Читать книгу King Artus und das Geheimnis von Avalon - Pierre Dietz - Страница 13
ОглавлениеJuli 1996
Marcel liebt das Jugendzimmer seiner Mutter. Zu Gast bei der Tante hat der Junge seine Ferien seit frühster Kindheit in »La Forêt Fouesnant« verbracht. Die Kammer ist winzig und verströmt den Duft vergangener Zeit. In dem spartanisch eingerichteten Raum stehen ein schmales Bett, ein Nachttisch, ein Stuhl – auf dem, seit deren Auszug deren Lieblingspuppe sitzt – eine Spiegelkommode und ein Kleiderschrank. Die Wände sind rot tapeziert. Schwere goldene Vorhänge sind neben der Fensterbank mit dicken bordeauxfarbenen Kordeln befestigt. Da das Haus nicht übermäßig geräumig ist, fragt sich der Junge, weshalb das Zimmer nicht längst einem anderen Zweck zugeführt worden ist.
Eine Lampe aus den neunzehnhundertsechziger Jahren hängt leicht schräg von der Decke und ist neben dem Regal eines der modernen Elemente. Der Druck eines Gemäldes aus dem vierzehnten Jahrhundert, das die Altstadt von »Concarneau« zeigt, hängt über dem Bett. Dieses Bild lässt ihn träumen, wie einst die Segelschiffe vor der Kulisse der Wehranlage in See gestochen sind.
„Hast du die leiseste Ahnung“, holt Tante Louane ihn aus seinen Wachtraum, „was das ist?“
„Festung »Cornouaille« steht auf dem Bild. Demnach ist das die »Ville Close« von Concarneau.“
„Das ist das »Tintargol« aus den alten Mythen! Das Heerlager unseres »Dux« Gorlois.“
„Ich habe gelernt, »Tintagel« liegt im englischen »Cornwall«.“
„Sprich »Cornouaille« mal ganz langsam aus! Da hast du dein »Cornwall«. Im Keltischen bedeutet »Cairn« Zuflucht und »Ouailles« Herde.“
„Klingt nach Kuhstall.“
„Das ist ein Hinweis auf den Beginn der Viehzucht, die weltweit ihren Ursprung in der Bretagne gefunden hat. Dort haben die ersten Hirten gelebt, bis Kain wegen des Brudermordes verschleppt worden ist.
»Tintargol« ist das Römerlager und Wehrdorf, das vor dem Bau der Festung an dieser Stelle gestanden hat, denn für die Fundamente ist roter Lehm verwendet worden. »Tint« heißt Rot und »Argol« ist das keltische Wort für Lehm. Zur Zeit Artus standen in der Region weder Burgen noch Klöster oder Kathedralen, wie die Schriftsteller des Mittelalters das behauptet haben. Die Bretonen sind zu jener Zeit definitiv keine Christen gewesen.“
432 nach Christus
Merlin lässt die Sklaven, deren Zungen von Vortigern herausgeschnitten worden sind, das Gold aus dem eingestürzten Gewölbe des Turms bergen. Um das gewaltige Volumen zu reduzieren, befreien die Arbeiter das Material von Verzierungen, trennen über Quecksilberbäder andere Metalle heraus, schmelzen das Gold und gießen transportable Barren. Die Köhler holzen die Wälder ab. Anstelle der Bäume stehen immer mehr Schafe und Rinder auf den Freiflächen. Merlin versteckt den so gewonnenen Schatz in Höhlen des »Uhel Koat«1.
Aurelius Ambrosius erhält in »Condate«, am Rande der Straße nach »Sulis«, eine nach römischer Sitte angelegte Ruhestätte in Form eines »Tumulus« für höhergestellte Persönlichkeiten. Sein Bruder Uther zieht – wie ihm der Seher prophezeit hat – nach »Gesogribate« und haucht »Léon« neues Leben ein. Die Provinz leidet seit damals an den Spätfolgen der Invasion unter Gaius Iulius Caesar und der Vernichtung sowie Deportation der »Osismier«.
Uther wartet derweil ungeduldig auf seine Ernennung zum Heerführer. Aus »Ravenna« bleibt die kaiserliche Bestätigung aus. Das Machtvakuum ist höchst gefährlich. Deshalb greift der Stratege zu einer List und lässt seine Soldaten ihren »Reix« selbst bestimmen. In Miniou2 siegt Uther gegen den rebellischen »Reix« Pasgen von Buellt und Jouersunion3. Wie Merlin ihm aufgetragen hat, ist »Ker Léon«4 sein neues Hauptquartier. Das ehemals römische Feldlager »Saliocannus« liegt im oberen Teil der Halbinsel »Ben Trajon«, an der Nordküste des einstigen »Osismi-Reichs«. Zur Feier seiner Amtseinführung sind alle Stammesführer und Kriegsfürsten, die bei der Eroberung »Letavias« mitgewirkt haben, nach »Mons Relaxus«5 eingeladen. Auf einer weiten Lichtung in einem Tal an einem Ausläufer des Meeres steht ein großer, runder Tisch.6 Fortan nennt sich der »Reix« Uther Ben Trajon.
Victor
Der Riese »Reix von Léon«, Victor von Ker Ahes und Ker Mel-Karhez7, ist Uthers engster Vertrauter und hat das Fest organisiert. Erste graue Strähnen in den welligen Haaren und im Vollbart verraten sein Alter. Ebenso die erheblich verfärbten Zähne. Der kurze wettergegerbte Hals fließt über in einen muskulösen Körper mit Bauchansatz. Auffällig ist sein oft grundloses Grinsen, bei dem sein Gesicht knallrot anschwillt. Victor lehnt römische Lebensweisen ab. Bei ihm zuhause stehen nur Krüge mit vergärtem Apfelmost auf den Tischen. Wein und Cervesia passieren seine Landesgrenze nicht, obwohl Victor der Legion seinen Aufstieg und Besitz zu verdanken hat. Die Demütigungen durch den Dienstherren, zu Beginn seiner Laufbahn, sind nicht vergessen. Nach dem absichtlich herbeigeführten Sturz vom Reittier, der zur Erniedrigung erdacht gewesen ist, hinkt sein linkes Bein. Und genau diesem Vorgesetzten hat Victor, in der Hoffnung auf Anerkennung, in einer Schlacht das Leben gerettet. Dessen hämisches Lachen geistert ihm nach wie vor durch den Kopf. Die Wunde in seiner Seele, die das Zurückweisen der Hilfeleistung, dessen römischer Herkunft wegen bei ihm verursacht hat, heilt nicht. Nie vergisst Victor die dämonische Fratze des Prinzipals in jenem Augenblick, da sich im Zorn sein Schwert in dessen Seite versenkt hat und das römische Blut auf ihn zugeströmt ist. Erleichterung hat ihn überwältigt. Obgleich andere Römer ihn ignoriert oder sich einwandfrei verhalten haben, und ähnliche Vorfälle ausgeblieben sind, ist seine Ablehnung gegenüber dem Reich geblieben. Victor eilt aufgeregt, und alle Details kontrollierend, in seinen aus hochwertigem Wildleder gearbeiteten Halbsandalen um die Tafelrunde. Ihm folgt ein Duft von Pferd. Sein Gürtel, bestückt mit Kreiselementen aus Bronze und nach unten verlaufenden Zierketten, vermag nicht den korrekten Sitz der Kleidung zu gewährleisten. Des Umfangs wegen ist dieser stets bestrebt, nach oben zu rutschen. In der Folge hängt sein Herrenrock zu tief. Dazwischen drückt sich der mit Wachteln vollgestopfte Bauch heraus.
Corneus
Der verwitwete und zum zweiten Mal verheiratete »Dux« Corneus von Landévennec ist ein oftmals ungehorsamer Vasall gewesen. Beim Anblick des furchterregenden »Ex.Sal.Liburn« fällt der Abtrünnige vor »Reix« Uther Ben Trajon auf die Knie und schwört unbedingte Lehenstreue. Dank seiner Tapferkeit und Willenskraft, verzeiht ihm Uther diese Nebensächlichkeit und hält ihn im »Höchsten Collegium«. Vier Jahre zuvor sind die Sachsen erfolgreich vertrieben worden. Bis heute erinnern sich die Bewohner an die Siegesfeier auf »Ker Landévennec«. Corneus ist römischer Abstammung und eher kleinwüchsig. Sein kantiges, achtsam rasiertes aristokratisches Gesicht entspringt einem rechteckigen Kopf, der auf einem gedrungenen Hals sitzt. Seine Lachfalten, seine honigfarbenen Augen, seine verführerischen Brauen, seine ebenförmige Nase mit großen Nasenlöchern und sein kurz geschnittenes krauses Haar entsprechen dem aktuellen Schönheitsideal. Seine muskulösen Arme, den beträchtlichen Brustumfang und seine kurzen O-Beine verbirgt Corneus unter tadellos sitzender Toga und Tunika. Seine hochwertigen Sandalen stammen aus Rom, hat ihm der fahrende Händler versichert.
Pellan
Der von der »Insel« jenseits der »Garumna«8 stammende »Reix« Pellan von Listrac-Médoc ist bekannt für den verantwortungsvollen Umgang mit Finanzen. Sein Bruder Garlon ist ihm in seiner Heimat um ein Haar zum Verhängnis geworden. Während der winterlichen Belagerung durch die Goten hat jener den Speiseplan und sein Vermögen mit leichtfertigen Nachbarn aufgebessert. Vor Dank, in diesen Zeiten, nicht zu hungern, hat niemand nach der Herkunft der Ware gefragt. Mit der Zeit hat Garlon alle Vorsichtsmaßnahmen vernachlässigt. Als ein reicher Vater der Oberschicht Fleisch für seine Familie bei ihm gekauft hat, hing eindeutig erkennbar ein menschlicher Fuß am Knochen. Die aufgebrachten Dorfbewohner haben den Massenmörder hingerichtet und Pellan, für den Versuch ihn zu decken, vor das Tor getrieben. Der Gefangenschaft der Goten entkommen, die ihn nicht beachtet haben, hat sich Pellan im Norden der Armee von »Reix« Uther Ben Trajon angeschlossen.
Rience
Außer ein paar Floskeln höfischer Begrüßung kommen »Reix« Rience nur wenig Worte über die Lippen. Der Einzelgänger steht gerne abseits der anderen und beobachtet deren Treiben. Keiner traut sich, ihm in die Augen zu schauen. Flüchtig nehmen die Gäste seinen durchtrainierten Körper, sein gepflegtes Äußeres und seine verhärmten Gesichtszügen wahr. Niemand kennt seine Vergangenheit oder seine Herkunft.
Bran
Der weit gereiste »Reix« Bran von Gordes und Estangore9 unterhält die Gäste mit blumigen Erzählungen aus dem römischen Ostreich. Der vom Leben gekennzeichnete Kämpfer ist übersät mit Narben und hat ein markantes Gesicht. Unter hochgezogenen Brauen beobachten listige dunkle Augen ständig das Umfeld. Eine lange Nase endet über dem kurz geschorenen Vollbart. Sein muskulöser Hals sitzt auf einem sehnigen Torso, der in tadelloser höfischer Kleidung steckt. Bran hat fortwährend einen miserablen Haarschnitt. Die Angst vor Rasiermesser und Scheren in den Händen fremder Leute zwingen ihn, sich seine Haare selbst zu schneiden.
Marina
Der Edelmann glänzt durch seine Frau Marina, einer Tochter des oströmischen Kaisers Flavius Arcadius, Bruder des Honorius, Vater des Theodosius. Marina hat das zweite Lebensjahr nicht vollendet, da ist Ihre Mutter, Aelia Eudoxia, bei einer Fehlgeburt gestorben. Ihre älteren Geschwister haben stets den Ton angegeben und ihre Art zu Leben vorgegeben. 427 nach Christus hat Bran aus verzweifelter Liebe mit ihrer Einwilligung den Tod Marinas vorgetäuscht, die von ihrer Schwester Aelia Pulcheria genötigt worden ist, ein Leben in eheloser Jungfräulichkeit zu führen. Auf ihrer Flucht sind die beiden nach »Condate« gelangt. Dort ist Bran Vortigern begegnet und hat ihm seine Dienste angeboten. Von dem neuen Dienstherren ständig schikaniert und mit dem Tode bedroht, ist Bran zu »Reix« Uther Ben Trajon übergelaufen.
Conserge
Bei der Befreiung der Halbinsel hat der düstere Conserge10 von Gorron an der Schlacht von Arsderé11 teilgenommen. Seither ruht sich der Kriegsheld auf seinem Ruhm aus. Seine Beförderung zum »Dux« bleibt aus, weshalb ihn sein Gram zerfrisst. Uther schätzt ihn als Freund und Berater und sieht bei ihm über fehlende Titel hinweg.
Esclabor
Esclabor der Sarazene ist ein alter Wegbegleiter Uthers. Bei der übereilten Abreise aus »Vienne« ist sein Vater, Safar der Mescogneu, der Kutscher gewesen und der Junge hat im Laufe der Reise mit Uther gespielt. Der Wagenführer ist bei einem Überfall von Räubern ums Leben gekommen und sein Sohn ist von der Familie aufgenommen worden. Der Verlust des Vaters hat ihm den Appetit genommen. So ist der »Saraceni« selbst als erwachsener Mann klein und dürr geblieben. Flagrant sind sein dünner Hals, seine kurzen, dichten schwarzen Haare, seine extrem langen Arme und der Umstand, niemals zu schwitzen. Seine ägyptischen Füße stecken in den orientalischen Schuhen seines Vaters, die sonst nur zu festlichen Anlässen getragen worden sind. Seine sehnigen Beine geben ihm eine auffällig laxe Gangart. Das Gesamtbild rundet sein römischer Mantel ab, der leger über einen Kaftan hängt, der ebenfalls aus dem Nachlass stammt. Den stechenden Augen entgeht nichts, wohingegen seiner Nase der Geruchssinn abhandengekommen ist.
Wenn sich sein schmaler Mund, mit den ständig zuckenden Mundwinkeln, öffnet, um mit ungewöhnlich weicher Stimme eine der selbsterdachten nahöstlichen Lebensweisheiten von sich zu geben, blitzen weiße Zähne zwischen dem kurz geschorenen Bart hervor.
Gorlois
»Dux« Gorlois der Dunkle, »Comes von Cornouaille«, und seine Frau, die Riesin Igerne aus dem Haus des »Reix« Amelout12 von Domnomea, die aus dem nahe gelegenen »Kernev« angereist sind, fallen durch ihre schlichte Zurückhaltung auf. Gorlois’ alteingesessene Familie hat »Cornouaille« lange vor der Eroberung durch Gaius Iulius Caesar beherrscht. Sein Großvater Solor hat das Land zum größten und wirtschaftlich stärksten in »Letavia« ausgebaut. Sein Vater Gerren hat eine der Töchter des San Grá ELs geheiratet. Seine Hautfarbe ist nicht so hell, wie in der Gegend üblich, weshalb der Klan den
Beinamen »Dunkle« trägt. Seine roten Haare wallen bis über die Schultern. Bei der Augenfarbe hat sich das Glasblau seines Vaters durchgesetzt. Gorlois gilt als freundlich und großzügig, wenngleich ein wenig selbstgerecht. Nach Gerrens Tod ist der »Comes« von Rom zum »Dux« der Region »Cornouaille« legitimiert worden. Seine Frau Igerne hat lange blonde Haare, die bis weit über das Gesäß reichen. Die »Duchesse« trägt ein tadellos geschnittenes Kleid mit unprätentiös und dezent angebrachten Pflanzenornamenten. Ein kunstvoll gefertigter Gürtel, verziert mit einem rund geschliffenen Edelstein, und Ohrringe sind der einzige sichtbare Schmuck, der ihren hohen Stand verdeutlicht. Ihr Blick wirkt verführerisch und zugleich nachdenklich. Ihre kurzen Schritte gleicht Igerne mit ihren zierlichen Händen aus, wodurch die zartgliedrige Gestalt über den Boden zu schweben scheint.
Uther
Uther ist wie vom Blitz getroffen. Nie hat der Lebemann eine derart lieblich aussehende Frau gesehen. Ständig wandern seine Blicke zu ihr hin. Das entgeht weder ihr noch ihrem Ehemann. Uther trinkt hastig und übermäßig.
„Siehst du die bemerkenswerte Frau dort?“, hört ihn seinen »Dapifer«13, Ulfin von Rigonou, lallen. „Meinst du die Gattin unseres Verbündeten, der deine Überfahrt von der Insel und eure Landung auf dem Festland erst ermöglicht hat? Und dessen Soldaten für uns die Sachsen ausgespäht haben?“ „Der Überläufer hat beste Dienste geleistet!“
Igerne
„Sieh dich nach einer anderen Frau um! Eine, die ungebunden ist. Gewinne Gorlois als Freund, der dir Igerne hin und wieder überlässt.“ „Du wagst deinem »Reix« Ratschläge zu erteilen? Diese Frau gehört allein an meine Seite.“
„Durch dein Vorhaben ist deine Regierungszeit nicht von langer Dauer!“
„Du hast mir viele Male das Leben gerettet. Deshalb verzeihe ich dir dein ungezügeltes Benehmen. Bringe diese auserlesene Schale aus purem Gold meiner Angebeteten! Sage ihr, ich warte voller Sehnsucht und brenne nach ihr!“
„Gorlois erschlägt mich! Unschuldig und ehrlos gehe ich von dieser Welt!“
„Sage ihr, wie ich ihren Anblick liebe! Bei solch einer Anmut fließe ich dahin wie ein rauschender Fluss, der die Klippen hinunterstürzt. Bring ihr das Kleinod!“
Ulfin kommt an die Stelle, an der das Paar und Igerne gestanden haben. Beide sind verschwunden. Der »Comes« hat das Ansinnen des Heerführers durchschaut und sich mitsamt seiner Frau, ohne Erlaubnis des Hausherren, von dem Fest entfernt. Uther ist außer sich vor Zorn. Ein Lehnsmann hat sich gegen den »Magister Militum« aufgelehnt. Das ist Meuterei!
„Lasse Milde walten!“, fordert Ulfin. „Gib dem Vasallen die Gelegenheit, sich bei dir zu entschuldigen!“
„Das kommt nicht in Frage! Ich erwürge diesen Verräter eigenhändig.“
„Schlafe eine Nacht und morgen ist dein Zorn verflogen!“
„Mich beschleicht das Gefühl, Ulfin, du verschaffst Gorlois mit deinem Zögern einen Vorsprung.“
„Ich bin dein dir treu ergebener Untertan, Uther!“
„Die Reiterei hält sich abmarschbereit. Bei Tagesanbruch brechen wir nach »Cornouaille« auf. Und wage nie wieder, mir zu widersprechen!“
Wochen später, das Heer marschiert endlich ab, trifft Uther in »Vorganium«14 auf Merlin, der am Ortseingang auf ihn wartet.
„Der Moment ist ungünstig!“, reagiert Uther abweisend. „Ich habe meine Ehre verloren und gedenke diese wiederherzustellen!“
„Ich weiß!“, bleibt der Druide gelassen. „Ich habe mich in »Cornouaille« für dich umgeschaut. Gorlois hat sich auf »Terra Beg Meil« verschanzt und erwartet dort deinen Angriff. Igerne findest du auf der anderen Seite der Bucht, auf der befestigten Halbinsel »Tintargol«. Der »Comes« wägt seine Frau dort in Sicherheit.“
„Ich bin über deine Kenntnisse erstaunt und dir zu Dank verpflichtet!“ „Höre dir meine Warnung an! Seiner unzugänglichen Lage wegen ist das »Castris« nicht zu erobern. Über den schmalen Landstreifen dringst du nicht unbeschadet bis zu den Palisaden vor. Bogenschützen haben ein leichtes Spiel, jeden Angreifer von Weitem zu treffen. Weiterhin verfügt die Wehranlage über Ballisten, Katapulte und Flammenwerfer.“
Uther hat Herzschmerzen. Ihn treibt der Zorn. Alle strategischen Regeln außer Acht lassend, teilt der Heerführer seine Leute auf und lässt beide Lager attackieren. »Terra Beg Meil« ist uneinnehmbar. Der Gegner unternimmt ständig Ausfälle. Uther schickt Ulfin los, um Merlin zu suchen. Die Tage vergehen. Endlich finden sich die beiden bei Uther ein.
„Du siehst Igerne wieder und eroberst beide Heerlager“, verspricht der Seher. „Halte dich exakt an meine Vorgaben, denn die Sache ist heikel! Ich stelle dir eine Bedingung. Schwöre bei deinem Leben, mir jeden Wunsch zu erfüllen!“
Gorlois, in Vorfreude die reizvolle Frau, willigt widerspruchslos ein. In der Nacht verschwindet der Druide und kehrt mit nachempfundenen Kleidungsstücken, Schminke und Duftstoffen zurück.
„Ich kenne einem geheimen Weg,“ erklärt Merlin, „über den wir bei niedrigem Wasser unentdeckt nach »Tintargol« hineinkommen. Zunächst verwandele ich uns in Gestalten, die in der Wehranlage jeder kennt.“
Der Riese schminkt seine beiden Begleiter.
„Redet möglichst nicht! Eure Stimmen verraten euch.“
Bei einbrechender Dunkelheit schleichen die drei durch den Belagerungshalbring zu den Klippen. Im Mondschein gibt das Niedrigwasser unterhalb der Felsen einen Weg frei. Auf der Rückseite der Halbinsel führt eine in den Stein geschlagene Treppe in das feste Haus des »Castris«. Eine Zofe entdeckt die Männer. Die Tarnung gelingt und die Zugehefrau meldet die Ankunft des Gatten. Uther verzieht sich in ihre Gemächer.
Kurze Zeit später Soldaten dringen über den Geheimgang ins Haus. Uther ist nach wie vor in der Kammer! Der Illusionist fängt die Krieger in der Verkleidung des Regrendarius15 ab.
„Wir haben einen Ausfall gewagt“, berichtet einer der Boten. „Die Gegner sind darauf vorbereitet gewesen und haben sich heftig gewehrt. Wir sind zurückgedrängt worden. Jemand hat gerufen, der »Comes« sei tot! Die Verwirrung hat der Feind genutzt, um unsere Verteidigung zu überrennen. Wer Widerstand geleistet hat, ist erschlagen worden. Wir sind geflohen!“
„Ich überbringe ihm die üble Nachricht lieber selbst“, bietet der Meister an und pocht an die Tür.
Die Gefahr vor Augen verlangt Uther von Igerne das Zimmer nicht zu verlassen. Die »Comtessa« ist beunruhigt.
„Schicke die Soldaten zurück nach »Terra Beg Meil«!“, flüstert der Riese. „Gib ihnen den Auftrag, Uther von deinen Friedensabsichten in Kenntnis zu setzen!“
Verwirrt, aber erleichtert, ihren »Comes« lebend zu sehen, folgen die Untergebenen den Anweisungen ihres vermeintlichen Anführers. Merlin wartet, bis die Männer außer Hör- und Sichtweite sind, sodann steigen die drei und Igerne ebenfalls die Treppe hinab. Unten angekommen, beendet der Druide die Maskerade, um nicht von den eigenen Leuten unter Beschuss zu geraten. Die einsetzende Flut drängt zur Eile.
„Warum hast du mich mitgenommen?“, fragt Ulfin.
„Gorlois ist tot gewesen, da ist Uther zu Igerne gegangen. Das bezeugst du eines Tages, wenn ich dich darum bitte! Deshalb ist mir deine Anwesenheit so wichtig!“
Die Sonne sendet erste Strahlen über den Horizont. Bei der Rückkehr ins Lager sind die Soldaten in Aufruhr und suchen fieberhaft nach Uther. Groß ist der Jubel, als dieser wie aus dem Nichts kommend zwischen ihnen steht.
Cador
Uthers Truppen ziehen ab. Die Familie des »Comes von Cornouaille« und deren Anhänger beerdigen ihren geschätzten Anführer auf »Terra Beg Meil«. Sein Bruder Cador übernimmt am Grab die Nachfolge. Der neue »Dux« gelobt ewige Rache. Seine kleine Tochter, Jenny16, erfasst die Tragweite nicht. Das Kind hat neben ihrem Onkel ihre geliebte Tante verloren, die das Mädchen wie ein eigenes Kind behandelt hat. Uther zieht triumphierend in »Ker Léon« ein und präsentiert Igerne der Bevölkerung als seine Beute. Die beiden betreten sein Haus, da bricht ein heftiges Gewitter los. Dicke Tropfen donnern auf das mit Holzschindeln gedeckte Dach. Blitze erhellen das Innere des Hauses. Durch die mit Holzstäben gesicherten Fenster pfeift der Wind. Ein Sklave hängt Tierfelle vor die Öffnungen.
„Die Götter sind über deine Abkehr von ihnen erbost!“, deutet Merlin die Gewalten der Natur. „Finde einen Weg zu ihnen! Opfere einen Stier!“
„Kein Mensch glaubt heute mehr an BELENOS oder TEUTATES! Ich habe nie einen Gott zu Gesicht bekommen. Für das Volk bin ich ein Gott, denn ich gebe ihr Schicksal vor.“
„Du bist nicht beliebt, sagen die Leute!“
Das auf zwei Hügeln erbaute »Ker Léon« schützt ein verhältnismäßig hoher Erdwall. Zu oberst steht Uthers Haus, das von den kleineren der Handwerker und dem des Druiden umgeben ist. Am Fuß der rund sechzig Meter erreichenden Anhöhe sind die mit Stroh gedeckten Holzhütten der Soldaten und der Bauern angesiedelt. Auf der Erhebung dahinter haben sich die Sklaven Erdlöcher gegraben. Rund um die Eingänge der beengten Höhlen stapeln sich die Abfälle der Bewohner und Gegenstände, die für den Weitergebrauch von Wert zu sein scheinen. Der Wind weht den Gestank bis zur Küste hinunter. Aufschüttungen vor den Zugängen verhindert das Eindringen von Regenwasser. Bei lang anhaltenden Niederschlägen dringt die Nässe dennoch ein. Erkältungen, verdorbene Lebensmittel und Erdrutsche sind die Folgen. Die Leibeigenen der Reichen nehmen Speisereste mit nach Hause. Alle anderen sammeln Muscheln, Meeresschnecken, Austern, Seetang und Garnelen. Gelegentlich finden Mäuse, Würmer und Frösche den Weg in ihre Mägen. Die Kleidung für den Winter besteht aus dürftig zusammengenähten Stoffresten. Die Diener der Wohlsituierten erhalten Zuteilungen an Leinenstoffen und sind in Anbauten der Herrenhäuser untergebracht. Ihre Toten versenken die Besitzlosen im Meer. Niemand spendet ihnen Trost. Ihre Hoffnung ist der schnelle Tod. Die Kinder haben selten eine Chance, über das fünfte Lebensjahr hinauszukommen. Die Druiden weigern sich, die Armen zu heilen. Die Männer warten sehnsüchtig auf den Aufruf zum Krieg. So mancher hat seinen Reichtum durch Beute zuwege gebracht. Zwar bleibt ihnen der Zugang zur Welt der Adligen verwehrt, aber deren Familien versorgen die Heilkundigen.
Einen Mondumlauf später findet die Hochzeit nach alten keltischen Sitten statt. Alle »Reges« der Region sind zum Festmahl geladen. Gleich drei weiße Stiere opfert Uther, um sich selbst zu ehren, und lässt die besten Stücke des gegrillten Opferfleischs verteilen. Mit dieser Geste stimmt Uther das Römer hassende Volk ihm wohlgesonnen und präsentiert sich als einer der ihren.