Читать книгу BLOOD RIVER - FLUSS DES GRAUENS - Phillip Tomasso - Страница 10
Kapitel 4
ОглавлениеBrent Halperin stand vorn. Auf dem Konferenztisch lagen diverse Dinge, die mit einem Tuch bedeckt waren. Harry Krantz stand rechts neben ihm.
Rick saß mit seiner Filmcrew in der hinteren Hälfte des Konferenzraums. Danny Hughes mit seinen gut zwanzig Kilo Übergewicht war der etwas schlampig aussehende und nicht gerade durchtrainierte Kameramann. Rick hatte ihn noch nie in einem anderen Outfit als Flanellhemden und weißen T-Shirts, großen schlabbrigen Jeans und Turnschuhen gesehen. Curtis Burnette, Anfang zwanzig, war Ricks Tontechniker. Er nahm die Dialoge und Monologe auf, das Geräusch von Blinkern, die ins Wasser klatschten, und das Surren der Rolle, wenn ein Fisch versuchte, wegzuschwimmen. Joanne Wagner, mit dem umwerfenden Lächeln, war die rotblonde Regisseurin. Sie fand immer wieder neue und interessante Aufnahmewinkel, aus denen sie einen Fang filmen konnten.
Es waren noch wesentlich mehr Menschen an der Aufzeichnung jeder einzelnen Folge beteiligt, doch Krantz erlaubte nicht allen, beim nächsten Film dabei zu sein. Rick war dankbar für das versammelte Team.
Halperin zog das Tuch weg.
Danny stand auf. »Das gibt’s nicht, Mann. Das gibt’s nicht.«
Halperin nickte unablässig. »Oh doch, Mann. Doch! Krantz hat ein paar Reiseausgaben bewilligt, Leute. Wir haben zwei funkelnagelneue Beta-Kameras.«
»Beta-Kameras?«, fragte Rick, dem die Aufregung seines Teams entging.
»He.« Curtis hob die Hand. »Und ich?«
»Wir haben zwei von den Kameras«, sagte Halperin. »Und eine davon würden wir gern von Ihnen bedienen lassen.«
»Wie soll er denn gleichzeitig filmen und den Ton aufnehmen?«, fragte Rick.
»Diese Kameras sind tragbar und zeichnen Video und Audio auf Kassette auf. Das läuft magnetisch ab. Man kann etwas über drei Stunden Film auf ein Band aufnehmen«, sagte Danny.
»Stimmt genau«, bestätigte Halperin und zeigte auf Danny. »Aber schmollen Sie nicht, Curtis. Wir haben vor, Ihr Mikrofon und ein Aufnahmegerät einzupacken, das Sie tragen und für zusätzliche Tonaufnahmen nehmen können – aber eine zweite Kamera könnte sehr nützlich sein. Wir betreten Neuland, Leute. Sie sind Astronauten.«
Rick biss sich auf die Lippe. Astronauten?
»Wir möchten außerdem, dass Sie alle ein Logbuch, so was wie ein Reisetagebuch führen. Schreiben Sie auf, was Sie wollen – das Wetter, Vögel, Geräusche oder Farben. Ist mir ganz egal. Einfach alles notieren. Benutzen Sie alle fünf Sinne.«
»Ich bin nicht so gut im Schreiben«, sagte Danny.
»Machen Sie’s einfach. Fangen Sie meinetwegen mit Liebes Tagebuch an«, sagte Krantz. »Es bedeutet ja nicht, dass wir es verwerten werden, aber ich denke, es ist besser, zu viel als zu wenig Material zu haben.«
»Ihr Flug geht morgen früh«, sagte Halperin. »Wenn Sie noch Fragen haben, ist jetzt der Zeitpunkt, sie zu stellen. Sobald Sie auf diesem Fluss in Papua sind, war’s das mit der Kommunikation.«
»Was sollen wir denn den ganzen Monat lang essen?«, fragte Danny und nahm eine der Beta-Kameras, die er hin und her drehte. Er hielt sie in den Händen, als könnte sie jeden Moment zu Staub zerfallen.
Rick zog eine Augenbraue hoch. »Ist das dein Ernst?«
Danny grinste schief. »Tut mir leid, Stone, aber ich esse nicht tagein, tagaus zu jeder Mahlzeit Fisch. Oder Känguru oder Eidechse oder Tukan. Sorry. Kommt nicht infrage.«
»Er spricht da wirklich was an«, sagte Joanne. Sie saß vor einem Papierblock. Es stand zwar nichts auf dem Papier geschrieben, aber sie beschäftigte sich damit, mit einem Stift auf den Block zu klopfen. »Ich meine, wir können doch nicht Lebensmittel für einen ganzen Monat einpacken, die wir dann mit uns herumschleppen. Oder doch?«
»Können Sie nicht«, sagte Krantz.
Rick hatte keine Ahnung, was er mitnehmen sollte. Er war noch nie einen Monat lang weg gewesen. Die Vorstellung, tief in einem fremdartigen Regenwald zu sitzen, wo er seine Kleidung nicht waschen konnte, war alles andere als verlockend. »Ich schaffe es niemals, dreißig Paar Jeans und T-Shirts in meinen Rucksack zu stopfen. Jeans länger als einen oder zwei Tage zu tragen, macht mir nicht so viel Sorgen wie das, was ich die Unterwäschekrise nenne.«
Alle lachten. »Ich weiß, dass es unnötig ist, so was Offensichtliches extra auszusprechen, aber ich tue es trotzdem«, sagte Krantz. »Das Essen besteht aus dem, was Sie finden können. Wir haben eine Führerin angeheuert, die Sie die ganze Zeit begleiten wird. Sie kommt ursprünglich aus dem Dorf Wairoku, aber war eine der Wenigen mit genügend Glück, in jungen Jahren von dort wegzukommen. Sie hat an einer australischen Universität studiert. Sie spricht viele verschiedene Dialekte und mehrere Sprachen. Ich bin mir sicher, dass sie als Eingeborene mit Hochschulbildung äußerst findig ist und niemanden von Ihnen verhungern lassen wird. Hoffe ich.«
»Wo wir gerade davon sprechen«, sagte Halperin. Er öffnete eine Mappe und zog einen kleinen Stapel Dokumente heraus. »Wir müssen Sie diese Freistellungserklärungen unterschreiben lassen.«
»Freistellungserklärungen?«, fragte Curtis, langte über den Tisch und zog ein Exemplar zu sich hin. »Das ist ganz schön viel Papier.«
»Es sind viele Worte, die im Grunde nur sagen, dass Sie den Sender nicht verklagen werden, falls Ihnen in Papua irgendetwas zustoßen sollte. Es möge Ihnen um Gottes willen nichts zustoßen, Sie sind ja auch weiterhin als Angestellte versichert – wir müssen nur klarstellen, dass mit keinen Extrazahlungen gerechnet werden kann. Das Filmen auf dem River Eilanden und dem Becking River wird genauso gehandhabt wie auf Lake Ontario. Wenn Sie sich dort einen Arm brechen, bekommen Sie die gleichen Arbeitsausfallzahlungen, als ob Sie ihn sich hier gebrochen hätten.«
»Und das steht hier drin?«, fragte Joanne und blätterte die Seiten durch.
»Ja«, antwortete Krantz. »Versicherungen und Anwälte können sich nicht kurzfassen.«
»Ich nehme an, dass Sie das jetzt gleich unterschrieben haben wollen?«, fragte Rick.
»Ob ich das nicht lieber erst von meinem Anwalt durchgucken lasse, Mann?«, fragte Curtis.
Danny setzte die Kamera ab und nahm sein Exemplar der Freistellungserklärung in die Hand. »Wäre schön, wenn Sie uns das eher gegeben hätten. Ich meine, wir fliegen ja schon morgen.«
Rick klickte seinen Kuli und beugte sich über die letzte Seite seines Dokuments. Er holte tief Luft und unterschrieb. »Also, mir ist egal, was drinsteht. Das ist eine einmalige Gelegenheit, und die will ich nicht verpassen, nur weil irgendwo ein i-Punkt fehlt. Ich mache mich auf den Weg. Ich kann’s nicht erwarten, nach dieser … Kreatur zu fischen. Könnt ihr euch vorstellen, was ist, wenn wir das Vieh fangen, und es eine neue, noch nie gesehene Tierart ist? National Geographic, der Pulitzer Preis, der Nobelpreis … ich bin dafür. Ganz und gar dafür.«
Curtis und Joanne sahen sich an.
Rick beobachtete sie. Er kannte die Gedanken, die ihnen durch den Kopf gehen mussten, die ihm durch den Kopf gegangen waren: Eine Million Variationen von Was, wenn?
Was, wenn wir uns irgendeine seltsame Krankheit einfangen?
Was, wenn uns ein Dschungeltier beißt und wir dadurch den Verstand verlieren?
Was, wenn wir nach 30 Tagen Forelle eine Essstörung bekommen?
Was, wenn uns irgendein Unfall einen Arm oder ein Bein abreißt?
Was, wenn wir ums Leben kommen?
Curtis seufzte und klickte seinen Kuli. »Das wird uns also berühmt machen, Rick?«
»Das kann ich nicht garantieren, aber ich denke, dass wir so oder so eine einmalige Gelegenheit haben, ein Abenteuer zu erleben, das sich nur den wenigsten Menschen bietet. Ein echtes Abenteuer. Keine Schauspielerei in einer Fernsehshow. Unsere Show wird wahr sein. Danny und du, ihr werdet die Realität filmen. Es geht doch um vieles mehr, als einfach nur um eine Angelsendung. Wir werden wie eine Expedition sein und jeden Schritt unserer Reise filmen, damit sie vielleicht Millionen von Amerikanern sehen können!«
»Verdammt, du lässt das ganz großartig klingen«, sagte Joanne und unterzeichnete ihre Freistellungserklärung.
Curtis schüttelte den Kopf. »He, Leute, ich lass euch doch nicht den ganzen Ruhm und Reichtum für euch behalten und bleib hier sitzen.« Auch er unterschrieb das Dokument.
***
Danny folgte Rick zurück in sein Büro. Er trug immer noch das Plastikglas, das mit seinem dritten Champagner gefüllt war, und eine dicke Mappe unterm Arm mit sich herum.
»Ich war gestern Abend in der Bücherei. Sonderlich viele Informationen gibt‘s gar nicht über Papua-Neuguinea. Über Papua auch nicht; das Land ist ja schon recht lange in zwei Teile getrennt. Papua-Neuguinea, das sie da PNG nennen, gehört nicht zu der Landeshälfte, in die wir fahren. Unsere Seite gehört zu Indonesien. Es gibt Freiheitskämpfer, die den Teil eines Tages mit PNG wiedervereinen wollen als ein eigenständiges Land. Kann man ihnen auch nicht verübeln. Diese Typen sind ziemlich hart drauf, habe ich den Eindruck, aber wohl nur, was ihre Sache angeht«, sagte er.
Rick öffnete die Bürotür. »Willst du reinkommen?«
»Ja, klar. Super.«
Rick ging zu dem kleinen Tisch bei dem einzigen Fenster, das ihm vergönnt war. »Setz dich doch. Klär mich auf – was genau haben wir uns da eingebrockt?«
»So ziemlich alles ist dichter Regenwald. Überall sind Flüsse. Äußerst hohe Luftfeuchtigkeit – die Temperaturen an sich sind nicht so schlimm, aber die Luftfeuchtigkeit scheint konstant zu sein, denke ich. Von daher werden wir wohl gut schwitzen«, sagte er. »Aber na ja, wäre gar nicht schlecht, ein paar Kilo abzunehmen, insofern will ich mich nicht beklagen. Was mir mehr zusetzt ist, dass es da überall diese Eingeborenenstämme gibt, so was wie Tarzan-Menschen. Verstehst du, was ich meine? Die laufen alle nackt rum und leben in den Bäumen und so. Sie benutzen Blasrohre, Pfeil und Bogen. Die haben keine Ahnung, was Zivilisation ist – keinen blassen Schimmer.«
»Genau das denke ich auch von uns manchmal.«
Danny lachte. »Ich meine das nicht philosophisch, ich rede von Kannibalismus: Die schleichen durch den Dschungel, stecken dich auf einen Spieß und rösten dich wie ein Ferkel. Deshalb mache ich mir um mein Gewicht Sorgen. Du dagegen – sieh dich doch an! Dich wird keiner essen wollen, wenn da noch jemand wie ich zur Auswahl steht.«
Diesmal lachte Rick. »Ich lasse nicht zu, dass dich jemand isst, Danny.«
»Okay, also eine meiner Fragen ist, was für Sicherheitsmaßnahmen wir haben?« Sein Lächeln verschwand und er sah ernst und nachdenklich aus.
»Wir haben die Führerin, die sich gut in der Gegend auskennt. Du hast doch gehört, was in der Besprechung über sie gesagt wurde«, gab Rick zurück. Er lehnte sich im Stuhl zurück und überkreuzte die Beine. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die gerahmten Fotos von seiner Familie, die an der gegenüberliegenden Wand hingen. Karen mit Jared auf einem Knie. Sie trugen Jeans und leichte Windjacken. Es war im Frühherbst und sie machten am Wasser von Hamlin Beach State Park ein Picknick: Hotdogs und gegrillte Hamburger. Die Bilder brachten Erinnerungen an den Tag zurück. Die Erinnerungen waren wie eine Videoaufnahme in seinem Gehirn gespeichert; er konnte die Szenen vor- und zurückspulen und jedes einzelne Detail sehen.
»Rick?«
»Was?«
»Ich habe gesagt, dass unsere Führerin eine Frau ist – nicht, dass das schlecht wäre«, sagte er.
»Ja, und?«
»Na, wie ich sagte, es ist mir ja egal, aber wird sie eine Pistole dabeihaben? Kann sie uns vor diesen gefährlichen Eingeborenen beschützen?«
Rick hob die Hand. »He, Moment mal – wer sagt denn, dass die Eingeborenen gefährlich sind?«
»Sie sind Kannibalen. Sie essen Touristen oder Angler, was ja nun nicht gerade gastfreundlich ist.«
Rick biss sich auf die Unterlippe. »Ich bin mir sicher, dass wir nirgendwohin gehen werden, wo es so gefährlich ist, dass man eine Waffe braucht.«
»Na, ich weiß nicht. Ich mache mir etwas Sorgen. Rick, ich bin in Kanada gewesen – sechzig Meilen westlich von hier. Sonst nirgendwo. An den Niagarafällen. Ich bin nicht so viel rumgereist wie du. Außer, dass ich da ein paarmal war, bin ich noch nie außerhalb des Landes gewesen.«
Rick war in Kanada und in den Flitterwochen auf den Bahamas gewesen, nichts sonderlich Exotisches, Ausgefallenes oder Romantisches. Karen und er hatten oft über einen Europaurlaub geredet, einem Monat in Italien und England. Der Plan war immer dagewesen, nur war er nie ausgeführt worden. So wie die Dinge jetzt standen, machte er sich weniger um den Europaurlaub Gedanken als darum, ob er sie überhaupt noch zuhause vorfinden würde, wenn er von diesem Arbeitseinsatz heimkehrte.
»Hier. Behalte die Infos, die ich rausgefunden habe. Lies dir das mal durch.« Die Mappe mit den Papieren und Notizen war dick. Danny hatte offensichtlich seine Hausaufgaben gemacht. Rick öffnete sie und begann zu lesen.