Читать книгу L'affaire de l'amour - P.R. Mosler - Страница 11

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Leise fährt der schwarze Kastenwagen vom Typ Iveco Daily am Hafen entlang, bis er in einiger Entfernung vom Zollgelände verharrt. Hannes Wachtl steigt aus, während seine Männer im Fahrzeug auf seine Rückmeldung warten. Am Eingang des Frachtgeländes trifft der Anführer der Gruppe auf einen der Arbeiter.

Egon Nehls gehört zur Wachmannschaft des Duisburger Zollgeländes. Das hindert ihn allerdings nicht daran, sich seinen illegalen Nebenverdienst durch Gabriel Kanthak finanzieren zu lassen. Dafür, dass er bei Bedarf schon einmal wegschaut oder das Tor für kurze Zeit öffnet, bekommt er monatlich einen netten Bonus. Vor einer halben Stunde bekam er den Anruf, der dafür sorgte, dass er sich umgehend an dem abgeriegelten Zollgelände einfindet, um den ahnungslosen Kollegen abzulösen. „Lasst mir zehn Minuten, dann ist der Kerl weg“, verspricht er Hannes Wachtl und nimmt das kleine Kommunikationsgerät in Empfang, das ihm sein Gesprächspartner in die Hand drückt.

„Gut, beeil dich.“

Egon wendet sich in Richtung Kontrollraum, wo er den Wachmann von der Nachtschicht vorfindet, der mit müden Augen an seinem Schreibtisch sitzt, die Bildschirme im Blick.

Bei Egons Eintreten hebt der Wachmann den Kopf. „Egon, was machst du denn schon hier?“, verhört er seinen Kollegen.

„Du hältst mich bestimmt für verrückt, aber ich glaube, im Moment ist es an jedem Ort besser als zuhause.“

„Im Ernst? Wie kommst du darauf? Hast du Krach mit deiner Frau?“ Der Kollege grinst schadenfroh. „Musst du etwa in der Hundehütte schlafen?“

„Viel schlimmer. Meine Schwiegermutter ist zu Besuch. Ich habe mich wirklich bemüht, sage ich dir! Aber das halte ich nicht mehr aus. Die Frau schnarcht, dass man es im ganzen Haus hört. Das hält der stärkste Bär nicht aus.“

Sein Kollege lacht schallend auf. „Du tust mir wirklich leid“, fügt er bedauernd hinzu. „Und jetzt willst du hier schlafen?“

„Nein, ich dachte, ich löse dich ab. Wir brauchen doch nicht beide eine schlaflose Nacht haben. Wenn die Mutter meiner Frau weg ist, kannst du dich ja revanchieren.“

„Du löst mich ab? Jetzt schon? Da sage ich nicht ‚Nein‘. Vielen Dank.“ Es dauert nicht lange, da ist der hocherfreute Kollege in seinem Auto um die nächste Ecke verschwunden.

Noch ehe Egon richtig vor den Bildschirmen sitzt, hat er die Handgriffe verrichtet, die jetzt nötig sind. Wenn jemand darauf achten würde, könnte er hören, wie das Schloss am Eingang leise klickt, ehe das Tor ein Stück weit aufspringt.

„Fertig, ihr könnt loslegen. Sagt Bescheid, wenn ihr wieder herauswollt“, gibt Egon über das Kommunikationsgerät an die vor der Tür wartenden Männer weiter.

Der Transporter fährt bis an das Eingangstor heran, wo er abwartend stehenbleibt, während die vollständig schwarz gekleideten Männer aus dem Heck des Fahrzeugs springen. Das Tor hinter sich wieder ins Schloss ziehend schlüpfen die vermummten Gestalten auf das Gelände.

Mittlerweile ist es vier Uhr dreißig.

Hannes schaut sich gründlich um. Seit die Hafenarbeiter mit ihrer Schicht begonnen haben, arbeiten sie an der Löschung der diversen Ladungen, doch hier sind sie fertig, haben das Lager verschlossen und gesichert, weshalb niemand mehr in Sichtweite ist. Selbst wenn weitere Container in das Lager gebracht werden sollten, weiß Hannes, dass die Arbeiter bis dahin eine gewisse Vorlaufzeit benötigen, doch viel Spielraum bleibt ihnen nicht. „Beeilen wir uns!“

Den Standort des Containers, welcher die spezielle Ware von Michail Orlow beherbergt, machten sie schon ausfindig, bevor sie ihre Aktion starteten, sodass sie sich, ohne lange zu suchen, am passenden Lagerplatz einfinden.

Die seetauglichen Container sind praktikabel und platzsparend aufgereiht, jeweils drei Stück nebeneinander, zwei Reihen hintereinander. Die restlichen sechs Container stehen darauf.

„Dort!“ Hannes zeigt auf den Container, um den es ihnen geht.

Ihr Pech ist es, dass er nicht ebenerdig steht, sondern in der oberen Reihe angeordnet ist, doch die Türen sind frei zugänglich.

„Mist! Das hält uns auf. Wir haben höchstens eine halbe Stunde. Legt los!“

Auf einen Wink von ihrem Boss wird ein Gabelstapler mit einer Europalette5 an den Container herangefahren. Er befördert zwei darauf stehende Männer nach oben. Sie brechen das Siegel an dem Schloss auf, um den Container zu öffnen. Nacheinander gelangen sechs von Hannes’ Leuten in den geräumigen Stahlbehälter, wo sie die Kisten und Kartons mit den diversen Handelswaren schnell zur Seite rücken, um an den Mechanismus zum Öffnen des Zwischenbodens zu gelangen. Die achtzehn schlafenden Mädchen, die sie dort finden, werden von den ersten Männern aus ihrem Versteck geholt, an die hinter ihnen stehenden Kumpane weitergereicht und aus dem Container getragen.

Der schwarze Iveco Daily steht abwartend vor dem Tor. Sobald der 140 PS starke Transporter das Zeichen von seinem Anführer bekommt, wird er auf das Gelände fahren, um die Ware in Empfang zu nehmen.

Hannes selbst bringt das neue Siegel an dem Container an. Anschließend überzeugt er sich davon, dass keine Auffälligkeiten darauf hinweisen, dass sich jemand an diesem Container zu schaffen gemacht hat. Wieder bei seinen Männern auf dem Boden stehend will er den Befehl zum Abholen an den Fahrer des Transporters ausgeben, doch dazu kommt es nicht mehr.

Obwohl sie über Funk mit der Einsatzzentrale verbunden sind, in der der Führungsstab bis hin zum Polizeipräsidenten gespannt auf den Ablauf der Operation wartet, hat Bodo Danberg sich entschlossen, den Einsatz vor Ort zu leiten.

Das mobile Einsatzkommando überwacht seit einigen Minuten das Zollgelände, indem sie sich über die installierte Überwachungsanlage des Geländes Sichtkontakt verschaffen. Indessen warten die einsatzbereiten Elite-Polizisten der Spezialeinsatzkommandos an ihren Fahrzeugen auf den Zugriffsbefehl.

Keine fünfhundert Meter entfernt vom Eingang des Zollgeländes trifft das Duisburger Team auf die Mitarbeiter rund um Mark Sievers, welche die Kollegen bereits ungeduldig erwarten.

„Wie sieht es aus?“ Björn Klostermann will umgehend erfahren, was die Überwachung ergeben hat.

„Es ist alles ruhig. Sobald die Kollegen vom MEK das Grundstück abgelichtet haben, werden wir beim Wachpersonal Einlass fordern.“

„Gut.“

Der SEK-Chef tritt mit besorgniserregenden Neuigkeiten auf die beiden leitenden Beamten zu. „Das sollten Sie sich einmal ansehen, meine Herren.“ Mit der Hand weist er ihnen den Weg zum Überwachungstransporter.

Die drei Männer wenden ihre Blicke auf die Überwachungsmonitore, während Bodo Danberg ihnen erläutert, was sie dort zu sehen bekommen: „Auf dem Gelände befinden sich elf vermummte Gestalten, die sicher nicht zum Hafenpersonal gehören. Die Container, an denen sie sich zu schaffen machen, könnten laut Standplatz die Container von unserer Liste sein. Vor dem Eingang wartet ein schwarzer Transporter der Marke Iveco mit laufendem Motor und abgeklebten Kennzeichen.“

„Die Absichten, die dahinterstecken, können wir uns sicher alle denken“, bemerkt Björn Klostermann.

„Richtig“, stimmt Mark zu. „Wie gehen wir jetzt weiter vor?“

Der Chef der Spezialeinheiten gibt die Informationen zu dem bevorstehenden Einsatz weiter: „Einige unserer Männer melden sich beim Wachmann. Sie werden Einlass verlangen und den Mann aus der Schusslinie bringen. Anschließend verteilen sie sich so im Gelände, dass sie alles überblicken können. Es sollte nicht mehr als ein paar Minuten dauern, bis wir diese Kerle festsetzen können. Schade nur, dass wir nicht zehn Minuten früher hier waren, dann hätten wir jetzt ein paar Scharfschützen oben auf den Containern. Es geht aber auch so. Immerhin wissen die nichts von uns.“

Bodo Danberg wird noch feststellen, wie sehr er sich mit dieser Annahme irrt.

Zufrieden mit dem Einsatzplan nickt der Duisburger Hauptkommissar ihm zu. „Was ist mit uns? Welche Aufgaben haben Sie für uns geplant?“

„Halten Sie sich so lange zurück, bis wir das Gelände gesichert und diese Kerle in Gewahrsam genommen haben. Sobald die Container gefahrlos betreten werden können, rufen wir Sie hinzu.“

Niemandem aus den Reihen der Kriminalpolizei behagt es, tatenlos abzuwarten, doch sie wissen, dass die jetzt notwendigen Handlungen in das Aufgabengebiet der Spezialisten gehören. Die leitenden Kommissare begeben sich zu ihren Leuten, um auch diese zu informieren.

„Geht es jetzt los?“, erkundigt sich Markus Goldschmidt.

„Ja. Aber wir müssen uns noch eine Weile bedeckt halten.“

„Wieso? Was ist passiert?“ Emma begreift sofort, dass da etwas nicht nach Plan läuft.

„Uns sind ein paar Typen zuvorgekommen, die sich gerade an den Containern zu schaffen machen.“

„Die Einsatztruppen bereiten sich soeben darauf vor, das Gelände einzunehmen“, ergänzt Björn Klostermann die Antwort seines Düsseldorfer Kollegen. „Vorher holen sie den Wachmann da heraus.“

Emmas Nackenhaare stellen sich auf. ‚Da stimmt doch etwas nicht. Verdammt, ich habe es gewusst!‘, ärgert sie sich über ihre Achtlosigkeit. „Wie sind die Kerle auf das Gelände gekommen? Warum hat der Wachmann nicht Alarm geschlagen?“

„Was meinen Sie?“ Björn Klostermann kann der Polizistin nicht folgen.

„Die sind, ohne den Alarm auszulösen, auf das Grundstück gelangt. Außerdem sind sie während ihrer Handlungen da drinnen gut sichtbar. Der Wachmann kann sie gar nicht übersehen.“ ‚Natürlich! Wie dumm von uns!‘, begreift sie plötzlich. „Verdammt! Wie konnten wir das übersehen? Er gehört dazu! Sie dürfen ihn nicht behelligen, sonst warnt er diese Typen.“ Sie wirbelt auf dem Absatz herum und stürmt im Eilverfahren in die Überwachungszentrale des mobilen Einsatzkommandos, ohne sich aufhalten zu lassen.

„Was haben Sie hier zu suchen?“, schnauzt der SEK-Chef verärgert. „Bleiben Sie bei Ihren Leuten.“

Emma lässt sich durch seine burschikose Art nicht abschrecken. „Stoppen Sie Ihre Einheiten! Sofort!“, verlangt sie. „Der Wachmann gehört dazu.“

„WAS? Was sagen Sie da? Wie kommen Sie darauf?“

„Wie sind die Kerle auf das Gelände gekommen, ohne gesehen zu werden? Es ist alles kameraüberwacht. Der Wachmann müsste schon sehr fest geschlafen haben, um alle Signale zu überhören. Warum hat er keinen Alarm ausgelöst? Er gehört dazu!“

Bodo Danberg starrt sie einen Moment an. „Rufen Sie unsere Leute zurück!“, fordert er seinen Mann am Mikrofon auf.

„Zu spät, Chef“, berichtet dieser. „Unsere Leute sind schon im Überwachungsraum.“

Derweil sitzt Egon Nehls gelangweilt vor seinen Bildschirmen, wo er auf das Signal von Hannes Wachtl wartet, um dem Transporter die Zufahrt freizugeben. An seinen Monitoren kann er das ganze Gelände überwachen, auch der Transporter ist gut sichtbar. Er setzt sich ruckartig auf und seine Müdigkeit ist gänzlich verschwunden, als er sieht, wie sich die vermummten Gestalten im Schatten der umliegenden Gebäude, ungesehen von dem Fahrer, an den Iveco heranschleichen.

Egon braucht nur einen kurzen Augenblick, um zu begreifen, was vor sich geht. „Achtung! Wir kriegen Besuch. Der Transporter muss sofort verschwinden.“

Kaum dass er ausgesprochen hat, startet der Fahrer seinen Wagen, um mit quietschenden Reifen davonzurasen. „Gerade noch rechtzeitig“, stößt er aus, als auch er die Angreifer hinter sich im Seitenspiegel erblickt.

Die Einsatzkräfte, die nicht davon ausgehen, dass der Fahrer gewarnt wurde, berichten ihrem Vorgesetzten, dass der Mann ihre Annäherung bemerkt hat und entkommen konnte.

Parallel dazu melden sich einige der Elite-Polizisten über die Sprechanlage bei dem Wachmann, der ihnen ohne Verzögerung das Tor öffnet. Sofort stürmen zwei der vermummten Männer zu ihm herein. „Würden Sie uns bitte folgen? Sie müssen dieses Grundstück sofort verlassen! Zu Ihrer eigenen Sicherheit.“

„Wieso, was ist denn los?“ Egon mimt den Ängstlichen. „Ich habe nichts auf meinen Monitoren gesehen. Wenn es Probleme gäbe, wäre mir das doch aufgefallen.“

„Das können Sie mit unserem Vorgesetzten klären. Jetzt müssen Sie uns bitte folgen.“

„Natürlich.“ Egon greift nach seiner Jacke, die über der Stuhllehne hängt. Bevor er sich seinen Aufpassern wieder zuwendet, zieht er das Kommunikationsgerät aus dem Ohr. „Ich bin so weit.“ Er folgt den Einsatzkräften zur Tür.

Hannes Wachtl reagiert schon bei der ersten Meldung von Egon Nehls. Er weiß, dass sie keine Chance haben, mit ihrer Last das Gelände zu verlassen, doch sie alle wissen, was sie in einer solchen Situation zu erledigen haben.

„Los, schnappt euch die Mädchen. Wir packen sie in unseren Reservecontainer.“

Sie brauchen nicht lange, um den leeren 20-Fuß-Container der Baran Handelsgesellschaft zu finden, dessen Standplatz sie sich vor Einsatzbeginn eingeprägt haben. Die Firma ist auf den Mann von Nadia Baran zugelassen, der ganz legal mit leeren Seefrachtcontainern handelt. Bei jeder Lieferung, die Michail Orlow per Seefracht aus Amsterdam bekommt, befindet sich mindestens ein leerer Container der Handelsgesellschaft mit an Bord, offiziell erworben und überführt.

Im Handumdrehen ist das Schloss an dem passenden Container geknackt, der zum Glück für die Mädchenhändler ebenerdig platziert ist. Sie brauchen keine drei Minuten, um die Frauen in den Stahlbehälter zu verfrachten, trotzdem wird ihnen die Zeit zum Verhängnis, da sich ihnen mittlerweile die Einsatzkräfte von beiden Seiten nähern.

„Macht voran!“, ruft Hannes seinen Männern in dem Container zu.

Seine Sorge ist unbegründet, da ihm diese bereits entgegeneilen.

„Fertig? Habt ihr euch um alle Frauen gekümmert?“ Auf das allgemeine Nicken hin teilt er sie ein. „Ihr drei geht nach oben. Seht zu, dass ihr die Typen sauber vor die Flinte kriegt. Ihr zwei geht mit mir“, fordert er die nächsten beiden auf. „Wir suchen schleunigst einen anderen Fluchtweg hier heraus. Ihr anderen haltet uns den Quergang frei. So können wir uns in beide Richtungen zurückziehen.“ Umgehend kommen seine Handlanger den Anweisungen ihres Anführers nach.

Derweil starren die Einsatzkräfte in dem Überwachungswagen, einem VW T5 Kastenwagen mit Tarnkennzeichen, auf die Bildschirme, um zu sehen was passiert. Egon Nehls folgt den beiden Spezialisten freundlich lächelnd aus dem Überwachungsraum nach draußen. Dabei lässt er sein Kommunikationsgerät unbemerkt von den Polizisten in die Ecke hinter dem Garderobenständer fallen, doch die Zuschauer vor den Überwachungsmonitoren können seine Handlungen gut beobachten.

„Da.“ Emma weist mit dem Finger auf den Bildschirm. „Haben Sie das gesehen?“

„Ja“, nickt Bodo Danberg. „Sie sollen den Kerl festsetzen!“, kommandiert er.

Seine Männer kommen dem Befehl unverzüglich nach.

„Lassen Sie den Transporter verfolgen“, bittet Emma den Einsatzleiter.

„Wozu? Der ist doch längst über alle Berge.“

„Das denke ich eher nicht. Glauben Sie wirklich, der lässt seine Leute hier zurück, ohne zu wissen, was vor sich geht? Er wird in gebührendem Sicherheitsabstand anhalten und auf eine Rückmeldung warten. Wollen wir wetten?“

Bodo Danberg mustert die Polizistin kritisch. ‚Sie hat die ganze Zeit mit ihren Einschätzungen richtig gelegen‘, gibt er vor sich selbst zu. ‚Auch jetzt könnte sie durchaus Recht haben.‘ Er verlässt das Überwachungsfahrzeug, um sich an den Duisburger Leiter zu wenden: „Wählen Sie ein paar Ihrer Männer aus. Sie sollen nach dem Transporter suchen. Wenn sie den Fahrer gefahrlos festnehmen können, sollen sie es tun.“

„Ja, in Ordnung.“ Björn Klostermann schickt drei seiner Mitarbeiter unter der Leitung von Hauptkommissar Ludwig Prager auf die Suche.

Wieder zurück wendet sich der Einsatzleiter an den Mann vor dem Überwachungsmonitor. „Wo sind die anderen Kerle? Was machen die jetzt?“ Er verzichtet darauf, die Hauptkommissarin ihres Platzes zu verweisen, sondern betrachtet mit den anderen zusammen aufmerksam die Bilder auf den Monitoren.

Die Mitglieder des SEK sind durchtrainiert wie Zehnkämpfer. Sie kennen sich mit modernsten Waffen und Sprengstoffen aus. Zudem sind sie körperlich in Hochform. Sie alle haben eine zehnmonatige Spezialausbildung hinter sich, die ihnen die besondere Verwendung in dieser Einsatzeinheit verleiht. Keiner von ihnen ist zu erkennen, Namen und Gesichter sind geheim. Sie alle sind vermummt, ausgerüstet mit beschusshemmenden Westen mit Stichschutz, einer Sturmhaube und einem ballistischen Helm. Bewaffnet sind sie mit Pistolen, teilweise mit Maschinenpistolen. Die dafür ausgebildeten Männer führen ihre Scharfschützengewehre mit sich. Keiner von ihnen wird seinen Kollegen mit seinem richtigen Namen ansprechen. Alle haben Tarnnamen, um während des Einsatzes dem Feind gegenüber unerkannt zu bleiben. Jeder von ihnen kennt seine Aufgabe.

Die beiden Truppenführer dringen mit ihren Männern lautlos auf das Grundstück vor, um sich strategisch so zu verteilen, dass sie ihre Zielpersonen möglichst gefahrlos ergreifen können.

Allerdings verhalten sich ihre Zielobjekte nicht wie gedacht. Noch bevor die Spezialisten zum Angriff übergehen können, werden sie von den drei Schützen auf den Containern unter Beschuss genommen, sodass ihnen nichts anderes übrigbleibt, als schnellstens in Deckung zu gehen.

„Mist“, flucht Stefan. „Die wurden definitiv gewarnt.“

„Wir nehmen sie in die Zange“, entscheidet Simon Berg, der erste Truppenführer.

Beiden ist klar, dass sie die Verbrecher umgehend aus ihren Verstecken herauslocken müssen, da diese definitiv im Vorteil sind. Ein einziges Handzeichen reicht aus, damit seine Truppenmitglieder ihrem Anführer folgen, um die Container zu umgehen und den Schützen in den Rücken zu fallen. In der Zwischenzeit informiert Stefan seinen Vorgesetzten über ihre Handlungen. Als hinter dem Container die ersten Schüsse fallen, gibt auch Stefan seinen Leuten mit einem Handzeichen den Befehl zum Vorrücken.

„Ein Mann verletzt“, ertönt die kurze Information eines Elite-Polizisten aus Simon Bergs Truppe.

„Mann angeschossen“, meldet ein zweiter.

Sofort stoppt Stefan, der sicher ist, dass sein Kollege genauso reagiert, das Vorrücken seiner Männer. Die Meldung der beiden Spezialisten beweist ihnen, dass die beschusshemmenden Westen nicht ausreichen, um die Munition der Schützen aufzuhalten.

Der Truppenführer lässt seinen Blick über das Gelände wandern. Die Schützen liegen auf den ersten beiden übereinanderstehenden Containern. Insgesamt befinden sich drei Reihen mit je zwei Containern vor ihnen, dahinter ist ein Durchgang von etwa zwei Metern Breite. Dort haben sich anscheinend zu beiden Seiten des Ganges die restlichen Schützen versteckt, die gut gesichert nur abzuwarten brauchen, bis sich ein Gegner blicken lässt. ‚Unsere Scharfschützen haben keine Chance, an die Kerle heranzukommen‘, begreift Stefan. ‚Solange wir kein sauberes Ziel haben, können wir denen nicht schaden und unsere Rückzugsmöglichkeiten sind alles andere als gut, da die Kerle auf dem Dach des Containers das Gelände bis zum Eingang hin problemlos unter Beschuss nehmen können, womit jeder von uns, der versucht nach draußen zu gelangen, ein hervorragendes Ziel für die Kugeln dieser Typen bietet. Das müssen wir unbedingt ändern.‘ Auf der anderen Seite des Ganges, in dem sich einige der Schmuggler verschanzt haben, stehen weitere 20-Fuß-Container ebenfalls übereinander aufgereiht, immer drei Stück übereinander, mehrere Reihen hintereinander. Im Anschluss gliedern sich die zu vier Stück gestapelten 40-Fuß-Container an. ‚Wir bräuchten nur einen einzigen Schützen dort oben, dann hätten diese Kerle keine Chance‘, überlegt Stefan. ‚Aber wie kriegen wir das hin? Kann ich einen meiner Leute da hinaufbekommen? Wohl kaum. Wir alle stehen hier wie auf dem Präsentierteller. Nein, das müssen wir anders machen!‘ Als der Kran, der am Ende der Containerreihe vor sich hin ruht, in sein Blickfeld kommt, fällt ihm schlagartig ein, wie sie ihre Situation verbessern können.

„Bleibt alle in Deckung!“, gibt er seinen Befehl über das Kommunikationsgerät aus, damit auch die Truppe von Simon Berg seine Anweisung hören kann. „Chef, wir brauchen hier ein wenig Hilfe“, verlangt er von seinem Vorgesetzten.

„Sie wissen sicher auch schon, wie die aussehen soll?“, verhört ihn der SEK-Chef.

„Natürlich. Warum immer so pessimistisch?“, flachst Stefan trotz der Gefahr, in der sie sich befinden. „Ein einziger Scharfschütze auf den erhöhten Containern kann uns den Weg bequem frei räumen.“

„Woher soll ich denn so schnell einen Scharfschützen nehmen?“, erkundigt sich der Einsatzleiter, dem genau wie allen anderen klar ist, dass er keinen seiner Männer gefahrlos abziehen kann. „Die stehen alle neben Ihnen.“

„Bis auf einen.“

„Wer?“, erkundigt sich Bodo Danberg erstaunt. Seine Einheiten stehen komplett verteilt auf dem Gelände. ‚Wen kann mein Truppenführer denn da meinen? Es sind doch nur noch das Team vom LKA Düsseldorf und das Team aus Duisburg hier.‘

„Emma Wolf.“

Mit dieser Antwort hätte Bodo Danberg nie im Leben gerechnet, sodass sein Kopf ruckartig zu der Polizistin herumfährt. „Sie sind an der Waffe ausgebildet?“, fragt er mit ungläubig aufgerissenen Augen.

„Ja, bin ich“, teilt Emma ihm kurz mit. „Ich brauche ein Gewehr.“

„Kommen Sie mit.“ Der Einsatzleiter verlässt den Überwachungswagen, um mit weit ausholenden Schritten das Transportfahrzeug der Spezialeinheit zu erreichen. Allerdings steigt sein Frust, als er beim Öffnen der Hecktüren die leeren Halterungen erblickt. Nur ein Gewehr befindet sich noch in seiner Vorrichtung. „Alle Einsatzkräfte führen ihre Waffe mit sich“, teilt er der Beamtin mit. „Das ist alles, womit ich dienen kann.“

Emma erkennt das PSG-1 von Heckler & Koch mit 10 x 42-Zielfernrohr der Marke Schmidt & Bender sofort. „Das ist Stefans Ersatzwaffe, damit kenne ich mich aus“, versichert sie dem leitenden Beamten, während sie das Gewehr an sich nimmt und die Funktionstauglichkeit überprüft. Die Munition besteht aus Weichkerngeschossen vom Kaliber 7,62 × 51 mm NATO, wovon sie ausreichend Nachschub einsteckt.

Anerkennend schaut ihr der SEK-Chef bei ihrer Tätigkeit zu. Langsam wird ihm klar, dass diese junge Frau nicht einfach nur eine gute Polizistin ist. ‚Stefan Wolf wird mir nach diesem Einsatz so einiges zu erzählen haben‘, schwört er sich und drückt Emma ein Kommunikationsgerät in die Hand.

Sie befestigt Sender und Empfänger, dann schnappt sie sich einen der beiden Helme, die noch im Fahrzeug liegen, um ihn aufzusetzen, allerdings ist er etwas zu groß. Das Nato-grüne Tuch, das vor ihrer Nase liegt, ist genau richtig. Sie wickelt es um ihre Haare, die Enden steckt sie unter den Helm. Jetzt sitzt er richtig! Ihre beschusshemmende Weste trägt sie bereits unter ihrer Jacke.

„Wie wollen Sie vorgehen?“ Er ist immer noch der Leiter dieser Operation, dazu gehören genauso ihre Handlungen.

Auch sie erblickt beim Umschauen den Kran. ‚Das würde am schnellsten gehen‘, überlegt sie. „Ich brauche den Mann, der den Kran bedient.“

Durch die Schüsse angelockt sind einige der Hafenarbeiter auf das Zollgelände zugelaufen, werden aber umgehend von den Duisburger und Düsseldorfer Polizisten aufgehalten. Selbst die diensthabenden Zöllner, die den Lärm wahrnehmen konnten, erscheinen vor der Absperrung, werden aber genauso wie die Hafenarbeiter zurückgehalten.

„Wer von Ihnen ist für die Bedienung des Krans zuständig?“, verlangt Bodo Danberg resolut eine Antwort.

„Ich habe einen Schlüssel“, meldet sich einer der Arbeiter. „Aber ich habe keine Zugangsberechtigung für das Grundstück. Da komme ich nur hinein, wenn ich am Tor eingelassen werde.“

„Geben Sie mir den Schlüssel“, beharrt Emma mit ausgestreckter Hand. „Kann einer von Ihnen mit einem Kran umgehen?“, fragt sie in die Runde der Kollegen.

„Ja, ich.“ Markus Goldschmidt tritt vor.

Auf ihren fragenden Blick hin gibt sich Bodo Danberg geschlagen. „In Ordnung. Helfen Sie unseren Einheiten da hinaus!“

Ohne weiteren Kommentar laufen die beiden Beamten los.

Markus lässt seine Augen an dem Kran hinaufwandern. „Wie willst du vorgehen?“

„Zuerst müssen wir über den Zaun. Du kletterst in das Führerhaus des Krans. Senk den Lasthaken ab. Damit transportierst du mich auf den ersten Container. Ich hoffe, du kannst wirklich mit dem Ding da umgehen. Das muss nämlich sehr schnell gehen, bevor die Kerle Zeit finden, mich als Tontaube zu benutzen.“

„Das ist mir klar.“

„Dann los.“ Emma steigt in den Dienstwagen, mit dem sie hergekommen sind, und fährt ihn mit der rechten Seite ganz an den Zaun heran. Vom Dach des Wagens aus ist es kein Problem, den Zaun zu überwinden. Geduckt laufen sie zum Kran, dessen Leiter Markus in aller Eile erklimmt. Bis er das Führerhaus erreicht, hat Emma die Waffe und die Munition so gesichert, dass sie beides auf ihrem Weg durch die Luft nicht verliert.

Mit einem leisen Summen erwacht der Kran zum Leben.

Über das Kommunikationsgerät erreicht sie direkt ihren Bruder. „Fuchs“, spricht sie Stefan mit seinem Tarnnamen an. „Wir brauchen ein bisschen Ablenkung.“

„Sofort!“ Auf den Befehl ihres Truppenführers hin beginnen die Einsatzkräfte ihre Zielobjekte unter Beschuss zu nehmen. Bei dem Krach können die Männer von Hannes Wachtl den Motor des Krans nicht hören und sind obendrein für eine Weile von den Geschehnissen in ihrem Rücken abgelenkt.

Der Lasthaken schwenkt auf Emma zu, die nach der Kette greift. Sie stellt einen Fuß in den Haken, mit dem anderen balanciert sie ihr Gleichgewicht aus, während sie schwungvoll nach oben gezogen wird. Gleichzeitig wendet sich der Kranausleger zur Seite.

‚Markus hat nicht zu viel versprochen‘, erkennt Emma. ‚Er kann sehr gut mit dem riesigen Ungetüm umgehen.‘ Punktgenau landet Emma auf dem Container, ohne dass eine der Zielpersonen etwas mitbekommen hätte. Um eine gute Schussposition in alle Richtungen zu erhalten, entscheidet sie sich gegen eine liegende Stellung, sondern stützt sich lediglich auf einem Knie ab, das andere Bein angewinkelt nach vorn gestellt. Durch ihre geduckte Körperhaltung ist sie zudem weitgehend vor den Kugeln ihrer Gegner geschützt. Sorgfältig visiert sie ihr erstes Ziel an, ehe sie abdrückt.

Tödlich getroffen bricht der Mann auf dem Container zusammen.

Noch bevor seine beiden Kumpane begreifen, was da passiert, wird auch der zweite Mann durch eine Kugel aus Emmas Waffe niedergestreckt.

Der dritte Mann springt auf, reißt seine Maschinenpistole herum, die er auf Emma anlegt, um sie an weiteren Schüssen gegen ihn und seine Kumpane zu hindern, doch weiter kommt er nicht.

„Flamme, Achtung!“

Von Stefans Kugel getroffen stürzt der Mann mit einem Aufschrei vom Container.

„Vorrücken!“, tönt der Befehl von Bodo Danberg durch die Kommunikationsgeräte, da der Weg für die Spezialeinsatzkräfte jetzt nicht mehr behindert wird.

Zwar stehen auf jeder Seite des Ganges zwei ihrer Gegner, aber dem Ansturm durch die Elite-Polizisten können sie nicht lange standhalten, sodass sie sich in den schützenden Gang zurückziehen. Von allen Seiten eingekesselt geben sie ihren Widerstand bald auf.

„Es fehlen noch drei von den Kerlen“, stellt Stefan beim Umschauen fest.

„Ausschwärmen!“, kommandiert der zweite Truppenführer. „Je fünf Mann! Sucht alles gründlich ab.“

Hannes Wachtl ist klar, wie dieser Kampf ausgehen wird, da sie dem Einsatzkommando nicht mehr allzu viel entgegenzusetzen haben. Seine Gedanken sind nur noch mit seiner Flucht beschäftigt.

„Los, kommt mit!“, befiehlt er seinen beiden Gefährten.

Sie umgehen die aufgestapelten Container bis ans äußerste Ende, doch auch hier finden sie keinen Ausgang. Der hohe Zaun läuft ohne Lücke um das gesamte Areal herum. ‚So ohne weiteres kommen wir da nicht hinüber‘, begreift Hannes. Er hört die Schüsse hinter sich, die Schreie seiner getroffenen Männer. ‚Was soll ich tun? Es wird nicht lange dauern, bis die Polizisten auf uns drei aufmerksam werden.‘

Im gleichen Moment erblickt er Markus Goldschmidt, der von dem Kran herunterklettert. Mit zwei Schritten ist er hinter dem Beamten, dem er seine Waffe an den Hals drückt. „Besser, du machst keine hastige Bewegung“, empfiehlt er Markus drohend. „Waffe weg!“

Mit der linken Hand zieht der Hauptkommissar vorsichtig seine Dienstwaffe hervor, die er wütend über sein Missgeschick von sich wirft, damit sie erst in einiger Entfernung des Mannes auf dem Boden landet. „Sie kommen hier nicht weg. Geben Sie auf.“

„Überlassen Sie das ruhig mir. Den Schlüssel“, verlangt Hannes, drückt diesen aber direkt einem seiner Männer in die Hand. „Klettere da hinauf. Wir brauchen den Lasthaken. Damit reißen wir den Zaun ein. Unser Fluchtfahrzeug steht bereits auf der anderen Seite.“ Mit der Hand weist er auf den VW Passat Kombi der Düsseldorfer Polizisten, den Emma vorhin am Zaun abgestellt hat.

Sein Handlanger kommt dem Befehl eilends nach.

Markus hofft vergebens darauf, dass sich der Kerl in dem Führerhaus des Krans nicht zurechtfindet. Es dauert zwar eine kleine Weile, aber dann hat der Mann den Dreh heraus. Der Lasthaken reißt den Zaun ein, der auf einer Länge von circa vier Metern umstürzt.

„Gehen wir.“ Hannes schubst den Polizisten vor sich her. „Du fährst! Los!“

Markus bleibt neben der Fahrertür stehen, greift nach dem Türgriff, nur um sich beim Aufblicken das Grinsen zu verkneifen. „Abgeschlossen. Ich habe keinen Schlüssel. Das ist der Wagen meiner Kollegin.“

Hannes schiebt seinen Gefangenen zur Seite. „Mach du das“, fordert er seinen Kumpan auf.

Der schlägt mit dem Knauf der Pistole das Fenster ein, um anschließend das Fahrzeug zu öffnen, ungeachtet dessen, dass die Alarmanlage losgeht. Die kurze Zeit, die sie brauchen, um den Wagen startklar zu machen, reicht den umstehenden Polizisten auf keinen Fall für einen Zugriff aus.

„Na bitte, geht doch“, nickt Hannes zufrieden.

Bevor sie in das Fahrzeug einsteigen, geschweige denn es für die Fahrt kurzschließen können, fällt der erste Schuss.

Emma, die von oben den Weg der Einsatzkräfte sichert, hört das Bersten der Scheibe, wirbelt herum noch ehe die Alarmanlage einen ersten Ton von sich gibt und erkennt sogleich, in welcher Gefahr sich Markus Goldschmidt befindet. Ihr ist klar, dass sie die Männer schleunigst ausschalten muss, wobei ihr nicht viel Zeit zum Zielen bleibt. Ohne zu zögern nimmt sie den ersten Mann ins Visier, dann drückt sie ab.

Mit einem Aufschrei stürzt Hannes’ Helfer vom Kran herunter.

Entsetzt sehen seine beiden Kumpane auf den abstürzenden Mann, bis er auf dem Boden aufschlägt, wo er mit weit aufgerissenen Augen in ihre Richtung starrt. Ihre Verblüffung sorgt dafür, dass sie ihren Gefangenen nicht im Auge behalten und auch ihre Pistolen nicht auf ihn ausgerichtet bleiben. Das Verhalten macht sich Emma zu Nutze, indem sie mit einem weiteren Schuss den Mann an der Fahrertür ausschaltet. Durch den Aufprall der Kugel wird dieser zurückgeschleudert, knallt mit dem Rücken gegen den Wagen, von wo aus er langsam abwärts rutscht, bis er auf dem Boden aufschlägt, doch das bekommt er nicht mehr mit.

Hannes starrt für einen Moment mit großen Augen auf seine Handlanger, dann zieht er seinen Gefangenen fest vor sich, ohne die Pistole von dessen Hals zu lösen. ‚So kann der Schütze mir nichts anhaben‘, denkt er. ‚Ich komme garantiert heil hier weg!‘ Allerdings hat er nicht mit Emmas herausragender Treffsicherheit gerechnet.

Sie weiß genau, wie sie schießen muss. Die einzige Angriffsfläche ist die Pistole neben dem Hals ihres Kollegen. ‚Der Schuss muss sitzen‘, macht sie sich klar. ‚Nur fünf Zentimeter zu weit nach rechts, dann ist Florians Bruder tot.‘ Sie visiert ihr Ziel genau an, lässt sich die Zeit, die sie braucht. „Bitte, halt still“, flüstert sie vor sich hin.

Markus erinnert sich an die Worte seines Bruders, an dessen Augen, als er ihm im Brustton der Überzeugung von Emma Wolf berichtete. Der Hauptkommissar ist überzeugt davon, dass diese Frau es schafft, die Situation zu ihren Gunsten zu entscheiden. Ruhig wartet er ihre Reaktion ab, bis der Schuss fällt.

„Ahh!“ Mit einem Aufschrei lässt Hannes die Waffe fallen, die seine zerschossene Hand nicht halten kann.

Markus wirbelt herum, wobei er seinem Gegner einen gewaltigen Schlag verpasst, in dem seine ganze Wut steckt.

Hannes verdreht die Augen und stürzt bewusstlos zu Boden.

„Ja!“ Emma springt auf. „Guter Schlag!“, ruft sie laut.

Markus, der das Lob der Kollegin hören kann, wagt erst jetzt aufzuatmen. Ohne sie würde er wahrscheinlich nicht mehr leben. „Flo hat Recht, die Frau ist spitze!“, murmelt er.

Mit Hilfe der herbeieilenden Kollegen legt er Hannes Handschellen an.

Der schwarze Iveco Daily, hinter dessen Steuer Ludwig Prager zu erkennen ist, erscheint auf dem Gelände, rollt langsam auf die Sammelstelle der Einsatzkräfte zu und hält dort an, bevor die vier Kollegen aussteigen.

„Das Fahrzeug stand verlassen in einer Parkbucht ganz in der Nähe. Der Schlüssel steckte noch. Anscheinend hatte da jemand vor, möglichst schnell zu verschwinden“, berichtet der Hauptkommissar.

Die Aufräumaktionen sind in vollem Gang. Gemeinsam mit den vor Ort befindlichen Mitarbeitern der Zollbehörde sehen sie sich die Container an.

„Nicht ein einziges Siegel der gelisteten Container ist beschädigt“, berichtet Bodo Danberg den leitenden Beamten. „Es ist nicht zu erkennen, ob sich jemand Zutritt zu den Containern von Michail Orlow verschafft hat.“

„Hier drüben“, ruft plötzlich der kontrollierende Zollobersekretär, der sich bei einem Rundgang einen ersten Überblick verschaffen wollte und nun vor dem Leercontainer von Tymon Baran steht.

Die Baran Container Handels GmbH vermietet, kauft und verkauft Leercontainer für jeden Bedarf, aber das Hauptgeschäft sind die Behälter für die See- und Luftfracht.

Die Duisburger und Düsseldorfer Polizisten folgen dem Ruf des Angestellten der Zollbehörde, der bereits die Hand ausstreckt, um die Tür des Stahlbehälters zu öffnen.

„Das Siegel ist beschädigt. Die Tür steht ein paar Zentimeter offen. So haben die Hafenarbeiter den Container bestimmt nicht hier abgeladen“, versichert der Zöllner. „Daran hat sich definitiv jemand zu schaffen gemacht.“

Bodo Danberg hält den Mann zurück: „Lassen Sie uns das machen!“

Es bedarf nur eines Winks, damit seine Männer das Gelände rund um den betroffenen Behälter sichern, erst danach öffnen sie den Container, damit die ersten Spezialeinsatzkräfte vorsichtig das Innere betreten können.

Konzentriert warten ihre Kollegen vor dem Container auf die Rückmeldung der Elite-Polizisten. Als einer der Männer mit gesenkter Waffe am Eingang erscheint, entspannen sie sich. Die Lage scheint ungefährlich.

„Das sollten Sie sich ansehen“, teilt der Mann seinem Vorgesetzten mit.

Mit Mark Sievers und Björn Klostermann im Schlepptau folgt Bodo Danberg ihm in das Innere des Containers.

Stefan gesellt sich zu seiner abwartenden Schwester. „Du hast da oben super reagiert.“

„Ich hatte Hilfe“, bemerkt sie knapp. „Was habt ihr in dem Container gefunden?“, will sie neugierig wissen.

„Tote Mädchen. Viele!“

„Wie bitte?“ Emma reißt erschrocken die Augen auf.

„Insgesamt achtzehn, alle asiatischer Herkunft. Höchstens zwanzig Jahre würde ich sagen.“

„Wie sind sie gestorben?“

„Keine Ahnung. Das müssen uns die Gerichtsmediziner sagen. Es gibt keine Anzeichen auf Verletzungen.“ Der Hauptkommissar mustert seine Schwester, die er gut genug kennt, um ihr anzusehen, dass ihre Gehirnzellen auf Hochtouren arbeiten. „Was geht dir durch den Kopf?“

Emma betrachtet den Container, dann das Gelände. In Gedanken geht sie die Schritte dieser Männer durch.

Der SEK-Chef und die beiden leitenden Beamten gesellen sich in dem Moment zu ihnen, als die Geschwister ihre Unterhaltung beginnen.

„Überleg einmal. Diese Typen werden gewarnt. Sie wollen um jeden Preis ihre Ware vor uns verbergen. Also bereiten sie alles dafür vor, die Mädchen aus dem Zollgelände herauszuholen.“

„Richtig“, stimmt Stefan seiner Schwester zu. „Allerdings müssen sie damit warten, bis die Fracht vom Schiff abgeladen ist. Erst wenn es im Zollgelände ruhiger wird, können sie loslegen.“

„Das sehe ich genauso“, bestätigt Emma. „Ich schätze, die hatten höchstens eine halbe Stunde Vorsprung vor uns.“

„Wenn überhaupt. Hinzu kommt, dass meine Männer den Transporter verjagt haben, bevor sie die Mädchen einladen konnten.“

„Genau. Damit fingen die Probleme an. Mit ihrer Last konnten sie unmöglich fliehen. Also, wohin mit den Frauen?“

„Du hast Recht“, pflichtet Stefan ihr bei. „Der leere Container bot sich regelrecht an. Allerdings habe ich keine Ahnung, woher die wussten, wieso gerade dieser Container leer war. Das müssen wir unbedingt überprüfen. An einen Zufall glaube ich nämlich nicht.“

„Nein, ich auch nicht. Auf jeden Fall packen sie die Frauen dort hinein. Keine von ihnen darf gegen ihre Entführer aussagen. Erschießen geht nicht. Die Schüsse hätten unsere Leute direkt auf sie aufmerksam gemacht. Das musste möglichst leise vor sich gehen. Und schnell.“

Stefan nickt. „Die waren für den Ernstfall vorbereitet.“

„Ja. Ich tippe auf Gift. Bei der richtigen Menge ist eine Injektion ausreichend, um sofort zu wirken.“

„Damit liegst du bestimmt nicht falsch. Jetzt brauchen die Typen keine Rücksicht mehr zu nehmen und können schnellstens verschwinden.“

„Wäre ihnen ja auch fast gelungen“, ergänzt Emma.

Die Ermittler sind beeindruckt, wie schlüssig diese beiden Beamten den Tathergang nachvollziehen.

Björn Klostermann starrt die Hauptkommissare fassungslos an. „Sie glauben, die wurden vor uns gewarnt? Haben Sie auch schon eine Ahnung, wer das gewesen sein sollte? Von meinen Männern war das garantiert keiner!“

Emmas Blick gleitet nachdenklich über die anwesenden Kollegen. „Nein, das war keiner der hier Anwesenden.“

„Das können wir erst klären, wenn wir in Ihrem Präsidium sind“, vervollständigt Stefan die Gedanken seiner Schwester.

„Dann lassen Sie uns schnellstens hier aufräumen.“

Nur der Fahrer des Iveco konnte den Einsatzkräften, die an der Aktion im Hafen teilnahmen, zu Beginn des Einsatzes entkommen. Nachdem er, seiner Meinung nach, eine ausreichende Strecke zurückgelegt hat, hält er am Straßenrand ordnungsgemäß in einer Parklücke an. Er verlässt den Wagen, ohne ihn zu verriegeln, da einer seiner Kumpane während seiner Abwesenheit Zutritt benötigen könnte, dann läuft er eilends zum Zollgelände zurück, wo er sich nach einem Platz umschaut, von dem aus er so viel wie möglich beobachten kann, ohne gesehen zu werden.

Auf dem Weg dorthin bemerkt er die Hafenarbeiter, die von den Polizisten auf Abstand gehalten werden. ‚Das ist absolut perfekt‘, grinst er, die Polizisten vor dem Zollgelände weiträumig umgehend. Dabei läuft er an einem Gabelstapler vorbei, der nicht nur verlassen vor ihm steht, sondern auf dessen Sitz er zudem einen Schutzhelm findet und die Sicherheitsweste hängt über der Lehne. ‚Genau, was ich jetzt brauche‘, freut er sich.

Mit Helm und Weste bekleidet gesellt er sich zu den Arbeitern, von wo aus er einen Teil der Abläufe beobachten kann. Er sieht, wie Emma seine Kumpane ausschaltet, wie die Einsatzkräfte der Spezialeinheit die übrigen Männer verhaften, wie Hannes versucht zu fliehen und Markus Goldschmidt diesen niederschlägt. Noch bleibt er auf seinem Beobachtungsposten, von wo er ein gutes Bild über das weitere Geschehen hat. Er erlebt mit, wie sein eigener Transporter von den Polizisten auf das Gelände gefahren wird und die toten Mädchen geborgen werden. Jetzt hält ihn hier nichts mehr. Ohne zu zögern verlässt er die Gegend, um seinen obersten Chef zu informieren.

5 Europalette, auch Europoolpalette, ist eine stabile Flachpalette aus Holz zum Transportieren von Waren.

L'affaire de l'amour

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