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Es war einmal

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Es ist leider kein Märchen, sondern die Wahrheit, eine trostlose Wahrheit, die mich immer wieder so fürchterlich quält. Wüsste ich nur, wie lange ich mit diesen quälenden Schuldgefühlen noch ringen muss! Ich fürchte bis zum Tod! Mein schon sehr schwermütiges Gesicht bekommt jedes Mal neue Falten des seelischen Elends, wenn mich plötzlich die Schuld an Papas Tod zu quälen beginnt. Gerade das verdiene ich nicht, weil es auf dieser Welt keinen anderen Menschen gibt, den ich mir so herbeigesehnt habe wie Papa! Jetzt gebe ich meinem Urgroßvater Recht, Vamba Obeme, den ich eines Tages sagen hörte, dass das Gefühl der Schuld erst recht jene Lebenden quält, die keinen Abschied von ihrem Toten genommen haben.

Es sind nicht viele auf dieser Erde, jene Menschen, die den Leichnam ihrer Eltern nicht gesehen haben. Ich zähle heute zu ihnen, zu diesen von Schuldgefühlen ständig Gequälten, die bei der Grablegung ihrer Liebsten wider Willen nicht dabei waren. Aber vielleicht war es die Vorschrift einer unbekannten Allmacht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass Papa im Sinne unserer Bräuche ein Grab in Mbaangok bekommen hätte, wenn er nicht im Gefängnis in Tcholliré gestorben wäre. Papa wäre auch nicht in diesem Gefängnis gestorben, wenn er keinen Mord begangen hätte. Die andere Wahrheit ist, dass Papa diesen Mord beging, weil er – wie er selbst vor Gericht sagte – Geld für seine Kinder brauchte. Papa wollte vor seinem Tod den Schulerfolg seiner auserwählten Kinder sicherstellen, seiner sechs auserwählten Jungen. Leider entspricht der Lebenslauf nicht immer den Wünschen der Menschen. Diese Lehre habe ich aus Papas Leben gezogen.

Er hatte sich nie neunundzwanzig Kinder gewünscht, aber wir wurden tatsächlich so viele, neunundzwanzig Kinder, weil Papa viele Jungen haben wollte, um im Sinne unserer Bräuche ein würdiger und glücklicher Vater zu sein. Oh! Papa wusste nicht, dass viele unserer Bräuche würdelos sind, er wusste auch nicht, dass das Glück ein verlockendes Ziel ist, wonach jeder Mensch sein ganzes Leben lang strebt und nur ab und zu kurze Augenblicke davon empfindet, die aber immer wieder rasch wie ein Blitz vergehen.

Es gibt gewisse Gründe, die die Männer Mbaangoks zwingen, viele Kinder zu haben: Der erste, auf ihn hatte aber Papa nie Wert gelegt, ist jener Brauch, der die Mädchen Glück nennt, solange sie ihre Eltern mit Brautpreisen bereichern; der zweite ist auch ein Brauch, der aber anders als der erste die Jungen als einzige Erben und deshalb als einziges Glück der Familie nennt, so dass eine Frau, die zuerst Mädchen gebärt, solange gebären muss, bis sie Jungen bekommt; der dritte ist der bekannteste, der Brauch der Vielehe, der das Glück eines Mannes an der Zahl seiner Frauen misst; der vierte ist kein Brauch, aber immerhin eine Gewohnheit, die den zeugungsunfähigen Männern Mbaangoks eigen ist, ich meine ihre Neigung, alleinstehende Frauen mit Kindern zu heiraten, auf der Suche nach dem Vaterglück, die leider immer am Ende vergeblich ist, weil das Glück selbst so vergänglich ist! Es gibt selbstverständlich andere Gründe, aber was Papa betrifft, sind vor allem der zweite, aber auch der dritte und vielleicht auch ein mir noch unbekannter Grund die Ursachen seines Todes. Wie gesagt, ganz auszuschließen ist der erste Grund, ich betone es noch einmal, damit niemand glaubt, Papa hätte mit seinen Töchtern jemals die Absicht gehabt, sie an Männer zu verkaufen, nein, zumindest in dieser Sache ist mein Vater ein Vorbild geblieben.

Er brauchte unseretwegen viel Geld und jeden Tag mehr, bis er eines Tages entschied, seiner letzten Hoffnung zuliebe – Papas letzte Hoffnung waren seine sechs Jungen – bei einem Verwandten einzubrechen, im Glauben, dieser Verwandte würde ihn niemals bei der Polizei anzeigen. Mitte des Jahres 1989 verurteilte die Justiz meinen Vater wegen eines Diebstahls und eines Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Nur wenige Monate nach seiner Überführung von Kondengui nach Tcholliré starb Papa. Es war der Hunger, der meinen Vater im Gefängnis umbrachte.

Schlimm ist, dass bis heute keiner weiß, wo genau Papa in Tcholliré ruht. Außer mir hat keiner aus der Familie versucht, es herauszufinden. Sie wollen es gar nicht, wollen es nicht einmal versuchen, weil – das meinen sie – wir Kinder selbst damit fertig werden sollen, vor allem ich, weil ich Papas ältestes Kind bin… Sie reden sich heraus, wollen nicht zugeben, dass sie es versäumt haben, einen Stammesverwandten im Dorf zu begraben. Sie überließen Papas Schicksal ganz dem Staat .

Aber sie könnten ihr Versäumnis wiedergutmachen, könnten sich mindestens jetzt auf die Suche nach Papas Grab machen, anstatt den Pontius Pilatus zu spielen, anstatt sich die Hände zu waschen, sie, die weiter über die tödlichen Bräuche Mbaangoks schweigen, obwohl sie genau wissen, dass es in erster Linie diese Bräuche sind, die Papa umgebracht haben.

Salomos Söhne

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