Читать книгу L'affaire de l'amour - P.R. Mosler - Страница 8
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An dem darauffolgenden Montagmorgen fährt die leistungsstarke Limousine, ein Audi A6 TDI mit 3,0-Liter-Dieselmotor und einer Leistung von 286 PS, langsam auf der Abflugebene am Düsseldorfer Flughafen in eine der Kiss and Fly Parkbuchten, die lediglich für einen kurzen Halt zum Aussteigen und Entladen gedacht sind.
Während der Chauffeur sich in aller Eile um das Gepäck seiner Passagiere kümmert, steigt Peter Staller aus dem Wagen, um seiner Schwiegermutter aus dem Fond zu helfen. Galant streckt der gutaussehende achtundvierzigjährige Konzernchef ihr seine Hand entgegen, welche diese gern ergreift.
Dorothea Waldners blaugraue Augen leuchten belustigt auf. „Das kann ja nur eine wunderbare Reise werden, wenn ich schon vor ihrem Antritt so würdevoll behandelt werde.“
Auch Peter lächelt. Selbst die legere Kleidung verhindert nicht, dass man dem 1,86 Meter großen dunkelhaarigen Mann die Macht und den Einfluss ansieht, den seine Stellung als Unternehmer eines Großkonzerns mit sich bringt. Eilig umrundet er das Fahrzeug, um auch seiner Frau beim Aussteigen behilflich zu sein. Zu dritt finden sie sich am Heck des Wagens ein, um ihr Handgepäck von Jochen, dem privaten Chauffeur des Unternehmers, entgegenzunehmen. Das Reisegepäck wurde bereits am Vorabend aufgegeben.
„Vielen Dank für das Chauffieren, Jochen“, wendet sich Peter an seinen Angestellten.
„Keine Ursache, Chef. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub. Kommen Sie alle heil zurück.“
Die Unternehmers-Gattin Karola Staller ist Dozentin für Ernährungswissenschaften, die in ihrer selbstständigen Tätigkeit diversen Universitäten, Laboren und anderen Einrichtungen zur Seite steht. Überrascht schaut die 1,68 Meter große Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt und den grauen Augen in das lächelnde Gesicht des Chauffeurs. „Ich glaube, Sie verwechseln uns mit meinem Sohn und seinem Freund. Wir jedenfalls haben nicht vor, uns in ein gewagtes Abenteuer zu stürzen, sondern werden redlich ausspannen.“
„Ja, natürlich. So habe ich das gemeint“, erwidert Jochen ernst, während er mit dem Konzernchef einen amüsierten Blick tauscht. Sie alle wissen, dass sowohl Andreas Staller, der Sohn des Hauses, sowie dessen Freund Gerd Bach schon mehr als ein gewagtes Abenteuer hinter sich haben. „Gute Reise“, wünscht Jochen den Urlaubern, bevor er sich mit der Limousine auf den Rückweg macht.
Sie schauen dem Chauffeur kurz hinterher, dann begeben sich die drei Reisenden zu ihrem Check-in-Schalter im Abflugterminal.
Dorothea Waldner, die ehemalige Chefchirurgin eines Konstanzer Krankenhauses und mittlerweile geschätztes Mitglied des Aufsichtsrats, wird in den nächsten zehn Tagen in der Hauptstadt der Thailändischen Provinz Udon Thani helfen, die Pläne für die Modernisierung des dortigen Krankenhauses zu erstellen. In Kooperation mit ihrem Klinikum wird der Ausbau noch in diesem Jahr beginnen. Die Mittel dafür wurden bereits vom Aufsichtsrat und der Geschäftsführung freigegeben, so dass die Ärztin bestens auf ihre Aufgabe vorbereitet ist. Ihre Tochter Karola Staller und ihr Schwiegersohn haben sich entschlossen, die sechsundsechzigjährige Geschäftsfrau auf dieser Reise zu begleiten.
Nachdem alle Passagiere ihre Plätze in dem Airbus A320 der Fluglinie Lufthansa eingenommen haben, startet diese ohne weitere Verzögerung, der Anschlussflug von Frankfurt nach Bangkok mit einem Airbus A380 der Thai Fluggesellschaft geht über Nacht und die letzte Etappe vom Flughafen Bangkok-Suvarnabhumi nach Udon Thani legen sie mit einem Airbus A320 der Thai Smile Fluggesellschaft zurück. Nach einer Gesamtflugzeit von neunzehn Stunden landen sie an ihrem Zielflughafen Udon Thani in Thailand. Die Strecke bis zum Centara Hotel & Convention Centre Udon Thani, einem 4-Sterne-Hotel, legen Sie in fünfzehn Minuten mit dem Taxi zurück. Durch die Zeitverschiebung von sechs Stunden erreichen die Urlauber ihr Hotel erst am Dienstag zur Mittagszeit.
Um sich von der Strapaze des langen unbequemen Sitzens im Flugzeug zu erholen, entschließen sich die drei Familienmitglieder zu einer ersten Besichtigungstour, die sie nach einem leichten Mittagessen neugierig starten.
„Wo wollt ihr zuerst hin?“, erkundigt sich Peter bei den Frauen, die sich daraufhin mit schalkhaft blitzenden Augen ansehen.
„Shoppen!“, kommt die fröhliche Antwort von beiden gleichzeitig, bevor sie vergnügt loslachen.
„Warum frage ich auch?“, stöhnt der Konzernchef. „Das hätte ich mir eigentlich denken können. Aber ich mache euch einen Vorschlag. Laut meinem Reiseführer bieten sich für euch zwei Möglichkeiten. Gleich hier neben dem Hotel befindet sich die Central Plaza mit westlichen Kaufhäusern und einigen Händlern von ansässigen Marken. Ich könnte mir vorstellen, dass für euch ein Einkaufstripp auf den Posri Road reizvoller ist. Dort finden wir aneinandergereiht kleinere Boutiquen mit Kleidung oder handgefertigtem Kunsthandwerk, lokale Möbelbauer, Gold-Shops und Juweliere. Das ist zu Fuß gerade einmal eine Viertelstunde entfernt.“
„Hört sich doch gut an“, bewertet Dorothea die Aussage. „Worin besteht denn jetzt dein Vorschlag?“
„Im Reiseführer steht, dass sich das wirkliche Leben dort erst gegen Abend abspielt. Lasst uns die Einkaufstour bis nach dem Abendessen verschieben, stattdessen sehen wir uns einmal die Stadt an.“
„Was schwebt dir denn da so vor?“, will seine Frau wissen.
„Udon Thani hat eine rund sechstausend Jahre alte Geschichte vorzuweisen“, liest Peter aus seinen Unterlagen ab. „Die Stadt hat rund einhundertvierzigtausend Einwohner und ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen und infrastrukturellen Knotenpunkte am Mekong-Zufluss Mae Nam Luang. Sie hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten, wie den Octagonal Pavilion, die Orchideenfarm Udorn Sunshine Nursery, dort bekommt ihr übrigens auch selbsthergestellte Parfüms, dann den Tempel Wat Pho Chai Sri mit der eintausendzweihundert Jahre alten berühmten Buddha-Statue Luang Pho Phra Sri, angeblich wurde sie bisher vier Mal gestohlen und kam doch immer wieder hierher zurück, faszinierend“, staunt Peter.
„Da gibt es sicher vieles, was sich anzusehen lohnt“, stimmt Karola ihrem Mann zu. „Wo möchtest du denn anfangen?“
„Ich würde gern den Nong Prajak-Park aufsuchen. Mit seinen üppigen Gärten und Seen bietet er sicher viel Platz, um sich die Beine zu vertreten. Allerdings brauchen wir bereits eine halbe Stunde, bis wir dort ankommen. Wenn ihr im Park eine Pause machen wollt, könnt ihr am See die Kois2 füttern. Was haltet ihr davon?“
„Gesessen haben wir für die nächsten Stunden wohl genug“, urteilt Karo. „Was ist mit dir, Mutter? Kommst du mit?“
„Natürlich. Schließlich wollen wir auch etwas von der Stadt zu sehen bekommen.“
„Sollen wir bis zum Park ein Taxi nehmen?“, erkundigt sich Peter fürsorglich bei seiner Schwiegermutter.
„Wieso?“, fragt sie mit einem übermütigen Lächeln. „Fühlst du dich schon so alt, dass du den Weg nicht zu Fuß schaffst?“
Unter vergnügtem Lachen machen sich die drei auf den Weg zu ihrem ausgewählten Ziel.
Im Gegensatz zu dem harmonischen Urlaubsantritt des Konzernchefs und seiner Begleiterinnen beginnt die Woche für Emma Wolf mit einem anstrengenden Ausdauertraining. Die durchtrainierte Polizistin hat keine Schwierigkeiten, mit ihren Kollegen Schritt zu halten. Nach einer kurzen Verschnaufpause muss sie sich auf dem Schießstand melden. Die Mitarbeiter aus ihrer Abteilung sind bereits vollständig erschienen, allerdings eher um zu sehen, wie sich die neue Kollegin macht.
Sie begibt sich von der Umkleide aus zum Schießstand, wobei sie ihre Dienstwaffe, eine HK-P2000 V4 von Heckler & Koch mit Browning-Verschluss und Kaliber 9 x 19 Millimeter bei sich trägt.
Als Emma auf ihre Kollegen zutritt, schaut Mark sie prüfend an. „Bereit?“ Auch ihm ist klar, dass seine Mitarbeiter wissen wollen, ob sie sich im Ernstfall auf die neue Kollegin verlassen können.
„Jederzeit“, bestätigt Emma ihm ruhig. Sie bekommt ihren Platz zugewiesen, setzt Schutzbrille und Ohrschützer auf und macht sich startklar.
„Sechs Schuss“, bestimmt Polizeioberkommissar Helge Rothmann, der Schießausbilder. Mit einem kurzen Nicken bestätigt Emma ihm, dass sie seine Anweisung verstanden hat, visiert ihr Ziel nur kurz an, um dann zügig alle sechs Schuss abzufeuern.
Während der Polizeioberkommissar sie nachdenklich mustert, beginnen ihre Kollegen schadenfroh zu lachen. Auf ihrer Zielscheibe erkennt man ein Einschussloch an der Nasenwurzel der abgebildeten Figur. Ein weiteres Loch ist nicht zu sehen.
„Immerhin, der eine Treffer ist spitze“, bemerkt Kommissar Malte Distler ironisch.
„Das war dann wohl der Zufallstreffer für diese Woche“, lacht auch Oberkommissar Gero Nadler.
„Das solltest du vielleicht noch einmal üben“, rät auch Mark ihr lächelnd.
„Warum?“, richtet sich der Polizeiausbilder an Emmas erstaunte Kollegen. „Wenn ihr das auch schafft, dann dürft ihr meckern, vorher nicht“, rügt er die Zuschauer. „Schaffen Sie das noch einmal?“, will er von der Beamtin wissen.
„Sicher.“ Emma ist beeindruckt von dem guten Einschätzungsvermögen des Schießausbilders. Sie macht sich bereit für einen zweiten Durchgang.
Der erste Schuss landet im Herzen, der zweite im Hals, die nächsten vier Einschüsse sind nicht zu sehen.
Durch die eigenartigen Treffer auf ihrer Zielscheibe macht sich bei ihren Kollegen erste Verwirrung breit.
Helge Rothmann nickt der neuen Kollegin zu. „Eine hervorragende Leistung. Wo haben Sie gelernt, so gut zu schießen?“
„In Berlin, bei einem Sondertraining“, antwortet Emma ihm vorsichtig. Das anerkennende Aufblitzen seiner Augen sagt ihr genug. ‚Der Mann weiß Bescheid!‘
„Wovon redet ihr da eigentlich?“, will Mark wissen.
Der Polizeioberkommissar zeigt auf die erste Zielscheibe. „Sieh dir das Einschussloch einmal genauer an. Die erste Kugel ist sauber über dem Nasenbein eingedrungen. Ein absolut tödlicher Schuss! Die nächsten fünf Kugeln gingen durch das gleiche Loch. Du erkennst es an dem ausgefransten Rand. Wie sich die sechs Schuss beim zweiten Durchgang verteilen, kannst du dir sicher denken.“
Schlagartig ist es still. Während die Kollegen auf die Scheiben starren, klopft Mark seiner Stellvertreterin fröhlich auf die Schulter. „Feuertaufe bestanden, würde ich sagen.“
Schon seit den frühen Morgenstunden sitzt Gerd Bach, der Projektleiter der Staller Industrie Werke, in seinem Büro. Durch die schweren Verletzungen, die er sich vor noch nicht allzu langer Zeit zugezogen hat, wurde er nicht nur von dem behandelnden Arzt, sondern vor allem von Karola Staller zu Bürotätigkeit verdonnert.
Er weiß, dass er die Geduld der siebenundvierzigjährigen Unternehmers-Gattin bis ins Letzte ausgereizt hat. Auch wenn der 1,86 Meter große gutaussehende Mann mit den dichten braunen Haaren, den honigbraunen Augen und dem charmanten Lächeln so ziemlich jede Frau um den kleinen Finger wickeln kann, beißt er bei Karo diesmal auf Granit. Selbst wenn sie die nächsten zehn Tage einige tausend Kilometer entfernt ist, entgeht ihr garantiert nicht, ob er sich an sein Versprechen ihr gegenüber hält. Also fügt er sich in das Unvermeidbare.
Vor über sechzehn Jahren traf Gerd in der Schule auf Andreas, freundete sich mit ihm an und stand zu ihm, als dieser Hilfe brauchte. Mittlerweile ist aus ihrer Freundschaft eine tiefe Verbundenheit geworden, die Andreas für ihn zu einem Bruder macht. Zu dieser Zeit lernte Gerd auch die Eltern seines Freundes kennen, bei denen er seither ein und aus geht. Peter und Karola Staller sind nicht nur Andreas’ Eltern, sondern mittlerweile auch so etwas wie seine Eltern, die ihn bei sich aufgenommen haben und ihm ein Zuhause boten. Obwohl er im Jugendheim aufwuchs fühlte er sich bei dieser Familie immer willkommen und geborgen. Gemeinsam mit Andreas stellte er sich dem Kriegsverbrecher Otto Gruber und seinen Söhnen in den Weg, um deren kriminellen Machenschaften Einhalt zu gebieten. Ann-Marie Lichtenstein, die Schwiegertochter des Verbrechers, sann auf Rache und ließ nichts unversucht, um den beiden Freunden einen möglichst grausamen Tod zu verschaffen. Auch hier konnten Andreas und Gerd, die den Kampf gegen die Schergen dieser Frau aufnahmen, den Sieg davontragen, was sie nicht zuletzt der Hilfe ihrer Freunde, Kollegen und Familie verdanken. Allerdings zogen sich die beiden jungen Männer einiges an Verletzungen zu, wodurch sie für ihre vollständige Genesung noch längere Zeit zur Untätigkeit verdammt wurden.
In dem riesigen Unternehmen, das der Konzernchef nach und nach aufgebaut hat, ist Gerd inzwischen der zweite Mann. Seite an Seite mit Peter Staller meistert er den Alltag der Firma mit seinen rund achthundert Mitarbeitern.
Mürrisch liest er sich die Berichte seiner Teamkollegen durch. Viel lieber würde er vor Ort mitmischen. Seit einigen Wochen installieren seine Kollegen in dem Freizeitpark Weltenbummler in der Eiffel ein neues Sicherheitssystem. Nachdem der Betreiber Sven Kirschbaum mit massiven Schwierigkeiten in der Elektronik und den technischen Anlagen zu kämpfen hatte, holte er das Team der Staller Werke mit ins Boot. Bis zur Saisoneröffnung im nächsten April wollen sie mit der Anlage fertig sein.
Die Erinnerung daran, dass er sich heute Morgen die Zeit nehmen konnte, mit Emma in aller Gemütsruhe zu frühstücken, zaubert ein Lächeln auf sein Gesicht.
Erst vor zwei Wochen ist seine Freundin bei ihm eingezogen, doch er spürt genau, dass es für sie beide die richtige Entscheidung war. Seit Freitag arbeitet sie beim Landeskriminalamt in Düsseldorf an ihrer neuen Arbeitsstelle, welche sie nur seinetwegen angenommen hat. Dass die hervorragende Beamtin ihren Job beim Bundesnachrichtendienst in Berlin beendete, darüber war ihr Boss Wolfgang Keller nicht gerade begeistert.
Im Augenblick kämpfen sie beide sich durch den gemeinsamen Alltag und die wechselnden Arbeitszeiten, um ihren Rhythmus zu finden. Das gemeinsame Frühstück an den Arbeitstagen zählt zu den Gegebenheiten, die sie sich nicht nehmen lassen. Allerdings kommt es eher selten vor, dass sie es so ausgiebig zelebrieren können wie heute Morgen.
Das Klingeln seines Handys holt den Siebenundzwanzigjährigen in die Gegenwart zurück. Als er anhand der angezeigten Nummer den Anrufer erkennt, blitzen seine Augen vergnügt auf, wobei sich ein Lächeln in seinem Gesicht ausbreitet. „Guten Morgen, Andy. Bist du sie endlich los?“ Nur Gerd hat die Erlaubnis, Andreas mit seinem Kosenamen anzureden.
Der Doktorand lacht bei der Frage seines Freundes fröhlich auf. „Ja. Endlich! Das ist das richtige Wort. Ich weiß nicht, was in Mutter gefahren ist. Sie muss doch beruflich so viel reisen, dass sie langsam eine gewisse Routine entwickelt haben sollte. Aber wenn es in den Urlaub geht, ist sie vollständig aus dem Häuschen. Vater war so genervt, dass er ihr gestern Nachmittag erklärt hat, wenn sie ihren Koffer noch ein einziges Mal öffnet, sorgt er dafür, dass sie ohne Gepäck fliegt.“
Auch Gerd muss lachen. „Emma und ich waren froh, als wir uns nach dem Mittagessen verabschieden konnten. Dass dein Vater genervt war, konnte man spüren, aber gegen Karola war das gar nichts. Sie war ‚hochexplosiv‘.“
Die Freunde amüsieren sich gemeinsam über die Urlaubsvorbereitungen der Unternehmers-Gattin.
„Seit Vater die Firma übernommen hat ist es das erste Mal, dass er in Urlaub fährt. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich das je erlebe. Dazu hat er sich nur entschlossen, weil du für ihn in der Firma die Stellung hältst. Was meinst du? Ich gebe ihm maximal fünf Tage. Spätestens am Freitag ruft er dich an, um den aktuellen Stand zu erfahren.“
„Ich traue mich nicht, dir zu widersprechen“, stimmt Gerd seinem Freund belustigt zu. „Wie sieht es aus? Bleibst du die Woche über in der Uni?“
Um sich die lange Anfahrt zu ersparen, verweilt Andreas unter der Woche in seiner angemieteten sechzig Quadratmeter großen Wohnung auf dem Universitätsgelände. „Ja, bis Freitag“, bestätigt der Doktorand. „Dann komme ich nach Hause. Sollen wir etwas zusammen unternehmen oder bist du schon verplant?“
„Ich habe zwar noch keine Ahnung, wie Emmas Dienstplan aussieht, aber für einen Männerabend findet sich immer Zeit. Einverstanden?“
„Sicher. Dann sprechen wir uns diese Woche noch ab, wenn du mehr weißt. Ich muss jetzt los. Mach’s gut.“
„Du auch. Und keine gewagten Abenteuer. Klar?“
Andreas reagiert empört: „Hey, wer von uns ist denn derjenige, der sich nie zurückhalten kann?“
Lachend beendet Gerd das Gespräch. Da sich mittlerweile auch seine Sekretärin Anna Zerlinski im Büro eingefunden hat, beginnen sie mit dem Firmenalltag.
Fast zehntausend Kilometer von den beiden Freunden entfernt treffen Karola und ihre Mutter auf dem Weg zum Abendessen im Flur vor den Zimmern erstmalig wieder aufeinander.
„Wo hast du denn deinen Mann gelassen? Hat er keinen Hunger?“, erkundigt sich Dorothea bei ihrer Tochter.
„Doch, ich denke schon. Aber er wollte sich noch ein wenig bewegen. Da der Pool recht leer war, nutzt er die Gelegenheit, um noch ein paar Bahnen zu schwimmen.“
„An seinem Wunsch bin ich wohl nicht ganz unschuldig“, gesteht die Ärztin. „Bei meinem Schneckentempo konnte er sich im Park wohl nicht ausleben.“
„Mach dir da keine Sorgen“, beruhigt Karo ihre Mutter. „Wenn er das braucht, findet Peter schon ein Ventil um sich auszutoben. Darauf brauchen wir aber keine Rücksicht zu nehmen. Er sagt, dass er nachkommt, wir brauchen nicht auf ihn zu warten.“
„Das wäre ja noch schöner! Dafür bin ich viel zu neugierig“, erklärt Dorothea resolut.
Lachend machen sich die beiden Frauen auf in Richtung Speisesaal, wo sie bereits am Eingang fürsorglich von dem Personal in Empfang genommen und zu ihren Plätzen geführt werden. Nachdem die beiden Gäste der Bedienung bestätigen, dass alles ihren Wünschen entspricht, zieht sich die junge Frau mit einer Verbeugung zurück.
„Ich muss schon sagen, sehr zuvorkommend.“ Dorothea schaut sich im Saal um. „Angenehmes Ambiente, stilvoll eingerichtet.“
„Ja, stimmt. Der Raum bietet auch eine gewisse Privatsphäre. Durch die überall aufgestellten tropischen Pflanzen sind die Tische voneinander getrennt, ohne dass es bedrückend wirkt, und das Büffet ist so aufgebaut, dass man sich nicht ins Gehege kommt.“
„Genau. Auf jeden Fall werde ich mir jetzt eine Vorspeise besorgen. Kommst du mit?“
„Aber sicher.“
Zusammen begeben sie sich zu den langen Reihen ausgewählter Speisen, um ihre erste Auswahl zu treffen.
Karola dreht sich, mit ihrem Teller in der einen Hand, einem gefüllten Glas in der anderen, zu ihrem Tisch um. Die Handtasche, die mit ihrem Träger über ihrer rechten Schulter hängt, rutscht ihr dabei bis auf den Unterarm herunter. Mit einem erschrockenen Aufschrei versucht die Unternehmers-Gattin Teller und Glas waagerecht zu halten. Doch ganz gelingt ihr das nicht. Ihre grauen Augen weiten sich entsetzt, als sie einen großen Teil von ihrem Saft auf dem Anzug des Mannes verteilt, der gerade neben ihr steht.
„Verdammt! Was soll das?“ Aufgebracht wendet sich der Mann Karola zu, wobei er sich drohend zu seiner vollen Größe aufrichtet. Obwohl seine Arme locker herunterhängen, sind die Fäuste geballt und seine ganze Körperhaltung drückt Gewaltbereitschaft aus.
„Meine Güte. Entschuldigen Sie bitte, das tut mir wirklich leid. Ich habe nicht aufgepasst.“ Die Unternehmers-Gattin sieht den Mann reumütig an, doch als sie seine Augen wahrnimmt, läuft ihr ein Schauer über den Rücken. ‚Sie wirken kalt wie Eis und absolut gefühllos‘, denkt Karola.
„Das ist nicht zu übersehen“, giftet Gabriel Kanthak die schlanke Frau vor sich so heftig an, dass diese unweigerlich zusammenzuckt. „Haben Sie keine Augen im Kopf?“
„Was ist denn hier los?“ Peter Staller taucht neben seiner Frau auf.
Karo war noch nie so froh darüber, ihren Mann an ihrer Seite zu haben wie in diesem Moment.
„Das geht Sie nichts an“, faucht Gabriel den Konzernchef an. „Diese Dame und ich haben nur eine Kleinigkeit zu klären. Kein Grund, den edlen Ritter zu spielen.“
Beschützend stellt sich Peter vor Karola, da auch er die Kälte spürt, die von diesem Mann ausgeht. Mit ruhiger, aber entschiedener Stimme antwortet er dem fremden Mann: „Wenn Sie ein Problem mit meiner Frau haben, geht mich das sehr wohl etwas an.“
„Ihre Frau? Dann sollten Sie vielleicht besser darauf achten, dass sie nicht allein in der Gegend herumläuft. Bringen Sie ihr lieber bei, wie man sich in der Öffentlichkeit zu benehmen hat!“
Langsam fängt auch Peter an zu kochen, sodass seine braunen Augen bei der Bemerkung des Mannes gefährlich aufblitzen. „Diese Entscheidung sollten Sie besser mir überlassen!“
„Wie dem auch sei. Ich lasse Ihnen die Rechnung zukommen.“ Damit dreht sich Gabriel wütend um und verschwindet.
„Den haben sie als Kind wohl zu heiß gebadet“, mutmaßt Dorothea, die froh darüber ist, dass Peter ihr die Einmischung abgenommen hat.
„Danke.“ Niedergeschlagen mustert Karola die Lache, die von einem der Bediensteten gerade aufgewischt wird.
Der lächelt sie freundlich an. „Alles gut. Lassen Sie sich nicht den Appetit verderben.“
Sie genießen zwar in aller Ruhe ihr Abendessen, doch der Vorfall bleibt ihnen noch eine ganze Weile in Erinnerung. Selbst bei der ausgiebigen Shopping-Tour, zu der sie anschließend aufbrechen, kann Karola die Gedanken an den fremden Mann nicht abschütteln. Obwohl sie ihren Einkauf in den bunt gestalteten Geschäften genießt, sieht sie immer wieder seine kalten Augen vor sich. ‚Normalerweise kann ich mich gut allein behaupten‘, grübelt sie. ‚Aber diesmal war ich unglaublich froh, dass Peter da war.‘ Am liebsten würde sie diesem Mann nie wieder begegnen und nimmt sich vor, ihm im Hotel aus dem Weg zu gehen.
Unterdessen laufen im Dezernat 11 des Landeskriminalamtes die Leitungen heiß. Mark Sievers legt den Telefonhörer in dem Moment auf, als Emma am Mittwochmorgen kurz vor Dienstanfang das Büro betritt.
„Gut, dass du schon da bist“, empfängt sie der Vorgesetzte, winkt sie mit sich zu den anderen Kollegen der Abteilung, wo er sich Gehör verschafft: „Hey, Leute, schenkt mir doch bitte einmal eure Aufmerksamkeit.“ Nachdem er sich vergewissert hat, dass ihm wirklich alle aus seinem Team zuhören, gibt er weiter, was er durch das Telefonat erfahren hat. „Gerade bat mich der Leiter vom Kriminalkommissariat 12 der Kriminalinspektion 1 aus Duisburg um Unterstützung. Vorige Woche hat er einen offiziellen Antrag auf Amtshilfe gestellt, dem stattgegeben wurde. Wir sollen ihm dabei helfen, die Mitglieder einer gut getarnten Verbrecherorganisation hochzunehmen.“
„Worum geht es denn dabei? Drogen?“, erkundigt sich Ludwig Gessner.
„Nein“, widerspricht sein Vorgesetzter dem Kollegen. „Es geht um Menschenhandel.“
„Weißt du schon Genaueres?“, verhört Emma bei ihn.
„Bis jetzt konnten die Kollegen aus Duisburg keine Spur dazu finden, wie die jungen Frauen ins Land gebracht werden. Auch nicht, wo sie unterkommen. Fakt ist, dass an den einschlägigen Plätzen immer wieder neue Gesichter auftauchen. Vorwiegend junge Frauen unter fünfundzwanzig aus Thailand, Kambodscha und Laos. Auch von den Philippinen und Malaysia. Der Kollege teilte mir mit, dass sie vor zwei Wochen sieben Müllsäcke mit grausigem Inhalt auf der Mülldeponie gefunden haben. Die Mädchen waren zwischen fünfzehn und achtzehn Jahre alt. Die Verletzungen weisen darauf hin, dass sie systematisch zu Tode geprügelt wurden.“
Emmas Augen blitzen wütend auf. „Das ist eine der schlimmsten Arten von Unmenschlichkeit. Diese Mädchen, meistens sind es noch Mädchen, keine Frauen, werden verschleppt, unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und verprügelt. So lange, bis sie ohne Widerstand tun, was von ihnen verlangt wird. Die Menschen, die diese Gewalttaten verursachen, sehen in ihnen nur eine Ware. Da ist es doch egal, wenn ab und zu einmal eine auf dem Müll landet!“
„Leider liegst du damit hundertprozentig richtig. Das ist wohl nicht der erste Fund dieser Art und es wird auch nicht der letzte sein. Dagegen sollten wir schnellstens etwas unternehmen. Also lasst uns bitte nach Duisburg fahren.“
Da seine Kollegen der gleichen Meinung sind, machen sie sich zu sechst in zwei Dienstwagen auf den Weg nach Duisburg.
2 Kois (Mz.); Koi = Der Nishikigoi kurz auch Koi genannt, ist eine Zuchtform des Karpfens.