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Kapitel 4

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Christian Welder starrte wie hypnotisiert auf das Fax, das er in seiner Hand hielt. Er konnte es nicht fassen. Doch die Meldung aus Salzburg war unmissverständlich: Otto Wagners Cessna war während des Landeanfluges aus bisher ungeklärter Ursache abgestürzt. Alle acht Passagiere wie auch die beiden Piloten kamen dabei ums Leben.

Sein Blick flog zwischen Fax, Telefon und Tür hin und her und seine Gedanken rotierten. Sollte er Wagner anrufen oder sollte er persönlich zu ihm gehen? Was hätte er unternehmen müssen? Hatte er seine Pflicht nach dem Einbruch und vor dem Start der Cessna erfüllt? Welder entschied, mit Wagner noch vor den eigentlichen Ermittlungen zu sprechen, um sich mit ihm abzustimmen.

Im gleichen Moment, als er sein Büro verlassen wollte, klopfte es kurz und heftig an die Tür. Noch ehe Welder „Herein“ rufen konnte, flog die Tür auf, und ein junger Mann platzte in den Raum hinein. Er war Mitte zwanzig, groß, mit schulterlangem braunem Haar, das ihm in dicken, fettigen Strähnen auf den Schultern lag und einen fast fließenden Übergang zu dem breiten, klebrigen Gurt aus geflochtenen Naturfasern herstellte, an dem ein klobiger Fotoapparat hing.

„Tagchen“, rief der Mann, lief mit drei riesigen Schritten durch den Raum und baute sich dicht vor Welders Schreibtisch auf.

Welder, dem zuerst die Worte fehlten, da er mit diesem Besuch jetzt noch nicht gerechnet hatte, stellte sein Vorhaben, Wagner aufzusuchen, für einen Moment zurück und sah Fritz Schimmelpfennig verärgert an.

„Neu?“, fragte er und deutete dabei auf das untere Ende des klebrigen Gurtes.

„Ja. Ein Wunderwerk der modernen Technik. Kann fast fünfzig Aufnahmen in bester Qualität machen. Per Modem geht das Ganze dann an die Redaktion und somit bin ich immer bei den Ersten“, gab Schimmelpfennig voller Stolz zurück und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der bedenklich laut knarrte, als er die plötzliche Last auffangen musste.

„Was willst du?“, fragte Welder und versuchte seiner Stimme einen unbekümmerten und vor allem unschuldigen Klang zu verleihen.

Schimmelpfennig schaute ihn freundlich an und setzte dabei ein Lächeln auf, das seinen Mund noch breiter werden ließ, als er von Natur aus bereits war. Wie gebannt schaute Welder auf Schimmelpfennigs Lippen. Er war jedes Mal, wenn er den jungen Reporter des Berliner Journals sah, von dem biologischen Phänomen beeindruckt.

„Na, Herr Welder, das können Sie sich doch wohl denken. Und tun Sie nicht so, als ob Sie nichts wüssten.“

„Fritz, ich weiß nicht, was du meinst“, gab Welder zurück und versuchte so unwissend wie nur möglich zu tun.

„Herr Welder, hören Sie auf. Es funktioniert nicht. Was ist an der Sache in Salzburg dran und wer war in der Maschine?“ Schimmelpfennig zog ein kleines, klebriges Notizbuch aus der Gesäßtasche seiner Jeans und schlug es mit einer schnellen Handbewegung auf.

Welder sah ihm dabei fest in die Augen und verzog keine Miene. Diesmal würde er keine vertraulichen Informationen von ihm bekommen.

Doch Schimmelpfennig wartete eine Antwort von Welder erst gar nicht ab. Mit einer unerwarteten schnellen Handbewegung griff er sich das Fax aus Salzburg, das auf dem Schreibtisch lag, und überflog es mit einem raschen Blick.

„Gib es sofort wieder her“, rief Welder wütend, der von dieser plötzlichen Attacke vollkommen überrascht wurde, und versuchte das Stück Papier noch zu fassen. Doch seine Reaktion war der von Schimmelpfennig weit unterlegen.

„Schon gut, schon gut. Keine Panik. Steht sowieso nichts anderes drin, als was wir bereits wissen“, sagte Schimmelpfennig – wieder mit einem breiten Lächeln im Gesicht – und ließ das Blatt in leichtem Gleitflug auf den Schreibtisch zurücksegeln. „Weshalb denn so gereizt? Wir haben uns doch sonst immer gut verstanden; oder etwa nicht?“

„Ja, haben wir. Aber dein Benehmen mir gegenüber lässt im Laufe der letzten Zeit etwas zu wünschen übrig“, fluchte Welder und stopfte das Fax wütend in eine Dokumentenmappe hinein. „Ich kann dir zu der Sache nichts sagen. Ich habe das Fax erst vor wenigen Minuten erhalten und alles Weitere kannst du später der offiziellen Pressemitteilung entnehmen.“

„Kommen Sie; Pressemitteilung? Was soll das! Ich brauche Informationen, die andere nicht bekommen, das wissen Sie doch genau. Ich schreibe nicht für irgendein Käseblatt. Mann, Herr Welder, ich brauche Informationen aus erster Hand.“

Welder sah Schimmelpfennig entnervt an und ärgerte sich, dass er ihn nicht schon längst aus seinem Büro hinausgeworfen hatte. Und gleichzeitig ärgerte er sich über sich selbst, da er dem jungen Mann, auch wenn er ihm vom Äußeren völlig unsympathisch war, immer wieder Informationen gab. „Na schön. Du bekommst von mir acht Namen, aber das war es dann; ist das klar?“

„Sicher“, sagte Schimmelpfennig und zückte einen Stift.

Welder schlug die Dokumentenmappe auf und zog eine Kopie der Passagierliste hervor. „Krämer, Friedrich, Wendstein, Obstbaum, Schmidke, Gründing, Wegenrod und Weidmann“, las er in rasantem Tempo vor, schob das Blatt in die Mappe zurück und legte seine gefalteten Hände theatralisch auf sie.

„Der alte Karl-Gustav Weidmann?“, fragte Schimmelpfennig, der sich nicht einen der Namen notierte. Er kannte sie so gut wie seinen eigenen. Jeder Bericht des Berliner Journals, der mit Chemitec zu tun hatte und in der letzten Zeit fast immer auf der Titelseite erschienen war, stammte aus seiner Feder.

„Nein, Arnold Weidmann, sein Sohn.“

Schimmelpfennig klappte das klebrige Notizbuch mit einer schnellen Handbewegung zu und pfiff dabei leise durch die Zähne. Er wusste die brisante Zusammenstellung der Passagierliste sofort zu deuten, und Welder bemerkte ein Funkeln in seinen Augen.

„Möchte mal wissen, was die in Salzburg vorhatten? Sauber ist die Sache jedenfalls nicht. Und wer waren die Piloten?“

„Fritz, ich sagte, acht Namen, nicht zehn.“

„Mann, Herr Welder. Kommen Sie. Wer waren die Piloten?“

Welder wusste, dass Schimmelpfennig die beiden Namen innerhalb von nur wenigen Minuten draußen auf dem Flughafengelände erfahren würde. „Na gut. Andreas Stein und Gordon Miller, ein Engländer. Er war erst seit ein paar Tagen bei Private-Gilden-Airline beschäftigt.“

„Sonst noch was?“, fragte Schimmelpfennig und sah Welder dabei gierig an.

„Nein, sonst kann ich dir nichts sagen. Ich muss auch erst mal hören, was los ist.“

„Okay. Schönen Dank.“ Schimmelpfennig grinste Welder nochmals freundlich an und verschwand so schnell aus dem Büro, wie er gekommen war.

Als die Tür mit einem schnappenden Geräusch ins Schloss fiel, setzte Welder ebenfalls ein breites Grinsen auf. Er freute sich, dass er dieses Mal etwas für sich behalten hatte. Die Information über den Einbruch in der vergangenen Nacht würde Schimmelpfennig jedenfalls nicht so schnell herausbekommen.

*

Während Welder missmutig über das Gelände des Flughafens lief, dachte er darüber nach, ob zwischen dem Einbruch bei Wagner und dem Absturz der Cessna ein Zusammenhang bestehen könnte. Mit jedem Schritt, der ihn näher an Wagners Hangar brachte, wurde ihm bewusster, welchen Ärger er in den nächsten Tagen bekommen könnte. Die Untersuchung an der Maschine war nicht in dem Umfang ausgeführt worden, wie es eigentlich Vorschrift gewesen wäre. Jetzt, im Nachhinein, ärgerte er sich maßlos darüber, dass er nicht darauf bestanden hatte, die Maschine gründlicher zu untersuchen. Die Zusage für eine Sichtprüfung der Sicherheitssysteme war bodenloser Leichtsinn gewesen.

Während er weiterlief, kroch ihm ein kalter Schauer über seinen Rücken. Er hatte nur noch zwei Jahre bis zur Pensionierung und die wollte er wenn möglich ohne größere Schwierigkeiten auf seinem warmen Bürostuhl absitzen.

*

Welder betrat den Hangar von Private-Gilden-Airline und schaute sich suchend nach Wagner um. Er entdeckte ihn in seinem Büro. Durch die großen Glasscheiben, die in die Bürowände eingelassen waren, sah er, dass Wagner mit hochrotem Kopf und aufgebracht mit den Armen in der Luft rudernd hinter seinem Schreibtisch stand und lauthals brüllte. Ihm gegenüber stand Schimmelpfennig, regungslos, mit gleichgültigem Gesichtsausdruck.

Leider konnte Welder von Wagners Gebrüll, das nur in Wortfetzen in den Hangar drang, nicht viel verstehen. Doch er konnte sich denken, weshalb Wagner so aufgebracht war.

„Ich verklage … Sie Schmierfink … verlassen …“, drang es etwas deutlicher aus dem Büro heraus, als er näher herankam. In dem Moment, als er die Tür öffnen wollte, stolperte ihm Schimmelpfennig – mit breitem Grinsen im Gesicht – entgegen.

„Das war aber nicht sehr nett“, schimpfte er und warf Welder einen bösen Blick zu, der aber sofort von einem lustigen Lachen verdrängt wurde. „Aber wie Sie sehen; es geht auch anders.“

„Ja, ich weiß“, antwortete Welder gelassen und Schimmelpfennig lachte laut auf. Dann sprang er mit großen Sätzen davon. Dicht gefolgt von Wagner, der nur noch wenige Schritte entfernt war.

„Raus hier; raus, hab ich gesagt!“, brüllte er wutentbrannt und stürmte an Welder vorbei dem flüchtenden Schimmelpfennig nach. Doch bereits nach wenigen Metern ließ er von der unsinnigen Verfolgung ab und kam, schwer nach Atem ringend, zurück.

„Hast du diesen verlausten Reporter gesehen? Der kommt hier rein und unterstellt mir, dass ich mit dem Absturz der Cessna was zu tun hätte“, fluchte er lautstark und drückte Welder zornig zur Seite.

Welder verkniff sich ein Grinsen und folgte Wagner in das Büro hinein. Er schloss die Tür und lehnte sich rücklings, die Hände in seine dicke Winterjacke vergraben, gegen den Türrahmen.

„Na, dann weißt du ja, weshalb ich hier bin“, sagte er und warf Wagner, der sich schwerfällig hinter seinem Schreibtisch niederließ und seine schweißnasse Stirn mit einem Taschentuch trocknete, einen fragenden Blick entgegen.

„Ja, ist mir klar. Aber wie du ja siehst, schleichen die ersten Reporter bereits hier herum und stellen dumme Fragen.“

„Wusstest du, dass die Cessna abgestürzt ist, oder hat der Reporter es dir gesagt?“

Wagner erstarrte förmlich in seiner Bewegung. „Fängst du auch noch an, dumme Fragen zu stellen? Ich weiß es eben. Basta! Von wem, ist wohl gleich; oder?“, fluchte er und knallte einen Ordner mit voller Wucht auf den Schreibtisch. „Ich hab etwas anderes zu tun, als blödsinnige Fragen zu beantworten. Ich habe eine Maschine und zwei meiner besten Piloten verloren. Ich habe keine Zeit. Was denkst du eigentlich, was hier in den nächsten Tagen los ist?“

Welder nickte. „Ich weiß, was in den nächsten Tagen hier los ist. Es gehört zu meinem Job, es zu wissen. Aber ist dir nicht klar, dass wir einen gewaltigen Fehler gemacht haben? Wir haben die Cessna nur einer Sichtprüfung unterzogen.“

„Rede keinen Blödsinn …“, zischte Wagner und kam wie ein wütender Stier hinter seinem Schreibtisch hervorgestürmt. „Mach die Pferde nicht scheu mit so einem dummen Gerede. An der Cessna war nichts, das hat Hajo festgestellt. Wer weiß, was die Einbrecher gesucht haben. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“ Wagner baute sich dicht vor Welder auf und starrte ihn aus blitzenden Augen an. „Hast du diesem verlausten Reporter von dem Einbruch erzählt?“, zischte er.

„Nein, ich habe ihm nichts von dem Einbruch gesagt“, gab Welder zurück und war in diesem Moment froh, dass er Schimmelpfennig wirklich nichts erzählt hatte.

Wagner blieb dicht vor Welder stehen und sah ihm mit prüfendem Blick starr in die Augen. „Gut. Lass es auch. Es ist meine Sache und geht dich nichts an, ist das klar?“

Welder nickte. Doch im gleichen Moment wuchs auch sein Misstrauen. „Was machst du, wenn die Polizei noch mal kommt und dich auf den sehr fragwürdigen Zufall anspricht?“, fing er vorsichtig an, obwohl Wagner deutlich ausgesprochen hatte, dass er sich aus der Sache heraushalten sollte.

Wagner warf sich herum und stampfte, ohne etwas zu erwidern, zum Schreibtisch zurück.

„Auch gut. Ich habe dich hiermit offiziell informiert, dass deine Maschine heute Mittag kurz vor zwölf abgestürzt ist. Alle Passagiere wie auch die Besatzung kamen dabei ums Leben. Verständigst du Steins Eltern und Millers Frau, oder soll ich es tun?“

„Das übernehme ich. Es waren meine Angestellten“, rief Wagner barsch und drehte Welder den Rücken zu.

Für einen Moment blieb Welder an der Tür stehen, ehe er das Büro verließ. Er wusste einfach nicht, wie er Wagners Verhalten einschätzen sollte. Langsam, sich über ihn und die verworrene Situation Gedanken machend, ging er aus dem Hangar hinaus und lief in Richtung LKA weiter, dessen Gebäudekomplex an das Flughafengelände angrenzte.

Als er um die Ecke des Hangars bog, sah er Schimmelpfennig an dem VW-Bus von Private-Gilden-Airline stehen. Er redete auf Hajo ein, der hinter dem Steuer saß, und Welder sah ein paar zerknüllte Geldscheine in Schimmelpfennigs Hand. „Der gibt nie auf“, murmelte er und ging, ohne noch weiter auf den Journalisten zu achten, weiter. Er war jetzt schon gespannt, welche Schlagzeile am morgigen Tag auf der Titelseite des Berliner Journals prangen würde.

*

Im LKA blieb Welder hinter der Eingangstür stehen und überflog den Wegweiser, auf dem alle Abteilungen mit den zugehörigen Unterabteilungen verzeichnet waren. An wen sollte er sich wenden? Er hatte solch einen Fall in seiner bisherigen Dienstzeit noch nicht gehabt. Welder entschied, direkt zu Fritz Obstein, dem Leiter vom LKA, zu gehen. Obstein war ein langjähriger Bekannter von ihm.

An Obsteins Büro angekommen, klopfte Welder kurz an und trat, ohne weiter abzuwarten, ein. Frau Löwitsch, Obsteins Sekretärin – eine sehr attraktive Blondine Mitte zwanzig –, saß hinter ihrem Schreibtisch und begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. Welder grüßte mechanisch zurück. Seine Gedanken beschäftigten sich bereits mit dem tief dekolletierten, eng anliegenden Pullover von Frau Löwitsch, unter dem er deutlich den Rand ihres knappen Büstenhalters erkennen konnte. Während er geistesabwesend auf den Pullover starrte, fragte er sich, ob sich die junge Frau nicht etwas in ihrer Garderobe vergriffen hatte. Immerhin war es Februar und draußen herrschten seit Tagen Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt lagen. Als Frau Löwitsch sich von ihrem Stuhl erhob und Welder den kurzen schwarzen Minirock und die kniehohen Stiefel sah, war sein Kopf plötzlich und unerwartet leer. Er dachte weder an den Absturz der Cessna noch daran, dass sein starrer Blick nicht gerade unbemerkt bleiben würde.

Als er erkannte, dass sein Interesse an Frau Löwitsch von ihr bemerkt wurde, riss er seinen Blick von den endlos wirkenden Beinen los und lief hastig zur Tür, die in Obsteins Büro führte.

Welder war bereits im Begriff, sie zu öffnen, als er sich nochmals an Frau Löwitsch wandte: „Ist er da?“, fragte er und bekam ein kurzes Nicken zurück. „Kann ich rein?“, hängte er schnell noch an, drückte den Türgriff aber bereits nach unten und öffnete die Tür.

„Sicher, Sie doch immer, Herr Welder“, gab Frau Löwitsch zuckersüß und mit einem verschmitzten Lächeln zurück.

Als Welder die Tür schloss, sah er, dass Frau Löwitsch sich gerade nach einem Aktenordner streckte, der in einem der Schränke stand. Durch den Griff in die obere Schrankreihe raubte sie dem bereits kurzen Minirock noch etwas an seiner Länge, sodass der Spitzenansatz der halterlosen Strümpfe zu erkennen war.

„O Gott, wie hältst du das nur aus“, sagte Welder bestürzt, aber dennoch mit einem leichten Glanz in den Augen, als er die Tür endgültig schloss.

Fritz Obstein stand mit einer Blumenspritze am Fenster und hüllte einen kleinen Kaktus liebevoll in einen feinen Wassernebelschleier ein. „Was meinst du?“, fragte er zurück, und im gleichen Augenblick, als er den Glanz in Welders Augen sah, rief er lachend: „Ah, Frau Löwitsch. Jetzt weiß ich, was du meinst.“

„Ja, Frau Löwitsch. Dass du als Leiter vom LKA so etwas durchgehen lässt“, gab Welder sehr betont zurück und setzte sich in einen gemütlichen Ledersessel, der etwas abseits in einer Ecke stand.

„Ja, weißt du, die jungen Frauen von heute ziehen sich eben etwas flotter an als zu unserer Zeit. Du müsstest mal meine Älteste sehen, wenn sie abends aus dem Haus geht. Da ist das da draußen noch harmlos. Du bist doch schon etwas zu alt, was“, sagte er neckend und stellte die Blumenspritze auf der Fensterbank ab.

„Na ja, zu alt will ich ja wohl nicht sagen. Vielleicht etwas verstaubt, aber alt?“

Obstein lachte über Welders dezente Verteidigung. „Was führt dich zu mir? Oder wolltest du nur mal einen Blick riskieren?“, hängte er noch scherzhaft an und setzte sich mit einem Schmunzeln auf den Lippen an seinen Schreibtisch.

„Nein, natürlich nicht. Ich habe da eine etwas unangenehme Aufgabe für dich; besser ausgedrückt, für einen deiner Mitarbeiter.“

„Unangenehm?“, fragte Obstein interessiert, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, faltete die Hände und schaute Welder fragend an.

„Ja. Heute Morgen ist von hier, aus Tempelhof, eine Cessna gestartet und kurz vor dem Landeanflug auf Salzburg aus bisher unbekannten Gründen abgestürzt. Alle Passagiere und die beiden Piloten kamen dabei ums Leben. Die Maschine ist vollkommen zerstört und ausgebrannt. Ich möchte dich bitten, die Angehörigen zu unterrichten. Ich denke, du wirst Beamte haben, die solche brisanten Nachrichten mit Gefühl und Takt überbringen können.“

Obsteins Lächeln verschwand. Er saß still hinter seinem Schreibtisch und sah Welder ohne eine erkennbare Gefühlsregung an. „Weiß man, wie es passiert ist?“, fragte er mit ausdrucksloser Stimme, nachdem er den Knoten seiner Krawatte etwas gelöst hatte.

„Nein. Bisher nicht. Die Untersuchungen nehmen in der Regel Tage, ja sogar Monate in Anspruch. Wenn du genauere Informationen benötigst, musst du dich an die BFU in Braunschweig wenden. Die Maschine ist noch auf deutschem Gebiet abgestürzt.“

„Gut. Ich werde sofort zwei Beamte mit dem Auftrag betreuen.“

Obstein stand auf, ging um den Tisch herum und streckte Welder seine Hand entgegen, womit er unmissverständlich zeigte, dass dieses Gespräch für ihn zu Ende war.

Welder schaute irritiert auf Obsteins ausgestreckte Hand. „Du willst mich schon wieder hinauswerfen? Willst du nicht wissen, wer in der Maschine war?“, protestierte er, griff dabei in seine Tasche und zog die Passagierliste, die noch vor wenigen Minuten Schimmelpfennig in seinen klebrigen Händen hielt, hervor.

Obstein sah ihn einen Moment lang verwundert an, so als wüsste er nicht, was Welder eigentlich meinte. „Ach ja. Ich habe nicht daran gedacht, dass du die Namen schon hast. Also …“, sagte Obstein und streckte seine Hand nach der Passagierliste aus.

Welder reichte ihm das Blatt, stand auf, und ohne noch etwas zu sagen – aber über Obsteins Verhalten sehr irritiert –, ging er aus dem Büro hinaus.

„Bis zum nächsten Mal. Ich habe leider keine Zeit mehr für dich“, drang es noch durch die sich schließende Tür hindurch, die schnappend in ihr Schloss fiel. Welder warf erst der Tür und danach Frau Löwitsch einen fragenden Blick zu.

„Hat wohl einen schlechten Tag“, sagte Frau Löwitsch freundlich, sich für das Benehmen ihres Chefs entschuldigend, und widmete sich danach wieder ihrer Schreibmaschine.

„Ja, vermutlich“, gab Welder leise zurück und öffnete, bereits in Gedanken versunken, die Tür zum Flur.

Es bleibt für immer ein Geheimnis

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