir freundeten uns mit ihnen an. Auch wenn ich die USA heute differenzierter betrachte: Damals war ich USA-Fan der Superlative, und diese Siedlung versprühte mit ihren eigenen Läden und Sportanlagen den Charme einer amerikanischen Kleinstadt. Nicht verwunderlich also, dass ich fortan regelmäßig auf dem Schulhof der Highschool skatete, ich fühlte mich wie der Star in einem Skatevideo. Diese Skatevideos hatten sowieso eine magische Wirkung auf mich. Im Gegensatz zum Fußball bekam man nämlich damals von diesem Sport in den Medien so gut wie nichts mit. Es gab auch keinerlei Contests (so nennt man Skateveranstaltungen), die im TV übertragen wurden. Aber schon recht bald nach meinem Skate-einstieg brachte mein Vater eine Videokassette mit, die The Bones Brigade Video Show hieß. Jeder Sport braucht Helden. Egal, wie spaßig etwas ist, wenn man Ikonen hat, zu denen man aufschauen kann und die einem zeigen, was alles möglich ist, wird es erst richtig interessant. Ich konnte diesen Film irgendwann auswendig. Wenn ich skatete, hörte ich in meinem Kopf die Musik des Films. Ich wollte auch so cool sein wie Lance Mountain und so krasse Airs machen wie Tony Hawk.

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