Читать книгу Vera - Sklavin der Lust | Roman - P.L. Winter - Страница 6
ОглавлениеErinnerungen
»Wir sind da!« Gerda riss ihre Freundin jäh aus deren Erinnerungen und Vera musste sich erst einmal orientieren. Die Fahrt war irgendwie komplett an ihr vorübergezogen. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass der Wagen bereits auf Gerdas Parkplatz in der Tiefgarage stand.
Vor der Wohnung im dritten Stock wartete bereits ein Mann, den sie als Thomas erkannte. Freudig, aber dennoch zurückhaltend begrüßte sie ihn. Sie konnte sich schemenhaft daran erinnern, ihn nach der Trennung vor 13 Jahren vor einer Weile wiedergesehen zu haben.
In der Wohnung angekommen, öffnete Gerda das Gästezimmer und meinte stolz: »Hier hab ich alles untergebracht, was wir von deinen Sachen gerettet haben.« Sie deutete auf fünf große Umzugskartons, die in der hinteren Ecke des Zimmers standen. Obendrauf lagen noch zahlreiche weitere Gegenstände. Im großen Schrank befand sich Kleidung, die Vera größtenteils wiedererkannte. Ja, das waren ihre Sachen – aus ihrem alten Leben!
»Das wird bis auf Weiteres dein Zimmer sein – fühl dich wie zu Hause.« Gerda legte einen Arm um Vera und drückte sie an sich. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du wieder da bist. So, und jetzt bestell ich uns erst mal etwas zu Essen – Pizza für alle?« Vera und Thomas nickten zustimmend und Gerda griff zum Telefonhörer und bestellte drei Pizzen, die in zwanzig Minuten geliefert werden sollten.
Thomas hatte es sich inzwischen im Wohnzimmer in einem der bequemen Sessel gemütlich gemacht. Als sich die beiden Frauen zu ihm auf die Couch setzten, meinte er: »Vera, nun werde ich dich mal aufklären, was in deiner Abwesenheit hier so alles passiert ist. Zuerst allerdings eine wichtige Frage an dich – woran erinnerst du dich noch? Ich meine, woran hast du noch eigene Erinnerungen? Nicht das, was du von anderen bereits erfahren hast.«
»Also gut, lasst mich mal überlegen ... Wir zwei haben uns irgendwann letztes Jahr in München wiedergesehen. Danach haben wir uns noch ein paarmal regelmäßig getroffen – meist wohl bei mir zu Hause ...« – Vera zögerte und überlegte weiter – »... wenn Manfred nicht da war, oder?«
»Das stimmt«, bestätigte Gerda, wurde allerdings von Thomas ermahnt, Vera frei sprechen zu lassen.
»Dann wird es auch schon dunkel. Irgendwann habe ich einmal mitbekommen, wie Susanne ganz aufgeregt mit Maria getuschelt hat. Und als Manfred nach Hause kam, haben sie ihn schnell beiseitegenommen und auf ihn eingeredet. Ich kann jetzt aber nicht sagen, worum es dabei ging, ebenso wenig, ob er mir davon erzählt hat. Ich habe noch ein paar Erinnerungsfetzen an unseren Urlaub – das muss irgendwo in der Karibik gewesen sein, Venezuela, glaube ich. Wir waren dort am Strand, in Tanzlokalen und Bars, haben viel getrunken und Spaß gehabt. Meine ich zumindest. Da war ... eine improvisierte Geburtstagsfeier in einem der Lokale – auch etwas mit ... mit ... nackten Frauen um uns herum ... nein, ich weiß nicht. Bin mir nicht sicher. Tut mir leid ...«
»Ist schon in Ordnung«, versuchte sie Thomas zu trösten. »Gut, jetzt haben wir eine ungefähre Vorstellung davon, bis zu welchem Zeitpunkt du dich derzeit erinnern kannst. Jetzt versuchen wir es einmal von der anderen Seite: Was ist deine erste echte Erinnerung danach?«
»Das Kloster, in dem ich aufgewacht bin. Ein kleines, abgelegenes Nonnenkloster mitten in der brasilianischen Pampa. Irgendwo in der Nähe von Sertãozinho im Bundesstaat Paraíba.«
»Noch nie davon gehört, wo soll das sein?«, wollte Gerda wissen.
»Glaube ich dir gerne. Das ist ein kleines Dorf mit weniger als fünftausend Einwohnern und selbst die sind noch sehr verstreut über die ganze Gegend. Liegt etwa 55 Kilometer vor der Küste, auf halbem Weg zwischen João Pessoa und Natal.«
»Natal ... Ja, das ist mir ein Begriff – jetzt kann ich mir ungefähr vorstellen, wo du warst. Nur wie um Gottes Willen bist du dort gelandet?«
»Die Nonnen haben mir erklärt, dass uns ein Bauer gefunden hat –«
»Uns? Du sagtest gerade: ›uns‹!«, unterbrach Thomas, der bisher nur aufmerksam zugehört und sich Notizen gemacht hatte.
»Ja, es soll ein Mann bei mir gewesen sein. Da er nicht in das Nonnenkloster hineindurfte, wurde er in ein anderes Kloster gebracht. Als ich mich nach ihm erkundigte, war er aber nicht mehr dort. Es soll ihm ziemlich schlecht gegangen sein, daher wurde er am nächsten Tag gleich weiter in ein Ordensspital in die nächste größere Stadt gebracht. Ich habe nie herausgefunden, wer er war oder was aus ihm geworden ist. Die Nonnen leben sehr zurückgezogen und abgeschieden, die waren keine wirkliche Hilfe. Und als ich mich auf die Suche gemacht habe, war es schon viel zu spät, als dass sich irgendwer noch so richtig an ihn hätte erinnern können oder wollen.«
»Gut. Was ist mit dem Moment, als du aufgewacht bist: Wann war das?«, hakte Thomas nach.
»Das war am 18. November. Dieses Datum wurde mir genannt, deshalb weiß ich es so genau. Ich soll zwar schon vorher ein paarmal kurz aufgewacht, dann aber immer wieder bewusstlos geworden sein. Ab diesem Tag bin ich wach geblieben und seitdem kann ich mich eigentlich an alles erinnern.«
»Sehr gut. Das besprechen wir ein anderes Mal, wenn du dich erholt hast. Somit fehlen dir also mindestens die Zeit von Mitte August bis zum 18. November und davor hast du auch noch ein paar Lücken – die müssen wir wieder alle füllen.«
In diesem Moment klingelte der Pizzalieferant. Wenig später saßen die drei mit Besteck und Rotwein um den kleinen Tisch herum und genossen ihre Pizzen.
Nach einer Weile fragte Thomas: »Also zurück zu all dem, was während deiner Abwesenheit passiert ist. Womit möchtest du anfangen?«
»Mit Manfred – was wisst ihr von ihm? Warum sind Maria und Susanne so wütend auf mich?«
Thomas überlegte kurz, wie er es Vera am besten beibringen sollte, und setzte schließlich an: »Also gut, beginnen wir einfach mal damit, dass Gerda sich Ende Mai letzten Jahres bei mir gemeldet und mich um einen gemeinsamen Termin mit dir gebeten hat, zu dem es dann allerdings erst im August kam. Dabei ging es darum, dass deine Ehe mit Manfred – sagen wir es einmal so: dringend beendet werden müsste ...«
»... dringend beendet werden müsste? Was soll das heißen?«
»Im Klartext: Er hat dich mehrfach missbraucht und vergewaltigt. Und zwar nicht nur er selbst, sondern ebenso seine Freunde. Darüber hinaus hat er dich mit einem Video erpresst!«, sprudelte es aus Gerda heraus.
»Vergewaltigt? Video? Erpresst?«, echote Vera mit zitternder Stimme. Sie war erschüttert und irritiert.
»Stimmt«, antwortete Thomas bedrückt, »das Video ist Anfang dieses Jahres aufgetaucht und ich glaube, dass darin der Kern von Marias und Susannes Zorn auf dich liegt. Es dauert etwa eine halbe Stunde und zeigt, wie du Sex mit drei Männern und zwei Frauen hast. Oder besser gesagt, sie mit dir, da du doch recht teilnahmslos erscheinst. Es lässt sich nicht drum herumreden: Es ist eine sehr ausschweifende Orgie. Die Qualität des Videos ist relativ schlecht, allerdings hat es viel Staub aufgewirbelt. Da Manfred auf dem Video nicht zu sehen ist, gingen alle davon aus, dass er nicht dabei war und du ihn betrogen hast. Vor Kurzem haben wir das Original zugespielt bekommen. Da gibt es noch ein paar zusätzliche Szenen, auf denen Manfred und sein Busenfreund Kurt zu sehen sind, wie sie dir eine Menge Alkohol einflößen und sich ebenfalls an dir vergehen – da hast du dich noch aktiv zu wehren versucht.«
Mit weit aufgerissenen Augen saß Vera auf der Couch und hörte zu. Gerda hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt und drückte sie an sich.
»Dieses Video war der Grund dafür, warum du damals zu mir gekommen bist. Deiner Aussage nach entstand es, nachdem du fluchtartig aus einem Swingerclub geflohen warst, in den dich Manfred genötigt hatte. Er hat dir damit gedroht, es in Umlauf zu bringen und dafür zu sorgen, dass es auch deine Chefs bekommen, wenn du nicht das tust, was er will. Die Zeit mit ihm muss wirklich schlimm gewesen sein, und es schien wie eine göttliche Fügung, dass du damals Gerda wiedergetroffen hast. Sie war es auch, die dich dazu überredet hat, Kontakt mit mir aufzunehmen – und ich habe dir geraten, ihn sofort anzuzeigen und die Scheidung einzureichen, wozu du damals allerdings noch nicht bereit warst.«
»Ich habe wochenlang auf dich eingeredet – wie auf eine kranke Kuh, aber du hattest so viel Angst vor ihm und dem Video, dass du wie gelähmt warst. Egal was er mit dir angestellt hat, du hast es schweigend ertragen und warst einfach nicht imstande, dich zu wehren«, ergänzte Gerda.
»Am 25. August, also vor nicht ganz einem Jahr, war es endlich so weit: Gerda hat dich zu mir geschleift, du warst völlig aufgelöst und hattest blaue Flecken. Manfred und seine beiden Freunde hatten dich wieder einmal vergewaltigt und sind danach für vier Tage auf Weiterbildung gefahren. Wir sind erst einmal mit dir zu einem Arzt gefahren, der dich eingehend untersucht und ein paar Proben genommen hat. Du bist über das Wochenende bei Gerda geblieben und wir haben die Scheidungspapiere und die Anzeige vorbereitet. Als ich am Montag Anzeige erstatten wollte, hast du wieder einen Rückzieher gemacht und gemeint, dass wir das besser bleiben lassen sollten, da sowohl Manfred als auch Kurt bei der Polizei seien. Die Scheidung wolltest du durchziehen, dir allerdings vorher erst noch eine neue Bleibe suchen, was nicht länger als drei Wochen dauern sollte. Wir haben uns schließlich darauf eingelassen – leider. Ein schwerer Fehler, wie sich schließlich herausgestellt hat.«
»Fehler? Wieso?«
»Weil du dich von ihm hast wieder einwickeln lassen«, erwiderte Gerda verärgert. »Wie wir über Umwege erfahren haben, hat dich Susanne bei einem deiner Treffen mit Thomas beobachtet und geglaubt, er sei dein Liebhaber. Das hat sie natürlich gleich Maria und Manfred gesteckt. Der hat allerdings schnell Lunte gerochen und wurde plötzlich wieder zuckersüß. Er hat sich bei dir entschuldigt, es täte ihm so leid, er hätte sich völlig danebenbenommen und würde alles tun, um es wiedergutzumachen – bla, bla, bla. Er hat dich vollkommen eingewickelt, davon gefaselt, neu anzufangen, und gemeint, dass ein Kind dazu die beste Möglichkeit wäre.«
»Ein Kind?«
»Ja! Ihr habt es schon drei Jahre vergeblich versucht, irgendwie hat es nie geklappt. Und je länger es gedauert hat, desto aggressiver und brutaler wurde Manfred. Sicher auch angestachelt von Maria, die endlich einen Erben haben und Oma sein wollte«, erklärte Gerda. »Und du hast ihm den Schmarren abgenommen und damit die Scheidung auf die lange Bank geschoben.«
Vera senkte betroffen ihren Kopf. Düstere Erinnerungen kamen in ihr hoch. Erinnerungen, die sie für Albträume gehalten und die sie erfolgreich zu verdrängen gelernt hatte. Ja, das mit dem Kind war ein wunder Punkt, einer der sie schon länger verfolgt hatte.
»Eine Woche später bist du zu einer Verabredung mit Gerda nicht erschienen«, sagte Thomas. »Als sie daraufhin bei dir zu Hause angerufen hat, sagte Susanne, dass ihr beide kurz entschlossen zu deinem Geburtstag in die Karibik geflogen wärt – sie wusste allerdings nicht, für wie lange, weil alles so schnell gegangen sei. War offensichtlich eine kurzfristige Entscheidung. Ihr seid mit gepackten Koffern zum Flughafen nach München und wolltet von dort ein Last-Minute-Angebot suchen. Mehr konnte sie uns nicht sagen.«
Gerda schnappte sich eine Mappe und begann darin herumzublättern. »Am 13. September letzten Jahres seid ihr verschwunden. Als ich nach zwei Wochen noch nichts von euch gehört hatte, habe ich bei deiner Bank nachgefragt, und die wussten ebenso von nichts – du hattest nicht einmal Urlaub beantragt, sondern warst einfach nicht zur Arbeit erschienen. Anfangs waren die recht sauer, allerdings machten sie sich auch schon langsam Sorgen. Am nächsten Tag sind wir zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Kurt, der Busenfreund von deinem Manfred, wollte die Anzeige zuerst gar nicht annehmen und ist mit allen möglichen Ausreden gekommen. Thomas hat sich dann als dein Anwalt zu erkennen gegeben und den leitenden Beamten verlangt. Der konnte unsere Bedenken verstehen und hat die Vermisstenanzeige schließlich persönlich aufgenommen – sichtlich sehr zum Ärger vor Kurt.«
»Eine Woche später erhielt Gerda von der Polizei die Information, dass ihr einen zehntägigen Urlaub für Venezuela gebucht und offensichtlich vor Ort verlängert hattet«, führte Thomas aus. »Der Rückflug sollte drei Tage später erfolgen, hatten sie recherchiert, aus deinen Kreditkartenabrechnungen ergab sich nichts Auffälliges. Damit war die Sache für die Polizei erst einmal erledigt. Kurt meinte nur hämisch, wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern und euch in Ruhe lassen.«
»Ich habe eine Woche gewartet und als ihr dann noch immer nicht zurück wart, bin ich erneut zur Polizei«, setzte Gerda fort. »Sie gaben mir zwar recht, dass alles doch recht ungewöhnlich sei und sie der Sache nachgehen würden, getan haben sie aber offensichtlich nichts. Ich war ein paarmal bei Maria und Susanne, die sich auch schon Sorgen machten, sich allerdings langsam auf dich einschossen und dir die Schuld zuschoben, dass sich ihr herzallerliebster Manfred nicht meldete. Dabei rutschte Susanne heraus, dass du einen Liebhaber hättest – Thomas, wie sie dachte – und sie kannte kein Halten mehr- Von deinem Chef habe ich in der Folge ein paar von Manfreds Kreditkartenabrechnungen zugesteckt bekommen – vertraulich, ich durfte natürlich niemandem sagen, woher ich die hatte. Daraus ging hervor, dass ihr zunächst wirklich am 13. September nach Venezuela geflogen seid, ganz so, wie es der Reiseveranstalter der Polizei gegenüber angegeben hatte. Am 23. seid ihr jedoch nach Jamaika geflogen und habt dort ... äh, in einem Swingerhotel eingecheckt.«
»Swingerhotel?«, fragte Vera verblüfft.
»Ja, das hat mich auch gewundert, doch es kommt noch besser – oder schlimmer: Am ersten Oktober gab es einen weiteren Flug, nach Mexiko. Dort seid ihr in einem weiteren Swingerhotel abgestiegen. Eine knappe Woche später ist eine Barabhebung von neuntausend Euro verzeichnet, das war vorläufig die letzte Buchung. All das ist auf Manfreds Karte gelaufen – von deiner waren bis dahin nur zwei Flugtickets und eine Hotelrechnung abgebucht worden. Später hat sich herausgestellt, dass ihr am 8. Oktober nach Brasilien geflogen seid und dort in einem Hotel in São Paulo eingecheckt habt. Wenig später, am 13., seid ihr plötzlich in Rio und am 18. in Recife aufgetaucht – dazu gibt es wieder Belege, jetzt auf deiner Kreditkarte. Am 25. Oktober wurde über die auch ein Auto angemietet.«
»Ein Mietwagen in Brasilien?«, unterbrach Vera ungläubig.
»Ja, der wurde für eine Fahrt von Recife nach Natal gemietet, angeblich von einem Brasilianer, und mit deiner Kreditkarte bezahlt.«
Nun übernahm Thomas wieder und erzählte: »Am achten November hat mich die Polizei kontaktiert und mir mitgeteilt, dass sie die Sache jetzt mit Nachdruck verfolgten. Sie hätten die Kreditkartenunterlagen von der Bank angefordert und da wären ein paar Auffälligkeiten dabei. Ob wir inzwischen irgendetwas von euch gehört hätten? Ich habe mich zunächst dumm gestellt und nur gemeint, dass wir nach wie vor nichts wüssten. In der Folge habe ich meine Kontakte beim Auswärtigen Amt spielen lassen sowie einen Bekannten kontaktiert, der beruflich viel in Brasilien ist, und ihn um Unterstützung gebeten. Im Dezember gab es erneut wöchentliche Barabhebungen mit Manfreds Kreditkarte – insgesamt waren das nun 45.500 Euro. Die Bank sperrte daraufhin eure Kreditkarten – was ich übrigens schon viel früher vorgeschlagen hatte, um damit eine Reaktion von eurer Seite zu erzwingen. In der ersten Januarwoche tauchte das bereits erwähnte Video auf und hat für einige Aufregung gesorgt.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich Maria und Susanne aufgeregt haben!«, erklärte Gerda. »›Schlampe‹ und ›Flittchen‹ waren noch die freundlichsten Begriffe, die sie für dich übrig hatten. Besonders Susanne hat sich ausgiebig über dich ausgelassen. Sie hätte immer schon gewusst, dass du nichts für Manfred wärst, und dass du bei dem Umgang keine Kinder kriegen könntest, sei wohl logisch. Als ich dagegengehalten habe, dass dieses Video etwas ganz anderes zeigt und du von Manfred mehrfach vergewaltigt wurdest, sind die beiden regelrecht explodiert und haben sich wie die Furien aufgeführt. Ein paar Tage später habe ich von einem Rechtsanwalt die Aufforderung erhalten, meine Behauptungen öffentlich zurückzunehmen, andernfalls würden sie mich wegen Verleumdung verklagen.«
Schließlich ergriff Thomas wieder das Wort: »Am 16. Januar kam über das Auswärtige Amt die Meldung, dass bereits am 21. November eine männliche Leiche in einem Mietauto in der Nähe von Pirpirituba gefunden worden war. Es hat offenbar eine Weile gedauert, bis dort jemand die Informationen weitergeleitet hat.«
»Pirpirituba – ja, das kenne ich, das ist die nächste größere Stadt bei Sertãozinho«, unterbrach Vera.
»Gut, jetzt wissen wir also, dass das zusammenpasst. Die brasilianische Polizei gab sich sehr zurückhaltend und meinte nur, dass der Fund von Manfreds Papieren bei der Leiche auf seine Identität hindeute.«
»Das war dann der Tropfen, der das Fass bei den beiden zum Überlaufen brachte«, ergänzte Gerda. »Von da an warst du für sie eine Hure und Mörderin, die ihren unschuldigen Manfred auf dem Gewissen hatte. Die nächsten zwei Monate ging es heftig hin und her. Wir deckten sie mit einer Unterlassungsklage ein, sie wollten dagegenhalten und verklagten uns wegen Verleumdung ihres Manfreds – ein juristisches Pingpongspiel, das Ende März im Rauswurf all deiner Sachen seinen Höhepunkt fand.«
»Der größte Schock für die beiden kam Anfang April, als die brasilianischen Behörden meldeten, dass sie nun fest davon ausgingen, dass die Leiche Manfred sei. Eine Überstellung nach Deutschland wurde abgelehnt, da die Einäscherung und Beisetzung bereits erfolgt waren – auf Anordnung seiner Frau.«
»Auf meine Anordnung hin?« Vera war wie vor den Kopf gestoßen. »Anfang April ... da war ich in São Paulo, nachdem ich in Paraíba, Rio Grande do Norte und Pernambuco vergeblich nach dem unbekannten Mann gesucht und Kontakt mit den Konsulaten aufzunehmen versucht hatte. Von einem Toten wusste ich nichts!«
»Diese Info machte hier alle stutzig – besonders Maria und Susanne natürlich«, meinte Gerda.
Thomas erklärte weiter: »Am zehnten Mai tauchte plötzlich eine Gabriela Bruna da Moura Brandão, verheiratete Wegner, auf und legte eine Heiratsurkunde, datiert auf den 24. November, sowie eine Sterbeurkunde von Manfred vor, datiert auf den 22. Dezember, wobei hier der Hinweis ›geschätzter Todeszeitpunkt‹ angeführt war. Das Ganze machte auf uns einen äußerst dubiosen Eindruck und stimmte auch mit einigen Details unserer Erhebungen nicht zusammen, doch davon wollte unsere Polizei nichts wissen. Für sie war nur wichtig, dass sie damit den Fall zu den Akten legen konnten.«
»Und jetzt kommt es: Sie hatte eine detaillierte Vermögensaufstellung, stellte Erbansprüche und wollte von Maria und Susanne nun auch noch Geld für die Beisetzung von Manfred zurückhaben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sich die beiden daraufhin aufgeführt haben! Jedes Mal, wenn sie Gabriela begegnet sind, sei es vor Gericht oder auf der Straße, sind sie sich gegenseitig an die Gurgel gegangen. Die Polizei war wochenlang damit beschäftigt, sie voneinander fernzuhalten. Fast wäre es so weit gekommen, dass sie die Streithennen eingesperrt hätten. Für mich irgendwie eine Genugtuung: Wir waren zunächst aus der Schusslinie. Gabriela ist immer wieder nach Brasilien zurückgeflogen, war allerdings mindestens einmal pro Monat hier, um ihre Erbansprüche durchzusetzen.«
»Da es keine Spur von dir gab, konnte ich die Behörden so weit hinhalten, dass zwei Jahre abgewartet werden sollte, bevor hier etwas entschieden würde – schließlich gab es keine gültigen Beweise dafür, dass ihr geschieden wart oder du nicht mehr lebtest. Mitte Juni meldete mir mein Kontakt aus Brasilien, dass die dortigen Behörden nun doch Zweifel hätten, dass die gefundene Leiche Manfred war. Der Führerschein wurde nicht – wie ursprünglich angegeben – an der Leiche, sondern im Handschuhfach gefunden! Außerdem gab es kleinere Unstimmigkeiten bei den Zahnunterlagen, die in einem Detail nicht ganz zusammenpassten. Damit wurde der Haftbefehl gegen Manfred wieder aktuell – wegen Verdachts auf Menschenhandel und Nötigung zur Prostitution. Es gab da offensichtlich eine Anzeige von einem Zeugen. Durch unsere laufende Einmischung wurde dieser nun auch als internationaler Haftbefehl geführt, weil nun unsere Darstellung doch nicht mehr als so ganz abwegig angesehen wurde.«
»Womit wir wieder voll in der Schusslinie von Maria, Susanne und Kurt standen!« Gerda konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen.
»Das ist gerade einmal sechs Wochen her und jetzt bist du wieder hier – Gott sei Dank!« Man konnte Thomas die aufrichtige Freude ansehen. »Damit hätten wir das Gröbste zusammengetragen. Lass das Ganze jetzt einfach auf dich wirken und schlaf eine Nacht darüber – vielleicht kehren ja noch ein paar Erinnerungen zurück.«
»Du hast sicher recht, es ist schon spät und ich bin wirklich hundemüde. Die lange Reise, die ganze Aufregung und so viele Neuigkeiten, die ich erst verarbeiten muss ... Das wird mir langsam zu viel. Ich würde mich am liebsten gleich hinlegen.«
Gerda und Thomas nickten zustimmen und alle drei standen auf. An der Wohnungstür meinte Vera: »Jedenfalls vielen Dank für all die Infos und für alles, was ihr für mich getan habt.«
»Schon gut, das war erst der Anfang. Ich befürchte, dass uns die Hauptarbeit noch bevorsteht, bis endgültig geklärt ist, was tatsächlich mit Manfred passiert ist – auch wenn ich glaube, dass er wirklich tot ist. Für dich wäre das sicher das Einfachste und Angenehmste.«
»Frei nach dem Motto: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende«, ergänzte Gerda schnell, da ihr die Bemerkung von Thomas doch unpassend vorkam. »So, und jetzt raus mit dir«, wandte sie sich an ihn, »wir melden uns morgen bei dir und beratschlagen dann, wie es weitergehen soll.«
Vera nickte zustimmend, umarmte Thomas kurz und drückte ihm einen schüchternen Abschiedskuss auf die Wange, bevor er von Gerda unsanft durch die Wohnungstür geschoben wurde.
»In Ordnung. Schlaft gut, wir hören uns morgen. Haltet euch jedenfalls den Montag frei – da haben wir einiges zu erledigen. Ich werde versuchen, die nötigen Termine so zeitnah wie möglich zu bekommen, vielleicht schaffe ich das schon morgen. Gute Nacht!«