Читать книгу Anmerkungen zum Kreationismus - Pier Revyu - Страница 5

2 – Neuere kreationistische Strategien

Оглавление

Ausführliche Auseinandersetzungen mit den Inhalten eines fundamentalreligiösen, auf angeblich „wortwörtlich“-genauen Schriftauslegungen beruhenden Kreationismus sind aus wissenschaftlicher Sicht reine Zeitverschwendung. Wenn solche differenzierten Zurückweisungen trotzdem immer wieder unternommen werden, so gibt es hierfür verschiedene Grundmotive, die nicht selten miteinander vermengt auftreten. Es kann sich z.B. um reine „Liebhaberei“ handeln, also eine durch intellektuelle Redlichkeit motivierte Aufdeckung all zu offensichtlicher rhetorischer Manipulationsversuche. Oft geht es hier um die rein argumentativen Strukturen, so dass an diesem Teil der Diskussion häufig auch Nicht-Biologen beteiligt sind, wie etwa Philosophen. Ein anderer Schwerpunkt kann vorzugsweise die speziellen biologischen/geologischen/kosmologischen Inhalte betreffen und entsprechende Falschdarstellungen aufzeigen (z.B. wenn von Kreationistenseite fälschlich behauptet wird, bestimmte biologische Strukturen könnten nicht auf natürlichem Wege entstanden sein). Der nicht-naturwissenschaftliche Gegenpol hierzu wäre die rein theologische Ebene, etwa wenn Vertreter der historisch-kritischen Bibelforschung sich gegen vereinfachende, ideologisch motivierte Lesarten der Bibel stellen.5 Diese „Mehrdimensionalität“ der Kreationismus-Debatte gibt einen Hinweis darauf, warum Schöpfungsvorstellungen trotz teilweise absurder inhaltlicher Positionen als Phänomen präsent bleiben: Die „natürlichen“ Gegner kreationistischen Denkens, wie eben Biologen, Geologen, (Astro-)Physiker, Philosophen und kritische Theologen, bilden keine besonders gut eingespielte Allianz, und zum anderen sind sie von jener wissenschaftlich eher unaufgeklärten Öffentlichkeit, in der Kreationisten erfolgreich Propaganda betreiben können, meist „zu weit entfernt“ (die Theologen möglicherweise weniger als die Naturwissenschaftler, was ihrem spezifischen Beitrag eine zusätzliche Bedeutung verleiht). In dem Versuch, komplexe wissenschaftliche Argumentationen so stark zu vereinfachen, dass man sie auch der nicht vorgebildeten Öffentlichkeit gut vermitteln kann, machen sich Fachleute zuweilen angreifbar (oft freilich nur scheinbar, weil ihre kreationistischen Kritiker die betreffenden Vereinfachungen absichtlich falsch auslegen!) und kommen damit ihren Gegnern entgegen. Erneut wird hier klar, dass die von Gould und anderen empfohlene Strategie des Ignorierens sinnvoll ist, sofern man diese „populärwissenschaftliche Falle“ bewusst zu vermeiden gedenkt.

Das Erfolgsrezept „moderner“ Kreationisten besteht darin, sich mit fachlichen Inhalten detailliert auseinanderzusetzen, dabei die eigene fundamentalistische Denkweise nach Möglichkeit zu verschleiern und auf diese Weise auch außerhalb der sogenannten bildungsfernen Schichten auf Ausbreitung zu hoffen. Zusätzlich bietet jede solchermaßen erneuerte Strategie ihnen die Chance, dass die Vorgabe der „Gould-Doktrin“ verlassen wird und es doch wieder zu einer Diskussion um konkrekte fachliche Inhalte kommt, also zu einem direkten Disput zwischen Wissenschaftlern und Schöpfungsbefürwortern, wodurch der Anschein entsteht, Kreationismus wäre so etwas wie eine diskutierenswerte Alternative zur biologischen Evolutionstheorie oder zu wissenschaftlich etablierten Kosmogenese-Modellen. Mit diesem Anschein einer Debatte „auf Augenhöhe“ ist schon ein großer Teilerfolg erzielt, der dann rein situativ weiter ausgebaut werden kann.

Dass sich letzteres oft gar nicht vermeiden lässt, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass „die“ Evolutionstheorie aus mehreren Teiltheorien zusammensetzt ist und hinsichtlich zahlreicher Einzelprobleme noch sehr offen diskutiert wird. An dem Hervorgehen allen Lebens aus frühen, Protozellen-artigen Einheiten und einer über Jahrmillionen erfolgten evolutiven Umwandlung innerhalb verschiedener Haupt-Abstammungslinien besteht nach dem heutigen Stand des Wissens aber kein Zweifel, während der genaue Verlauf und die dabei anzunehmenden Einzelmechanismen unter Fachleuten immer wieder kontrovers diskutiert werden. Einzelne Aspekte dieser fachlich völlig gerechtfertigten Debatten herauszugreifen und als widersprüchlich für die Annahme einer Evolution insgesamt herauszustellen ist sozusagen ein Standardverfahren kreationistischer Pseudokritik: Die Komplexität der Evolutionstheorie (und ihrer zentralen Themenbereiche, nämlich die Wandlungsfähigkeit des Körperbaues und des Verhaltens von Organismen) wird auf diese Weise für den simpelsten denkbaren Totalangriff genutzt. Sobald unredliche (oder schlicht auf fachlicher Inkompetenz beruhende) Manöver dieser Art aber argumentativ aufgedeckt werden, bietet das Thema Evolution genügend Möglichkeiten, sogleich auf Nebenschauplätze auszuweichen. Auf diese Weise werden Wissenschaftler von jenen zahlreichen Sachverhalten, die die Annahme eines natürlichen Evolutionsprozesses als sehr gut bestätigt ausweisen, abgelenkt und planvoll „auf die andere Seite des Spielfeldes“ hinüber gelotst, nämlich in den Bereich der offenen Forschungsfragen – sie geraten dadurch in eine Position, die besonders Laien gegenüber als andauernde Defensivhaltung verkauft werden kann. Der angestrebte Eindruck nach außen soll folglich zunächst einmal der sein, dass die Evolutionstheorie ganz enorme Erklärungsdefizite hinsichtlich aller möglichen Fragen aufweist (und deren Gültigkeit deshalb insgesamt angezweifelt werden darf – ein angesichts der Faktenlage unzulässiger Gedankensprung, der aber einem fachlich nicht vorgebildeten Publikum leicht suggeriert werden kann). Ist das betreffende Zerrbild etabliert, kann im zweiten Schritt darauf hingearbeitet werden, dass der Rückgriff auf eine „einzig wahre“ Offenbarungsschrift eine Lösung bietet, die von den Fachwissenschaftlern jedoch aus reiner Arroganz (bzw. aus der Verblendung des Unglaubens heraus) nicht akzeptiert wird.

Wie bereits festgestellt wurde, muss zum Erreichen dieser kreationistischen Minimalziele die Debatte mit allen Mitteln am Laufen gehalten werden,6 um dann der Gegenseite bei etwaigen Unklarheiten eine Verworrenheit vorzuwerfen, die wesentlich erst durch die eigenen (inhaltlichen und „kognitiven“) Ausweichmanöver erzeugt wird. Praktischerweise bleibt bei diesem Verfahren die Verworrenheit und Dunkelheit der eigenen Thesen oft gänzlich verdeckt: kaum ein Kreationist kommt z.B. in die Verlegenheit, die Anfänge der Schöpfung so detailliert schildern zu müssen, wie er von der Gegenseite Details zur Entstehung der ersten Lebensformen, oder anderweitige Einzelheiten evolutiver Abläufe, zu hören verlangt. Die Extremform solcher Vermeidungsstrategien sind neuere Formen des Kreationismus, die sich auf „Intelligentes Design“ oder „Intelligente Signale“ eines planenden Weltenurhebers berufen und den fundamentalreligiösen Aspekt hinter einem angeblich objektiven – in Wirklichkeit aber wissenschaftlich unsinnigen – Denkansatz verschleiern (vgl. auch Kapitel 12). Ein vorrangiges politisches Ziel dieser Gruppierungen besteht darin, Scheinforschung unter der Prämisse von Intelligent Design (= ID) als angeblich weltanschaulich neutrales Erkenntnisstreben „universitätstauglich“ zu machen.

Anmerkungen zum Kreationismus

Подняться наверх