Читать книгу Lernen (E-Book) - Prof. Dr. Claudio Caduff - Страница 8
1.3Kern des Lernens
ОглавлениеNäher an den Kern des Lernens gelangt man, wenn man sich fragt, was das Ergebnis von Lernen ist. Koch (2015, S. 22 f.) gliedert die scheinbar einfache Antwort «Wissen und Können» auf in
→Wissen, das ohne Können für sich selbst sinnvoll ist (zum Beispiel historisches Wissen),
→Wissen, das bereits als solches ein Können ist (zum Beispiel mathematisches Wissen),
→Wissen, das zum Können hinzutritt (zum Beispiel fachdidaktisches Wissen von Lehrpersonen),
→Können, in dem Wissen und Handeln eins sind (zum Beispiel Autofahren).
In seiner Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Mainstream des selbstgesteuerten Lernens kritisiert Mathias Burchardt (2016, S. 124 f.) die Absolutsetzung gewisser Aspekte in «modernen» Lerntheorien. Besonders populär sind heute Formulierungen wie Potenzialentfaltung, Problemlösung, Kompetenzerwerb oder Konstruktion, die zum Beispiel die Aktivität des Individuums einseitig betonen und dabei andere bedeutende Aspekte wie zum Beispiel die Sozialdimension des Lernens ausser Betracht lassen. Als Gegenposition beschreibt er fünf «Elementarphänomene» menschlichen Lernens (S. 126 f.):
1.Sachklärung und Selbstwerdung: Lernen geschieht unter dem Anspruch der Sache, sei es die Grammatik einer fremden Sprache, das Modell des Zitronensäurezyklus, das Angaloppieren eines Pferdes oder die Funktionsweise eines Computers. Sach-Gehorsam im Wahrnehmen, Denken und Handeln ist ein Ausgangspunkt und leitendes Kriterium des Lernens. Wer sich um Sachgerechtigkeit sorgt, wird niemals selbstgerecht in einem anmassenden Sinn, wohl aber gelangt er im Dialog mit der Sache zu sich selbst. Sachklärung und Selbstwerdung sind im Lernen ineinander verwoben.
2.Individualität und Gemeinschaft: Sache und Selbst begegnen sich im Lernen immer eingebettet in konkrete Beziehungen: Es ist die Mutter, die mir zeigt, wie ich das Besteck verwende, der Spielkamerad, der mich in die Tücken des Dribbelns einweist und die strenge Lateinlehrerin, die mit mir den a.c.i. [Accusativus cum infinitivo] paukt. Eingebettet aber sind diese personalen Beziehungen in einen Horizont gemeinschaftlicher Lebensdeutungen und Werthaltungen, die mir in der konkreten Lernsituation begegnen. Lernen geschieht in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, aber auch um meiner selbst willen. Am Anderen werde ich zum Ich.
3.Tradition und Emanzipation: Lernen geschieht in Geschichte und als Geschichte, es vermittelt Herkunft und Zukunft. Erst die Einbettung in das Herkommen [den Ursprung] ermächtigt das Lernen zum Bruch mit überkommenen Überzeugungen, zur Übernahme oder Modifikation von Beständen des Wissens und Könnens. Lernen macht mich zu einer Gestalt und einem Gestalter von Geschichte.
4.Spontaneität und Responsivität: Das Lernen kann seinen Anfang in mir haben. Dann folgt es einem Entschluss, unterliegt der Planung meines Willens und dem Stil der von mir gewählten Vorgehensweise. Doch nimmt es aus diesem Anfang nicht zwangsläufig seinen glücklichen Verlauf. Immer spielt auch ein Moment der Widerfahrnis mit in das Lernen hinein, eine Konfrontation mit dem Sach-Anspruch, auf den ich entsprechend antworten muss: Die Rechnung geht nicht auf, das Metrum in der Gedichtanalyse fügt sich nicht meinen Erwartungen, die Farbe im Kunstunterricht trocknet zu schnell. Es kommt dabei vor, dass ich ohne Absicht oder gegen meinen Willen etwas lerne.
5.Thema und Horizont: Das Lernen richtet sich immer auf ein Thema, denn die oder der Lernende will etwas oder sich auf etwas verstehen. Die Ausrichtung auf das Etwas vollzieht sich im Horizont von bekanntem Wissen und Können, von biografischen Erlebnissen, kulturellen Werthaltungen und gesellschaftlichen Gepflogenheiten, die sich in der oder im Lernenden sedimentiert haben. […] Aber der Horizont ist nicht nur als Faktor des Lernens von Bedeutung. Indem ich etwas lerne, verändert sich der Horizont.