Читать книгу #Fatboysrun - Philipp Jordan - Страница 17
ОглавлениеRichtig umgehauen hat mich aber einige Jahre später erst der Film Public Domain. Es gab dort eine Sequenz, in der unter anderem Ray Barbee und Chet Thomas zusammen die Straßen unsicher machten. Die Musik war nicht nur unglaublich cool, nein, die machten auf einmal völlig neue Sachen mit ihren Brettern. Ich war begeistert und frustriert zugleich. Es gab so viel zu lernen. So viele No-Complys, die ich mir in vielen Stunden und unter starken Schienbeinschmerzen aneignete. Es muss auch das erste Mal gewesen sein, dass ich einen Railslide sah. Auf einem Board ein Treppengeländer runtersliden? Wie geil ist das denn bitte? Zur damaligen Zeit wurde das meist noch mit einem Caveman gemacht, das heißt, man nahm das Board in die Hand und sprang dann mit dem Board auf das Treppengeländer drauf. Heute springt man direkt mit einem Ollie auf die Rail. Dieser Trick war next level. Alle anderen Tricks konnte man üben. Und ja, auch da konnte man richtig schön auf die Fresse fallen, aber das hier war so ein Make-it-or-break-it-Ding. Die erste Bedingung: Man musste Eier groß wie Fußbälle haben, um überhaupt mit Board auf ein Geländer zu springen. War man erst einmal drauf, ging es nämlich recht zügig abwärts, und die Chance, dass man mit dem Rücken oder dem Steiß auf das kalte Metall des Geländers stürzte, war extrem hoch. Viele redeten über diesen Trick. Ich hatte leider nie jemanden live erlebt, der ihn machte. Ich hörte zwar irgendwann, dass ein Junge aus der Amisiedlung ihn gestanden hatte und dass auch Boris ihn konnte, hatte so was aber nie miterlebt, was das Ganze noch spannender und auf eine gewisse Art und Weise auch mysteriöser machte.
Ich weiß nicht, wie oft ich mit meinem Board in der linken Hand auf ein Geländer zulief und mir dann doch der Kackstift ging. Wie oft ich mein Board mit den Händen das Geländer entlang bewegte, rutschen und dann wie von Engelshand landen ließ. Mir abends im Bett vorstellte, wie ich ihn stehen würde. Im Nachhinein kommt es mir so vor, als hätte ich diesen Trick jahrelang vor mir hergeschoben. Aber eines Tages wollte ich es dann doch wissen. Ich skatete in meinem Kaff vor dem Rathaus und sah das Geländer am Eingang. Es war sehr kurz. Eigentlich perfekt für den Einstieg! Nach einigem Hin und Her und etlichen Halbversuchen machte ich dann endlich diesen Schritt. Ich sprang ab, ich traute mich. Ich landete auf meinem Brett, und das rutsche so unerwartet geschmeidig nach unten, dass ich mit meinem Steiß den Rand der Rail küsste. Autsch, aber wow! Jeder Skater kennt diesen Moment. Ja, der Schmerz ist da, aber wesentlich präsenter ist dieses Gefühl. Ein Gefühl, das einem vermittelt: »Du kannst das schaffen!«. Wenn das Adrenalin ausgeschüttet wird, da man den Trick schon fühlen kann. Das walzt über das Schmerzgefühl hinweg. Wenn man das spürt, kann man sich in direkter Folge gut und gern 100-mal aufs Maul legen, man wird sofort wieder aufstehen, sein Brett schnappen und es erneut versuchen. Genau das tat ich auch. Anlauf, Absprung, mit dem Board auf der Rail, rutsch, flutsch, viertel Drehung … und ich stand. Mit meinen Füßen auf dem Board rollte ich weiter. Mein Freund Johannes, der bei mir war, aber schon lang nicht mehr skatete, flippte völlig aus. Ich konnte es erst selbst nicht glauben. Das war next level! Egal, wie viele Leute auf der Welt das konnten, diese Gruppe war ein kleiner Bruchteil der Skate-Gemeinde. Und sowieso: Hierbei ging es nicht um einen Vergleich. Hierbei ging es um den ultimativen Sieg, den inneren Schweinehund überwunden zu haben. Oder besser: den inneren Schisshasen!
GOT IT, BABY!
NACH EWIGEM HADERN HABE ICH ENDLICH DEN BOARDSLIDE GESTANDEN.
Johannes rannte nach Hause und kam mit Stativ und Fotoapparat zurück. Ich stand den Trick an diesem Tag noch unzählige Male, und Johannes schoss mehrere Sequenzen. Er verzog sich noch am selben Abend in den Keller seines Hauses und entwickelte im eigenen Fotolabor die Bilder meines bisher größten sportlichen Erfolges. Im Nachhinein bin ich ihm so dankbar, dass er diesen kleinen Höhepunkt meiner Skaterjugend für ewig festgehalten hat. A small step for mankind, but a huge step for this little skater boy.
Wenn ich an meine Skaterzeit zurückdenke, denke ich an viele Höhepunkte, unzählige Bilder entstehen in meinem Kopf. Die vielen Tage mit meinem US-philippinischen Freund Tye, die Sessions auf dem Parkplatz mit den Jungs auf dem Dorf, die vielen Stürze, die ihre Spuren bis heute sichtbar auf meinem Körper hinterlassen haben, die Nachmittage vor dem Schloss, die befreundeten BMX-Fahrer – und trotzdem wird dieser Moment da auf den Treppen des Busenbacher Rathauses mein größter Skatemoment bleiben. Und das, obwohl ich nur wenige Tage später das längere Treppengeländer vor dem Supermarkt ebenfalls erfolgreich slidete.
Und heute? Seitdem ich wieder skate, werde ich immer ängstlicher. Ich bin ein alter Mann geworden, dem der Schisshase konstant im Nacken sitzt und der ihm ins Ohr flüstert: »Hey, pass auf! Wenn du dich jetzt auf die Fresse legst, kannst du möglicherweise wochenlang nicht laufen. Dann fängst du an, aus Frust zu fressen und wirst noch fetter!« Das Schlimme: Diese Stimme hat ja auch irgendwie recht. Der Kampf in meinem Kopf ist der anstrengendste überhaupt. Aber wenn ich es mal schaffe, die Angstschwelle zu überwinden und etwas stehe, was ich vorher noch nie gestanden habe, schlägt der Frust in absolute Euphorie um. Dann durchflutet Adrenalin meinen Körper, und ich fühle mich wie damals. Glücklich und für einen kurzen Moment losgelöst von allen Sorgen dieser Welt. Und egal, wie oft ich noch hinfalle: Ich werde auch weiterhin zur großen Midlife-Crisis-Party gehen. Jeden Montag um 19:15 Uhr. Diese kurzen Momente der Euphorie, so kurz und selten sie auch sind, sind es allemal wert.