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Kapitel 3

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Nach der Besprechung überlegte Rick, ob er seine Frau anrufen sollte. Bisher hatte er keine Zeit dafür gefunden. Nachdem sie Ricks Zusage hatten, wollten Krantz und Halperin sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Es gab viel zu erledigen, aber nicht viel Zeit. Der Arbeitstag flog nur so dahin. Da er keine Mittagspause gemacht hatte, war Rick in der Lage, das Büro anderthalb Stunden früher als üblich zu verlassen.

Auf dem Nachhauseweg beschloss er, beim Floristen an der Ecke anzuhalten. Er kaufte ein jahreszeitgemäßes Bouquet Herbstblumen: Sonnenblumen und duftenden Lavendel mit Schleierkraut. Kurz überlegte er, eine neue Vase dazuzukaufen, aber er tat es nicht. Als er zu seinem Haus abbiegen wollte, hielt er stattdessen gegenüber an. Er stellte den Motor ab und blieb im Auto sitzen. Er starrte das Haus an. In der Küche und im Wohnzimmer brannte Licht – nichts Ungewöhnliches.

Was ihn aber störte, war das Auto, das hinter dem seiner Frau in der Einfahrt parkte. Das war das Problem. Er kannte es nicht, schrieb sich das Kennzeichen, die Marke und das Modell auf. Er hatte keine Ahnung, was er mit diesen Informationen machen wollte. Aber das war egal, haben wollte er sie trotzdem.

Rick spielte mit dem Gedanken, hinter dem Auto zu parken und ins Haus zu gehen. Das war es, was er tun wollte, was er tun sollte. Doch er tat es nicht.

Stattdessen startete Rick sein Auto wieder. Ziellos fuhr er bis 17 Uhr in der Stadt herum und kehrte erst dann nach Hause zurück.

***

Als er diesmal zu seinem Haus abbog, stand das Auto nicht mehr in der Einfahrt. Rick bereute es, die Blumen gekauft zu haben, und überlegte, ob er sie im Auto lassen sollte. Er konnte sie ja am nächsten Morgen wegwerfen oder sie auf der Arbeit einer der Sekretärinnen schenken. Die Neuigkeiten, die er Karen zu erzählen hatte, würden sowieso einen Streit vom Zaun brechen. Die vorweg gekauften Blumen fühlten sich wie ein Eingeständnis seiner Schuld an. Vielleicht waren sie das auch.

Seine Schuld kam ihm so ironisch vor, dass er fast lachen musste. Rick wollte nicht weiter nachgrübeln, was es bedeuten mochte. Im Moment war es besser, das zu verdrängen und sich später damit auseinanderzusetzen. Er hatte einfach nicht die Zeit, es anzugehen – weder in einer Auseinandersetzung mit Karen noch in seinen Gedanken.

Er stieg aus dem Auto, klemmte sich das Bouquet unter den Arm und griff über den Sitz nach seiner Tasche. Normalerweise befand sich darin nichts Nützliches: ein Notizbuch, Stifte und Angelzeitschriften. Er trug die Tasche eigentlich nur mit sich herum, weil alle im Büro eine hatten. Oft fragte er sich, was sie wohl in ihren Aktentaschen hatten. Sein eigenes Requisit kam nur mit auf die Arbeit und wieder nach Hause. Im Büro lag es auf dem Schreibtisch und zuhause neben der Küchentür. Heute Abend allerdings befand sich eine Kopie der Akte darin, die Krantz ihm gezeigt hatte.

Er war sich bewusst, dass seine wandernden Gedanken nur eine Verteidigungstaktik waren, mit der er vermied, über den Ausgang des Abends zu spekulieren. Er schüttelte den Kopf. Ohne jeden Grund rückte Rick seinen Krawattenknoten zurecht. Es war schon fast November. In der Luft schwang eine Kühle mit, die ihn normalerweise belebte, heute Abend aber nur frösteln ließ. Wobei Rick nicht davon überzeugt war, dass sein Erschaudern viel mit den fallenden Temperaturen zu tun hatte.

Die Küchentür war unverriegelt. Er betrat das Haus und legte seine Brieftasche auf die Anrichte neben der Tür.

»Einen Moment lang habe ich gemeint, du würdest nicht reinkommen«, sagte Karen.

Über eine Stunde lang hatte er sich dasselbe gefragt.

Der Küchentisch war gedeckt und Jareds Hochstuhl zwischen Ricks und Karens Stühlen an den Tisch gerückt. »Noch ein paar Minuten länger und ich hätte den Braten wegwerfen müssen. Dann wäre er so ausgetrocknet gewesen, dass nicht mal der Hund von nebenan dran gekaut hätte.«

Rick ging nicht darauf ein. Er schwieg und knöpfte sich nur den obersten Knopf seines Hemds auf, bevor er seine Krawatte lockerte und sie über den Kopf zog. »Wie war dein Tag?«

»Nicht besser oder schlechter als üblich. Jared und ich haben uns beschäftigt, und ich habe gekocht und saubergemacht.«

»Und sonst nichts?«

Sie starrte ihn schmaläugig an. »Sonst nichts.«

»Ist Jared im Bett?«

»Im Laufgitter. Er hat ein Nickerchen gemacht. Ich habe im Hintergrund den Fernseher laufen lassen. Willst du ihn grad holen?« Karen klappte die Ofentür auf und nahm mit großen Ofenhandschuhen eine Kasserolle mit einem großen Braten heraus, der von Karottenscheiben und Kartoffeln umgeben war.

Rick legte seine Krawatte und die Blumen auf den Wohnzimmersessel und lächelte seinen Sohn an, den Lichtblick seines Abends. »Hallo, Kumpel. Na, du?«

»Dada.« Jared streckte seine Arme hoch.

Rick hob seinen Sohn aus dem Laufgitter und stellte den Fernseher ab. »Na, wie geht’s? Wie geht’s meinem kleinen Kumpel?«

In der Küche setzte Rick seinen Sohn vorsichtig in den Hochstuhl. »Das riecht lecker«, sagte er und rollte sich die Ärmel bis kurz unter die Ellbogen hoch.

Schweigend aßen sie. Die einzigen Geräusche kamen von Jared, der gluckste und schnaufende Geräusche beim Essen machte. Er zermatschte das Gemüse mit seinen kleinen Händen und leckte es sich von den Fingern. Das Lätzchen war nutzlos – nach dem Dinner würde er gebadet werden müssen.

Die ganze Zeit über fragte sich Rick, wer in seinem Haus gewesen war. Er hatte Karen die Chance gegeben, zu sagen, dass sie Besuch gehabt hatte. Der Braten lag ihm wie ein Kloß im Magen. Er aß weiter, da es leichter war, als zu reden.

Sein Kopf war voller Gedanken, die durch sein Hirn wirbelten. Er überlegte, wie er die Konferenz zur Sprache bringen konnte. Karen hatte nicht danach gefragt. Entweder hatte sie es vergessen oder es interessierte sie nicht. Wenn er gekonnt hätte, würde er das Thema einfach ignorieren. Aber leider führte kein Weg daran vorbei. Was sie besprochen hatten, betraf nicht nur ihn und seine Karriere, sondern auch Karen und Jared.

Rick legte Gabel und Messer nieder und räusperte sich. »Ich, äh, hatte heute Morgen auf der Arbeit diese Besprechung.«

»Das hättest du auch eher erwähnen können. Dann hätten wir was zu erzählen gehabt«, sagte sie.

Er konnte es ihr einfach nicht recht machen.

»Und? Was war nun damit?«

»Es ging um die Show. Unsere Einschaltquoten sind extrem gesunken.«

Karen sah Rick an. Vielleicht hasste sie die Vorstellung, dass ihr Mann ein Angler in einer Fernsehsendung war, und auch die Tatsache, dass sie immer peinlich berührt aussah, wenn sie jemandem erzählte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente – aber dumm war sie nicht. Die Rechnungen wurden bezahlt und sie waren nicht gerade arm. »Du bist gefeuert worden? Sag mir nicht, dass du gefeuert worden bist. Es ist fast November. Jetzt zum Jahresende wirst du nie einen neuen Job finden, da stellt keiner neue Leute ein. Was machen wir denn bloß mit Weihnachten?«

»Karen.«

»Ich werde meinen Eltern trotzdem was kaufen müssen. Ich lasse uns doch nicht zu Weihnachten von meiner Schwester übertrumpfen. Ach, wie würde ihr das gefallen – du ohne Arbeit, und sie mit dem besseren Geschenk für Mom und Dad.«

»Karen.«

»Aber natürlich ist sie mit Bob verheiratet. Apotheker sind ja nicht gerade Ärzte, aber er hat immer Arbeit und verdient ganz schön viel Kohle.«

»Karen!«, sagte er und zwang sich zu lächeln, überrascht, dass er laut geworden war. Es funktionierte – sie hörte auf zu reden. Sie hörte auf zu reden und starrte ihn an. Wartete. »Ich habe meinen Job nicht verloren.«

»Na, warum hast du das nicht gleich gesagt?« Sie stand auf. »Willst du Kaffee? Ich will nicht eine ganze Kanne für mich alleine machen.«

Rick schüttelte den Kopf.

»Nicht mal eine Tasse?«

»Ja, okay, ich trinke eine Tasse.«

Sie rollte mit den Augen und ging zur Küchenanrichte. »Fühl dich nicht gezwungen. Ich hab ja nur gefragt.«

»Ein Kaffee wäre gut. Danke«, sagte er. »Aber ich hab noch nicht zu Ende geredet.«

Sie wusch die Kaffeekanne an der Spüle aus und füllte sie dann mit Wasser. »Schieß los, ich bin ganz Ohr.«

Er hatte gedacht, dass er ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit haben würde. Dass sie sich mit dem Kaffee beschäftigte, machte die Konversation vielleicht etwas einfacher – zumindest seinen Teil davon.

»Ein Zuschauer hat etwas vorgeschlagen …« Er wollte nicht sagen, um die Sendung zu retten, sondern suchte nach den Worten, die Halperin benutzt hatte, um der Situation einen positiven Anstrich zu verleihen. »Um die Quoten zu erhöhen.«

»Ein Zuschauer rettet die Sendung?« Sie gab drei Löffel Kaffeepulver in den Papierfilter und klappte den Deckel der Maschine zu.

Er verzog das Gesicht und schloss die Augen, zählte schnell bis zehn. »Die Sendung hat keinen Retter gebraucht.« Das war gelogen. Er vermutete, dass die Konferenz ohne den Zuschauerbrief wohl ganz anders verlaufen wäre. »Aber du kennst ja Harry – immer drauf aus, seine Shows zu verbessern. Und Brent ist ein totaler Ja-Sager.«

»Und starrt mich immer an, wenn wir uns mal sehen. Unheimlich. Es ist, als ob er … ach, ich weiß auch nicht, als ob er mich mit seinen Blicken auszieht. Ich kann’s nicht ausstehen, wenn mich jemand so anguckt, und ich würde denken, dass es dir als meinem Mann auch nicht gefällt.« Karen stand mit einer leeren Tasse in der Hand da, einen Finger durch den Henkel geschlungen.

Nichts hatte sich verändert. Aber die Tatsache, dass sie ihn vielleicht betrog, veränderte alles. Er wusste nur nicht, inwiefern. »Ich gehe nach Papua.«

Karen neigte den Kopf zur Seite. »Wie bitte?«

»Das ist die westliche Hälfte von Neuguinea. Es ist eine Provinz von Indonesien.« Man konnte durchaus sagen, dass Rick geografisch leicht behindert war. Halperin hatte ihm zeigen müssen, wo die Reise hinging: Zu einem Land oberhalb von Australien.

»Neuguinea.«

»Es heißt nur Papua. Das Land ist zweigeteilt – Papua-Neuguinea ist die östliche Hälfte davon. Es liegt genau oberhalb von Aus-«

»Warum fährst du dahin?« Sie hatte die Tasse abgestellt. Der Kaffee war vergessen.

»Wir motzen Catch and Release etwas auf, machen die Show extremer.«

»Wie denn extremer? Du fischst. Du fängst mit einem Haken Fische, die du dann wieder ins Wasser zurückwirfst. Ich hab die Sendung gesehen. Ich weiß nicht, ob man eine Fernsehsendung übers Angeln aufmotzen kann. Also – warum? Und für wie lange sollst du weg sein?«

So, wie sie die Arme über der Brust gekreuzt hatte, wusste Rick schon, dass der bereits lange Tag mit einem noch längeren Abend enden würde. Er würde es nicht ignorieren können, würde dem Streit nicht aus dem Weg gehen können.

»Es ist eine ganz interessante Geschichte …«

»Wie lange schätzen sie, dass du weg sein musst?«

»Ich fliege Montag. Anfang Dezember bin ich wieder zurück.« Er atmete schnell ein und hielt die Luft an.

»Einen Monat? Du wirst einen Monat lang weg sein? Sag ihnen, dass wir nein, danke sagen.«

Rick stützte die Ellbogen auf den Tisch und atmete in seine Hände aus. »Ihnen sagen, dass wir … was? Karen … ich glaube, du verstehst das nicht.«

»Ich verstehe das nicht? Ach ja? Die verstehen das nicht. Man kann einen Mann nicht einfach einen Monat lang von seiner Familie wegnehmen. Was soll ich denn in der Zeit machen? Die alleinerziehende Mutter spielen? Was ist mit Jared? Willst du deinen Sohn so lange nicht sehen? Ein Kleinkind verändert sich sehr in einem Monat. Er wird sich gar nicht mehr an dich erinnern können.«

»Karen.«

»Ruf Halperin sofort an und sag ihm, dass du es sehr schätzt, dass sie dir die Gelegenheit gegeben haben, es mit deiner Frau durchzusprechen, aber wir sind zu dem gemeinsamen Entschluss gekommen, das Angebot abzulehnen. Er wird das schon verstehen. Egal wie widerlich er ist, er muss einfach wissen, dass so was eine Ehe tötet«, sagte sie.

»In einem der Flüsse gibt es irgendwas. Etwas, das Menschen tötet. Dieses, die … Kreatur reißt Löcher in seine Opfer. Die sehen nachher aus wie Schweizer Käse. Ich werde da angeln, um zu beweisen oder zu widerlegen, dass es diese Kreatur gibt. Ich werde so was wie ein Detektiv sein«, sagte Rick. Es war das erste Mal, dass er jemandem den neuen Dreh der Show erklärte, und es war aufregend, es ausgesprochen zu hören – und zwar nicht nur von den Lippen seines Produzenten.

»Ein angelnder Detektiv?« Sie schnaubte und rollte mit den Augen, warf den Kopf zurück, um zu lachen. Es hörte sich zuerst nur sarkastisch an, so wie vielleicht der Bösewicht in einer alten Schwarzweißsendung lachte – laut und übertrieben. Dann zuckten ihre Schultern. Sie drehte sich um, sodass sie von ihm weg zur Küchenanrichte sah. Das Gelächter wurde immer wilder, bis sie fast hysterisch zu sein schien.

»Wir nehmen eine kleine Filmcrew, einen Guide und ein paar Eingeborene mit den Fluss hoch zu diesem Dorf, wo ich dann Tag und Nacht unter den Ureinwohnern verbringen werde, während ich nach dieser Kreatur angele. Es wird aufregend und neu sein. Es wird gefährlich sein …«

»Gefährlich? Wie gefährlich denn?« In ihrer Stimme schwang keine Beunruhigung mit. Zumindest keine um ihn.

»Diese Kreatur soll angeblich …«

»Löcher in seine Opfer reißen. Ich weiß. Und was qualifiziert dich dafür, diese Kreatur zu fangen?«

»Ich bin ein Angler.«

»Und wie viel zahlen sie dir dafür?«, fragte Karen.

Rick spürte, wie seine Schultern nach vorn sackten, als er immer kleiner wurde. »Du hast ja recht, die Sendung hat in Schwierigkeiten gesteckt. Die Einschaltquoten waren so schlecht, dass ich mir ziemlich sicher bin, ohne diese neue Chance …«

»Chance. Sie bezahlen dir nichts extra, oder?«

»Doch, aber nicht viel.« Er sagte ihr, wie viel extra er verdienen würde. Das deckte nur seine Abwesenheit und die Reisekosten. Viel war es wirklich nicht. Die Hauptsache war doch aber, dass er seinen Job behielt. Dafür war er dankbar.

»Na, das ist doch prima.«

»Prima?« Rick lächelte. Er hatte nicht gedacht, dass das bisschen Extrageld einen Unterschied machen würde.

»Wenn du Halperin absagst, bringst du dich wenigstens nicht um eine Riesenmenge Geld oder so«, sagte sie.

Rick schwieg.

»Rick?«

Er sah zu seiner Frau hoch. Ein Schauder überlief sie.

»Du hast doch nicht …«

»Ich habe schon zugesagt, Karen.« Er stand auf und ging zur Tür. Er holte seine Aktentasche und legte sie auf den Tisch, klickte die richtige Kombination des Nummernschlosses und öffnete sie. Rick nahm den Umschlag heraus und legte ihn auf den Tisch. »Das könnte sehr viel Anklang finden. Sieh mal die Akte hier durch.«

»Ich will mir keine Akten ansehen, Rick. Ich will, dass du Halperin anrufst und ihm sagst, dass du dich geirrt hast. Du kannst nicht nach Peru fahren.«

»Papua. Es liegt bei Australien.«

»Peru, Papua, ist doch egal. Es ist auf jeden Fall am anderen Ende der Welt. Ruf ihn an. Sag’s ihm. Und damit hat sich’s.«

»Ich gehe dahin, Karen. Ich mache die Sendung.«

»Ach ja, du gehst also dahin? Dann ist das wohl etwas, das du unbedingt machen willst.«

»Ist es auch.«

»Gut. Dann fahr du alleine in die Ferien – aber lass dir gesagt sein, dass ich nicht versprechen kann, ob Jared und ich noch hier sind, wenn du wiederkommst.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte er.

»Ach nein? Und was soll das heißen?«

Rick ging aus der Küche.

»Ich will wissen, was das heißen soll, Rick!«

Er kehrte mit den Blumen in die Küche zurück und warf sie auf den Tisch. »Für dich.«

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