Читать книгу In Liebe Erwachen - Qumarce Habibzadeh - Страница 8

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Tuba und ihre offene Wunde

Eine Frau mit Kopftuch stand einmal ohne Anmeldung vor der Tür – sie hatte ein Kleid wie einen Mantel an und konnte sehr gut Deutsch. Ich wollte ihr erst einen Termin geben, aber sie wollte mir nur etwas erklären, deshalb bat ich sie rein zu kommen und sie versprach, dass es kurz sein würde.

Dann sagte sie zu mir: „Ich habe von Ihnen gehört, deshalb bin ich hier, um für meine Tochter einen Talisman oder ein Gebet zu holen, um es ihr zu geben, damit sie es immer dabei hat“. Ich fragte, wozu das gut sein solle – sie antwortete, dass ihre Tochter eine schlimme Krankheit habe und eine Heilung nicht in Sicht sei.

Ich sagte, ich sei kein Arzt und ich könne ihrer Tochter nicht helfen, außerdem hätte ich keinen Talisman, denn mit solchen Sachen würde ich nicht arbeiten. Sie fuhr fort, ihre Tochter sei schon operiert und wäre in Therapie, sie brauche aber eine andere Form von Heilung und Hilfe.

Ich fragte sie, ob es sein könnte, dass ihre Tochter geistige Impulse für die Heilung braucht, dann könne ich ihr helfen - aber sie soll selbst zu mir kommen und zwar alleine. Sie fragte mich, warum sie ihre Tochter nicht begleiten dürfte.

Und ich antwortete, weil sich die Tochter bei Anwesenheit der Mutter nicht öffnen und nicht reden würde. Sie sagte, sie werde mit ihrer Tochter sprechen und sie hierher bringen, aber sie verlangte, dass ich ihr danach alles berichte. Ich sagte, ich würde es ihr sagen, wenn ihre Tochter es mir erlauben würde.

Die Tochter kam auch bald zu mir – sie war 22 Jahre alt und ca. 1,60 groß. Sie versteckte wie ihre Mutter die Haare unter einem Kopftuch und war schüchtern. Die Mutter war besorgt, die Tochter bei mir alleine zu lassen, aber nachdem sie der Tochter in ihrer Sprache etwas gesagt hatte, verließ sie uns.

Wir haben angefangen miteinander zu reden, aber sie hielt ihren Kopf immer gesenkt und schaute mir nie in die Augen – ich fragte, was ihre Krankheit sei und sie antwortete, sie sei eine offene Wunde.

Ich hakte nach und fragte, wo genau sich diese Wunde befinde – sie schluckte und sagte mit gewisser Verzögerung: „Zwischen den Beinen“. Ich fragte sie, wo genau und sie sagte, „da unten“.

Ich hatte das Gefühl, dass sie vermeiden wollte, den Begriff Scheide oder Vagina in den Mund zu nehmen – ich fragte: „Wie nennen die Ärzte diese Krankheit?“„Fistel“, antwortete sie. „Ok, verstehe!“ sagte ich und fuhr fort.

„Was machen Sie? Arbeiten Sie oder machen Sie eine Ausbildung?“ fragte ich sie. „Ich bin Studentin“ sagte sie, sie studiere Informatik und werde nächstes Jahr eventuell fertig.

„Haben Sie einen Partner, einen Freund?“, fragte ich sie ganz vorsichtig. „Nein“, sagte sie mit einem Lächeln. Ich fragte: „Was ist mit Ihrer Sexualität? Haben Sie schon mal Sex gehabt?“ Sie wurde im ganzen Gesicht rot und mit einem Lächeln sagte sie: “Wir können

so was nicht vor der Hochzeit haben“.

Ich fragte sie: „Haben Sie Angst, mir in die Augen zu gucken?“ „Nein, aber in unserer Mentalität tut man das nicht“, erklärte sie mir. Ich verlangte, dass sie mir bitte einmal in die Augen schaut und sie tat es.

Ich weiß nicht wie viele Sekunden das Ganze gedauert hat, aber es war lang genug um klar zu sehen, wo das Problem war. Ich habe ein wunderschönes Mädchen gesehen, das lebendig war. Eine Frau voller Liebe und voller Lust für das Leben und ganz reif für eine Partnerschaft.

Ich habe ein Mädchen gesehen, das nach Sexualität fieberte. Aber voller Kraft versuchte sie, dieses Verlangen zu unterdrücken. Ich habe ihr gesagt: „Sie tun Ihnen selbst keinen Gefallen. Sie setzen sich selbst unter Druck, wozu eigentlich diese Keuschheit?“

Sie antwortete mir: „ Das ist leichter gesagt als getan – das ist unsere Erziehung, Kultur, Religion und Mentalität – wir müssen Jungfrau bleiben, um den Männern unsere Unschuld zu beweisen“.

Ich sagte: „ Eine Fistel tritt sehr oft bei Frauen auf, die ihre Männer nicht lieben oder allgemein bei denen, die ihre Sexualität verneinen – eine Fistel tritt bei den Frauen auf, die lieblose Männer haben. Und sie möchten ihre Sexualorgane den Männern gegenüber sozusagen „sperren“.

Ich betonte, sie sei aber eine Jungfrau – und unverzüglich fragte ich sie, ob die Wunde schon stinken würde. Sie antwortet schnell, „Nicht mehr“.

Ich fragte sie. „Wann war die Operation?“ und sie sagte „ Vor sechs Monaten“. Dann begann ich wie ein Wohltäter ihr zu erklären, dass sie ihre Heilung vorantreiben könne, wenn sie ihre Sexualität bejahen würde.

Ich sagte, sie solle sich überlegen, ob sie in Freiheit leben möchte, oder in den Fesseln ihrer Glaubensgemeinschaft – ich sagte ihr, sie sei eine Studentin und Studenten sind Revolutionäre, die immer gegen die alten verkrusteten Gesetze kämpfen.

Ich sagte, sie solle Gott nicht so klein machen und denken, dass er mit ihr nur dann zufrieden sei, wenn sie sich verletzen oder ihre Bedürfnisse verleugnen würde. Ich sagte ihr, es sei ihr Geburtsrecht glücklich zu sein und Gelüste und Sexualität seien ihr von Natur aus mitgegeben worden.

Wenn so etwas nicht erlaubt wäre, hätte Gott es uns nicht gegeben. Ich sagte ihr, sie solle sich mit sich selbst versöhnen und wissen, dass sie sich diese Wunde selbst zugefügt hat und zwar mit ihrem Glauben und mit ihrem Kampf gegen den eigenen Körper.

Ich fuhr fort, dass einige Männer sich wegen ihrer Homosexualität umbringen, weil sie ihre Neigung nicht anerkennen können – ich sagte, diese Männer möchten anders sein als es ihre Natur vorgesehen hat.

Ich betonte, was sie getan habe, sei derselbe Unsinn. Der Fußballer, der sich angeblich wegen seiner Neigung zu Männern umgebracht hat, hatte vielleicht genau wie sie einen Kampf gegen seinen eignen Körper geführt.

Ich sagte ihr, sie könne sicher sein, dass ihre Heilung in ihren Händen liege. Sie könne ihre Heilung beschleunigen, wenn sie sich annehme so wie sie ist.

Sie weinte, während sie sich zum Gehen richtete – vor der Tür sagte sie zu mir: „Seit Jahren läuft dieser Kampf in mir ab“ – ich sagte ihr als letztes Wort: “Die Zukunft gehört den mutigen Menschen“.

Sie war dann zwar schon weg, aber ich habe ihr Gesicht und all ihre Schmerzen für lange Zeit präsent gehabt. Ich habe an die vielen Ehrenmorde in Deutschland gedacht und an Prozesse, bei denen Vater, Mutter und Söhne geweint haben. Es ist einfach für uns, das zu verurteilen, – aber das Ganze zu verstehen, ist fast unmöglich.

Einen Tag nachdem sie bei mir, kam ihre Mutter und wollte wissen, was los war. Ich hatte Mitgefühl für sie und ihre Sorgen, deshalb habe ich liebevoll mit ihr geredet. Ich erklärte ihr, dass ihre Tochter viel Freiheit und Toleranz braucht.

Ich sagte ihr, ihre Tochter sei durch ihren Glauben massiv unterdrückt – ich versuchte, alles ganz vorsichtig zu formulieren, ohne sie zu verletzen, deshalb habe ich bei jedem Wort das ich gesagt habe, doppelt aufgepasst.

Ob die Mutter mich richtig verstand oder das Mädchen sein Leben verändert hat, ob sie künftig etwas für sich in Anspruch genommen hat, das weiß ich nicht. Aber die Hoffnung habe ich schon.

In Liebe Erwachen

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