Читать книгу L'affaire de l'amour - P.R. Mosler - Страница 10

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Der Duisburger Kollege, der sie in Empfang nimmt, begleitet seine Besucher zu dem Besprechungsraum, in dem der Leiter der Abteilung bereits auf sie wartet. Neugierig begrüßt der vierzigjährige Björn Klostermann, 1,84 Meter groß, mit dunklem Kurzhaarschnitt und muskulöser Statur, das Team aus Düsseldorf. „Björn Klostermann, leitender Hauptkommissar, Kriminalkommissariat 12. Ich bin froh, dass Sie meiner Bitte nachkommen konnten. Es ist dringend an der Zeit, diesem Gesindel das Handwerk zu legen. Aber ohne Unterstützung werden wir das wohl nicht schaffen.“

„Mark Sievers“, stellt sich Emmas Partner vor. Mit festem Druck ergreift er die ihm dargebotene Hand. „Meine Kollegen und ich sind gern bereit, Ihnen unter die Arme zu greifen.“

„Dafür kann ich mich nur bedanken. Doch ich habe direkt eine Einschränkung. Mir ist aufgefallen, dass Sie eine Kollegin mitgebracht haben. Wir selbst haben darauf geachtet, keine weiblichen Mitarbeiterinnen in dieses Team zu holen. Womit wir es hier zu tun haben, trifft schon bei uns an die Grenzen des Aushaltbaren. Für die Frauen ist das sogar um einiges Schlimmer, noch dazu, wenn sie so jung sind.“ Der leitende Duisburger Hauptkommissar wirft Emma einen kurzen Blick zu.

‚Was für ein arroganter Wichtigtuer‘, urteilt Emma abweisend, ohne sich zu äußern.

„Ich kann Ihnen versichern, dass meine Kollegin ihre Arbeit einwandfrei erledigen wird“, verspricht ihm Mark, der über die frauenfeindliche Art des Abteilungsleiters nicht begeistert ist. „Dies ist übrigens meine Stellvertreterin, Hauptkommissarin Emma Wolf.“

„Ernsthaft?“, staunt Björn Klostermann. ‚Die Frau ist gerade einmal Mitte zwanzig‘, schätzt er. ‚Wie kann sie da schon Hauptkommissarin sein und eine stellvertretende Leitung innehaben?‘, grübelt er, kommt aber nicht zu einer Antwort, da er von einem seiner Mitarbeiter unterbrochen wird.

„Emma Wolf? ‚Die‘ Emma Wolf? Aus Berlin?“ Verblüfft mustert der Polizist die gutaussehende Kollegin.

„Das war einmal“, antwortet Emma vorsichtig. „Woher wissen Sie das?“

„Von meinem Bruder.“ Der Duisburger Kollege reicht ihr lächelnd die Hand. „Ich bin Markus Goldschmidt, der zweite Mann im Team von Björn Klostermann.“

„Sie sind der Bruder von Florian Goldschmidt?“, staunt Emma. Sie erinnert sich daran, wie sie vor einigen Monaten zusammen mit dem Leiter der Sicherungsgruppe SG2, einer aktiven Einheit des Bundeskriminalamts, gegen einen hochrangigen Staatsbeamten im Bundeskanzleramt ermittelt hatten. Gemeinsam konnten sie den Mann als eingeschleusten Maulwurf entlarven. Allerdings dürfte Florians Bruder das gar nicht wissen, da ihre gesamte Arbeit unter strengste Geheimhaltung fällt. Sie kann sich nicht vorstellen, dass Florian Goldschmidt diesen Befehl missachtet hat. „Was hat er Ihnen denn erzählt?“

„Nicht viel. Nur, dass Sie die fähigste Beamtin auf der ganzen Welt sind.“ Der achtunddreißigjährige Hauptkommissar schaut Emma verschmitzt an, wobei seine blaugrauen Augen humorvoll aufblitzen. „Es ist ganz klar, dass Sie dem Jungen das Herz gebrochen haben.“

„Wir sind befreundet“, betont sie fest.

„Ja, sag ich doch“, lächelt der Kollege. Wieder ernst richtet er sich an seinen Vorgesetzten. „Diese junge Polizistin ist absolut in der Lage, ihre Arbeit zu leisten. Davon bin ich überzeugt!“

„Also gut“, gibt Björn Klostermann mürrisch nach. „Dann beginnen wir. Oder hat noch jemand Einwände?“

Durchweg alle schütteln den Kopf, sodass der leitende Hauptkommissar mit seinem Bericht beginnt: „Also, zur Sachlage. In den letzten zwölf Monaten sind wir immer wieder auf junge Frauen gestoßen, die sich mit Sicherheit illegal hier aufhalten. Sie sprechen kein Wort Deutsch. Auch mit Englisch kommen wir nicht viel weiter. Diese Frauen sind, wenn sie Glück haben, gerade einmal volljährig. Sie kommen aus Kambodscha, Laos, Thailand oder Vietnam. Keine kann uns sagen oder will es nicht sagen, wie sie hierherkommt. Wenn die Betreiber der einschlägigen Lokale behaupten, dass die Mädchen freiwillig bei ihnen angeheuert haben, stimmen diese ihm zu.“

„Das ist anscheinend überall gleich. In unserem Rotlichtmilieu sieht das ganz genauso aus“, pflichtet Mark Sievers ihm bei.

„Wenn sie illegal hier sind, warum werden sie dann nicht nach Hause geschickt?“, hakt Emma nach.

„Das ist leider gar nicht so einfach. Die neue Masche dieser Zuhälter macht uns einen dicken Strich durch die Rechnung. Diese Frauen haben alle eine gültige Heiratsurkunde.“

„Demnach sind sie nicht mehr illegal in unserem Land. Reden wir hier von Zwangsverheiratung?“

„Keine Ahnung. Die Papiere sind auf jeden Fall echt. Die Überprüfungen ergeben immer wieder, dass es den passenden Ehemann gibt. Sie sind bei ihren Männern gemeldet und leben auch dort. Wir konnten bisher auch nicht nachweisen, ob die Männer an den Machenschaften der Zuhälter beteiligt sind.“

„Glauben Sie, es besteht ein Zusammenhang zwischen den Mädchen dieser Zuhälter und den toten Frauen, die Sie gefunden haben?“

„Das denke ich nicht. Zuhälter achten auf ihre Mädchen, schließlich wollen sie durch sie eine Menge Geld verdienen. Wir finden öfter die eine oder andere, die Verletzungen durch einen Freier davongetragen hat. Doch im Normalfall sorgen ihre Zuhälter für die ärztliche Versorgung. Tote Frauen bringen kein Geld ein.“

Markus Goldschmidt reicht die Aufnahmen der toten Mädchen und die Tatortfotos herum. „Diese Frauen haben wir zuvor nirgendwo gesehen. Auch die Kollegen des Zolls konnten uns nicht weiterhelfen. Vermisstenmeldungen gibt es keine. Erkennungsdienstlich sind sie nicht erfasst.“

Björn Klostermann beobachtet Emma dabei, wie sie sich eins der Bilder schnappt, um es ausgiebig zu betrachten. Zufrieden stellt er fest, dass sie sich nicht von dem grauenvollen Zustand der Leichen ablenken lässt, sondern auch die Fotos der anderen Mädchen intensiv ansieht.

„Diese Mädchen wurden nicht einfach nur verprügelt“, stellt sie fest. „Sie wurden systematisch totgeschlagen. Das waren keine Zuhälter. Die schlagen höchstens ein- bis zweimal zu, um zu bestrafen. Das hier ging über Stunden. Man kann es an den Verfärbungen gut erkennen. Diese Morde geschahen zur Abschreckung.“ Emma blickt den Leiter der Duisburger Kollegen fest an. „Kann es sein, dass sich bei Ihnen ein Kartell ausbreitet? Oder es zumindest versucht?“

Björn Klostermann hätte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet diese junge Polizistin den nötigen Sachverstand aufbietet, um die gleichen Schlussfolgerungen aufzustellen, die auch er und sein Team erarbeitet haben. „Wir haben da zwei Männer im Visier, denen aber absolut nichts nachzuweisen ist“, gesteht er. „Markus!“

Von seinem Vorgesetzten aufgefordert ergreift Markus Goldschmidt eine Akte, die auf dem Tisch hinter ihm liegt. „Michail Orlow, sechsundvierzig Jahre, 1,80 Meter, blond, blaue Augen. Er ist Russe, besitzt eine Villa in Mülheim-Saarn, die er mit seiner Frau und seinem Sohn bewohnt. Seine rechte Hand ist Gabriel Kanthak, ein Deutscher, neununddreißig Jahre, 1,82 Meter, dunkelhaarig, braune Augen. Früher hat er sein Geld als Boxer verdient, dann holte Orlow ihn zu sich. Zuerst als Leibwächter, von da an hat sich der Kerl hochgearbeitet.“ Er reicht die Fotos der beiden Männer herum. „Orlow ist millionenschwer. Er besitzt eine Import-Export-Firma mit Hauptsitz in Japan. Zweigstellen gibt es in Duisburg, Amsterdam und Shanghai. In Düsseldorf unterhält er zudem einen gutgehenden Catering Service, der sich einen ausgezeichneten Ruf aufgebaut hat. Sie arbeiten viel auf Messen, Tagungen und bei Hochzeiten. Alles Firmen, die ihm auf legale Weise seinen Reichtum einbringen.“

„Wieso ist er dann auf Ihrem Radar aufgetaucht?“, forscht Ludwig Gessner nach.

„Kanthak reist sehr viel. Er ist Antiquitätenhändler mit mehreren gutgehenden Geschäften in Duisburg und Essen. Er holt sich seine Ware aus der ganzen Welt. Hauptsächlich reist er nach Thailand und Japan. Wir haben seine Lieferungen schon mehrfach durch Mitarbeiter des Zolls untersuchen lassen. Alles legal! Außerdem transportiert er seine Fundstücke per Luftfracht, in 20-Fuß-Containern3, deklariert als wertvollste Ladung. Sollten die Mädchen in seinen Containern versteckt sein, würden sie den Flug in extremer Höhe nicht überleben. Die tiefen Temperaturen und der mangelnde Sauerstoff würden dafür sorgen, dass niemand lebend aus den Containern aussteigt. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum die Zöllner ihn nur oberflächlich untersuchen. Die Waren sind ordnungsgemäß angemeldet und die Drogenhunde werden nicht fündig.“

Björn Klostermann ergänzt die Ausführungen seines Kollegen. „Bei Orlow sieht das schon anders aus. Er handelt mit allem, was ihm Geld einbringt, angefangen bei Toilettenpapier über Bekleidung und Medikamente bis hin zu Pflanzen und Tieren. Alles legal und ordnungsgemäß angemeldet. Seine Firma transportiert die Waren ebenfalls in 20-Fuß-Containern, die im Duisburger Hafen landen. Aber auch dort sind wir nie fündig geworden.“

„Sie vermuten also, dass er die Mädchen per Container schmuggelt? Wie oft wird er von Ihnen kontrolliert?“, hakt jetzt auch Benedikt Steigert aus Emmas Team nach.

„So oft wie möglich. Das machen die Kollegen von der Zollfahndung noch auf dem Zollgelände vor der Abholung. Unregelmäßig und ohne Vorwarnung.“

Alle schauen still auf die Unterlagen vor sich. Keiner hat eine Idee, wie sie vorgehen sollen.

Emma beteiligt sich schon eine Weile nicht mehr an den Gesprächen, sondern hört ihren Kollegen kommentarlos zu, während sie in Gedanken die möglichen Abläufe für einen Schmuggel durch die beiden aufgezeigten Männer durchgeht. Nachdenklich dreht sie das Foto, das sie immer noch in ihren Händen hält, hin und her, bis sie plötzlich stutzt. Sie greift sich ein weiteres Foto, danach noch eins.

„Ist irgendetwas?“, erkundigt sich Björn Klostermann bei der Kriminalbeamtin, als er auf ihr Handeln aufmerksam wird.

„Orlow. Das bedeutet Adler“, antwortet Emma überlegend.

Überrascht schaut der Duisburger Leiter die junge Frau an. „Sie sprechen Russisch?“

„Nur ein wenig.“ Sie lässt ihre Augen über die Kollegen wandern. „Ist niemandem von Ihnen das Tattoo aufgefallen, das alle Mädchen auf der rechten Schulter tragen? Es ist ein Adler.“

Alle Anwesenden greifen erstaunt nach den Fotos, während Emma weiterspricht: „Ich glaube schon, dass Sie auf der richtigen Spur sind. Allerdings haben wir es hier mit zwei unabhängigen Prozessen zu tun. Der erste sind die Mädchen, die auf Ihrem Straßenstrich auftauchen. Sie werden von ihren Zuhältern mit Männern verheiratet, die denen zuarbeiten. Das ist die eine Sache. Der andere ist dieses Kartell, das den Zuhältern die Mädchen besorgt. Diesen Kerlen müssen wir schnellstens auf die Schliche kommen. Wie schmuggeln sie die Mädchen ins Land? Wo werden sie verkauft? Und an wen? Diese Fragen gilt es zu klären.“

„Ich stimme gänzlich mit Ihnen überein“, nickt Björn Klostermann. „Haben Sie auch eine Idee, wie wir das machen?“

„Zumindest, wie wir anfangen können.“ Emma schnappt sich einen der Maker, die überall auf dem Tisch herumliegen, tritt an ein Flip-Chart und beginnt ihren Plan zu skizzieren. „Gehen wir einmal davon aus, dass sowohl Seefracht als auch Luftfracht für den Schmuggel genutzt werden. Sogar Routen per Zug sollten wir in Betrachtung ziehen.“

„Warum denn das?“, will Walter Ruhrtal aus dem Duisburger Team wissen. „Es sind ausschließlich Seefrachtcontainer, die Orlow für seine Waren benutzt.“

„Schon möglich“, stimmt Emma ihm zu. „Aber ich denke, er wird die Container nicht den ganzen Weg per Seefracht befördern.“

„Warum stellen Sie diese Behauptung auf?“, verhört sie Björn Klostermann.

„Ganz einfach. Eine reine Route per Seeverschiffung dauert bis zu sechs Wochen. So lange bleiben die Mädchen garantiert nicht ruhig. Ohne Nahrung und ausreichend Flüssigkeit würden sie die lange Zeit zudem kaum lebend überstehen. Obendrein sind die Kontrollen in den asiatischen Häfen bedeutend strenger als bei den Frachtflügen.“

„Du hast sicher Recht“, bestätigt Mark ihr. „Aber wie macht er es dann deiner Meinung nach?“

„Ganz sicher bin ich mir da noch nicht, aber ich denke, seine Standorte haben damit zu tun. Wie war das noch? Gestartet wird in Japan. Richtig?“ Sie wartet die Bestätigung nicht ab. „Von Japan geht es nach Shanghai. Vermutlich per Flug. Wie lange wird das dauern? Circa drei Stunden schätze ich.“ Das allgemeine zustimmende Nicken lässt sie ohne Verzögerung weitermachen: „In den Zweigstellen hat er unter Garantie die passenden Leute sitzen, um die Container und deren Inhalt im Auge zu behalten. Von Shanghai bis Amsterdam ist ebenfalls ein Flug die schnellste Verbindung. Ich habe keine Ahnung wie lang die brauchen, vielleicht zwölf bis dreizehn Stunden. Eine solche Zeit könnten die Frauen mit den richtigen Medikamenten durchaus verschlafen. Oder?“

„Das sollten wir wirklich überprüfen“, wirft Markus Goldschmidt ein.

„Dann überprüfen Sie bitte auch gleich, wo Orlows Ware, die in Duisburg per Containerschiff ankommt, verladen wurde. Ich tippe auf Amsterdam.“

„Warum denn so umständlich?“, staunt Björn Klostermann.

„Täuschung!“, erklärt Emma. „Überlegen Sie einmal, wie viele Papiere die Kontrolleure bei einer Schiffslöschung zu sichten haben. Glauben Sie, die sehen sich jedes Stück Papier akribisch an? Wohl kaum. Schon gar nicht, wenn sie wissen, dass der Container bereits vor Reiseantritt durchsucht wurde. Sie sehen die Verladestelle Japan und die Ankunft in Duisburg, wodurch sie von einer wochenlangen Reise ausgehen. Keiner käme auf die Idee nach geschmuggelten Menschen zu suchen.“

„Ich tendiere dazu Ihnen zuzustimmen“, gesteht Björn Klostermann. „Die Container landen anschließend im Zollgelände des Duisburger Hafens, von wo sie mit Sicherheit umgehend abgeholt werden.“

„Dann müssen wir die Container zu hundert Prozent kontrollieren. Ich schätze, dass für den reibungslosen Ablauf Gabriel Kanthak zuständig ist. Orlow wird sich garantiert nicht selbst die Finger schmutzig machen.“

„Damit liegst du bestimmt nicht daneben“, pflichtet Mark ihr bei.

„Also müssen wir Kanthak im Auge behalten. Am besten stellen wir ein paar Kollegen ab, die ihn rund um die Uhr beschatten. Auch Orlow darf uns nicht durch die Lappen gehen. Aber wenn wir seinen Partner kriegen, wird er uns garantiert zu seinem Boss führen. Dieses Tattoo zeigt uns, wie arrogant der Mann ist. Er ist so von sich eingenommen, dass er sogar auf den Mädchen, die er verkauft, seine Signatur hinterlässt. So können wir ihm die verkauften Frauen zuordnen. Das wird ihm hoffentlich bald das Genick brechen. Sollten Sie Kontrollen machen, suchen Sie nach diesem Tattoo. Aber möglichst unauffällig.“

„Das ist eine sehr gute Idee.“ Björn Klostermann ist begeistert. ‚Die Beamtin leistet wirklich gute Arbeit‘, erkennt er. ‚Sie hat einen ausgeprägten Spürsinn.‘

Emma wendet sich an die Duisburger Kollegen: „Sind in letzter Zeit neue Container angekommen?“

Der siebenunddreißigjährige Walter Ruhrtal meldet sich zu Wort: „Nein, aber morgen Früh soll eine größere Ladung hier in Duisburg im Containerhafen ankommen. Das Frachtschiff transportiert insgesamt zwölf Container von Orlow mit Bekleidung und Importware aus Japan. Sie stehen für morgen Früh um drei Uhr zur Löschung auf dem Plan.“

„Die sollten wir uns vornehmen. Direkt, nachdem die Ladung vom Schiff herunter ist. Wo werden die Container verwahrt?“

„Für die Löschung der gesamten Schiffsladung brauchen die rund zwei Stunden. Bis zur Abholung durch den Eigentümer oder seinen Beauftragten bleiben die Container im Frachtlager des Zollamts. Erst im Beisein des Eigentümers werden die Container geöffnet.“

„Auf die Abholung werden wir nicht lange warten müssen“, erwägt Emma. „Das ist der Moment, in dem wir zuschlagen. Doch dafür müssen wir vorher wissen, was die Container wirklich beherbergen. Sobald sie im Frachtlager abgeladen werden, sehen wir uns ihren Inhalt an.“

„Dann müssen wir schnellstens handeln“, versichert Björn Klostermann. „Bis wir den Zoll informiert haben und einen Einsatztrupp von denen bekommen, brauchen die ein paar Stunden Vorlauf.“

„Wir werden den Zoll nicht informieren, sondern unangemeldet da auftauchen“, teilt Emma den Kollegen trocken mit.

Der Duisburger Leiter ist baff. „Sie wollen den Zoll nicht informieren? Wieso? Allein schaffen wir paar Leute das doch gar nicht.“

„Eins nach dem anderen. Überlegen Sie bitte einmal. Wieso sind Sie bisher nicht fündig geworden? Orlow hat Millionen zur Verfügung. Auch beim Zoll oder der Polizei gibt es immer wieder Menschen, die sich schmieren lassen. Außer den Leuten in diesem Raum sollte in Duisburg niemand erfahren, was wir vorhaben. Ich besorge Ihnen die notwendige Unterstützung aus Düsseldorf.“

Mark Sievers ist bereits klar, was seine Partnerin vorhat. Er konnte sich schon öfter davon überzeugen, wie gut die Geschwister Wolf sich ergänzen, daher nickt er dem Duisburger bestätigend zu.

„Also gut, versuchen wir es. Wir haben schließlich nichts zu verlieren“, gibt dieser seine Einwilligung.

Auf Emmas eingehenden Anruf hin meldet sich ihr Bruder Stefan fast sofort: „Hey, Kleine. Wieso rufst du an statt einfach vorbeizukommen? Wo steckst du?“

„In Duisburg. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.“ Damit schildert sie ihrem Bruder, welchen Einsatz sie plant.

„Ich denke, du brauchst zwei Trupps und das mobile Einsatzkommando. Lass mir eine Stunde, um unseren Chef zu informieren. Er springt bestimmt auf diese Informationen an. Das kriege ich hin! Wir sorgen dann dafür, dass morgen Früh alle einsatzbereit sind. Im Anschluss melde ich mich.“

„Danke.“ Sie wendet sich an Björn Klostermann. „Wir bekommen Unterstützung durch unsere Einheiten vom SEK und MEK4.“

„Wie haben Sie das so schnell hinbekommen? Normalerweise brauchen wir Stunden für die Anforderung dieser Einheiten. Sie schaffen das mit einem Anruf?“ Statt einer Antwort erhält er ein lässiges Schulterzucken.

Sie lässt sich auf ihrem Weg zur Toilette Zeit. Emma ist sicher, dass die Kollegen über sie und ihre Anwesenheit in dem Team diskutieren werden. Als sie die Toilette verlässt, erblickt sie Markus Goldschmidt, der ihr gegenüber abwartend, mit verschränkten Armen an der Wand lehnt. Mit Ausnahme seiner Augenfarbe sieht der 1,83 Meter große muskulöse Mann mit den kurzen braunen Haaren seinem jüngeren Bruder äußerst ähnlich.

„Was haben Sie in Berlin gemacht? Und wer sind Sie wirklich?“, verhört er die Beamtin.

„Was meinen Sie?“

„Kommen Sie schon. Erklären Sie mich bitte nicht für dumm. Wären Sie eine einfache Polizistin, hätte Flo mir bedeutend mehr von der Frau erzählt, die ihm seine Träume raubt.“ Er mustert die Kollegin aufmerksam. „Ich bin nicht Ihr Feind. Nur bleibe ich nicht gern im Unklaren. Was ist es? Terroreinheit? Personenschutz? Wo gehören Sie hin?“

Emma schaut ihm lange in die Augen, in denen sie die gleiche Aufrichtigkeit erkennt wie bei seinem Bruder. „Sie wissen, für wen Ihr Bruder zuständig ist“, beginnt sie vorsichtig. „Wenn ich Ihnen sage, dass ich Ihnen keine Auskunft geben darf, können Sie sich Ihre Frage selbst beantworten.“

„Das ist nicht Ihr Ernst! Oder doch?“ Der Hauptkommissar starrt sie beeindruckt an. „Jetzt verstehe ich, warum Flo so kurz angebunden war. Alle Achtung!“

„Danke, aber das ist vorbei. Jetzt gehöre ich der Mannschaft von Mark Sievers an.“

„Wieso haben Sie gewechselt? War es wegen Flo?“

„Nein. Er hatte mit meiner Entscheidung nichts zu tun. Florian kennt den Grund. Mehr werde ich Ihnen dazu nicht sagen. Auch wenn ich Ihnen vertraue, muss ich Sie ausdrücklich darum bitten, Stillschweigen zu bewahren.“

„Selbstverständlich. Verlassen Sie sich darauf.“ Er lacht leise auf. „Aber Flo rufe ich heute noch an.“

Emma schüttelt verständnislos den Kopf. „Männer! Was finden Sie nur so interessant daran, Ihresgleichen auf den Arm zu nehmen?“

„Das gehört einfach dazu“, versichert der Beamte. „Das mit den bestechlichen Kollegen haben Sie wirklich so gemeint, wie Sie es sagten“, bemerkt er entrüstet. „Sie glauben, die Gegenseite wird vor den Kontrollen gewarnt.“

„Ja. Das passiert leider häufiger als wir denken. Was mich zu meiner Frage führt. Können wir Ihren Kollegen in diesem Team hundertprozentig vertrauen?“

„Absolut“, versichert er, nimmt sich aber die Zeit, um darüber nachzudenken. „Vor einigen Tagen habe ich mich auf eine ausgeschriebene Stelle beim LKA beworben, die Entscheidung steht noch aus, aber sollte ich wechseln, werde ich die gute Zusammenarbeit hier vermissen. Wir konnten uns bisher immer aufeinander verlassen“, bestätigt er Emma. „Eigentlich sollte ich Ihnen diese Frage übelnehmen.“ Markus Goldschmidt hebt kurz die Schultern. „Ich hätte die gleiche Frage gestellt“, bekennt er.

Sie nimmt den eingehenden Anruf, der ihr Gespräch unterbricht, rasch entgegen. „Stefan, wie sieht es aus?“

„Ich habe den Chef an meiner Seite. Es ist zwar alles vorbereitet, aber er will sich selbst ein Bild von der Situation machen. Wir sind gerade in Duisburg am Polizeipräsidium angekommen. Wo treffen wir uns?“

„Wartet im Eingangsbereich. Wir kommen zu euch.“

Sie treffen gleichzeitig mit den Düsseldorfer Spezialisten im Foyer ein.

„Stefan, das ist Markus Goldschmidt, der Bruder von Florian“, stellt Emma den Duisburger Kollegen vor.

„Im Ernst? Die Welt ist wirklich klein“, bemerkt Stefan, der den festen Handschlag des Duisburgers erwidert. „Stefan Wolf. Dies ist unser Einsatzleiter Bodo Danberg“, weist er auf seinen Begleiter hin.

Emma betrachtet den Vorgesetzten ihres Bruders genauso neugierig wie er sie. Bodo Danberg ist siebenunddreißig Jahre alt, 1,85 Meter groß, mit kurzen braunen Haaren und braunen Augen. Der durchtrainierte Hauptkommissar lässt mit Sicherheit so manch ein Frauenherz höherschlagen. ‚Und das weiß er auch!‘, wird ihr bewusst, da sie seinen Charme und seine Arroganz spüren kann. ‚Eine interessante Mischung!‘ Seinem deutlich gezeigten Interesse an ihr begegnet sie mit Zurückhaltung. ‚Er wird schon von selbst darauf kommen, dass er bei mir nicht landen kann.‘

Ungeachtet dessen lässt das Auftreten des Beamten an Professionalität nichts zu wünschen übrig.

„Freut mich, Sie hier begrüßen zu dürfen“, versichert Markus. „Normalerweise schaffen wir es nicht in so kurzer Zeit, an diese Art der Unterstützung zu gelangen.“

Der SEK-Chef mustert ihn aufmerksam. „Wenn der Tipp, den wir kriegen, gut genug ist, sind meine Männer in kürzester Zeit einsatzbereit. Ich habe zwar schon einiges von Herrn Wolf gehört, würde mir aber gern noch ein Gesamtbild verschaffen. Schon allein deshalb, weil ich meinen Vorgesetzten Rede und Antwort stehen muss.“

„Kein Problem. Kommen Sie bitte mit, meine Kollegen sind im Besprechungsraum.“ Beim Weitergehen wendet Markus sich wissbegierig an Stefan: „Sie heißen Wolf? Sind Sie mit der Kollegin verwandt?“ Er ist gespannt auf dessen Antwort. Hat er hier die Konkurrenz für seinen Bruder vor sich stehen? ‚Ist das der Mann, dem Emma Wolf den Vorzug vor Florian gegeben hat?‘

Emma kann sich schon denken, warum er nachfragt. „Stefan ist mein Bruder“, antwortet sie. „Zudem ist er einer der Truppenführer beim SEK. Herr Danberg ist sein Vorgesetzter.“

„Nun wird mir einiges klar. Daher die schnelle Unterstützung.“

Sie erreichen den Raum, in dem sowohl die Duisburger als auch die Düsseldorfer Kriminalisten versammelt sind.

Markus öffnet die Tür und lässt Bodo Danberg an sich vorbei eintreten, hält Stefan und Emma jedoch zurück, um sein Anliegen zu äußern: „Bitte nennen Sie mich Markus. Immerhin haben wir schon einiges gemeinsam.“

„Und was?“, erkundigt sich Stefan.

„Wir kennen alle meinen Bruder. Oder?“

Die beiden Männer lachen auf, während Emma nur verwundert den Kopf schüttelt. Gemeinsam betreten sie den Besprechungsraum, um den Plan für die Durchsuchung am nächsten Morgen auszuarbeiten. Es ist schon fast Abend, als sich das Team rund um Emma Wolf von den Duisburger Kollegen verabschiedet. Um fünf Uhr in der Frühe werden sich alle am Einsatz beteiligten Polizisten in voller Montur am festgelegten Treffpunkt im Duisburger Containerhafen treffen.

Die neununddreißigjährige Oberkommissarin Nina Birkholz achtet sorgfältig darauf, dass niemandem auffällt, wie sie in der Nähe des Haupteingangs auf ihren Kollegen Reinhardt Schrade wartet. Der Kommissar ist nicht nur Teil des Ermittlungsteams rund um Björn Klostermann, sondern hat auch lange mit Nina im Team gearbeitet.

Gerade als er das Gebäude verlassen will, taucht die schlanke 1,76 Meter große Polizistin hinter ihm auf. „Hallo, Reinhardt. Habt ihr endlich Feierabend?“

Der Kollege dreht sich zu der hübschen Blondine um. „Ja, endlich! Wieso bist du noch hier? Machst du Überstunden?“

Wie konnte sie nur denken, dass ihm das nicht auffällt? Sie braucht rasch eine gute Erklärung. „Nein, ich habe noch trainiert. Wegen der Leistungsprüfungen. Es ist einfach später geworden.“

„Stimmt, die stehen uns ja auch noch bevor.“

„Ja. Aber jetzt haben wir erst einmal Feierabend.“

„Aber nicht für lange. In ein paar Stunden müssen wir wieder anfangen.“

„Was ist denn so dringend, dass ihr euren Feierabend nicht normal genießen könnt?“

Der Kommissar ist sich bewusst, dass er diese Informationen nicht weitergeben darf, also übergeht er die Antwort und zuckt stattdessen nur die Schultern. „Woran arbeitest du denn zurzeit?“, fragt er im Gegenzug.

„An nichts Besonderem. Ihr habt mich doch aus dem Team gekickt. Warum eigentlich? So schlecht war meine Arbeit bestimmt nicht.“

„Hör zu, Nina. Das hat mit deiner Arbeit nichts zu tun. Es geht nur um den Fall. Klostermann hat Recht, wenn er dabei die Frauen außen vor lässt.“

„Ach ja? Dann habe ich zwei Fragen an dich. Was ist an dem Fall, was Männer können und Frauen nicht? Und wieso ist in dem anderen Team eine Frau mit dabei? Leugne es nicht! Ich habe sie gesehen.“

„Zu dem Fall darf ich dir nichts sagen. Aber zu der Kollegin kann ich dir Folgendes berichten. Sie ist die stellvertretende Leiterin in dem Team aus Düsseldorf.“

„Unmöglich. Sie ist mindestens zehn Jahre jünger als ich.“

„Ist aber so“, beharrt er. „Entschuldige, ich muss jetzt dringend in die Kiste. Immerhin müssen wir alle morgen um fünf Uhr wieder fit sein. Mach’s gut.“

Nina schaut ihm nachdenklich hinterher. Sie sollte besser einmal nachsehen, ob in dem Besprechungszimmer etwas zu finden ist. Den ganzen Tag über hat sie sich bemüht, in die Nähe des Besprechungsraumes zu gelangen, was aber nicht funktioniert hat. Auf dem Absatz macht sie kehrt, um sich kurz darauf in dem Raum umzublicken, in dem sich gerade erst die beiden Teams für den Einsatz gegen das organisierte Verbrechen zusammengetan hatten. Doch die gähnende Leere der Schreibtische bietet ihr keine Anhaltspunkte. ‚Dann muss ich eben zum Boss gehen‘, empfiehlt sie sich selbst.

Zwei Minuten später kann Nina gerade noch sehen, wie Björn Klostermann, in Jacke und Mütze, sein Büro verlässt. ‚Es ist viel zu voll auf diesem Flur, um lange unbemerkt zu bleiben‘, erkennt sie. Aber wenn sie mit ihrer Vermutung richtig liegt, muss sie dringend an die Einsatzpläne herankommen. Sie sucht sich ein geeignetes Versteck, um in aller Ruhe abzuwarten. ‚Eigentlich gehöre ich in dieses Team!‘, holt sie sich in Erinnerung. ‚Nur Klostermann verdanke ich es, in diesem Fall auf dem Abstellgleis zu stehen.‘ Auch sie hat nicht zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass der leitende Hauptkommissar keine allzu hohe Meinung von Frauen im Polizeidienst hat. ‚Das wird Gabriel bestimmt nicht gefallen‘, geht es ihr durch den Kopf. Obwohl sie schon eine ganze Weile mit Gabriel Kanthak liiert ist, kann sie spüren, dass der Freund sie auf Abstand hält. Sie erinnert sich daran, wie er sie glücklich angestrahlt hat, als sie ihn über die Durchsuchung seiner Container informierte. ‚So ganz korrekt war das nicht‘, gibt sie vor sich selbst zu, entschuldigt ihr Vergehen aber damit, dass ihre Kollegen bei der Durchsuchung enorme Schäden an den teuren Möbeln hinterlassen haben. ‚Gabriel war richtig deprimiert, als er mir davon berichtete‘, fällt ihr ein. ‚Dass ich ihn vor mutwillig verursachten Schäden bewahre, ist nur gerecht!‘

Als es endlich ruhiger in dem langen Gang wird, schlüpft sie in das Büro des Vorgesetzten. Systematisch durchsucht sie dessen Unterlagen, doch auch hier findet sie keinen Hinweis auf den kommenden Einsatz.

‚Was soll das nur? Die tun gerade so, als ob es ein Staatsgeheimnis wäre.‘ Sie nimmt an seinem Schreibtisch vor dem Computer Platz. ‚Vielleicht hat er die Daten schon eingegeben.‘ Normalerweise ist ihr Chef bei seiner Arbeit absolut korrekt, lässt keine halbfertigen Sachen liegen und sorgt für saubere Abschlüsse.

Sie hat keine andere Wahl, als sich mit ihrem eigenen Passwort einzuloggen. Bis sie die heute angelegten Dateien findet, muss sie eine ganze Weile suchen. Es gibt insgesamt vier neue Dateien, von denen sie die ersten drei ungehindert einsehen kann. Sie alle haben nichts mit dem heutigen Treffen der Kollegen oder einem kommenden Einsatz zu tun. ‚Mal sehen, was mir die letzte Datei zeigt.‘ Sie klickt mit dem Mauszeiger auf den Ordner, woraufhin sich sofort ein graues Eingabefeld öffnet. Der Computer fordert die Eingabe des Passworts, ohne welches sie diesen Ordner nicht öffnen kann.

„So ein Mist“, flucht die Beamtin leise vor sich hin und versucht, das Passwort zu finden, doch weder Rechner noch Schreibtisch des Hauptkommissars weisen auf dieses hin. ‚Die tun ja gerade so, als ob sie an einer Verschwörung arbeiten. Wieso ist das alles nur so geheim? Das hat wohl kaum etwas mit Gabriels Geschäften zu tun. Da geht es lediglich um Antiquitäten. Auch wenn er sie teilweise nicht ganz legal aus den fremden Ländern mitbringt, ist das wohl kaum einen solchen Aufwand wert.‘ Trotzdem sucht sie weiter, da sie mittlerweile neugierig genug ist, um den Grund für diese Heimlichtuerei wissen zu wollen.

‚Das könnte etwas sein!‘, stutzt sie plötzlich. ‚Klostermann hat sich zwei zivile Fahrzeuge für eine Fahrt zum Duisburger Hafen reserviert. Zum Duisburger Containerhafen! Ob es doch um Gabriels Ware geht?‘ Sie schaut auf ihre Armbanduhr. Schon nach halb zehn. Es kann nicht schaden, wenn sie Gabriel vorwarnt. Sie loggt sich aus, dann verschwindet sie ungesehen aus dem Gebäude. Kaum dass sie außer Sichtweite ist, ruft sie Gabriel an, dessen Mailbox erst nach mehrfachem Klingeln anspringt.

In Thailand, sechs Stunden voraus, verbringt Gabriel, der bekommen hat, was er wollte, die Nacht zufrieden schlafend in seinem Hotelbett. In ein paar Stunden wird er sich darum kümmern, dass die Container ordnungsgemäß für den Flug nach Düsseldorf verladen werden. Den Anruf, der bei ihm eingeht, nimmt er nicht wahr.

Nina steckt ihr Handy ein und macht sich auf den Weg nach Hause. In einer Stunde wird sie es noch einmal bei Gabriel versuchen. Wenn sie ihn erreicht, wird er bestimmt vorbeikommen. Sie hätte jedenfalls nichts dagegen. Weder um dreiundzwanzig Uhr noch um null Uhr erreicht sie ihren Freund, aber sie weiß, wie sie jetzt vorgehen muss.

Keine halbe Stunde später betritt sie die heruntergekommene Bar in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs, schaut sich vorsichtig in dem Raum um und schenkt dem Barkeeper einen fragenden Blick. Mit seinem Kopf deutet dieser auf eine geschlossene Tür, durch die Nina ohne anzuklopfen hineingeht.

In dem Raum befinden sich vier Männer und eine Frau, die dem Neuankömmling neugierig entgegensehen.

„Was willst du hier?“ Nadia Baran kann die Beamtin nicht ausstehen. Sie weiß, wer Nina ist, auch warum sie so wichtig ist, aber deswegen muss sie die Frau nicht ins Herz schließen. Ihr ist klar, dass diese Polizistin glaubt, Gabriel würde sie wirklich lieben, nur weil er sie ab und zu in sein Bett holt. ‚Wie naiv diese Frau doch ist! Aber immerhin, sie ist äußerst nützlich‘, muss Nadia sich eingestehen. ‚Sobald sie für Gabriel nicht mehr von Nutzen ist, wird er sich ihrer entledigen!‘ Da ist sich Nadia sicher.

„Ich muss unbedingt zu Gabriel“, teilt Nina ihr mit.

„Das geht nicht.“ Wenn die Polizistin Gabriel bisher nicht erreicht hat, will er nicht von ihr gestört werden, daran wird sich auch Nadia halten.

„Es ist wichtig!“ Wütend blitzt Nina Gabriels Mitarbeiterin an. ‚Was bildet sich diese Frau ein? Diese Ziege ist lediglich eine Handlangerin für Gabriel. Aber ich, Nina Birkholz, bin die Frau, die er liebt. Diese Nadia sollte besser aufpassen, wie sie mit mir redet!‘

„Da hast du Pech. Er ist in Thailand. Also, was willst du?“

‚In Thailand? Wieso hat er das nicht erwähnt?‘, fragt sich Nina verwundert. „Ich glaube, meine Leute planen einen Einsatz im Hafen“, gibt sie ihre Information weiter, ohne zu wissen, dass es sich bei den betroffenen Containern nicht um Gabriels Antiquitäten, sondern um die Container von Michail Orlow aus Japan handelt.

„Glaubst du das, oder weißt du es?“, hakt Hannes Wachtl, der Anführer von Gabriels Männern, resolut nach. „Du bist da doch mit von der Partie. Also komm gefälligst mit Fakten rüber.“

„Sie haben bei diesem Einsatz keine Frauen zugelassen. Keine Ahnung, wieso. Aus denen ist nichts herauszukriegen. Ich habe lediglich eine Fahrzeugreservierung gefunden. Für morgens um halb fünf vom Revier zum Hafen.“

Die Männer tauschen alarmierte Blicke, denn auch sie können sich ausrechnen, dass das Interesse der Polizisten auf die ankommende Containerfracht des Kartellchefs gerichtet ist. Sie wissen, was sie zu tun haben.

Nadia erhebt sich. „Du hast uns sehr geholfen. Sieh zu, dass du nach Hause kommst, ohne gesehen zu werden. Wir kümmern uns um alles Weitere. Ich werde Gabriel ausrichten, welch gute Arbeit du leistest.“

Nina lächelt stolz. „Glaubt ihr, das hat etwas mit Gabriels Warenlieferungen zu tun? Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Kollegen einen solchen Aufstand wegen ein paar Möbeln machen, die nicht korrekt am Zoll angemeldet sind.“

„Nein, das denke ich auch nicht.“ Nadia mustert die Polizistin kritisch. ‚Ob sie etwas ahnt? Wohl kaum! Die ist so verliebt in Gabriel, die sieht nur noch rosarote Wolken‘, erkennt sie. „Das hat sicherlich andere Gründe“, beruhigt sie die Polizistin. „Aber es ist gut, dass du uns Bescheid gesagt hast. Wenn du noch etwas herausbekommst, lass es uns wissen, aber achte darauf, dass du nicht auffällst.“

„Ja, mache ich.“ Dem Rat der Stylistin folgend verschwindet Nina, während Hannes sich bereits per Telefon die Instruktionen für ihr Vorgehen vom höchsten Chef persönlich geben lässt.

„Holt die Ware sofort aus dem Container“, befiehlt der Kartellchef alarmiert.

Die Anzeige auf seiner Armbanduhr zeigt Hannes die fortgeschrittene Uhrzeit an. „Zwei Uhr dreißig. Wir brauchen wenigstens eine Stunde für die Vorbereitungen. Außerdem ist es fraglich, ob wir überhaupt risikofrei auf das Frachtschiff gelangen können, wohl eher nicht.“

„Wie wollen Sie dann vorgehen?“

„Das Beste wird sein, wir warten ab, bis die Fracht gelöscht ist. Um drei Uhr beginnen die im Hafen mit dem Löschen der Ladung. Ich schätze, um halb fünf wird es da wieder ruhiger. Das sieht die Polizei anscheinend auch so. Laut unserer Informantin beginnen die um halb fünf mit ihrem Einsatz im Hafen. Nehmen wir eine halbe Stunde für die Vorbereitungen, dann schlagen die um fünf Uhr zu.“

„Da bleibt Ihnen aber nur sehr wenig Zeit.“

„Wir schaffen das. Eine halbe Stunde reicht aus, rein und wieder heraus. Es handelt sich schließlich nur um einen der zwölf Container. Ich habe genügend Leute dafür.“

„Einverstanden. Denkt daran, niemand darf eine Verbindung zu unserer Organisation finden“, bestimmt Michail. „Ihr wisst, wie ihr vorzugehen habt!“

„Ja, Chef. Geht klar.“

In aller Eile wird die Aktion vorbereitet. Elf Männer aus Gabriels Mannschaft unter der Führung von Hannes Wachtl machen sich auf den Weg zum Hafen.

3 20 Fuß = circa 6 Meter

4 SEK = Spezialeinsatzkommando; MEK = mobiles Einsatzkommando

L'affaire de l'amour

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