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Ein Vorwort oder auch eine Gebrauchsanleitung für dieses Buch

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In meinem Leben kaufte ich schon eine Menge Sachbücher. Manche davon las ich auch, viel mehr legte ich jedoch wieder weg, so wie es übrigens die meisten Menschen tun. Spätestens nach dem zweiten Kapitel hatte ich genug von der Lektüre – und das, obwohl die Bücher im Inhaltsverzeichnis allesamt thematisch logisch nachvollziehbar waren und oft massenweise kluge Ratschläge enthielten, die heute Tipps heißen. Wenigstens hatten die Verlage, Autorinnen und Autoren etwas von meiner Kaufentscheidung.

Außer Sachbüchern gingen auch schon eine Menge Romane durch meine Finger. Weil sie mich, entweder durch ihre Geschichte oder die spezielle Art, Sprache zu verwenden, fesseln konnten, las ich sie häufig auch zu Ende. Die meisten von ihnen sollten mich nur für kurze Zeit unterhalten und ich vergaß sie schnell wieder.

Ich selbst schrieb schon ein paar Sachbücher zu Themen, die mir in den letzten Jahren auf dem Herzen lagen, und über Dinge, die mir wichtig erschienen. Also hielt ich das Genre des Sachbuches für angemessen, um meine Anliegen rechtschaffen in die richtige Form zu gießen.

Menschen, die meine Bücher lesen und mir dann schreiben, sind mir besonders wichtig. Sie kennen mich nicht, sind nicht langjährige, höfliche Bekannte oder unterstützende Freunde, sondern im besten Sinne Fremde und objektiv. Sie nehmen meine Publikationen zur Hand, zeigen sich interessiert und offen, aber gleichzeitig auch als Kritiker und Richter.

Wenn sie mir nach ihrer Lektüre Rückmeldung geben und ihre Leseeindrücke schildern, empfinde ich das als besondere Wertschätzung. Natürlich auch, wenn es sich um Kritik handelt.

Da ich ja Sachbücher schreibe, bin ich davon ausgegangen, dass jene Leserinnen und Leser, die mit mir in Dialog treten, die intellektuelle Ebene rationaler Auseinandersetzung zum Sachthema suchen. Das liegt eigentlich auf der Hand. Die Sache ist allerdings etwas komplexer, wie ich feststellen musste.

Die meisten, die mir Briefe und E-Mails schicken oder mich anrufen, erzählen mir, was sie in meinem Buch berührt und sie damit zum Nachdenken über die von mir geäußerten Überlegungen oder Thesen veranlasst hat. Manchen gelingt durch dieses Berührt-Werden darüber hinaus auch die Rückverbindung zu sich selbst, zu ihrem eigenen Leben. Und manchmal kommt es sogar zur Entwicklung gefühlter Einsicht, die die einzig wirksame Basis für Selbstveränderung ist.

Man möchte annehmen, dass es die Kraft der Argumente, die klar gefügte, logische Deduktion zur Sache ist, die dieses Berührt-Werden auszulösen vermag. Zumindest war dies meine Annahme. Doch damit lag ich ziemlich falsch.

Ich musste feststellen, dass meinen sorgfältig gezimmerten Versuchen, ein Thema mit stimmiger Argumentation und intellektueller Redlichkeit in lesbarer Form abzuhandeln, mehr der Stellenwert einer logischen „Verpackung“ zukam. Man kauft ja schließlich auch wirklich gar nichts ohne Schachtel, Tüte oder zumindest Packpapier ein.

Als der eigentliche Inhalt, als das, was berührt, wurden jedoch die zahlreichen Fallgeschichten erlebt. An diese konnte meine Leserschaft anknüpfen, sich selbst in Teilaspekten wiedererkennen und den eigenen Faden weiterspinnen.

Ich gebe zu, dass meine Fallbeispiele belletristisch anmuten, denn Sprache so einzusetzen, dass sich als atmosphärische Verdichtung ein mit Tiefenschärfe herausgearbeitetes, präzises Gemälde der Situation ergibt, ist meine Leidenschaft. Trotzdem hatte ich sie bislang als erläuterndes Beiwerk eingestuft.

Mit meiner Fehleinschätzung, die Fallgeschichten nur als untergeordnete Illustrationen zu sehen, bin ich dem Diktat der Konvention aufgesessen. Ich wollte mich regelgerecht einnorden, habe die rationale Überlegung und die Deduktion ins Zentrum gestellt, um ein ordentliches Sachbuch zu schreiben.

Meine Leserinnen und Leser haben mich belehrt und ermutigt, über den Schüsselrand hinwegzublicken, den Rahmen des Üblichen zu sprengen. Das Resultat ist ein Sachbuch, das als eine Geschichte, vielleicht sogar stark märchenhaft erzählt wird und sich in einen reflektierenden Rahmen eingebettet findet.

Als ich mich entschied, über die Sperrzäune der Kategorien hinwegklettern zu wollen, durfte ich feststellen, dass ich mich dabei eigentlich in guter Gesellschaft befinde. Schon Aristoteles hat der gespielten Handlung der Geschichte den Chor als allwissenden Kommentator, als ein vermittelndes Element beigestellt – etwas, das die Szene und die Zuschauer zusammenbringt. Durch das Durchleben von Jammer und Rührung, Schrecken und Schauder, Mitleid und Furcht sollte das Publikum eine Katharsis, also die Reinigung und Läuterung der Seele erleben.

Etwas genereller und moderner betrachtet könnte man also davon sprechen, dass durch das beobachtende Lesen einer Geschichte die durch Spiegelneuronen vermittelte Fähigkeit zur Identifikation sowie zum inneren, fantasierten Probehandeln angeregt wird. Die dabei entstehende Emotion trägt die eigentliche Schlüsselrolle für den Prozess des „Lernens“, wie dies der Neurobiologe Gerald Hüther oft betont. Dem reflektierenden Rahmen, der als intellektuelle Barrieren getarnte Widerstände einreißt, kommt dabei die alte Funktion des Chors zu, der Szene und Zuschauer zusammenbringt.

In meiner Arbeit als Psychotherapeutin habe ich überdies bemerkt, dass es für viele Klientinnen und Klienten einfacher ist, die eigene Struktur in Form einer Fallgeschichte gespiegelt zu bekommen. Dies bietet die Möglichkeit zur „sachten Identifikation“, wie ich es nenne, die eine ertragbare Annäherung an den eigenen Leidenszustand bewirkt. Es ist, als würde die Analogie der eigenen Misere in der Fallgeschichte eine virtuelle Kameradschaft bewirken und damit das nagende Einsamkeitsgefühl des Leidenden dämpfen, während der positive Ausgang in meinen Fallgeschichten Mut und Hoffnung einflößt, sich der eigenen notwendigen Weiterentwicklung zu stellen.

Wer im vorliegenden Buch einen flink zu lesenden, leicht konsumierbaren Roman sucht, wird enttäuscht werden, denn tiefes Empfinden braucht Entwicklung und Bewährung. Ebenso wenig bietet dieses Werk die durchdeklinierte, sachliche Aufarbeitung zum Thema Liebe oder Ratschläge einer Ärztin und Psychotherapeutin, wie man sie anderswo findet. Vielmehr ist es eine langsame Geschichte, denn die Liebe reicht bis zum Urgrund unseres Seins, dem man sich nicht mit oberflächlicher Hast, sondern mit bedächtiger Ruhe und feinsinniger Achtsamkeit nähern muss.

Damit kommen wir zur Gebrauchsanweisung für dieses Buch. Natürlich können Sie, werte Leserin, werter Leser, sofort nach hinten zum zwölften Kapitel blättern, um dort die vermeintliche Auflösung für das Verhalten der beiden Hauptprotagonisten abzuholen. Auf solche Weise könnte es auch gelingen, sich Überblick über die Handlung sowie die damit verbundenen Intentionen der Geschichte zu verschaffen, ohne sich den Reflexionsanstößen und der Wirkung aussetzen zu müssen, die von der sachten und mäandrisch dahinlaufenden Entwicklung jener Paar-Beziehung ausgehen. Vielleicht ließe sich damit auch die Sinnhaftigkeit und Funktion der dritten Schlüsselperson in ihrer brüskierenden, ja verstörend brutalen Zeichnung, die wie ein scharfer Splitter schmerzhaft, ja fast anachronistisch im Fleisch der Geschichte steckt, auch von vornherein schon verstehen. Dies wäre freilich der Weg der Ängstlichkeit, die alle Ihren Überzeugungen zugrunde liegenden Denkfiguren nicht gefährden will.

Doch ich rate zu Mut, nein, zu noch viel mehr: Nehmen Sie die Haltung von vorbereitungsfreier Erwartungslosigkeit ein. Versuchen Sie sich unbefangen und vorbehaltlos dem Entdecken hinzugeben, ganz so, wie es die großen Abenteurer früherer Jahrhunderte in festem Glauben an sich selbst vermochten. Seien Sie bereit, Ihrer eigenen Liebes(un)fähigkeit schonungslos zu begegnen, statt auf ein Gegenüber den Schatten ihrer Erwartungen zu projizieren. Dann werden Sie eine Ahnung vom tiefen Wesen der Liebe erspüren, denn so gelingt die Liebe und kann, jeder Macht zu forderndem Zwang entkleidet, ihre Stärke entfalten. Lassen Sie sich also in den ersten elf Kapiteln einfach von der Geschichte tragen und achten Sie dabei auf Ihre Gefühle, Stimmungen, Gedanken, Erinnerungen, Ihre Ablehnung oder Zustimmung, auftretende Langeweile, verschämte oder offene Erregung, Traurigkeit, Wut, Peinlichkeit oder ein freies, öffnendes Empfinden in Ihrer Brust.

Wer also bereit ist, sich dem Strom der Entwicklungen hinzugeben, sich in seinem Fühlen einzulassen und Gefallen finden kann am reflektierenden Rahmen der Beweisführung der These, dass die Liebe das große gestaltende Prinzip des Universums ist, der könnte hier fündig werden.

Und sollte die Lektüre meines Buches Sie dazu anregen, sich dergestalt mit Ihrer eigenen Liebesfähigkeit auseinanderzusetzen und diese zu stärken oder gar erst zu entdecken, so wäre dies mein größter Lohn.

Liebesglück

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