Читать книгу Rockstar Love - Ein Song für Sloane - Poppy J. Anderson - Страница 8
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ОглавлениеEr ignorierte Zac.
Und Zac ignorierte ihn.
Das ging bereits seit dem Augenblick so, als sie sich vor ein paar Stunden nach dreizehn Jahren Funkstille zum ersten Mal gegenübergestanden hatten. Um ehrlich zu sein, hatte Dean keine Umarmung erwartet und auch keine überschwängliche Begrüßung, aber dass sein Bandkollege ihm noch immer die kalte Schulter zeigte, bewies nur, dass Zac sehr nachtragend war. Und es bewies, dass Dean großen Scheiß gebaut hatte.
Verdammt großen Scheiß.
Er war einundzwanzig Jahre alt gewesen, als er Zac zum letzten Mal gesehen hatte. Damals war so ziemlich alles den Bach hinuntergegangen, wenn man es genau betrachtete. Die Band hatte sich aufgelöst, einer seiner besten Freunde hatte ihm gesagt, dass er ab sofort für ihn gestorben sei, und nach einem Saufgelage bei seinem Dealer war Dean auf einer Intensivstation aufgewacht, wo ihm mitgeteilt wurde, dass er an einer Überdosis beinahe gestorben wäre.
An jene Zeit hatte er heute nur noch verschwommene Erinnerungen, denn er war selten nüchtern gewesen. Dazu war er zu einem regelmäßigen Konsumenten von Koks und von Aufputschpillen geworden. Ein gesunder Lebenswandel sah zwar anders aus, aber als Einundzwanzigjähriger, der sich wie ein Rockstar fühlte, vor Zehntausenden Fans auftrat und von wildfremden Frauen förmlich angebettelt wurde, sie auszuziehen und zu vögeln, konnte man ziemlich schnell die Bodenhaftung verlieren. Ihm war genau das passiert, und es hatte dazu geführt, dass sich die Band aufgelöst hatte. Seinetwegen.
Es war allein seine Schuld gewesen, dass SpringBreak auf dem Höhepunkt der Bandkarriere kaputt gegangen war.
Diese Schuld trug er seit Jahren mit sich herum, und wann immer er davon hörte, dass einer seiner früheren Bandkollegen unzufrieden mit seinem Job war, pleiteging oder kein Plattenlabel für sein neues Album fand, hatte ihn ein schlechtes Gewissen geplagt. Dieses schlechte Gewissen war unter anderem für zwei Rückfälle verantwortlich gewesen, nachdem er bereits trocken und clean geworden war.
Wie man es drehte und wendete, aber Deans Leben war einige Zeit ein ziemlicher Scherbenhaufen gewesen.
Noch als Teenager war er Musiker geworden, dem der schnelle Ruhm irgendwann zu Kopf gestiegen war und der sich in ein arrogantes Arschloch verwandelt hatte, das glaubte, dass sich die ganze Welt um ihn drehte. Natürlich war er auch der Meinung gewesen, dass er seine Sucht im Griff hatte, weil er der Größte war und ihn niemand aufhalten konnte. Und zusätzlich hatte er gedacht, dass er unwiderstehlich sei und dass wirklich alle Frauen auf ihn flogen.
Das Ergebnis war nicht nur der Aufenthalt auf jener Intensivstation gewesen, sondern auch ein handfester Streit, der in der Trennung der Band geendet hatte, als Zac herausfand, dass Dean mit der Frau geschlafen hatte, in die er so sehr verliebt war, dass er über eine Hochzeit nachdachte.
Das alles hatte Dean gewusst, und er hatte Zacs damalige Freundin Tonya nicht etwa abgewiesen und seinem Freund – einem seiner besten Freunde – auch nicht mitgeteilt, dass dessen Freundin ein Miststück war, das ihn hinter seinem Rücken betrog. Nein, das alles hatte er nicht getan. Stattdessen hatte er Tonyas Angebot angenommen und damit den Stein ins Rollen gebracht, der der Anfang vom Ende gewesen war.
Dabei hatte er Tonya nicht einmal besonders heiß oder gar attraktiv gefunden. Außerdem hatte es stets genügend andere Frauen gegeben, mit denen er hätte schlafen können.
Es war ihm klar gewesen, dass er Zac einen Schlag unter die Gürtellinie verpasste, wenn der erfuhr, dass er es mit seiner Freundin getrieben hatte. Was es über ihn aussagte, dass er trotzdem mit ihr geschlafen hatte, war eine der Fragen, die er während seiner drei Entzüge mit seinen Therapeuten durchgekaut hatte.
Bis heute hatte er keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage gefunden.
Dennoch hatte er sein Leben in den Griff bekommen, war endlich clean und trocken geworden und hielt dies seit acht Jahren durch, er besaß ein kleines Haus mit einem riesigen Grundstück und hatte es komplett allein saniert, und er war damit zufrieden, als Handwerker seine Brötchen zu verdienen.
Trotzdem stand er nun hier auf einer Bühne irgendwo in Los Angeles, hielt eine Gitarre in den Händen und lauschte seinen ehemaligen Bandkollegen, die sich gutmütig gegenseitig auf den Arm nahmen, obwohl sie eigentlich hier waren, um ihren morgigen Auftritt zu proben.
Denn SpringBreak würde morgen nach dreizehn Jahren Trennung wieder gemeinsam auftreten und einen neuen Song präsentieren.
Wie es dazu gekommen war, dass sie sich alle zusammengerauft hatten, war Dean noch immer schleierhaft, denn sie alle hatten nach dem Aus der Band ein neues Leben begonnen. Zac arbeitete als Anwalt in Seattle, Jesse war Radiomoderator und lebte in Chicago, Cole tourte als DJ durch die Lande und er selbst wohnte in Oregon. Einzig Taylor war dem Musikbusiness treu geblieben und lebte in Los Angeles. Und er war derjenige gewesen, der es geschafft hatte, sie alle davon zu überzeugen, es auf ein Comeback ihrer Band ankommen zu lassen und dieses Revival anzugehen, das morgen bei der Fernsehübertragung des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums eines Musiksenders stattfinden sollte.
Dieses Revival war eine ziemlich große Sache, und Dean wusste ehrlich gesagt nicht, ob er sich all dem gewachsen fühlte, aber wie hätte er unter diesen Umständen Nein sagen können? Das Comeback war nur mit ihnen allen fünf möglich gewesen. Wenn er nicht zugesagt hätte, wäre die Idee ins Wasser gefallen. Nach allem, was damals passiert war, hatte Dean einfach zusagen müssen. Das war er seinen Bandkollegen schuldig. Auch wenn einer seiner Bandkollegen bisher kein Wort an ihn gerichtet hatte.
Zac sprach gerade mit einem Tontechniker, während Cole und Jesse wie in alten Zeiten miteinander herumblödelten und Taylor in ein paar Unterlagen vertieft war. Dean dagegen hielt sich lieber im Hintergrund und kümmerte sich darum, dass seine Gitarre perfekt gestimmt war, als sich sofort an den Gesprächen zu beteiligen und im Mittelpunkt des Bandgeschehens zu stehen.
Nach allem, was geschehen war, wollte Dean lieber den Beobachter spielen und so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich ziehen. Obwohl sich an der Dynamik innerhalb ihrer Band nichts verändert zu haben schien, war er doch nicht mehr der Gleiche wie früher. Mittlerweile war er ruhiger geworden – in sich gekehrter, nachdenklicher und abwägender. Dean war kein zwanzigjähriger Draufgänger mehr, der von Adrenalin lebte und dumme Entscheidungen traf, die Konsequenzen für sie alle nach sich zog. Das wollte er den anderen beweisen.
Insbesondere Zac.
Außerdem war Dean vorsichtig geworden. Woher sollte er wissen, dass sich nicht auch die anderen verändert hatten?
In den letzten Jahren hatte er regelmäßigen Kontakt zu Taylor gehabt. Cole war er nur wenige Male über den Weg gelaufen. Und Jesse hatte er zum letzten Mal gesehen, als der überraschenderweise in der Entzugsklinik aufgetaucht war, in die sich Dean selbst nach seinem letzten Rückfall eingewiesen hatte. Das war jedoch bereits acht Jahre her.
Wie konnte er erwarten, dass sie sich nicht ebenfalls verändert hatten?
Gerade als er darüber nachdachte, wie seltsam und gleichzeitig vertraut es sich anfühlte, mit den anderen auf einer Bühne zu stehen, rief plötzlich Cole laut und deutlich: „Wir sollten noch einen Durchgang starten. Jesse sieht ziemlich müde aus und muss bald ins Bett, um seine zwölf Stunden Schönheitsschlaf zu bekommen, also sollten wir uns ein bisschen beeilen.“
Jesse schien dies ganz und gar nicht beleidigend zu finden, da er Cole gutmütig anrempelte. „Schon gut, Cole, wir sind unter uns. Du kannst ruhig zugeben, dass du nach Hause willst, weil deine Lieblingssendung gleich beginnt. Wir haben Verständnis dafür, dass du Heimweh nach Tropicana hast und deshalb keine einzige Folge verpassen willst.“
Dean schaute nicht auf, weil ihn seine Miene sicherlich entlarvt hätte, immerhin kannte er die Realityshow namens Tropicana, in der Cole vor einigen Jahren im Lendenschurz und Baströckchen teilgenommen hatte. Sein Bandkollege hatte sich damals ziemlich lächerlich gemacht und hatte tagelang mit anderen Promis auf einer einsamen Insel verbracht, um dort vor laufenden Kameras idiotische Aufgaben zu erfüllen. Cole war anschließend zu einer Art Witzfigur geworden. Vor Fremden hätte Dean ihn bis aufs Blut verteidigt, aber hier innerhalb der Band nahmen sie sich gegenseitig auf den Arm. Und das beinhaltete auch jene Realityshow.
Cole dagegen schien Jesses Kommentar nicht allzu lustig zu finden, auch wenn der laut lachte. „Du bist zu komisch, Mann.“
Zac, der sein Gespräch mit dem Tontechniker beendet hatte und wieder auf die Bühne getreten war, rief den beiden zu: „Wenn ihr zwei Komiker endlich zum Ende eurer Darbietung kommen würdet, könnten wir mit der Probe weitermachen.“
„Hast du noch etwas vor, Zac?“, wollte Cole von ihm wissen und grinste dabei.
„Ja, du Idiot. Ich habe noch ein Date, aber keines wie du, das einen Wisch vom Gesundheitsamt nötig macht.“ Er zeigte ihm den Mittelfinger, blieb dabei jedoch völlig gelassen. Für alle gut sichtbar, befand sich an seinem Ringfinger sein Ehering, den er nach allem, was Dean gehört hatte, noch nicht allzu lange trug.
Dass Zac mittlerweile verheiratet war, hatte Dean fälschlicherweise zu der Annahme verleitet, dass sein ehemaliger Freund über das hinweg war, was damals zwischen ihnen passiert war. Wenn er eine andere Frau geheiratet hatte, sollte er doch eigentlich nicht länger wegen dieser alten Geschichte wütend auf ihn sein.
Als sich ihre Blicke zufällig kreuzten und Zac ihn kalt ansah, ahnte Dean, dass sein Bandkollege noch lange nicht über das hinweg war, was damals zu ihrem Zerwürfnis geführt hatte.
Bevor er noch länger über ihn und Zac nachdenken konnte, kam Taylor zu ihnen auf die Bühne und erklärte geradezu grimmig: „Wenn wir uns alle zusammenreißen, sind wir bald fertig. Dann kann jeder von uns das tun, was er noch vorhaben sollte.“
Jesse johlte leise lachend auf und zog das Bandana um seine Haare fest. „Was du vorhast, wissen wir alle.“
Taylor antwortete nicht etwa mit einem lässigen Spruch oder einer lockeren Geste, sondern legte eine für ihn untypische Verbissenheit an den Tag, als sie ihren neuen Song Second Chances ein weiteres Mal für den morgigen Auftritt probten.
Obwohl Dean mit seinem Kumpel schon sehr lange nicht mehr auf einer Bühne gestanden hatte, fiel ihm auf, dass Taylor nicht bei der Sache war. Irgendwie konnte er den Eindruck nicht abschütteln, dass er mit den Gedanken woanders und nicht etwa hier bei dieser Probe war. Es gab nur eine Sache, die Taylor so wichtig sein konnte, dass er dafür die Generalprobe vernachlässigte.
Er beschloss, mit ihm darüber zu reden, weil er ahnte, dass es sich Taylor nie verzeihen würde, wenn das Comeback der Band seinetwegen ins Wasser fiel. Und weil es leichter war, sich auf das Drama seines Freundes zu konzentrieren, als über die beschissene Situation zwischen ihm und Zac nachzudenken.
Sobald die Probe beendet war, die im letzten Durchlauf wirklich gut gewesen war, schlug er Taylor gutmütig auf die Schulter. Ein paar Meter von ihnen entfernt verabschiedeten sich die anderen drei voneinander und nickten ihnen zu. „Sollen wir irgendwohin und ein Bier trinken?“
Taylor runzelte die Stirn. „Ich dachte, du bist trocken.“
Er fühlte sich durch die Frage keineswegs angegriffen und entgegnete daher ruhig: „Bin ich auch. Es gibt alkoholfreies Bier.“
„Und das schmeckt?“ Skeptisch musterte Taylor ihn. Er war ein bisschen kleiner als er, immer perfekt frisiert und bestens gelaunt und gehörte zu den skandalfreien Musikern, die eine blütenweiße Weste besaßen. Nicht umsonst hatte er ein Schwiegersohn-Image. Gleichzeitig war Taylor sein bester Freund – er war derjenige, der stundenlang bei ihm am Bett gesessen hatte, als er nach seiner Überdosis auf der Intensivstation wach geworden war. Und er war derjenige, der ihn zum ersten Entzug begleitet hatte.
„Frag lieber nicht“, antwortete er und hielt es für unsinnig, Taylor zu erklären, dass die Frage nach einem Bier eher metaphorisch gemeint gewesen war. Anstatt alkoholfreies Bier zu trinken, hielt er sich sowieso lieber an Wasser oder eine Limo.
„Sei nicht sauer“, warf Taylor ein und klang dabei ziemlich geschafft. „Aber ich bin heute nicht in Stimmung, um etwas trinken zu gehen und die Sache zwischen dir und Zac zu bereden. Lass uns das auf ein anderes Mal verschieben, wenn’s recht ist.“
„Eigentlich dachte ich, wir könnten den Grund bequatschen, aus dem du so mies gelaunt und nicht bei der Sache bist“, entgegnete Dean gelassen und folgte seinem Freund hinter die Bühne, wo sie sich einen Weg nach draußen suchten, um die Halle des Musiksenders zu verlassen.
Da das Gelände neben einem Bürogebäude mehrere Hallen und Aufnahmestudios beherbergte, hatten sie eine ziemliche Strecke vor sich, bis sie letztendlich zu den Parkplätzen kämen. Für Dean bedeutete das, genügend Zeit zu haben, um mit Taylor zu reden.
Es war offensichtlich, dass Taylor log, als er brummte: „Unser Auftritt morgen schlägt mir aufs Gemüt. Bei der zweiten Strophe gibt es einen Tempowechsel, der ...“
Dean unterbrach ihn mit einem Räuspern. „Seit wann schlägt dir ein Auftritt aufs Gemüt?“
„Seit der Auftritt entscheidend für unser Comeback ist. Ich will nichts vermasseln.“ Taylor runzelte grimmig die Stirn und schüttelte anschließend den Kopf.
„Dann solltest du vielleicht vorher das klären, was dich mit einem Gesicht herumlaufen lässt, als hätte jemand deine Lieblingsgitarre in Brand gesteckt.“ Weil er sich denken konnte, wo Taylor der Schuh drückte, fuhr er gelassen fort: „Oder als hätte deine Frau dich aus dem Haus geworfen.“
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Taylor ein dumpfes Stöhnen von sich gab und niedergeschlagen erklärte: „Sie hat mich nicht aus dem Haus geworfen. Sie ist ins Strandhaus gezogen.“
Dean folgte Taylor durch eine Tür in einen weiteren Flur des weitläufigen Gebäudes. „Ins Strandhaus? So, so.“
„Ja. Das ist der Vorteil einer reichen Freundin. Niemand muss in ein schäbiges Motel ziehen – man wechselt einfach die Residenz und geht dem anderen aus dem Weg.“ Taylor wirkte alles andere als glücklich.
„Klingt, als hättest du etwas gegen das Strandhaus oder die Tatsache, dass deine Freundin, die berühmte Ivy, sich mehrere Residenzen leisten kann.“
„Du müsstest mich besser kennen. Außerdem heißt sie nicht Ivy. Ihr Name ist Alexis.“ Er sah ihn von der Seite an.
Dean nickte. „Ich weiß, aber alle Welt nennt sie nun einmal Ivy.“
„Das ist ihr Künstlername“, widersprach Taylor, der in den vergangenen Monaten eine von der Öffentlichkeit viel beachtete Beziehung zur weltbekannten Sängerin Ivy geführt hatte. Eigentlich war Dean davon ausgegangen, dass diese Beziehung nicht mehr als eine PR-Aktion gewesen war, um das angeknackste Image des Superstars aufzupolieren.
„Ich dachte, eure Beziehung wäre nur zum Schein“, erinnerte er seinen Freund daher.
Der wirkte geknickt und wie ein Häufchen Elend. „Wäre ich derart am Arsch, wenn sie nur zum Schein wäre?“
„Ich schätze nicht“, gab er zu. „Also hast du gerade Streit mit deiner Herzallerliebsten.“
„So könnte man es nennen.“
„Willst du darüber reden?“
Taylor rümpfte die Nase. „Ja, aber mit ihr. Nicht mit dir.“
Die Antwort ließ ihn grinsen. „Dann tu das. Rede mit ihr.“
Anscheinend wechselte sein Freund das Thema, weil er unvermittelt von ihm wissen wollte: „Gehst du heute Abend auf diese Party, die Gooseberry veranstaltet?“
„Wechselst du gerade das Thema?“
„Ja, tue ich. Also? Gehst du hin?“
Schmunzelnd hakte Dean nach: „Wieso fragst du? Brauchst du ein Date, weil du dort nicht allein auftauchen willst?“
„Ich bleibe zu Hause, aber vielleicht solltest du dich dort sehen lassen“, schlug Taylor ihm vor.
Dean verdrehte die Augen und erwiderte trocken: „Gute Idee. Ich auf der Party unseres Plattenlabels mit jeder Menge kostenlosem Alkohol. Da bleibe ich lieber in meinem gemütlichen Hotelzimmer und sehe mir die Wiederholungen von Tropicana an, um etwas zu haben, mit dem ich Cole aufziehen kann.“
„Schau dir lieber Jeopardy an“, bat Taylor ihn. „Cole ist auf Tropicana nicht besonders gut zu sprechen.“
„Kann ich verstehen. Das wäre ich an seiner Stelle auch nicht.“ Welcher Mann sprach schon gerne über eine TV-Show, in der er sich zum Idioten gemacht hatte, weil er halb nackt an einem Glücksrad hing und nur einen Lendenschurz trug?
Taylor hielt Dean eine weitere Tür auf, die zu einem Fahrstuhl führte. „Ich auch nicht.“
Als Taylor plötzlich stockte und sich sichtlich versteifte, sah Dean auf und entdeckte einen blondhaarigen Typen, der vor ebendiesem Fahrstuhl stand. Er hatte keine Ahnung, wer der Typ war, der wie ein absoluter Schnösel gekleidet war, aber angesichts des großkotzigen Grinsens, das er aufsetzte, sobald er Taylor sah, ahnte Dean, dass ihnen Ärger bevorstand.
Das bewies der Blonde, als er Taylor mit einem arroganten Blick maß und fragte: „Sutter, richtig?“
Taylor brummte als Antwort lediglich unfreundlich: „Paxton.“
Der schnalzte abfällig mit der Zunge und deutete verächtlich auf Dean. „Hält Alexis es mittlerweile für nötig, ihr Eigentum von einem Bodyguard schützen zu lassen?“
Zwischen Belustigung und Ärger hin- und hergerissen richtete sich Dean zu seiner vollen Größe auf und fragte sich, was der Typ bezweckte, indem er Taylor – und auch ihn – provozierte. Was zwischen den beiden ablief, wusste Dean zwar nicht, aber es war nicht sehr schwer, zu begreifen, dass es sich um Taylors Freundin Alexis drehte, die unter ihrem Künstlernamen Ivy Millionen Tonträger verkauft hatte.
Offenbar wollte Taylor eine Konfrontation vermeiden, weil er sich zu Dean umdrehte. „Sollen wir die Treppen nehmen?“
Dean nickte, denn ihm war klar, dass sein Freund dem schmierigen Arschloch aus dem Weg gehen wollte.
Bevor sie beide auch nur einen Schritt tun konnten, höhnte der Blonde: „Ich habe ein paar Fotos von euch beiden gesehen. Und natürlich diesen Gesangsauftritt von dir und Alexis. Das war ein nettes Schauspiel. Sehr rührend. Wie viel löhnt Alexis für deine Dienste als Gigolo?“
Dean ging davon aus, dass sein Freund dem anderen Typen eine verpassen würde, schließlich ballte er bereits die Hände zu Fäusten. Dennoch meinte er an ihn gewandt: „Lass uns gehen.“
Lachend erklärte das Arschloch: „Zuerst der Stripper und jetzt du, das abgehalfterte Mitglied einer alten Boyband. Keine Ahnung, ob das ein Aufstieg oder ein Abstieg für Alexis ist.“
Dean fragte sich, ob der Typ namens Paxton Todessehnsucht hatte, denn Taylor drehte sich abrupt zu ihm um und grollte finster: „Wenigstens haben weder der Stripper noch das abgehalfterte Mitglied einer alten Boyband sich von Alexis Songs schreiben lassen müssen und sie als die eigenen ausgegeben, du Wichser.“
Das Gesicht des Schnösels verzog sich zu einer Fratze, als er den Arm hob und Taylor einen Faustschlag verpassen wollte.
Als Dean noch darüber nachdachte, einzuschreiten und das hübsche Gesicht seines Freundes aus der Schusslinie zu holen, wich Taylor dem Schlag bereits aus und machte einen Satz zur Seite. Da Dean mit Prügeleien ziemlich viel Erfahrung hatte, trat er gelassen beiseite und verfolgte eher amüsiert, wie der Blondhaarige über seine eigenen Füße stolperte und beinahe auf die Nase gefallen wäre.
Es war nicht zu übersehen, dass der Schnösel keinerlei Erfahrung mit einer handfesten Prügelei hatte.
Nachgiebig, wie er in den letzten Jahren geworden war, rempelte Dean ihn daher an und riet ihm freundlich: „Verzieh dich lieber, Alter, und lass es gut sein.“ Früher hätte er einem Typen, der sich wie dieser Idiot benommen hatte, keine Chance gegeben und ihm kalt lächelnd eine neue Nase verpasst. Mittlerweile war er ruhiger und gelassener geworden und stürzte sich nicht mehr kopflos in jede sich bietende Schlägerei.
Von dem Blonden konnte man nicht behaupten, dass er sich ruhig und gelassen benahm, weil er Dean einen Stoß verpasste und ihn anbrüllte: „Nimm deine Finger weg, Arschloch!“ Und an Taylor gewandt spuckte er hervor: „Schöne Grüße an Alexis! Verdammt, was bin ich froh, dass ich sie endlich los bin! Aber vielleicht stehst du ja auf Frauen, die es im Bett nicht bringen.“
Dean verfolgte, wie Taylor mit geballten Fäusten auf den anderen losging, um ihm vermutlich die Seele aus dem Leib zu prügeln, was unter den gegebenen Umständen verständlich war, und stellte sich ihm in den Weg. Er schüttelte den Kopf. „Das solltest du nicht tun, Taylor.“
„Geh mir aus dem Weg, Dean!“
Einen Augenblick dachte Dean daran, zur Seite zu treten, damit sich Taylor mit dem Wichser prügeln konnte. Aber dann überlegte er, dass ausgerechnet Taylor nicht in die Schlagzeilen geraten sollte, weil er irgendeinem Idioten die Hucke vollschlug. So ein Verhalten passte nicht zu einem Saubermann wie Taylor.
Es passte eher zu ihm.
Also drehte er sich zu dem Blondhaarigen um, der mit erhobenen Fäusten herumtänzelte, als wäre er ein Boxer aus den Dreißigerjahren, schaute sich das Ganze an und sah an der Schulterbewegung des anderen Mannes, dass er ihm eine verpassen wollte. Bevor es dazu kam, holte Dean aus und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
Obwohl er gar nicht so fest zugeschlagen hatte, ging der andere Mann mit einem Ächzen zu Boden. Seine Nase blutete. Und Deans Faust fühlte sich an, als hätte er gegen eine steinerne Wand geschlagen.
„Scheiße!“ Er schüttelte die Hand und verzog das Gesicht, als er sah, dass er sich die Knöchel aufgeschlagen hatte. „Besteht seine Nase etwa aus Beton?“
„Was zum Teufel sollte das?“, fragte Taylor, als er neben ihn trat.
Der Mann am Boden heulte wie ein Baby.
Dean beachtete ihn nicht, sondern begutachtete seine Hand. „Ich dachte, es wäre besser, wenn du dir nicht die Finger schmutzig machst, Taylor. Heutzutage gibt es überall Kameras.“
„Aha!“ Spöttisch schnaubte sein Freund. „Und da dachtest du, es wäre besser, wenn du dabei gefilmt wirst, wie du ihm die Nase brichst?“
„Von mir wird erwartet, dass ich mich prügele, aber du darfst dir solche Entgleisungen nicht leisten. Schließlich bist du der Schwiegersohn-Typ. Ich dachte nur an dein gutes Image.“
Sein Freund stöhnte laut auf, obwohl Dean ihn kaum verstehen konnte. Das Gejammer des anderen Mannes war dazu einfach zu laut. Verächtlich schaute Dean nach unten. Er konnte Kerle nicht ausstehen, die lediglich austeilen konnten, aber nicht in der Lage waren, etwas wegzustecken.
„Verdammte Scheiße. Lass uns lieber einen Arzt rufen, bevor wir dabei gefilmt werden, wie wir ihn hier blutend liegen lassen.“
Dean stimmte Taylor schweigend zu.
Wie sich herausstellte, war ihr Zusammenstoß tatsächlich gefilmt worden, denn das Gebäude verfügte über eine ausgezeichnete Sicherheitsüberwachung, die in Bild und in Ton alles aufnahm, was sich auf dem Gelände des Senders abspielte. Der Blondhaarige namens Brad Paxton, der bei der Untersuchung durch einen herbeigerufenen Arzt zu flennen begann, wurde regelrecht panisch, als er davon erfuhr, dass das Zusammentreffen der drei gefilmt worden war. Offenbar machte er sich Sorgen um sein Image. Er verzichtete nämlich darauf, die Polizei zu rufen.
Selbst wenn die Cops aufgekreuzt wären, hätte sich Dean sicher sein können, dass er nicht belangt worden wäre. Dank der Aufzeichnungen war ganz klar zu erkennen gewesen, wer mit dem Mist angefangen hatte. Das waren weder er noch Taylor gewesen.
Dennoch war er froh, dass es kein offizielles Polizeiprotokoll und keine Befragung gab, weil so etwas immer an die Presse weitergespielt wurde. Am Abend vor ihrem Comeback wären schlechte Schlagzeilen für die Band ziemlich beschissen gewesen. Ganz abgesehen davon, dass die schlechte Presse dann auf seine Kappe gegangen wäre. Mit seinem Vorsatz, sich aus Ärger herauszuhalten und im Hintergrund zu bleiben, war es anscheinend nicht weit her.
Als sie das Gelände des Senders endlich verließen und Taylor ihn bei seinem Hotel absetzte, fühlte sich Dean nicht gerade optimistisch.
Von Anfang an hatte er Zweifel daran gehabt, dass es eine gute Idee war, wieder in sein altes Leben als Musiker hineinzuschnuppern. Mit dem Ruhm und dem Druck war er früher nur klargekommen, indem er Alkohol und Drogen konsumiert hatte. Wer sagte ihm, dass er nicht in alte Muster zurückfiel, wenn er wieder auf der Bühne stand? Vielleicht war das Leben eines Musikers sein Trigger gewesen? Dann gab es noch den ungelösten Konflikt zwischen ihm und Zac, der ein entspanntes und normales Bandleben erschweren, wenn nicht sogar unmöglich machen könnte.
Momentan hatte Dean eher den Eindruck, ein Störfaktor und nicht etwa eine Bereicherung für die Band zu sein.
Wenn Taylor ihm nicht klipp und klar gesagt hätte, dass er dieses Comeback nur zu fünft durchziehen würde, wäre Dean spätestens jetzt in seinen Jeep gesprungen und hätte sich auf den Weg nach Hause gemacht. Die ganze Aktion konnte doch nur in einem Desaster enden, an dem höchstwahrscheinlich er wieder einmal schuld wäre.
Einzig das Schuldgefühl, das er seit Jahren mit sich herumtrug, ließ ihn sich bei Taylor für die Fahrt bedanken und aus dessen Auto aussteigen, bevor er das Hotel betrat. Wenn er sich nicht immer noch derart schuldig am Aus der Band fühlen würde, wäre er jetzt nicht hier, würde sich den Kopf zerbrechen und hätte auch nicht eine Hand, die sich anfühlte, als hätte er damit gegen eine Steinwand geschlagen.
Falls er den morgigen Auftritt nicht vergeigen wollte, sollte er seine Hand vermutlich kühlen, um noch in der Lage zu sein, Gitarre zu spielen.
Also betrat er erst sein Zimmer, griff dort nach dem Weinkühler und verließ gleich darauf wieder das Zimmer, um sich ein bisschen Eis aus der Eismaschine zu holen, die am Ende des Flurs stand.
„Veranstalten Sie eine Party, zu der ich nicht eingeladen wurde, Dean aus Oregon?“
Dean hob beim Klang der belustigten Stimme den Kopf und schaute über die Schulter. Nur ungefähr zwei Meter von seiner gebückten Position vor der Eismaschine entfernt stand die Frau, die er gestern Abend auf der Terrasse kennengelernt hatte, im Türrahmen zu ihrem Hotelzimmer und schaute ihm interessiert zu.
Sloane aus Boston.
Es war lange her, dass er ein so entspanntes und witziges Gespräch mit einer Frau geführt hatte. Noch viel länger war es her, dass er einer so wortgewandten, charmanten und schönen Frau gegenübergestanden hatte.
Nach seinem letzten Entzug vor acht Jahren war er einige Zeit komplett abstinent gewesen und hatte sich darauf konzentriert, sein Leben auf die richtige Spur zu bekommen. Kein Alkohol, keine Drogen und keine Frauen. Irgendwann war es schon so normal gewesen, Frauen und Dates zu meiden, dass er sich wie ein hoffnungsloser Anfänger benommen hatte, als er wieder damit begann, mit Frauen auszugehen.
Keines seiner Dates war von großem Erfolg gekrönt gewesen, was vermutlich auch damit zusammenhing, dass er früher nur mit Frauen ausgegangen war, um sie ins Bett zu bekommen. Er war nie auf der Suche nach der großen Liebe oder einer Beziehung gewesen, sondern nach Sex. Als Erwachsener mit einem geregelten Leben war er jedoch über den Punkt hinaus gewesen, durch die Gegend zu vögeln. Er hatte mehr gewollt und hatte einige hoffnungslose Dates hinter sich gebracht. Natürlich hatte er auch Sex mit seinen Dates gehabt. Nicht mit allen, aber mit genügend Frauen, um sagen zu können, dass ihm irgendetwas gefehlt hatte, wenn er mit ihnen schlief.
Was auch immer es war – ohne dieses Etwas hatte es sich beinahe schal angefühlt, mit den Frauen zu schlafen, mit denen er ausgegangen war.
Sein letztes Date war eine Grundschullehrerin namens Samantha gewesen, mit der er sich ein paarmal zum Essen verabredet hatte. Sie war niedlich, freundlich und absolut nicht sein Fall gewesen, denn das andauernde Geplapper über dieses und jenes hatte schnell angefangen, Dean zu nerven. Wenn man nichts zu sagen hatte, war es manchmal einfach besser, zu schweigen. Bevor es zwischen ihnen wirklich ernst werden konnte und bevor er in den Genuss hätte kommen können, ihre Unterwäsche aus nächster Nähe zu betrachten, hatte er die gute, alte Ausrede gebraucht, dass er sich in nächster Zeit auf seinen Job konzentrieren wollte. Damit war die Sache erledigt gewesen.
Anschließend hatte er keinen großen Drang verspürt, sich auf weitere Dates einzulassen.
Als er jedoch gestern Abend auf der Terrasse gestanden und sich mit Sloane unterhalten hatte, war zum ersten Mal seit über einem Jahr der Gedanke in ihm hochgekommen, wie es wäre, wenn er sich wieder mit Frauen traf. Wie es wohl wäre, sich mit einer Frau wie ihr zu treffen, die ihn zum Lächeln brachte und ihn sich fragen ließ, ob sich ihre dunkelblonden Locken unter seinen Fingern so weich anfühlen würden, wie sie aussahen.
Der Anblick ihres herzförmigen Gesichts, ihrer großen grünen Augen und ihres sanft geschwungenen Mundes war nach einem echten Scheißtag wie dem heutigen eine verdammt schöne Abwechslung.
„Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Sloane aus Boston“, entgegnete er leichthin und erhob sich mit seinem Weinkühler voller Eis, während er sich zu ihr umdrehte. „Eine Party steht für heute nicht auf meinem Plan.“
„Gut, dann muss ich ja auch nicht beleidigt sein, dass ich nicht eingeladen wurde“, antwortete sie vergnügt und lehnte sich gegen den Türrahmen, als wäre es völlig normal, mit einer Pyjamahose und einem winzigen Shirt bekleidet in einem Hotelflur zu stehen, dabei barfuß zu sein und sich mit einem Fremden zu unterhalten.
Dean wollte sie nicht allzu offensichtlich anstarren, dennoch konnte er gar nicht anders, als seinen Blick über sie gleiten zu lassen, wobei ihm nicht nur ihre dunkelrot lackierten Zehennägel auffielen, sondern auch die Tatsache, dass sie offenbar keinen BH unter ihrem Shirt trug.
Räuspernd versuchte er, sie und sich selbst davon abzulenken, worauf sein Blick gefallen war. Dean hielt es für angemessener, ihr in die Augen zu schauen, als er besorgt nachfragte: „Habe ich Sie gestört?“
„Nein, das haben Sie nicht“, beruhigte sie ihn und verschränkte die Arme vor der Brust, was nur dazu führte, dass ihre Brüste nach oben geschoben wurden. Verlockende Rundungen pressten sich gegen den dünnen Saum ihres Shirts, und Dean kam sich wie ein Triebtäter vor. „Ich schaue mir gerade eine Folge Designated Survivor an, was an und für sich schon eine ziemliche Zeitverschwendung ist, schließlich kenne ich bereits alle Folgen.“ Sie nickte in Richtung Eismaschine. „Aber tatsächlich sind Sie der einzige Hotelgast, der seit gestern diese Eismaschine bedient. Und da ich das Geräusch nicht kannte, wollte ich nachschauen, was es zu bedeuten hatte.“
Dean musste sich anstrengen, sich auf das zu konzentrieren, was sie sagte, und wollte gerade eine Entgegnung von sich geben, als ihr Blick auf seine rechte Hand fiel. Augenblicklich verschwand das amüsierte Lächeln von ihrem Gesicht.
„Scheiße, Sie sind ja verletzt.“
„Nicht der Rede wert“, wehrte er ab und konnte nur stumm zusehen, wie sie die wenigen Schritte zu ihm überwand und seine Hand in ihre nahm, um sie zu begutachten.
Ganz automatisch hielt er den Atem an und starrte auf ihren Scheitel, während sie sich über seine Hand beugte und diese in ihrer eigenen hielt. Vorsichtig strich sie über seine aufgeschürfte Haut und streichelte sanft über seinen Handrücken. Nichts hatte sich jemals besser angefühlt.
Diese simple Berührung brachte Dean völlig aus dem Konzept.
Durch seinen Kopf hallte sein eigener Herzschlag schwer und laut wie ein Bass, und seine Kehle wurde trocken, sobald er ihren lieblichen Duft in sich aufnahm. Dazu kamen ihre weichen Hände, die ganz anders als seine eigenen waren. Durch seine Arbeit und durch jahrelanges Spielen auf der Gitarre waren seine Finger rau und hart geworden, aber ihre Hände waren weich und zart und fühlten sich einfach fantastisch an.
Es war lange her, dass eine Frau seine Hand in ihrer gehalten und sich besorgt um ihn gezeigt hatte.
Von unten sah sie zu ihm auf und zwinkerte. „Soll ich fragen, was passiert ist?“
„Lieber nicht.“ Dean schnitt eine leichte Grimasse und fragte sich, ob er seine Hand wegziehen sollte.
Das ließ Sloane jedoch nicht zu, weil sie seine Hand fest in ihrer hielt. „Die Wunde sollte gesäubert und desinfiziert werden.“
So schlimm war es nun auch wieder nicht, fand Dean, der in seinem bisherigen Leben schon sehr viel ernstere Verletzungen nach einer Prügelei davongetragen und diese nicht versorgt hatte.
„Das ist nicht nötig“, murmelte er daher. „Ich werde sie ein wenig kühlen. Das wird reichen.“
Sloane schüttelte diktatorisch den Kopf. „Wenn Sie nicht möchten, dass Ihre Hand morgen auf die dreifache Größe angeschwollen ist, sollten Sie auf mich hören.“ Und als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, zog sie ihn hinter sich her. „Kommen Sie mit. Ich habe alles hier, was wir brauchen, um Ihre Hand zu versorgen.“
Bevor Dean wusste, wie ihm geschah, befand er sich in ihrem Hotelzimmer und kam sich wie ein Eindringling vor, als er den offenen Koffer, den laufenden Fernseher und den Teller mit dem halben Clubsandwich bemerkte, der auf dem Schreibtisch gleich neben dem Fenster stand.
Obwohl das Hotelzimmer genau wie seines aussah, wenn man davon absah, dass das Bett hier an der rechten Wand lehnte, während es bei ihm auf der anderen Seite stand, herrschte hier sehr viel mehr Chaos als bei ihm. Außerdem erfüllte Sloane das Klischee, dass Frauen mit mehr Gepäck verreisten als Männer. Nicht nur den offenen Koffer, aus dem ein paar Shirts und eine Jeans heraushingen, schien sie dabeizuhaben, sondern einen erstaunlich großen Rucksack, eine kleinere Handtasche und zwei weitere Hartschalenkoffer, die neben der kleinen Couch standen.
Er dagegen war mit einer Reisetasche und seiner Gitarre nach Los Angeles gekommen.
Während er in ihrem Hotelzimmer stand, sich umsah und sich dabei ziemlich fehl am Platze vorkam, verschwand Sloane in ihrem Badezimmer und kam mit einem riesigen Kosmetiktäschchen zurück, das sie auf das Bett warf, und band sich anschließend ihre Locken zu einem Pferdeschwanz.
„Setzen Sie sich“, forderte sie ihn freundlich auf und deutete auf das Bett, dessen Decke zurückgeschlagen war und verdammt einladend aussah.
Dean, der noch nie in der Situation gewesen war, von einer Frau in deren Bett eingeladen worden zu sein, ohne sich vorher auszuziehen und ein paar Kondome bereitzulegen, setzte sich zögernd auf die Bettkante und fühlte sich ein bisschen wie die Maus in der Falle. Dabei sah Sloane gar nicht wie eine gefräßige, bösartige Katze aus.
Ganz im Gegenteil, denn sie wirkte weich und einladend und sexy, wie sie in der niedlichen Pyjamahose und dem sehr dünnen Top vor ihm stand und sich auf seine Wunde konzentrierte.
Dean hätte sich auch lieber auf seine Hand konzentriert, aber das fiel ihm sehr schwer. Genau vor seinen Augen befand sich nämlich ihr Ausschnitt, was ihn einigermaßen nervös machte.
„Ich habe ein mildes Desinfektionsmittel, mit dem ich den Knöchel reinigen würde, bevor ich eine Jodtinktur benutze, wenn das okay ist.“ Sie betrachtete seine Hand und bewegte vorsichtig seine Finger. „Das Jod sollte am besten an der Luft trocknen, aber ich würde die Stelle dennoch lieber verbinden. Die Tinktur hinterlässt nämlich überall Flecken.“
Als sie ihn fragend ansah, nickte er stumm und blieb kurz darauf sitzen, als sie sich umdrehte, um alles, was sie zur Versorgung seiner Hand brauchte, aus ihrem Kulturbeutel zu holen.
Um sich von der merkwürdigen Situation abzulenken, in der er sich zurzeit befand, und um Sloane nicht wissen zu lassen, wie verführerisch er ihren Anblick fand, hakte er räuspernd nach: „Wie kommt jemand dazu, Desinfektionsmittel, Verbandszeug und Jod in seinem Gepäck zu haben, wenn er nach Los Angeles fliegt?“
Sie lächelte leicht, während sie etwas Desinfektionsmittel auf eine Mullbinde gab. „In letzter Zeit bin ich viel verreist und kam durch Gegenden, die meistens ohne ärztliche Versorgung auskommen müssen. Deshalb habe ich es mir angewöhnt, wenigstens ein bisschen Desinfektionsmittel dabeizuhaben.“
„Mh.“
„Das kann jetzt ein bisschen brennen“, warnte sie ihn und presste vorsichtig die Mullbinde auf seine Wunde.
Dean spürte nichts, wenn er davon absah, dass ihm angesichts ihres neugierigen Blicks ganz warm in seiner Magengegend wurde. Und tiefer.
„Wohin sind Sie gereist?“, wollte er von ihr wissen.
Allem Anschein nach ahnte Sloane nicht einmal, dass er dieses Gespräch vor allem deshalb am Laufen halten wollte, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, als erwachsener Mann eine unerwünschte und völlig unpassende Erektion zu bekommen. Sehr freundlich und auskunftswillig erwiderte sie nämlich: „Zuletzt war ich in Bolivien. Vorher ging es nach Südafrika und in die Mongolei.“
Mit derart exotischen Reisezielen hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Interessiert begegnete er ihrem Blick. „In die Mongolei? Das klingt ziemlich ... ungewöhnlich.“
Sloane lachte heiser auf. „Das mag schon sein, aber dieses Land ist atemberaubend. Ich habe selten eine so faszinierende Landschaft und so gastfreundliche Menschen kennengelernt. Falls Sie noch nicht wissen, wohin Ihr nächster Urlaub gehen soll, sollten Sie sich überlegen, dorthin zu fahren.“
Dean glaubte nicht, dass er in naher Zukunft die Zeit hatte, um so eine weite Reise zu unternehmen. Während sie noch immer vorsichtig über seine Wunde tupfte, schweifte sein Blick zu ihren Koffern. „Haben Sie in die Mongolei auch so viele Koffer mitgenommen?“
„Was?“ Irritiert blinzelte sie.
Er deutete mit einem Kopfnicken zu den Koffern. „Sie reisen mit ganz schön viel Gepäck, wenn ich das so sagen darf.“
Sloane verdrehte die Augen, wirkte jedoch ganz und gar nicht beleidigt. „Das sind keine Klamotten und Schuhe, falls Sie das angenommen haben sollten.“
Er hob seine linke Hand und verkündete gespielt unschuldig: „So etwas wäre mir nie in den Sinn gekommen.“
Naserümpfend entgegnete sie: „Wieso glaube ich Ihnen das nicht?“
„Keine Ahnung.“ Von ganz allein zuckten seine Mundwinkel.
Sie antwortete nicht sofort, sondern warf die gebrauchte Mullbinde in den Abfalleimer hinter sich. „Tatsächlich brauche ich das alles für meinen Job.“
Dean fragte nicht weiter nach, warum eine Autorin mit zwei großen Hartschalenkoffern verreiste, und konzentrierte sich lieber darauf, was sie mit seiner Hand veranstaltete, als sie nach der Jodtinktur griff.
Sehr sorgfältig gab sie etwas von der dunkelbraunen Flüssigkeit auf einen Tupfer, mit dem sie dann seine verletzten Knöchel behandelte.
Trotz des beißenden Geruchs, der ihm in der Nase brannte, konnte er ihren Duft riechen und bemerkte, wie sich eine Gänsehaut über seinen Körper ausbreitete.
„Ist das besser?“ Ihre Stimme war klar und sanft und hüllte ihn ein.
„Viel besser“, antwortete er leise und schaute zu ihr auf.
Ihre grünen Augen funkelten und erwiderten seinen Blick. Er wurde den Verdacht nicht los, dass Sloane ganz genau wusste, woran er gerade dachte.
„Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie sich um meine Hand kümmern.“
„Gern geschehen.“
Obwohl sie mit ihrer Behandlung fertig zu sein schien, behielt sie seine Hand in ihrer. Und auch Dean zog sie nicht zurück.
Weil sich seine Lippen spröde anfühlten, fuhr er mit seiner Zunge über sie und erklärte an Sloane gewandt: „Wenn ich mich bei Ihnen revanchieren kann, lassen Sie es mich wissen.“
Ihr Mund krümmte sich zu einem Lächeln. „Ich werde daran denken.“