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DIE FRÜHEN JAHRE
ОглавлениеEs kommt mir vor wie gestern, dass ich als 13-Jähriger in Seattle total aufgeregt war, wenn die berühmten Bigbands in der Stadt auftraten. Ich war völlig paralysiert von der Ausstrahlung dieser so begabten, würdevollen, witzigen, ganz und gar originellen, weltoffenen Meister. – Q
Q
uincy Jones ist das erfolgreichste Allround-Talent in der Geschichte der amerikanischen Unterhaltungsmusik. Eine starke Behauptung und sicherlich keine, die der zurückhaltende Künstler für sich selbst in Anspruch nehmen würde. Aber sehen wir uns die Fakten an: Ist er ein guter Musikproduzent? Nun, er hat lediglich das meistverkaufte Album aller Zeiten produziert, Michael Jacksons Thriller, außerdem den Chartstürmer »We Are the World«, für den er 46 Superstars zusammentrommelte. Kann er sonst noch etwas? Nicht viel … außer komponieren, arrangieren und jedes erdenkliche Blechblasinstrument spielen. Kann er auf der Bühne und im Studio mit großen Musikern mithalten? Louis Armstrong, Dizzy Gillespie, Count Basie, Duke Ellington, Ray Charles, Frank Sinatra, Peggy Lee, Aretha Franklin, Paul Simon, Michael Jackson, George Benson, Donna Summer, Gloria Estefan, Celine Dion, Bono und Ice T sind nur einige der Stars, mit denen er in den letzten Jahrzehnten eng zusammengearbeitet hat.
Das sollte wohl reichen, um den Tag – und etliche Nachtstunden – eines Menschen auszufüllen, aber Quincy Jones hat nie Zeit vertrödelt, nicht als junger Mann und nicht im fortgeschrittenen Alter. Ganz nebenbei hat er als Solokünstler Hits aufgenommen und die Musik für Dutzende Filme und Fernseh-Shows geschrieben. Und mit Musik allein gibt er sich nicht zufrieden. Er produzierte äußerst erfolgreiche Filme und TV-Shows, organisierte völkerverbindende Konzerte und rief Vibe, das führende Hip-Hop-Magazin, ins Leben. Schließlich besitzt er mehrere Fernseh- und Radiosender und engagiert sich für diverse humanitäre Hilfsprogramme.
Wer auch immer seit 1950 auf der Welt ist, wird schon einmal etwas von Quincy Jones gehört oder gesehen haben oder von etwas beeinflusst worden sein, an dem er mitgewirkt hat – und dasselbe wird wohl für unsere Eltern und Kinder gelten, denn Jones‹ Schaffen verbindet die Generationen und reicht von Jazz und Pop bis hin zu Funk, R&B und Rap. In all den Jahren seiner Karriere hat Quincy Jones nie seine Wurzeln im Bigband-Jazz aus den Augen verloren und niemals die vielen Menschen vergessen, die ihn förderten und inspirierten, seine Begabungen zu entwickeln.
Als ich sieben war, nagelte man meine Hand mit einem Klappmesser an einen Holzzaun. – Q
Als Quincy Delight Jones Jr. am 14. März 1933 in Chicago das Licht der Welt erblickte, standen die Chancen denkbar schlecht, dass er der Armut entkommt, unter der während der Wirtschaftskrise so viele schwarze Amerikaner litten, und niemand hätte darauf gewettet, dass er es einmal zu einem der wichtigsten Männer Hollywoods bringen würde. Seine hochgebildete Mutter war psychisch krank und wurde schließlich in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Sein Vater, ein Schreiner, fand in Zeiten der Rassendiskriminierung kaum Arbeit und stellte seine Säge schließlich in den Dienst der größten und gefährlichsten Gangsterbanden Chicagos.
»Als Kind bestand meine Welt aus billigen Zigarren, den Hinterzimmern von Schnapsläden mit Spionspiegeln, Typen mit Maschinenpistolen und Tischen, auf denen das Geld in Haufen lag«, erinnert sich Jones. »Jeden Tag sahen wir, wie Menschen erschossen wurden, oder Kerle, die mit Eispickeln im Hals von Telegrafenmasten hingen. Als ich sieben war, nagelte man meine Hand mit einem Klappmesser an einen Holzzaun. Mein Daddy schlug einem der Kerle mit einem Hammer auf den Schädel; einer von ihnen rammte mir einen Eispickel in die Schläfe. So war der Alltag in Chicago! Es war die größte Herausforderung, lebendig zur Schule und wieder nach Hause zu kommen.«
Aber Quincy schaffte es raus aus Chicago: Als er zehn war, zog sein Vater mit ihm und seinem Bruder Lloyd in die Werftenstadt Bremerton nahe Seattle. Damals wie heute konnten junge schwarze Männer wie er leicht auf die schiefe Bahn geraten. Wenn sich Elternhaus und Gesellschaft kaum um die Kinder kümmern und es in angesehenen Berufen kaum schwarze Vorbilder gibt, ist es schwer, sich von der Straße und den Problemen dort fernzuhalten. »Keiner sagt dir, was du tun musst, um da rauszukommen«, erklärt Jones. »Mein Dad musste ständig arbeiten. Er –hatte acht Kinder und verdiente 55 Dollar pro Woche.«
Zum Glück für ihn selbst und Millionen Musik begeisterte Menschen fand Quincy einen besseren Weg, etwas mit seiner Begabung anzufangen. Einen, der ihm viel Kummer ersparte und ihm eine neue, universelle Gemeinschaft jenseits bestimmter Häuser oder Städte bot. »Ich sang nur und spielte Klavier und Altsaxofon, als es mit den Bigbands losging«, erzählt Jones. »Count Basie, Woody Herman, der Duke [Ellington] – ich ging zu allen Gigs. Und ich sagte mir: ›Hier möchte ich mein Leben verbringen. Und ich möchte Arrangeur und Komponist sein.‹«
Quincy Jones war schon als Jugendlicher ein Ausnahmetalent auf diversen Instrumenten, was sich später als sehr nützlich erwies, da er beim Arrangieren von Bigband-Musik für jedes einzelne Instrument genau abgestimmt schreiben konnte.
Ebenso wusste er, dass er als professioneller Musiker nicht nur wie ein Erwachsener spielen, sondern sich auch wie einer benehmen musste. Auf jeden Fall war er flink dabei, sich Tipps von älteren Musikern zu holen, gleich ob sie vor Ort lebten oder auf der Durchreise waren. »Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass Seattle während des Zweiten Weltkriegs eine der brodelndsten Städte Amerikas war«, sagt er. »Hier öffnete sich nämlich der Vorhang zu den Schauplätzen im Pazifik – Iwo Jima, Japan und all das. Die Stadt brannte förmlich.« Eines seiner Vorbilder dort war der Bandleader Bumps Blackwell, der später die Hits von Little Richard produzierte. Und dann gab es da den jungen Ray Charles, der nicht viel älter war als Jones, aber trotz seiner Blindheit schon Tausende von Meilen von seiner Heimat entfernt allein lebte und sich seinen Lebensunterhalt mit Musik verdiente. Schon bald trafen sich Quincy und Ray zum gemeinsamen Spielen, Arrangieren und Komponieren – der Beginn einer lebenslangen engen Freundschaft.
Großen Einfluss auf seine Musik und seine Haltung zum Leben nahm Clark Terry, »der mir beibrachte, an meinem Ansatz zu arbeiten und der auch großen Einfluss auf Miles Davis hatte. Clark ist noch immer der größte lebende Trompeter. Mit 13 Jahren nahm Count Basie mich unter seine Fittiche. Er sagte: ›Junge, ich werde dir mal verraten, wie das schwarze Showbusiness funktioniert. Es dreht sich alles um die Hügel und die Täler‹ – die Hügel waren eine Metapher für Erfolg. ›In den Tälern findest du raus, was in dir steckt. Denn erst wenn es schwierig wird, erkennst du, wer du wirklich bist‹«.
Quincy Jones brannte darauf, als Musiker durchs Land zu ziehen. Mit 15 wurde er eingeladen, mit der Band des großen Lionel Hampton auf Tournee zu gehen, aber in letzter Minute wurde er aus dem Bus geholt, weil er zu jung war. Das war ein herber Schlag, letztlich aber vielleicht ein großes Glück, denn als Teenager mit einem Jazzstar unterwegs zu sein, hätte wahrscheinlich nur Ärger mit sich gebracht. Nun konnte Quincy die Highschool beenden und sich intensiv dem Instrument widmen, das sein entscheidendes werden würde. »Nach Klavier lernte ich Tuba, Sousafon, Baritonhorn, Althorn, Waldhorn und Posaune – weil die Posaunen in der Marching Band immer in der Nähe der Majoretten standen, die den Stab schwangen. Ich war eben schon immer sehr praktisch veranlagt. Aber schließlich landete ich wieder bei der Trompete, meiner großen Liebe, und ich konzentrierte mich ganz auf sie.«
Ich spielte Tuba, Sousafon, Baritonhorn, Althorn, Waldhorn und Posaune – weil die Posaunen in der Marching Band immer in der Nähe der Majoretten standen, die den Stab schwangen. Ich war eben schon immer sehr praktisch veranlagt. Aber schließlich landete ich wieder bei der Trompete, meiner großen Liebe, und ich konzentrierte mich ganz auf sie. – Q
Nach seinem Highschool-Abschluss zog Quincy nach Boston, wo er vom Schillinger House (später unter dem Namen Berklee College of Music bekannt) ein Stipendium bekam. Aber es dauerte nicht lang, bis Lionel Hampton ihm erneut einen Platz in seiner Band anbot. Dieses Mal ergriff er die Chance – und blickte nie mehr zurück. 1951 komponierte und arrangierte er Hamptons »Kingfish«. Wenn für Aufnahmen ein geschmeidiger Sound gewünscht wurde, war Jones genau der richtige – und er brachte diese besondere Note in viele Jazz- und R&B-Platten der 1950er-Jahre ein. Nachdem er mit Hampton durch Europa und mit Dizzy Gillespie durch die ganze Welt getourt war, war er bereit für einen noch größeren Auftritt – eine internationale Tournee mit seiner eigenen Bigband.
Nimmst du Arbeit in die Hände, mach sie fertig bis zum Ende. Ob sie groß ist oder klein, mach sie gut, sonst lass es sein. – Quincy Jones Senior
© Courtesy of Quincy Jones
Q und Major Pigford als Comedyduo Benzadreen and Methadreen
© Charles W. Taylor
Die Charlie Taylor Band 1947 im YMCA. Es war Qs allererster Gig. Jeder Musiker erhielt 7 Dollar.
© Courtesy of Quincy Jones
Taylor, Buddy Catlett, Q und Billy Johnson am Bass
© Courtesy of Quincy Jones
In Seattle, 14 Jahre alt, in der Pose eines abgeklärten Musikers. Die Zigarette ist nur ein Requisit, um ihm Gigs in Nightclubs zu verschaffen – Q rauchte nicht.
© Courtesy of Quincy Jones
Oben: Mit Dinah Washington im Birdland Unten: Q feiert seinen Geburtstag auf Tour mit der Lionel Hampton Band.
Q war der Sekretär der Charlie Taylor Band. Hier eines seiner Protokolle.
KINDHEIT
»Meine Mutter war unglaublich intelligent«, sagt Quincy. »Sie studierte in den 1920er- und 1930er-Jahren an der Boston University und beherrschte zehn oder zwölf Sprachen in Wort und Schrift. Aber sie litt unter Demenz-Anfällen, die wahrscheinlich durch Vitamin B hätten geheilt werden können. Damals wusste man das aber nicht, oder es interessierte niemanden, weil sie nur eine Schwarze war. Also steckte man sie in eine Anstalt, als ich sieben war.
Ich wurde von meinem Vater erzogen. Jeden Tag sagte er diesen Spruch auf: Once a task has just begun, never leave it till it’s done, be the labor great or small, do it well or not at all. (Nimmst du Arbeit in die Hände, mach sie fertig bis zum Ende. Ob sie groß ist oder klein, mach sie gut, sonst lass es sein.) Jeden Tag predigte er uns das vor. Und es hat uns wahrscheinlich gerettet, weil es uns lehrte, Wert auf Qualität und handwerkliches Können zu legen.«
Eine harte Hand war genau das, was Quincy und sein Bruder Lloyd brauchten, um nicht ins kriminelle Milieu Chicagos abzurutschen. Doch ihr Leben in der Windy City endete abrupt: Die Jones Boys – nicht Quincy und Lloyd, sondern schwarze Gangster, für die Quincys Vater schreinerte – wurden von Al Capone aus der Stadt gejagt, »als dieser rausfand, wie viel Geld sie verdienten. Daddy kam in den Friseurladen, um mich und meinen Bruder abzuholen. Er sagte: ›Wir hauen ab‹, und ich fragte: ›Können wir unsere Spielsachen holen?‹ Er antwortete: ›Dafür ist keine Zeit.‹ Wir stiegen in einen Bus und fuhren hoch in den Nordwesten. In Bremerton gingen wir zur Schiffswerft, und dann schickte man uns in einen Ort weit außerhalb namens Sinclair Heights. Wir mussten drei Meilen bergauf laufen. Da brachten sie alle Schwarzen unter«.
Aber Quincy Jones ist nicht der Typ, auf eine schwere Kindheit mit Bitterkeit zu schauen. »Es gibt ein Buch, das Zu früh alt, zu spät klug heißt«, sagt er, »und darin steht etwas, an das ich seit Langem glaube: Eine schreckliche Kindheit muss nicht ein lebenslanges Hindernis sein. Überwinde sie und geh deinen Weg. Einige der erfolgreichsten Menschen unserer Zeit sind unter furchtbaren Umständen aufgewachsen.« So zum Beispiel Ray Charles, mit dem Jones eine seiner ersten und dauerhaftesten musikalischen Partnerschaften einging.
Einbruch mit Folgen
»In Bremerton war eine Lagerhalle unser Freizeitheim«, erinnert sich Quincy. »Wir hörten von einer neuen Lieferung Eiscreme und Zitronenkuchen und wollten ausprobieren, was wir als Kinder bei den größten Gangstern der Welt gelernt hatten. Also stiegen wir dort ein, stopften uns mit Kuchen voll und durchstöberten dann jeder für sich die verschiedenen Räume. Ich brach in das Büro des Aufsehers ein, sah in der Ecke ein kleines Spinett stehen und wollte schon weitergehen, als mir Gott einflüsterte: ›Dummkopf, geh zurück in das Zimmer.‹ Also ging ich zurück und berührte das Klavier. Jede Zelle meines Körpers und jeder Blutstropfen schrie: ›Dafür lebst du.‹ Also blieb ich und übte den ganzen Tag auf dem Klavier. Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich dieses Instrument nicht entdeckt hätte.«
© Courtesy of Quincy Jones
Oben: Quincy Dwight Jones, Senior und Junior Unten: Qs Mutter, Sarah Francis Wells Jones
© Russell Lee, Library of Congress, Prints & Photographs Division, FSA / OWI Collection, [repro no: LC-USF34-038895-D]
Die South Side von Chicago in den 1930er-Jahren