Читать книгу Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten - Pirmin Müller - Страница 9

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Thierry Rodenbach klammerte sich ans Lenkrad und schnaubte. Weder Zureden noch dosiertes Anschreien vermochten Juliette zu beruhigen, im Gegenteil: Sie wurde schriller, sie riss ihn am Arm. Thierry versuchte zu deeskalieren und schwor, das Handy, das sie in seiner Jackentasche entdeckt hatte, sei nicht, um sie zu betrügen. Auf gar keinen Fall.

»Diese Zeiten sind vorüber! Meine Mutter hat es mir geschenkt, damit sie mich wegen ihrer gesundheitlichen Probleme kontaktieren kann. Es ist alles in allerbester Ordnung!«

»Gesundheitliche Probleme«, keifte Juliette, »die rennt doch dauernd durch die Gegend und irgendwelche Berge hoch. Deine Hilfe braucht sie gewiss nicht. Ein Muttersöhnchen bist du, nichts anderes, noch mit siebenundzwanzig Jahren hängst du an ihrem Rockzipfel.«

»Halt den Mund«, zischte Thierry und biss die Zähne zusammen.

»Ich lass mich nicht mehr von dir belügen«, schrie Juliette und riss so stark an seinem Arm, dass er beinahe den Lieferwagen schrammte, den er gerade überholte.

»Lass meinen verdammten Arm los! Ich bin beinahe in den Lieferwagen gefahren! Juliette, bitte, beruhige dich«, bat er mit gepresster Stimme.

Sie schwieg.

Thierry räusperte sich und gestand, er habe das Handy benutzt, um mit einer ehemaligen Schulkollegin zu telefonieren.

»Daran«, jetzt brüllte er, »bist du mit deiner verdammten Kontrollsucht schuld … Du! Niemand sonst, nur du!«

Er drückte auf das Gaspedal und raste an einem Sattelschlepper vorbei, lenkte seinen Mercedes SLK 250 aggressiv zurück auf die rechte Spur und verlangsamte. Der Lkw-Fahrer hupte und blendete Thierry durch den Rückspiegel mit Fernlicht.

»Nicht einmal richtig Autofahren kannst du! Nicht mal das.«

»Es reicht jetzt, Juliette. Bei der nächsten Gelegenheit fahre ich raus, dann fährst du! Dann ist fertig, Schluss und aus mit rummeckern.«

»Gut. Fahr raus. Diesel ist auch alle.«

»Benzin, verdammt noch mal!«

»Mir doch egal, der Zeiger ist unten, das heisst: Zapfsäule.«

»Du hättest tatsächlich Diesel reingelassen?«

»Warum nicht?«

»Weil der Motor kaputtgeht, darum.«

»Um den Motor kümmerst du dich, auch um deine Mutter. Nur ich bin dir scheissegal, mit mir machst du, was du willst … Und um die verdammte Schulfreundin, um die kümmerst du dich anscheinend ganz besonders.«

»Lass die jetzt mal aus dem Spiel«, knurrte Thierry. Sie war nahe an der roten Linie, die sie besser nicht überschritt.

»Da, Aire de Tavel, fahr raus!«

Nach einer Pause fuhr Juliette entschuldigend fort: »Tut mir leid, ehrlich, Thierry, ich bin zu weit gegangen. Das lange Sitzen, das macht mich ganz konfus. Es passiert einfach, das Streiten. Es ist so nervtötend langweilig als Beifahrerin.«

»Danach fährst du … Bitte.«

»Einverstanden. Lass uns ein wenig die Füsse vertreten, ein Zigarettchen rauchen. Das beruhigt uns.«

»Das beruhigt dich«, murrte Thierry, »ich habe mich im Griff.«

Juliette bedachte ihn mit einem eisigen Blick.

Sicherheitshalber hielt er den Mund und fuhr vor die Tankstelle Nummer sieben, stieg aus und ging, seinen Sportwagen begutachtend, an die Zapfsäule. Der Benzinschlauch klemmte, wütend zog er am Stutzen und steckte ihn in die Tanköffnung. Das Benzin gurgelte in die Tiefe, während oberhalb der Zapfsäule ein drehendes Rädchen fröhlich die Liter zählte. Juliette liess das Fenster hinunter. »Kaufst du mir bitte eine Cola und einen griechischen Salat? Etwas in der Art. Ich fahre schon mal auf den Parkplatz hinter dem Restaurant, da gibt es ein paar hübsche Tische unter den Bäumen.«

Thierry steckte den Stutzen zurück und klappte den Tankdeckel zu. Auf dem Weg zum Shop hörte er, wie der getunte Motor des Mercedes aufheulte und Reifen quietschten. Er sprang instinktiv zur Seite, Juliette raste hupend an ihm vorbei, warf seine Tasche mitsamt Jacke aus dem Fenster und schrie etwas Gemeines, das glücklicherweise im Gebrause der Autobahn unterging.

»Juliette!« Er rannte fuchtelnd dem Wagen hinterher. »Du verdammte Hure. Ich bring dich um! Aber sicher!«

Wenigstens die Tasche hat sie mir gelassen, dachte er und ungewollte Dankbarkeit erfüllte ihn. Er klemmte sie unter den Arm und ging quer über den Parkplatz zum Restaurant. Dort setzte er sich an die Bar und hörte, wie die Bedienung einen glatzköpfigen Fernfahrer fragte, ob er sie heiraten wolle, was ihm sichtlich schmeichelte, obwohl ihm klar sein musste, dass sie mit ihm spielte. Alle spielen mit ihren Männern, dachte Thierry, die unheimliche Macht der Frauen, und wir trotten ihnen zwanghaft nach.

Er klopfte mit den Knöcheln dreimal auf die Theke. Die Bedienung hob abwehrend die Hand. Er klopfte erneut, diesmal energischer. Der Fahrer wendete sich ihm zu und fragte nach dem Grund der Ungeduld. Ob was Besonderes vorliege?

»Eigentlich nicht«, erwiderte Thierry, »nein, überhaupt nicht, alles bestens.«

»Dann ist ja gut.«

»Gut ist gar nichts«, meinte Thierry und orderte ein Bier. Er beobachtete die Bedienung beim Füllen des Glases. Sie stellte es hin, fragte nach weiteren Wünschen, Thierry verneinte, sie wendete sich von ihm ab und einer lärmigen Touristengruppe zu, die soeben die Theke ansteuerte.

»Gut ist gar nichts?«, nahm Luc das Gespräch wieder auf.

»Nein, nichts ist, wie es sein sollte«, knurrte Thierry mit auf die Theke geheftetem Blick. Daraufhin sassen beide stumm auf ihren Hockern und blickten gebeugten Rückens in das Bierglas, das sie in exakt demselben Abstand vor sich stehen hatten. Luc war unschlüssig, wie er den Mann in Jeans und enganliegendem rosa Hemd einschätzen sollte. Private Probleme oder psychisch auffällig? Auf der Flucht?

»Meine Freundin hat mich sitzen gelassen.«

»Aha.«

»Jetzt. Hier.«

Luc hob die Augenbrauen. Wie er das meine, fragte er und biss in sein Sandwich.

»Ja, wie wohl? Ich gehe die Tankfüllung bezahlen und sie fährt davon, auf Nimmerwiedersehen. Juliette heisst sie, ein Teufel, wenn sie wütend ist, und ein blonder Engel –, ach vergiss es.«

»Das nennt man wohl Unglück«, kommentierte Luc mit vollem Mund, wobei er eine gewisse Belustigung kaum verbergen konnte.

»Wenn es nicht so traurig wäre, müsste ich selber lachen.« Thierry drehte sich auf seinem Hocker und fragte Luc nach dem Namen.

»Luc.«

»Gut, Luc, freut mich, Thierry ist mein Name, Thierry Rodenbach, ich wohne in Archamps, direkt an der Schweizergrenze. Eigentlich aus Genf, aber die Mieten dort sind zu hoch. Offiziell bin ich sogar immer noch Genfer, wegen den Steuern, wohnhaft als Untermieter bei einer meiner Cousinen.«

»Erzählst du mir jetzt dein ganzes Leben?«

Thierry nahm einen kräftigen Schluck und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von der Oberlippe. Herausfordernd blickte er Luc in die Augen: »Kein Problem, Luc, ich bin genervt, dann rede ich gelegentlich zu viel. Lassen wir das, alles in Ordnung.«

Sie sassen wieder stumm an der Theke und musterten sich aus den Augenwinkeln. »Wie kommst du jetzt nach Hause?«, fragte Luc beiläufig.

»Irgendwie.«

»Hast du Geld?«

»Klar.«

»Ich fahre nach Genf. Fünfzig Euro.«

»Halsabschneider.«

»Bei mir wachsen die Bäume nicht in den Himmel, ich habe eine Familie zu versorgen. Ausserdem werde ich gebüsst, wenn die Firma Wind bekommt. Ich fahre dich zum Autobahnkreuz A40/A41. Direkt neben Archamps, Hauslieferdienst, sozusagen.«

»Dreissig«, forderte Thierry.

»Fünfzig, Monsieur Rodenbach, damit kommst du gut weg, glaub mir.«

Schulterzuckend willigte Thierry ein, wegen den paar Euros stritt er nicht. »Wann fahren wir?«

Luc blickte auf seine handgefertigte Uhr: »In einer Dreiviertelstunde. Ich muss die Ruhezeiten einhalten.« Er beschrieb Thierry den weissen Sattelschlepper, der neben dem Wäldchen auf dem Parkplatz stand und wies ihn an, genau um fünfvorhalbvier an die Beifahrertür zu klopfen.

»Die Pause kommt mir gerade recht.«

»Siehst du.«

Luc zahlte, verabschiedete sich ungewohnt einsilbig von Daciana und verliess zügigen Schrittes die Bar, Thierry blieb sitzen und bestellte ein weiteres Bier, das er sogleich hinunterstürzte. Mehrmals sprach er Daciana an: »Sie kennen doch diesen Fahrer?«

Sie tat, als verstünde sie ihn nicht und mied den Augenkontakt; dieser Thierry war ihr suspekt, ein unstetes, irgendwie seltsames Temperament. Auf jeden Fall eigenartig. Luc hätte ihn besser stehengelassen. Sie biss auf einen Fingernagel und bereute, ihm ihre Befürchtungen verschwiegen zu haben.

Das Restrisiko beim Transport von Südfrüchten

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