Читать книгу Rockstar Love - Ein Song für Alexis - Poppy J. Anderson - Страница 10
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ОглавлениеSie hatte nicht geglaubt, dass es noch schlimmer werden könnte.
Alexis starrte auf die Titelseite des Schmierblattes und wäre am liebsten in einem Erdloch versunken und nie wieder aufgetaucht. Von allen Peinlichkeiten, die ihr im letzten Jahr passiert waren, war dieses Foto zusammen mit der Schlagzeile tatsächlich der Höhepunkt aller beschämenden Nachrichten – oder der Tiefpunkt. Es war eine Frage des Standpunktes. Alexis glaubte jedenfalls nicht, dass sie noch tiefer sinken konnte.
Himmel, sie konnte sich nicht einmal daran erinnern, wann und wie jenes Foto entstanden war. Jene Nacht in Las Vegas fühlte sich auch Monate später wie ein schlechter Albtraum an, aus dem sie nicht entkam.
Liebeskummer, Long Island Iced Tea und Las Vegas vertrugen sich leider überhaupt nicht und führten dazu, dass man verdammt schlechte Entscheidungen traf. Vor allem dann, wenn man keineswegs trinkfest war. Alexis hätte sich viel Kummer, einen Haufen Probleme und einige Demütigungen erspart, wenn sie damals zu Hause geblieben wäre, anstatt die Einladung eines Promoters anzunehmen und die Eröffnung eines Clubs zu feiern.
Von dem Geld einmal abgesehen.
Aber damals – vor etwas mehr als sechs Monaten – hatte sie sich dazu entschieden, für alle Welt sichtbar Party zu machen und die gehässigen Stimmen verstummen zu lassen, die davon sprachen, dass ihr das Herz gebrochen worden war und dass sie doch nicht Miss Supergirl höchstpersönlich war, der einfach alles gelang. Alexis hatte ihren Stolz retten wollen, und dieser Plan war absolut nach hinten losgegangen. Von ihrem Stolz war nichts mehr übrig.
Erst recht nicht, wenn sie vor einem Tribunal bestehend aus ihrer Mom, ihrem Agenten und ihrem Anwalt in ihrem eigenen Wohnzimmer saß, die alle sorgenvoll die Stirn runzelten und ein Gesicht machten, als hätten sie eine Steuerprüfung vor sich. Alexis hätte sich bei diesem Gespräch sehr viel wohler gefühlt, wenn ihre Mom allein gewesen wäre. Oder wenn Alexis wenigstens geduscht hätte, bevor die drei plötzlich bei ihr aufgetaucht wären. Ihre Pläne für den heutigen Tag, die darin bestanden hatten, eine wahnsinnig interessante Dokumentation über kanadische Holzfäller zu schauen, Pizza zu essen und einen ungefähr zweistündigen Mittagsschlaf zu machen, waren anscheinend hinfällig. Stattdessen musste sie hier sitzen und auf die Titelseite einer Zeitung starren, die sie lieber nicht zu Gesicht bekommen hätte.
„Der Aufstieg vom Stripper zum Millionär – dieser Mann verdiente pro Minute über neuntausend Dollar als Ehemann eines Popstars.“
„Ich kann es lesen, Mom“, unterbrach sie ihre Mutter, während ihre Wangen feuerrot wurden. Wer wurde in ihrem Alter auch schon gerne wie ein Teenager behandelt? Alexis wartete eigentlich nur noch darauf, zu Hausarrest verdonnert zu werden.
„Kennst du das Foto, das die Zeitung gedruckt hat?“
Nein, das tat sie nicht. Um ehrlich zu sein, konnte sie sich an kaum etwas erinnern, was damals passiert war. Und an den Mann, der ganze achtzehn Stunden lang ihr Ehemann gewesen war und dafür eine Abfindung von zehn Millionen Dollar erhalten hatte, als er einer Annullierung ihrer Ehe zustimmte, erinnerte sie sich ebenfalls nur schwach. Wenn sein Gesicht nicht in diversen Zeitschriften aufgetaucht wäre, wüsste Alexis nicht einmal, wie er aussah.
Ja, Long Island Iced Teas waren eine Erfindung des Teufels.
„Ich kenne es nicht“, erwiderte sie, während es in ihrem Magen unangenehm grollte.
Eigentlich wollte sie nicht hinschauen, denn allein der kurze Blick auf die Titelseite hatte sie regelrecht ernüchtert, aber irgendeine diabolische Neugierde ließ sie das dort abgedruckte Foto suchen und betrachten. Gleichzeitig glühten ihre Ohren.
Ihre Hochzeit hatte sie sich immer anders vorgestellt – klassisch, stilvoll und romantisch. Das, was auf dem Foto zu sehen war, war weder klassisch noch stilvoll oder gar romantisch.
Es zeigte sie in einem unerhört kurzen Pailettenkleid mit tiefem Rückenausschnitt, barfuß und mit einem pinken Schleier auf dem Kopf, während ihr Bräutigam einen Cowboyhut, Jeans und eine Lederweste trug – und sonst nichts. Der Mann, den sie geheiratet hatte, war mit nacktem Oberkörper vor den Traualtar getreten, um sich von einem Elvis-Double verheiraten zu lassen, und war über und über mit Goldfarbe beschmiert gewesen. Eigentlich war es angesichts dieses Fotos, das offenbar heimlich aufgenommen worden war, ein Wunder, dass Alexis nicht längst für unzurechnungsfähig erklärt worden war.
Welche zurechnungsfähige Frau heiratete einen wildfremden Mann, den sie nur drei Stunden vorher auf einer Cluberöffnung kennengelernt hatte, auf der er als Stripper auf einer Bühne gestanden hatte?
„Also weißt du auch nicht, wer das Foto gemacht hat?“
Sie starrte ihre Mom an und war stolz, wie ruhig ihre Stimme klang, als sie trocken erwiderte: „Ich weiß nicht einmal mehr, wie ich an jenem Abend in diese Hochzeitskapelle gekommen bin, Mom. Wie soll ich also wissen, wer das Foto aufgenommen hat?“
Ihre Mutter drehte sich zu Alexis’ Anwalt um, der sich bedeutungsvoll räusperte und genauso wie Alexis’ Agent einen dunklen Anzug trug, der mit Sicherheit eine schöne Stange Geld gekostet hatte. Alexis hatte keine genauen Zahlen im Kopf, aber beide Männer hatten sich eine goldene Nase verdient, seit sie für sie arbeiteten, denn sie war seit ihrer Volljährigkeit, als sie mit ihrem Debütalbum durchgestartet war, eine regelrechte Gelddruckmaschine gewesen.
Das wusste auch ihre Mom, die ehrgeizig an ihrer Karriere gearbeitet hatte, sie managte und seit fast einem Jahr darum bemüht war, Alexis wieder auf Spur zu bringen.
Alexis liebte ihre Mutter, aber angesichts des Eintausend-Dollar-Haarschnitts, des maßgefertigten Kostüms und der eleganten Uhr von Cartier, die ihre Mom an ihrem linken Handgelenk trug, musste sie sich fragen, worüber sie sich am meisten Sorgen machte – um Alexis oder um ihre Einnahmequelle.
Kaum hatte sich dieser Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt, wand sie sich innerlich, denn Alexis wollte ihrer Mutter kein Unrecht tun. Vielleicht hatte sie in letzter Zeit einfach zu viel ferngesehen und sah überall Verschwörungen, anstatt rational zu bleiben.
„Gilbert, wir haben mit diesem Goldgräber einen Vertrag, dessen Auflage besagt, dass keine Einzelheiten zur Eheschließung, zur Annullierung und zum Inhalt des Vertrages bekannt werden darf!“
Besagter Goldgräber hieß eigentlich Carlos Hernandez und war unter dem Künstlernamen Hector aufgetreten. Das alles hatte Alexis erfahren, als sie mit einem furchtbaren Kater in ihrer Hotelsuite aufgewacht war und ihrer Mutter Rede und Antwort stehen musste, nachdem die nach Las Vegas geflogen war. Vermutlich konnte Alexis von Glück reden, dass ihr Bodyguard sie mit ihrem frisch Angetrauten im Bellagio aufgegabelt hatte, bevor die beiden die Ehe vollziehen konnten.
Kaum zu glauben, wie blöd sie damals gewesen war.
Es gab genügend Popsternchen, die solche Dummheiten anstellten, zu viel tranken und sich keine Gedanken um Konsequenzen machten, aber Alexis war schon immer der vernünftige, abwägende und vorsichtige Typ gewesen. Bis heute verstand sie nicht, dass ausgerechnet sie derart ausgeflippt war. Mädchen mit Anfang zwanzig warfen alle Bedenken über Bord und heirateten einen Wildfremden, aber das taten keine Frauen mit zweiunddreißig Jahren, die ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl besaßen.
„Wir kennen die Quelle der Zeitschrift nicht und wissen auch nicht, von wem das Foto stammt. Unter diesen Umständen ist es schwierig, Mr. Hernandez einen Vertragsbruch nachzuweisen. Ich persönlich denke nicht, dass er die Quelle ist, schließlich geht es bei ihm um zehn Millionen Dollar, die er zusammen mit einer Strafe zurückzahlen müsste, wenn er gegen die Auflagen des Vertrages verstößt.“
Die Aussage des Anwalts schien ihrer Mom nicht zu gefallen, weil sie die Stirn runzelte. „Wer soll denn die geheimen Klauseln des Vertrages publik gemacht haben? Wir waren es schließlich nicht!“
„Du weißt doch selbst, dass es bei solchen Angelegenheiten immer jemanden geben kann, der davon Wind bekommt und zur Presse rennt, Emma.“
„Und damit sollen wir uns abspeisen lassen?“ Das Gesicht ihrer Mutter wurde zornesrot. „Wozu gibt es überhaupt die Verschwiegenheitsklausel, wenn die Einzelheiten des Vertrages doch an die Öffentlichkeit geraten?“
„Wenn keine der beiden Parteien dagegen verstößt, dann können wir nichts tun“, bemühte sich der Anwalt zu erklären.
„Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Ich werde einen Privatdetektiv engagieren, der herausfinden soll, von wem die Informationen und das Foto stammen, die dieses unsägliche Schmierblatt publik gemacht hat.“
Alexis schloss für einen Moment die Augen, bevor sie ihre Mutter mit müder Stimme bat: „Mom, können wir die Sache nicht auf sich beruhen lassen?“
Das Gesicht ihrer Mutter, das nicht zu altern schien und beneidenswert schön war, erstarrte förmlich, als sie sich zu ihrer Tochter drehte und sie verständnislos ansah. „Wie bitte?“
Alexis zuckte hilflos mit den Schultern. „Was bringt es denn, wenn wir wissen, wer für den Artikel verantwortlich ist? Die Zeit zurückdrehen können wir dadurch nicht.“
„Darum geht es nicht.“
„Und worum geht es dann?“ Alexis schüttelte kurz den Kopf. „Ich will nicht, dass die Angelegenheit noch mehr Aufmerksamkeit bekommt. Die letzten Monate waren peinlich genug“, gestand sie, obwohl es ihr schwerfiel, dies in Gegenwart der beiden Männer zuzugeben. Ihr Liebesleben sollte schließlich nur sie etwas angehen.
„Umso peinlicher wird es sein, wenn nun Spekulationen über diesen Mann publik werden und wir dem nichts entgegensetzen.“
Sie seufzte innerlich auf, während sie ihrer Mutter erklärte: „Übermorgen ist schon Gras über die Sache gewachsen. Die Blitzhochzeit ist bereits ein paar Monate her. Niemand interessiert sich mehr dafür, wenn wir die Gerüchte nicht anheizen, indem wir ein Dementi verkünden ...“
„Alexis, dein Ruf steht auf dem Spiel.“
„Und du meinst, dass es meinem Ruf helfen könnte, wenn du einen Privatdetektiv engagierst?“ Sie erhob sich und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. „Mir ist es egal, dass diese Zeitschrift Details der Annullierungsvereinbarung veröffentlicht.“
„Mir ist es nicht egal“, widersprach ihre Mutter. „Und vielen anderen ist es ebenfalls nicht egal. Deine Plattenfirma interessiert sich beispielsweise sehr für dein Image, das unter diesem Artikel noch mehr zu leiden hat als zuvor.“ Mit ordentlich manikürten Fingernägeln tippte ihre Mom aufgebracht gegen das Foto auf der Titelseite. „Dieser Mann trägt nur eine Lederweste!“
„Vergiss den Cowboyhut nicht.“
„Das ist nicht witzig, Alexis.“
Sie schob das Kinn nach vorn. „Sehe ich etwa aus, als wäre mir zum Lachen zumute?“
„Du solltest die ganze Angelegenheit etwas ernster nehmen! Nicht nur dein Ruf steht auf dem Spiel, sondern auch deine Karriere.“
Alexis’ Agent mischte sich in das Gespräch der beiden ein, das immer lauter zu werden versprach. „Wir sollten uns alle erst einmal beruhigen. Okay?“
Alexis spürte, dass ihr Puls raste und sie vor lauter Anspannung ganz steif wurde. Sie wusste, dass sie damals einen Fehler gemacht hatte. Und sie wusste auch, dass sie aus ihrem Schneckenhaus herauskommen musste, wenn sie nicht wollte, dass ihre komplette Karriere den Bach hinunterging. Aber wie sollte sie mit einem strahlenden Lächeln vor ihre Fans treten, Autogramme geben und allen den immer fröhlichen Popstar vorspielen, wenn sie derart niedergeschmettert war und wenn sie sich ausgenutzt, benutzt und hintergangen fühlte?
In dieser Situation hätte sie ihre Mom gebraucht, aber nicht ihre Managerin, die sich nur für Alexis’ Image und ihre Außenwirkung interessierte.
„Das ist eine ernste Sache, Alexis“, begann ihr Agent mit besorgter Miene zu erklären. „Aber ich gebe dir recht, dass wir diesen Artikel am besten ignorieren sollten. Gleichzeitig ist es höchste Zeit, dich wieder ins richtige Licht zu rücken. Du hast dich monatelang nicht blicken lassen, und die Öffentlichkeit beginnt, die Gerüchte zu glauben, die über dich kursieren. Auch wenn wir kein Dementi hinsichtlich des Artikels veröffentlichen, müssen wir gegensteuern, um deinen guten Ruf wiederherzustellen.“
„Gegensteuern?“ Sie schluckte schwer, denn in ihren Ohren klangen die Worte ihres Agenten danach, sich wieder draußen blicken zu lassen und an die Öffentlichkeit zu gehen. „Was meinst du damit?“
Sehr ernst schaute er sie an. „Ivy ist als das fröhliche, herzliche, talentierte und typisch amerikanische Mädchen von nebenan berühmt geworden, das man sich als Tochter oder beste Freundin wünscht. Du bist der Vorzeige-Star, Alexis – skandalfrei und pflichtbewusst. Dass du dich in Las Vegas hast volllaufen lassen und einen Stripper geheiratet hast, war schlimm genug für deine konservativen Fans und insbesondere für die Eltern deiner minderjährigen Fans, aber dass du dich seit Monaten verkriechst, erweckt den Eindruck, dass du Depressionen und eventuell ein Alkoholproblem hast.“
„Ich habe kein Alkoholproblem“, wehrte sie sofort ab. Allein die Vorstellung war lächerlich. „Ich mag nicht einmal Rumkugeln!“
„Du warst total betrunken, als du einen Stripper geheiratet hast!“
„Die Sache in Las Vegas war eine absolute Ausnahme, und das wisst ihr.“
„Aber das wissen die Leute nicht, die dich nur aus Musikvideos kennen und das Foto mit diesem halb nackten Stripper gesehen haben“, erwiderte ihr Agent schonungslos. „Wir brauchen gute Presse, bevor Ivy als abgestürzter Popstar wahrgenommen wird. Du weißt doch, wie schnelllebig die Branche ist.“
„Außerdem dürfen wir nicht vergessen, wie viel Geld auf dem Spiel steht.“ Das kam von ihrer Mutter, auf deren Wangen sich rote, hektische Flecken gebildet hatten. „Du hast einen Vertrag mit deiner Plattenfirma zu erfüllen, und die Zeit läuft bald ab. Es fehlen noch immer ein paar Songs, und eingesungen ist erst ein Viertel. Seit Monaten warst du nicht im Tonstudio. Die Produzenten werden langsam nervös. Und wir auch.“
„Mir macht die Möglichkeit einer Vertragsverletzung mit Shine Productions am meisten Sorgen“, bekannte ihr Anwalt. „Der Vertrag besagt ganz deutlich, dass du als Ivy ein gewisses Image pflegen und nach außen präsentieren musst. Die Plattenfirma hat dich jahrelang als All-American-Girl vermarktet. Der Skandal deiner Annullierung muss vom Tisch sein, bevor das neue Album veröffentlicht wird. Und das bedeutet, dass wir nicht einfach die Hände in den Schoß legen können, während irgendwelche Artikel über dich im Umlauf sind. Dein Image leidet, und dein Image ist Bestandteil deiner Verträge.“
Ihr Agent gab ihm sofort recht. „Alexis, du hast schon das Sponsorship mit der Kosmetikfirma verloren, die an dir als Werbegesicht ihrer Pflegelinie interessiert war. In deiner jetzigen Position kannst du dir nicht noch mehr schlechte Presse leisten. Dave Phillips von Shine Productions ist zwar dein größter Fan und hatte bislang immer Verständnis für dich, aber er wird keine Sekunde zögern, dich fallen zu lassen, wenn er mit Verlusten rechnen muss.“
Dass er ausgerechnet Dave Phillips ins Spiel brachte, den Mann, der ihr als Achtzehnjährige einen Vertrag und damit eine Chance gegeben und sie seither protegiert hatte, gab Alexis zu denken. Irgendwie war sie nämlich immer davon ausgegangen, der Unterstützung ihres Produzenten sicher zu sein. Wenn sogar Dave Phillips darüber nachdachte, sie fallen zu lassen, dann war die Situation ernster als gedacht.
Weil alle drei Augenpaare kritisch und teilweise tadelnd auf sie gerichtet waren, nahm ihre Stimme einen etwas trotzigen Tonfall an. „Und was soll ich jetzt tun? Schadensbegrenzung üben?“
Ihre Mutter verzog den Mund. „Für eine einfache Schadensbegrenzung ist es etwas spät.“
„Wir dachten an eine Art Charme-Kampagne“, warf ihr Agent ein.
„Charme-Kampagne?“ Alexis runzelte die Stirn. „Und wie soll die aussehen?“
„Na, altes Haus, was treibst du gerade?“
Taylor schnitt eine Grimasse, während er den Stapel Rechnungen, die er soeben durchgegangen war, auf den Tisch in seiner Küche fallen ließ. Leider trudelten zurzeit mehr Rechnungen als Tantiemenzahlungen ein, was zusammen mit der Nachricht seines Anlageberaters, dass ein paar seiner Aktienpakete deutlich an Wert verloren hatten, zu seiner schlechten Laune beitrug. Momentan war einfach der Wurm drin. Eigentlich hatte Taylor heute den ganzen Tag in einem Aufnahmestudio verbringen wollen, aber den Termin hatte er am Morgen abgesagt, weil er nicht in der Stimmung war, seine neuen Songs einzusingen.
Unter diesen Voraussetzungen wären die Aufnahmen katastrophal geworden.
Vielleicht half ja Coles Anruf, ihn ein wenig aufzuheitern, denn sein Kumpel war der Inbegriff der guten Laune.
„Nicht viel, um genau zu sein. Ich arbeite an einem neuen Song, aber bislang ist er miserabel. Und wie sieht es bei dir aus?“
„Vor allem sonnig“, ertönte Coles blendend gelaunte Stimme. „Du weißt ja – in San Diego scheint immer die Sonne.“
„Wie auch in Los Angeles.“
Sein Freund lachte amüsiert. „Danach klingst du aber nicht.“
„Auch wenn die Sonne scheint, muss das nicht auf meine Laune abfärben.“ Taylor ließ sich auf den Barhocker seiner Küche sinken, die rein funktionell eingerichtet war, was kein Wunder war, weil es sich um eine Mietswohnung handelte. Obwohl Taylor seit Jahren in Los Angeles wohnte, kam er immer nur in Mietswohnungen unter, um flexibel zu sein, wenn es darum ging, seinen Wohnort zu wechseln. Von seinen Musikinstrumenten abgesehen reiste er gerne mit leichtem Gepäck und war nicht sonderlich anspruchsvoll, was seine Unterkunft betraf. Das eine und auch andere Mal hatte er darüber nachgedacht, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen und dort ein eigenes Tonstudio einbauen zu lassen, aber diesen Schritt wollte er erst gehen, wenn er wieder oben angekommen war. Bis dahin war ihm diese Investition einfach zu risikoreich.
„Dann solltest du dir vielleicht einige Tage freinehmen und nach San Diego kommen, um mit mir abzuhängen, an den Strand zu gehen und auszuspannen“, riet Cole ihm. „Ein Kumpel hat mir für ein paar Wochen sein Strandhaus überlassen, während ich hier arbeite, und die Aussicht ist fantastisch.“
„Lass mich raten“, versetzte Taylor trocken. „Direkt vor deiner Tür findet die Meisterschaft im Frauen-Beachvolleyball statt.“
Cole lachte heiser. „Komm vorbei und finde es selbst heraus.“
„Ich muss arbeiten.“
„Du arbeitest immer“, hielt sein Freund ihm entgegen. „Ein bisschen Erholung würde dir guttun.“
„Vielleicht“, gab er zu. „Aber du weißt ja, wie das ist. Ich suche nach einer Plattenfirma, die mein nächstes Album produziert. Leider ist das einfacher gesagt als getan.“
„Was sagt dein Agent?“
Taylor streckte seine Beine von sich und fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar. Es war schwer, nicht frustriert zu sein, denn seit Tagen wartete Taylor auf einen Rückruf seines Agenten. Wie es aussah, stand Taylor auf dessen Prioritätenliste ziemlich weit unten, seit er eine Sechzehnjährige unter Vertrag genommen hatte, die die neue Miley Cyrus werden wollte. „Der ist genauso optimistisch wie ich. Nämlich gar nicht.“
„Autsch.“ Cole räusperte sich. „Es ist zwar keine große Sache, aber im Herbst bin ich als DJ für eine Kreuzfahrt gebucht. Zehn Tage Karibik mit Vollverpflegung und einer ziemlich guten Gage. Die suchen noch einen Sänger für ihr abendliches Programm. Soll ich dich vorschlagen?“
Bilder, die er vor knapp vier Jahren während eines Besuches bei seinen Eltern über einer Portion Käsekuchen hatte anschauen müssen, tauchten vor seinem inneren Auge auf. Bilder, die seine Stiefmutter in einem knallorangen Bikini und seinen Dad mit einem knallroten Sonnenbrand auf einer Kreuzfahrt um Hawaii zeigten. Damals hatte Taylor den Eindruck gewonnen, dass das Klientel auf solchen Kreuzfahrten selten jünger als sechzig war. Cole wäre auf solch einer Kreuzfahrt der absolute Publikumsmagnet – auf jeden Fall unter den weiblichen Gästen, die ihn umschwärmen würden, während er die Aufmerksamkeit genoss.
Bei Taylor sah es leider etwas anders aus, denn die Urlaubsfotos seiner Eltern hatten ihn ein wenig abgeschreckt. Mit kreischenden Groupies, die Teddybären auf die Bühne warfen, kam er klar, aber mit übergriffigen Damen im Rentenalter, die mit Stützstrümpfen in der Luft herumfuchtelten und ihn an den Hintern fassten, sah es anders aus.
„Im Herbst? Ist da nicht Hurricansaison?“
„Aus dir spricht der Pessimist“, verkündete Cole gut gelaunt. „Sieh es als bezahlten Urlaub an. Wir beide hängen zusammen ein paar Tage auf einem Kreuzfahrtschiff ab, trinken Cocktails, machen abends ein bisschen Musik und schauen uns nach einer netten Urlaubsbegleitung um, wenn wir Lust dazu haben.“
Taylor schnaubte. „Du weißt aber schon, wie hoch das Durchschnittsalter von Gästen solcher Kreuzfahrten ist?“
„Wie gesagt – du bist ein Pessimist. Einige der alten Damen und Herren werden bestimmt von ihren jungen Enkelinnen begleitet, die sich um ihre Großväter und Großmütter kümmern. Und da die übrigen Gäste viel älter sind als wir, haben wir freie Bahn.“
„Das klingt wahnsinnig verlockend, aber ich schätze, dass ich dennoch absagen muss. Bis zum Herbst ist es noch lang hin. Wer weiß, was bis dahin passiert.“
Mit anderen Worten hoffte er trotz schlechter Prognose dennoch auf einen Plattenvertrag, auch wenn er das nicht so offen sagte.
Cole verstand ihn trotzdem. „Okay, aber falls du dich anders entscheidest, lass es mich bald wissen.“
„Mhm.“ Er wechselte das Thema. „Wie lange bleibst du noch in San Diego?“
„Nur ein paar Wochen. Anschließend komme ich zurück nach Los Angeles, und ich hoffe, dass ich in der ersten Zeit auf deiner Couch schlafen kann, bis ich etwas Geeignetes gefunden habe.“
Etwas Geeignetes konnte in Coles Fall vieles bedeuten – eine WG mit einigen Models, eine Studentenbude mit ausländischen Studienanfängerinnen oder eine Villa mit privatem Strandzugang einer schwerreichen Frau. Cole blieb ein Frauenmagnet. Das hatte sich seit ihrer Zeit mit SpringBreak nicht geändert. „Klar, du bist immer herzlich willkommen“, versicherte Taylor ihm.
„Das höre ich gerne, Bruder. Ach, da fällt mir ein, dass ich Jesse vor Kurzem über den Weg gelaufen bin, als ich einen Abstecher nach New York gemacht habe. Für einen Kerl, der morgens um drei Uhr aufstehen muss, um eine Radioshow zu moderieren, sah er ziemlich gut aus. Und er lässt dich grüßen.“
„Was macht Jesse denn in New York? Ich dachte, er wohnt in Chicago.“
Irgendwo im Hintergrund waren laute Frauenstimmen zu hören, die ziemlich schrill kreischten – die Geräusche erinnerten Taylor an feierwütige Groupies, die miteinander rummachten, um die Aufmerksamkeit der Männer im Backstagebereich zu gewinnen. Himmel, war das lange her!
Cole war inmitten des Gekreisches kaum zu verstehen. „So lange konnten wir gar nicht reden. Er war in Begleitung einer aufgedonnerten Blondine, die ihn kaum aus den Augen ließ.“ Er seufzte genervt. „Ich hatte schon Schiss, dass sie mir in die Eier treten könnte, weil sie Jesse ganz für sich allein haben wollte. Hoffentlich ist das nichts Ernstes zwischen ihm und der Tussi.“
Weil sich das laute Kreischen sogar noch steigerte, wollte Taylor von Cole wissen: „Was ist bei dir los? Es klingt nach einer Zombieattacke.“
„Falls sich alle Zombies in winzigen Bikinis eine Wasserpistolenschlacht liefern, dann lasse ich mich gerne von ihnen beißen.“ Cole klang merkwürdig zufrieden und beschrieb die Situation, die sich offenbar gleich in seiner unmittelbaren Gegenwart abspielte. „Das solltest du sehen, Mann. Ich wette fünf Mäuse, dass es nicht mehr lange dauert, bis mindestens eine von ihnen ihr Oberteil verliert.“
Taylor verdrehte die Augen. „Hast du mir verheimlicht, dass du seit Neuestem als Hausmeister einer Collegeschwesternschaft arbeitest?“
„Die Idee klingt gar nicht schlecht“, witzelte sein Kumpel. „Ein paar wirklich heiße Mädels verbringen den Tag am Strand und liefern sich gerade direkt vor meinem Fenster eine Wasserschlacht. Ich fürchte, ich muss auflegen, um zwischen ihnen für Frieden zu sorgen.“
„Du solltest darüber nachdenken, anstatt als DJ als Friedensbotschafter der Vereinten Nationen zu arbeiten“, schlug Taylor trocken vor. „Auf diese Weise hätte die ganze Welt etwas von deinem Talent, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln.“
„Ich werde darüber nachdenken“, versprach Cole lachend, bevor er auflegte.
Nachdem sie das Telefonat beendet hatten, schnappte sich Taylor seine Wohnungsschlüssel und machte sich auf den Weg nach draußen. Die Arbeit hatte ihn heute nicht nur frustriert, sondern ihn auch davon abgehalten, etwas zu essen. Also lief er durch seine momentane Nachbarschaft, genoss das milde Wetter und gönnte sich einen kleinen Snack. Im Plattenladen, der sich nur wenige Straßen entfernt befand, stöberte er eine gute Stunde lang herum und kaufte eine Aufnahme von Ella Fitzgerald, bevor er wieder zurück zur Wohnung schlenderte, in der er zurzeit lebte.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, begann sein Handy zu klingeln. Überraschenderweise war es sein Agent, der sich endlich bei ihm meldete. Es geschahen also doch noch Wunder.
„Hey, Mike. Wie komme ich zu der Ehre deines Anrufs?“
„Tut mir leid, dass du so lange auf einen Rückruf warten musstest, Taylor. Du weißt ja, wie das ist – die Vertragsverhandlungen meiner neuen Künstlerin haben länger gedauert als geplant.“
„Kein Problem“, erwiderte Taylor lässig, auch wenn er innerlich mit den Zähnen knirschte.
„Tja, also ... ich habe eine gute und ich habe eine schlechte Nachricht. Welche willst du zuerst hören?“
Weil sein Agent merkwürdig klang und den Anschein machte, dass ihm das Telefonat unangenehm sei, erwiderte Taylor wachsam: „Zuerst die schlechte, Mike.“
„Die Produzenten, mit denen ich über dein nächstes Album gesprochen habe, sind leider nicht interessiert.“
Das hatte Taylor zwar geahnt, dennoch traf ihn die Nachricht mitten in den Magen. „Haben sie sich die Demobänder wenigstens angehört?“
Mike seufzte schwer. „Du kennst die Branche, Taylor. Momentan werden andere Künstler gesucht. Jungs wie Ed Sheeran oder Shawn Mendes, die bedeutend jünger sind als du.“
Sein Agent war die Offenheit in Person.
„Und die gute Nachricht?“, wollte er wissen, bevor Mike auf die Idee kommen konnte, ihm einen Platz in einem Seniorenheim zu vermitteln.
„Wie soll ich es sagen? Ich weiß selbst nicht genau, was ich damit anfangen soll, aber ich hatte gerade aus heiterem Himmel einen Anruf von Dave Phillips, der sich nach dir erkundigt hat.“
Augenblicklich war Taylor hellwach, denn Dave Phillips war nicht einfach nur irgendein Musikproduzent. Er war der Musikproduzent – seit Jahrzehnten im Geschäft mit der richtigen Spürnase für Talente mit Starpotenzial, die alle groß rausgekommen waren. „Du hast mit Dave Phillips über mich gesprochen?“
„Ja, das habe ich. Zwischenzeitlich habe ich befürchtet, vor Ehrfurcht zu erstarren, und einmal dachte ich, dass mich einer meiner Kollegen verarschen würde und sich als Dave Phillips ausgegeben hat, aber er war es wirklich.“
„Das ist nicht dein Ernst.“
„Doch.“ Mike räusperte sich und klang so ungläubig, wie sich Taylor fühlte. „Er lässt fragen, ob du Interesse hättest, dich mit ihm zu treffen.“
Taylor hatte das Gefühl, sich setzen zu müssen, bevor er weiche Knie bekam. Gleichzeitig krächzte er förmlich in sein Handy hinein: „Du willst mich doch auf den Arm nehmen!“
„Nein, tue ich nicht. Ich bin genauso überrascht wie du.“
Überrascht? Der Begriff beschrieb nicht einmal annähernd das Gefühl, das Taylor zurzeit hatte. „Wie kommt Dave Phillips auf mich? Hattest du ihm mein Projekt vorgeschlagen?“
Mike schien in den Telefonhörer hinein zu schnauben. „Nimm’s mir nicht übel, Taylor, aber Dave Phillips und Shine Productions gehören zur obersten Garde. Ich kann mich nicht erinnern, denen jemals irgendjemanden vorgeschlagen zu haben. Die haben nur Top-Künstler unter Vertrag.“
„Und wieso ruft er dich dann an und erkundigt sich nach mir?“
„Das solltest du ihn selbst fragen. Ich hoffe, du hast morgen noch nichts vor, denn er lädt dich zu sich nach Hause ein.“
Taylor brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fassen. „Habe ich dich richtig verstanden?“, hakte er ungläubig nach. „Ich soll morgen Dave Phillips in dessen Haus treffen?“
„Ja, um zwölf Uhr. Die Adresse schicke ich dir noch.“
Kopfschüttelnd erwiderte er: „Wenn du ihm meine Demobänder nicht einmal zugeschickt hast, was will er dann von mir?“
„Keine Ahnung“, antwortete sein Agent. „Ich kann dir nur sagen, dass er mich völlig unerwartet angerufen hat, um sich nach dir zu erkundigen. Aber ...“
„Aber?“
„Aber ich hatte den Eindruck, dass er ziemlich gut informiert war, was dich betraf. Von mir wollte er vermutlich nur eine Bestätigung. Warum auch immer.“
„Warum auch immer“, wiederholte Taylor und konnte sich keinen Reim auf das machen, was er gerade hörte.
„Ach, und eine Sache wäre da noch.“
„Die da wäre?“
„Er bat um absolute Verschwiegenheit und darum, allein und vertraulich mit dir zu reden – unter vier Augen.“