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PROLOG: DER KLEINE MANN UND DAS MEHR

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»As far back as I can remember, I always wanted to be a gangster.«

Dieser Satz stammt nicht von mir. Er stammt von Ray Liottas Figur Henry Hill aus dem Film Good Fellas des Regisseurs Martin Scorsese. Ich wollte nie ein Gangster sein, aber andere haben in mir den Gangster gesehen.

Es gab Zeiten, da fühlte ich mich ähnlich verfolgt wie Henry Hill am Schluss des Films. Das war am Ende meiner aktiven Graffitizeit. Ich bekam einen Anruf eines befreundeten Sprühers. Er wurde auf frischer Tat ertappt. Geschickterweise hatte er ein Adressbuch bei sich, in dem meine Telefonnummer notiert war. Was daneben stand: mein Klarname und mein illegaler Sprühername. Bingo. Panik! Wenig später fand eine Hausdurchsuchung bei einem weiteren Bekannten statt, der im Drogenhandel aktiv war und dessen gesamte Wohnung von mir mit Sprühlack veredelt war – schön verziert mit meinem Sprühernamen. Dazu fanden die Beamten dort einen Stapel Fotos einiger meiner Graffitiwerke und nahmen sie mit. Noch mehr Panik!

Man war mir auf der Spur, ich war im Fadenkreuz der Ermittler. Bei einigen anderen Sprühern fanden Hausdurchsuchungen statt, und immer wurde auch explizit nach mir gefragt. Einer wurde sogar aus dem Unterricht abgeholt, verhört und gefragt, ob er Philipp Jordan kenne. Ob er wisse, unter welchem Pseudonym der sein Unwesen triebe? Keine Panik mehr. Die wurde nun abgelöst durch eine ausgewachsene Paranoia! Ich fühlte mich wie Karlsruhes Gangster Nummer eins. Und dann wurde ich tatsächlich von der Polizei aufgegriffen. Mit ein paar anderen Malern (so nennen wir Sprüher uns untereinander) spazierte ich auf einer Gleisanlage herum und wir hatten die Rucksäcke voller Sprühdosen. Nachweisen konnte man uns nichts, aber meine Paranoia befand sich dadurch auf einem absoluten Höhepunkt. Das mochte sicher auch mit dem exorbitanten Konsum von Cannabis in jener Zeit zu tun haben. Doch überraschenderweise wurde mir nie der Prozess gemacht, und eine Hausdurchsuchung gab es auch nie. Dafür litt ich monatelang, ich fühlte mich ständig verfolgt, jeder Polizist dieses Landes war in jener Zeit hinter mir her.

Vor wenigen Jahren wurde ich für dieses Gefühl der ständigen Verfolgung überraschend entschädigt. Von der Polizei höchstpersönlich. Mir wurde ein Flugblatt zugespielt, das das Landeskriminalamt für besorgte Eltern und Lehrer veröffentlicht hatte. Es sollte den Adressaten dabei helfen, zu erkennen, ob ihr Kind beziehungsweise Schüler dem Graffitivirus erlegen war, gleichzeitig war es eine Warnung vor den zivil- und strafrechtlichen Folgen. Auf der Vorderseite des Faltblattes war ein Foto eines Charakters – so nennt man Figuren in der Graffitiwelt – von mir zu sehen. Auf seiner Wollmütze stand mein Sprayername. Also der Name, den ich illegalerweise auch auf Züge und Mauern gemalt hatte. Ich erzählte meinem Vater davon – er ist Anwalt, sein Spezialgebiet ist Urheberrecht. Er klärte mich auf: All meine illegalen Aktivitäten waren kurz zuvor verjährt. Yes. Unautorisierte Nutzung meines Bildes durch die Polizei. 1.500 Euro bitte! Chi-ching! Nie hat mich eine eingehende Zahlung so erfreut.

Im Gegensatz zu dem Mafiaprotagonisten Henry Hill war ich also nie ein richtiger Gangster, dennoch beginne ich meine Geschichte mit diesem Zitat. Warum? Weil ich mich extrem als Gangster gefühlt habe. Andere haben oft den extremen Typen in mir gesehen, mich für verrückt gehalten, manchmal sogar für kriminell. Das ist etwas, was sich wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben zieht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diesen roten Faden entdeckt habe. Denn wenn ich sage, dass ich in fast allem ein wenig anders bin, oder gesehen werde, als der Rest, dann meine ich das nicht nur im positiven Sinn. Ich bin kein Superheld, ich verfüge nicht über eine einzigartige Gabe, ich bin auch nicht der Außenseiter, der es am Ende allen zeigt, aber eines ist sicher: Ich habe in den Augen vieler Menschen einen Hang zum Extremen. Anstatt als Kind mal eine Comicfigur zu zeichnen, zeichnete ich massenweise Comichefte mit selbst erdachten Helden, verbrachte Tage und Nächte damit, kopierte die Hefte bei meinem Vater im Büro und verkaufte sie in der Schule. Wenn andere sich mit einem Kinobesuch am Tag zufrieden gaben, ging ich 3-mal ins Lichtspielhaus, führte über das Gesehene Buch, fertigte für jeden Film eine Rezension an und rief später einen der erfolgreichsten deutschen Film-Podcasts ins Leben.

Auch als Maler reichte mir nicht ein einzelner auf Leinwand gemalter Teddy. Nein, ich malte weit über 1.000 Teddybilder, machte eine Installation daraus und tourte mit ihr um die Welt. Ob Enthaltsamkeit oder Konsum, für mich gab es immer nur das Maximum. Bei einem All-you-can-eat-Buffet ist bei mir Nomen auch Omen. Da wird »all« reingestopft, was ich »eaten« kann, bis mich die saure Kotze am Gaumen kitzelt, nur um dann wieder am Jahresanfang drei Wochen lediglich von Wasser und Brühe zu leben. Das nennt man Heilfasten, und mittlerweile ist das total hip.

Auch im Konsum berauschender Mittel war ich extrem. Nichts und niemals oder alles und immer. In meiner Jugend interessierte mich Alkohol und Rausch überhaupt nicht, ich machte daraus regelrecht eine Religion. Ich nannte das Ganze »Reason Movement«, und mein toller Verein hatte ganze zwei Mitglieder. Meinen Freund Jonas und mich. Vielleicht lag das an den Regeln: Man durfte nicht trinken, nicht rauchen, kein Fleisch essen, und selbst One-Night-Stands waren verboten. Es muss an meiner unendlichen Kulanz gelegen haben, dass es überhaupt ein zweites Mitglied geben durfte, denn Jonas wehrte sich vehement gegen die One-Night-Stand-Regel – und brach sie auch regelmäßig. Später habe ich eine Reise ins andere Extrem genommen und mich wegen meines Drogenkonsums oft zitternd und schwitzend über einer Kloschüssel wiedergefunden, um das letzte bisschen Flüssigkeit in Form von bitterer Galle ins Abwasser zu spucken. Warum konnte ich nicht gemäßigt konsumieren? Warum musste es erst der komplette Verzicht sein – und später der ungezügelte Konsum?

Viele Menschen schüttelten schon den Kopf über mich und mein Verhalten, von manchen erntete ich aber auch Bewunderung. Augenscheinlich polarisiere ich. Vermutlich ist mein Motor anders getaktet. Ich habe Ausdauer wie ein Duracell-Häschen. Ich kann reden wie ein Wasserfall. Insofern bin ich oft extrem in meinem Sein und Tun. Ich mag die Bezeichnung »extrem« eigentlich überhaupt nicht, auch wenn sie manchmal den Nagel auf den Kopf zu treffen scheint. Ich ziehe eine andere Formulierung vor: Ich kann mich mit absoluter Leidenschaft und Hingabe in Sachen verlieren. Oder mich auch gern mal kopfüber hineinstürzen – mit Anlauf und hochgekrempelten Ärmeln. Wenn ich an etwas Gefallen finde, kann ich einen schier unstillbaren Durst entwickeln. Das kann in völlig verschiedene Richtungen gehen und entweder sehr willkommene Früchte tragen oder mich ins Unheil stürzen. Eines Tages entdeckte ich das Laufen. Ich entdeckte es wieder. Wieder, weil ich als Kind schon mit meinem Vater und meinem Bruder lief. Aber als Jugendlicher gibt es nichts Uncooleres, als das zu tun, was der eigene Vater tut. Auf einmal war da etwas, das eigentlich die ganze Zeit vor meiner Nase war, das wie die Antwort auf alle meine Fragen wirkte: das Laufen. Das Ultralaufen. Auch hier ist das »Mehr« Programm. Hier schaffe ich es endlich, meinen Motor an seine Grenzen zu bringen. Hier kann ich endlich ein inneres Gleichgewicht finden. Ich war schon immer süchtig nach mehr. Nach vielem Suchen habe ich mein perfektes Mehr gefunden.

Denn:

»As far back as I can remember,

I always wanted: MEHR!«

#Fatboysrun

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