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1.1Vorstellungen vom Lernen

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Aufgrund seiner überragenden Bedeutung für den Menschen war und ist das Lernen Gegenstand nicht nur der Pädagogik, sondern vieler anderer Wissenschaften, von der Philosophie (besonders in der Erkenntnistheorie) bis zu den Ingenieurswissenschaften (zum Beispiel beim «deep» oder «machine learning»). Für Platon war Lernen Wiedererkennen auf der Grundlage der Seelenwanderungslehre seiner Zeit. Auch wenn man diese Annahme heute nicht mehr teilt, enthält sie etwas Wesentliches: Das Verhältnis von Lehren und Lernen ist nicht eines, in dem die Lehrperson den Lernenden etwas überträgt, vielmehr weckt sie in den Lernenden eine Bewegung, die bereits in ihnen gleichsam schlummernd vorhanden ist (vgl. dazu Waldenfels 2009). Zwei weitere Merkmale des Lernens scheinen bei Platon auf. Einerseits besteht das Paradox des Lernens darin, dass es bereits Wissen zur Voraussetzung hat und insofern «lässt sich Lernen nicht als Übergang von Nichtwissen zu Wissen verständlich machen» (Meyer-Drawe 2008, S. 19), vielmehr ist es eine «Umwandlung eines Vor-Wissens zum anders-Wissen» (ebenda). Und diese Umwandlung – das ist das zweite Merkmal, das bereits Platon festhält – stösst auf Widerstand und ist schmerzhaft. Wissen, Erkennen, Verstehen, Begreifen haben Reibungen, Irritationen, Störungen, die sich als Widerstand gegen die Anpassung einstellen, zur Voraussetzung. Die Wiederkennung ist ferner nicht ein Erkennen von etwas, was man schon weiss, vielmehr wird mehr erkannt als nur das Bekannte und erst das löst die Freude des Wiedererkennens aus (vgl. dazu Gadamer 1972, S. 109). Auch für Aristoteles bedarf das Wissen des Vorwissens, wobei er in Abgrenzung zu Platon zwischen praktischem und wissenschaftlichem Wissen unterscheidet. Lernen vollzieht sich für ihn vom praktischen Vorwissen zum wissenschaftlichen Wissen.

In der Folge geriet die Bedeutung der Herkunft des Lernens, wie sie Platon und Aristoteles betont haben, zunehmend aus dem Fokus und das Lernverständnis wurde zukunftsorientiert. Die Lernenden gelten als leer, bevor sie etwas gelernt haben. Diese bereits von den Sophisten vertretene Ansicht ist für religiöses Lernen grundlegend. Hier geht es um die Vermittlung religiös-ethischer Prinzipien durch einen Lehrer; der Priester, der Rabbiner und der Imam vermitteln Gottes Willen, sie stehen zwischen Gott und den Menschen, die zu gottgefälligen Wesen erzogen werden.

Während zu Beginn der Neuzeit Comenius seine Ideen zum schulischen Lernen in einem umfassenden Konzept festhält, für das die drei Wörter omnes, omnia, omnio (alle sollen alles allumfassend lernen) stehen, wurde das Lernen mit der Aufklärung zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. In der Philosophie der Aufklärung von John Locke bis Immanuel Kant spielt Lernen in der Auseinandersetzung um die Vernunft und das Erkennen eine wichtige Rolle, obwohl die Philosophen sich kaum explizit mit dem Lernen auseinandersetzen. Für Käte Meyer-Drawe ist Kants Philosophie der Vernunft prägend für das weitere Verständnis von Lernen. Indem Kant die Voraussetzung für das Denken und die Welterkenntnis in das Subjekt verlegt, «findet die in der Folgezeit zunehmende Verinnerlichung und Intellektualisierung des Lernens eine gewichtige argumentative Grundlage in seiner Philosophie» (2008, S. 24).

In den jüngsten hundert Jahren prägen psychologische Lerntheorien (Behaviorismus, Kognitivismus, Konstruktivismus, neurowissenschaftliche Theorien) den wissenschaftlichen Diskurs. Doch daneben gab es auch pädagogische Theorien, die sich vor allem gegen die aus ihrer Sicht reduktionistischen psychologischen Theorien wandten (auf die bedeutendsten Theorien wird in Abschnitt 1.4 eingegangen).

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