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Prolog

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Indonesien, in der Provinz Papua: Das Dorf Wairoku am Eilanden River, 1982

Sicheren Fußes marschierten Oom und Kota durch den Wald. Ihre bloßen Füße waren so unempfindlich wie Schuhleder. Beide waren nackt, hatten aber ihren Penis in den Körper hochgedrückt und ihre Hoden schützend in ein Blatt gehüllt. Beide Männer waren dunkelhäutig, noch keine zwanzig Jahre alt, verheiratet und hatten Kinder. Jeder von ihnen trug einen leeren Eimer in der einen Hand und einen schön geschnitzten Stock in der anderen. Der Weg war ihnen nicht neu. Sie wussten, dass sie trotzdem aufpassen mussten, während sie sich unterhielten.

Ihre Unterhaltung unterschied sich nicht vom Gerede im Dorf. Ständig kursierten Gerüchte und es wurde viel geschwätzt. Susilo, der älter als Oom und Kota war, lag im Sterben. Die Krankheit, die seinen Körper schüttelte, war plötzlich ausgebrochen und fesselte ihn schon seit Wochen an das Bett in seiner Hütte. Schwach und fiebergeschüttelt wie er war, konnte Susilo kein Essen im Magen behalten. Die ersten Tage hatte er auf den Knien zugebracht und sich ständig übergeben. Seine Frau wusch ihn auf seinem Krankenlager mit feuchten Tüchern und sorgte dafür, dass er nie alleine war, wenn er aufwachte. Ihre anderen Pflichten verschob sie auf die Zeit, in der Susilo schlief. Nichts war ihr wichtiger, als sich um ihren Mann zu kümmern. Man würde ihr die vernachlässigte Arbeit erst später vorwerfen können – und sie wurde ja erledigt, nur nicht zu der Zeit, zu der die Anderen sie verrichteten. Während der letzten Tage versuchte seine Frau nicht einmal, ihn zu füttern. Es schien sinnlos. Er lag nur stöhnend auf dem Rücken und wenn er redete, war es etwas Unzusammenhängendes.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Susilo sterben würde. Obwohl die Krankheit, an der er litt, ihn unerwartet befallen hatte, waren die Symptome schon oft gesehen worden. Das Fieber war durch Hexerei hervorgerufen worden. Bevor er starb, würde Susilo eine Vision haben. Dabei würde er den Khakhua genau sehen können, der ihn verflucht hatte. Die letzten Atemzüge würden ihm genügend Luft in die Lunge pressen, um den Hexer unter ihnen zu enthüllen.

Oom und Kota waren zu vernünftig, um ihren Verdacht im Dorf laut auszusprechen. Im Wald war es etwas anderes. Die beiden waren seit Kindesbeinen unzertrennlich und fühlten sich als beste Freunde mit Themen sicher, die niemals diskutiert werden sollten. Sie vertrauten einander. Sie standen sich näher als die meisten Brüder, die es in ihrem Stamm gab.

Die untergehende Sonne durchstach hier und da das ungleichmäßige Laubdach. Sonnenstrahlen konzentrierten sich auf enge Flecken der Bodenvegetation. Das ständige Kreischen der Papageien, die miteinander stritten, hörte Kota kaum. Es war ein allabendliches Ritual, dessen durchdringenden Lärm man zu ignorieren lernte, wenn man sich davon nicht in den Wahnsinn treiben lassen wollte.

Obwohl das Dorf Wairoku nicht weit vom Fluss entfernt war – es war nur ein zehnminütiger Weg –, waren sich Oom und Kota ständig ihrer Umgebung bewusst. Auf Schritt und Tritt folgten ihnen Gefahren, von denen die Wildschweine zu den offensichtlichsten gehörten. Als dämmerungsaktive Allesfresser waren sie abends auf der Suche nach Futter. Mit ihren scharfen Hauern und ihren großen muskulösen Körpern waren sie für so gut wie jeden eine Gefahr. Ein männlicher Einzelgänger, bis zu zwei Meter lang und zwischen fünf- und siebenhundert Pfund schwer, konnte eine Person töten oder ohne Weiteres eine ganze Menschengruppe verletzen, wenn er sich in die Enge getrieben oder bedroht fühlte.

Eber waren nicht die einzige Gefahr, die es im dichten Regenwald gab. Im Dschungel lebten auch die schwarze Papuaschlange sowie der Taipan. Egal, ob sie ihren muskulösen, zweieinhalb Meter langen Körper um niedrig hängende Äste geschlungen hatten, zusammengeringelt auf einem Felsbrocken auf ebener Erde versteckt oder unter Selaginella- und Elatostemablättern in Deckung lagen – sie schienen in ständiger Angriffsbereitschaft zu sein, um zuschlagen zu können. Das Gift beider Schlangen konnte einen Mann innerhalb weniger Stunden töten.

Sobald die Sonne unterging, verschärften sich die Gefahren. Nicht nur, dass die Flussufer voller Krokodile waren – es gab auch Giftspinnen, die überall im Dschungel ihre klebrigen Netze spannen. Schlimmer war allerdings, dass Oom und Kota ständig nach Mitgliedern des Yakti-Stammes Ausschau halten mussten.

Die Yakti waren für ihre Brutalität bekannt, die oft in unerwartete Kopfjägerüberfälle eskalierte. Die Stöcke, die Oom und Kota mit sich trugen, konnten die Männer wohl davor bewahren, auf eine zusammengerollte Schlange zu treten, aber eine gute Waffe gegen die Yakti, die Bögen mit Widerhakenpfeilen, in Gift getauchte Blaspfeile und Steinäxte bei sich trugen, waren sie nicht.

Und natürlich gab es da noch die vielen Wairoku, die des Nachts verschwanden und nie wieder gesehen wurden. Niemand wusste genau, was ihnen zugestoßen war.

***

Trotz der offensichtlichen Gefahren war der Weg vom Dorf zum Fluss eine Auszeit. Oom und Kota genossen den Frieden. Hier hatten sie Zeit miteinander, ganz ohne ihre Frauen und Kinder. Der Gang, um die Eimer mit Wasser für den Abend zu füllen, sollte nicht länger als höchstens eine halbe Stunde dauern. Sie würden am Rande des schnellfließenden Wassers sitzen und wichtige Dinge oder auch Triviales bereden, oder schweigen und sich einfach von den wilden Geräuschen einhüllen lassen, aus denen die Gespräche der nachtaktiven Tiere bestanden.

Als sie aus dem Blätterdach auf die Lichtung hinaustraten, war von der Sonne kaum noch etwas zu sehen. Sie versank bereits hinter der Bergkette. Die Luftfeuchtigkeit fühlte sich dicht und stickig an. Schweiß lief ihnen von der Stirn. Ihre so straffe, dunkle und verwitterte Haut war rot und klamm. Als sie das Flussufer erreichten, setzten sie ihre Eimer und die Stöcke ab. Es blieb genügend Zeit, um knietief in den Fluss zu waten. Das auf ihre Arme gespritzte Wasser kühlte ihre Körper sofort.

Mit hohlen Händen schöpfte Oom Wasser. Er wusch sich den Schweiß vom Gesicht und goss es sich über den Kopf, machte seine kurzen glatten schwarzen Haare nass. Kota tat es ihm gleich, aber sprang dann kopfüber in den Fluss, um zu schwimmen.

Plötzlich wirbelte das Wasser auf. Blasen stiegen hoch. Obwohl die Sonne schon fast untergegangen war, konnte Oom erkennen, dass sich das Wasser rot färbte. Er dachte, dass ein Krokodil angegriffen hatte. Er sah Rückenflossen. Mehr als eine.

»Kota! Kota!« Oom sah sich um. Kota war nicht wieder aufgetaucht. Das Herz wurde ihm schwer. Sein Instinkt sagte ihm, dass er umdrehen und zum Ufer hochlaufen sollte. Stattdessen wagte er sich gegen die Strömung in dem Versuch voran, auf die hochsteigenden Blasen zuzulaufen.

Allerdings stiegen keine Blasen mehr auf.

Das Rot im Wasser wurde schnell den Fluss hinuntergewaschen. Oom stand bewegungslos da. Er wartete und horchte.

»Kota?«

Aus der jetzt schlammigen Tiefe schnellte eine Hand hervor.

Oom umklammerte sie und zog. Er musste seine gesamte Kraft aufbringen, um Kota zurück an Land zu ziehen.

Als er seinen Freund auf Blätter bettete, fürchtete Oom, sich übergeben zu müssen. Kotas Körper sah wie zerhackt aus. An seinen Oberschenkeln und seinem Bauch fehlten ganze Fleischstücke. Ein Arm und ein Fuß waren abgerissen.

Aus jeder einzelnen Wunde schienen Blut und Wasser zu sickern.

»Oom«, sagte Kota. Es kam nur als ein Flüstern heraus. Seine Augen standen offen, aber sahen plötzlich trübe und leblos aus.

Oom sah zum Fluss und erschauderte. Im Wasser war irgendetwas, etwas Gefährliches. Etwas, das jetzt die Seele seines Freundes, seines Bruders gefressen hatte.

BLOOD RIVER - FLUSS DES GRAUENS

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