Читать книгу Homo sapiens movere ~ gejagt - R. R. Alval - Страница 7
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ОглавлениеAlan wachte nicht auf.
Noch nicht mal zu meinem Geburtstag, an den ich mich nur erinnerte, weil meine Familie anrief. Egal wie sehr ich hoffte oder wie viele Heilungsrituale wir auch vollzogen: Alan blieb regungslos in seinem Bett liegen. In seinem Arm steckte ein dünner Schlauch für die Infusion. Unter der Bettdecke kam ein weiterer Schlauch zum Vorschein, der in einen Beutel führte. Glücklicherweise verfügte das Rudel über einen Arzt, dessen Dienste im Normalfall nicht von Gestaltwandlern in Anspruch genommen wurde. Er was derselbe, der mir den Gips verpasst hatte.
„Sam, lass uns ein wenig raus gehen. Den Kopf durchblasen. Irgendwas.“ Mayas flehende Blicke entlockten mir ein kleines Lächeln. Sie hatte Recht. Alans Anblick deprimierte mich. Da war es doch viel lustiger, ein wenig draußen herum zu spazieren und Zielscheibe für Roman zu spielen. „Glaubst du, das ist klug? Was, wenn Roman auftaucht?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wer sagt uns denn, dass wir hier sicher sind? Sind wir nicht. Das weißt du ebenso gut wie ich.“ Auch das stimmte.
Leider.
Genau wie ihr Mann Matthes, Josh und ein paar wenige andere Were, hatte Maya sich dazu entschlossen die Stellung zu halten. Dabei wüsste ich sie lieber in Spline. Als könnte sie meine Gedanken erraten, schüttelte sie leicht den Kopf. „Ich gehe nicht nach Spline, Sam. Selbst wenn mein Leben davon abhängt. Viel zu viele schlechte Erinnerungen. Alan weiß das.“ Ich runzelte die Stirn; hoffte, dass sie weiter sprach. Doch sie winkte schluckend ab. Anscheinend hatte sie schon genug gesagt.
Ich wollte nicht nachbohren.
Ich konnte es verkraften, nicht eingeweiht zu sein. Wenn sie mir mehr hätte sagen wollen oder können, ohne in den Strudel einer hässlichen Vergangenheit gerissen zu werden, hätte sie es getan. Dafür hatte ich Verständnis.
Ah… verdammte Scheiße!
Und ob ich es wissen wollte.
Sobald Alan wach war, würde ich ihn ausquetschen wie ein feuchtes Handtuch!
Doch Alans Zustand änderte sich nicht.
Fünf Wochen voller Sorge, was als Nächstes passierte und ob Alan überhaupt je wieder aufwachte, gingen an mir nicht spurlos vorüber. Ebenso wenig die Heilungsrituale, die laut Joshs Erklärung vollkommen nutzlos waren. Alan war gesund. Sein Körper funktionierte reibungslos. Nur sein Geist schien gefangen zu sein und erlaubte es Alan nicht aufzuwachen. Romans mentaler Schlag hatte verheerendere Folgen als eine Bekanntschaft mit einer ganzen Bullenherde.
Selbst das Lesen von Alans Chakren half nicht weiter; die waren makellos intakt.
Es schien vielmehr so, als habe Roman nicht Alans Gehirn, sondern dessen Seele beeinflusst und diese in seinem Körper eingeschlossen. Eine schreckliche Vorstellung, wenn ich bedachte, dass Alan eine Kämpfernatur war, die niemals aufgab.
Womöglich bekam er alles um sich herum mit. Konnte sich nur nicht verständlich machen.
Dieses Bild belastete mich weit mehr als Alans Regungslosigkeit. Was, wenn er für immer so bliebe? Wäre es ihm dann lieber…
Nein!
An sowas sollte ich nicht denken.
Ich sollte mich auf die Zukunft konzentrieren. Noch hatten wir das Problem Namens Roman, das sich nicht von allein lösen würde. Alan musste aufwachen. Eine andere Option kam überhaupt nicht in Frage. In der Zeit, in der ich nicht an Alans Bett saß, lief ich durch sein riesiges Anwesen, um mich abzulenken. Funktionierte selten länger. Dann wurde ich unruhig und musste mich zwingen, nicht sofort an Alans Seite zurückzukehren. Ich benahm mich wie eine Ehefrau, deren Liebster im Koma lag. Dabei war Alan nicht mein Liebster. Aber er und ich waren durch das Schicksal einander gekettet. Wenn er nicht aufwachte, wer sollte mir dann mit Roman beistehen?
Viele Stunden verbrachte ich in der Bibliothek, mit Maya in der Stadt oder einfach nur vor dem Fernseher. Oft beschäftigte ich mich mit Dingen, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich des Personals fielen und weswegen mich Scott bereits mehr als einmal tadelnd angesehen hatte. Und wenn seine Augen Funken sprühen würden: Es war mir schnuppe.
Hin und wieder schaffte ich es sogar, mich derart in Alans Fitnessbereich zu verausgaben, dass ich erschöpft an seinem Bett einschlief.
Es war kein Wunder, dass ich nach den endlosen Tagen meinen Rücken deutlicher spürte als jemals zuvor. Außerdem hatte ich während der nicht enden wollenden Stunden, die ich bei Alan saß, genug Zeit, um mir Gedanken zu machen.
Etwas Wichtiges war mir dabei klar geworden: Roman war nicht hinter mir her um Rache zu nehmen, sondern hinter Alan. Dass bedeutete, dass ich aus vorerst – theoretisch – aus dem Schneider war. Was meine Familie betraf. Denn die schien nicht in unmittelbarer Gefahr zu sein. Für alle Fälle hatte ich Steward Bingham trotzdem telefonisch darum gebeten, bei ihnen hin und wieder nach dem Rechten zu sehen. Natürlich ohne dass sie etwas davon mitbekämen.
Ich verstand jedoch nicht, aus welchem Grund mich Roman auf den Baum verpflanzt hatte.
Welche Absicht hatte er damit gehegt?
Hatte er gehofft, dass ich mir den Hals brach?
Nein, eher schien er großen Wert auf Alans Anwesenheit zu legen. Warum sonst hätte er uns angreifen sollen, als wir zusammen unterwegs waren? Dazu passte allerdings nicht, dass er Alan außer Gefecht setzte.
Für Wochen!
Im Moment schien ich jedoch vor Romans Rachedurst an Alan relativ sicher zu sein. Es wäre möglicherweise sogar ganz praktisch, wenn Alan nicht mehr aufwachte. Schließlich war ich nicht an ihn gebunden. Was Roman wichtig sein musste. Sonst würde ich mir die Radieschen nämlich schon eine ganze Weile von unten ansehen. Vielleicht, weil mit der endgültigen Bindung ein Teil von Alan sehr viel mehr leiden würde als ohne diese?
Es war nur eine Vermutung, aber eine ziemlich nahe liegende.
Dennoch, der Baum passte überhaupt nicht in das Muster. Diese Aktion hatte – außer dass es mir hochpeinlich gewesen war – mich oder Alan weder von etwas abgehalten noch in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht.
So sehr ich auch darüber nachgrübelte – ich verstand es nicht. Unter Umständen war das aber auch einfach nur Romans Sinn für Humor.
Sofern man einem Vampir sowas unterstellen konnte.
„Du wirkst ein wenig nachdenklich, kleine Sam.“ Oh verflixt, wenn man vom Teufel sprach… beziehungsweise an ihn dachte! Dir passiert nichts. Solange mein guter Freund ein Nickerchen hält, wäre es wenig spaßig dich ihm zu entreißen… Stocksteif saß ich an Alans Bett und getraute mich nicht mich umzudrehen. Roman stand hinter mir. Aber warum hörte ich ihn in meinem Kopf? „Was willst du hier?“, fragte ich mutig, obwohl ich innerlich zitterte wie Espenlaub. „Eine gute Frage, nicht wahr, kleine Sam? Um ehrlich zu sein hatte ich gehofft, dass du und Alan euch ein wenig näher gekommen seid. Aber wie ich sehe, ist der Gute noch nicht aufgewacht. Ich habe meine Kräfte wohl unterschätzt. Allzu vertraut bin ich mit ihnen noch nicht.“ Pah, dass ich nicht lachte! Ich war mir ziemlich sicher, dass Roman genau wusste, was er tat. Nur die Absicht dahinter war mir unerklärlich. „Wenn du schon mal da bist, kann ich dich auch fragen, warum du mich auf den Baum gebracht hast. Was war der Zweck dahinter? Sollte ich mir das Genick brechen?“ Unbewusst hatte ich mich aufgestellt und Roman damit die Sicht auf Alans Gesicht genommen.
Nur für den Fall, dass Alan just in diesem Moment aufwachte.
Das tat er nicht.
Dafür betrat jedoch Josh den Raum. Und der war für Roman ein willkommenes Ziel. Bei ihm wäre es egal, ob Alan dabei zusah, wenn er starb. Woher ich das wusste, war mir schleierhaft, denn Roman ließ nichts erkennen, was mich zu dieser Einsicht brachte. Meine Entscheidung dauerte kaum länger als ein Augenblinzeln. Denn Roman war klar im Kopf. Viel klarer als jemand, den es nach Rache dürstete, sein sollte. „Bleib bloß hinter mir!“, zischte ich zu Josh, vor dem ich mich aufbaute. Eigentlich lächerlich, wo er mich doch mehr als zwei Köpfe überragte. „Du bist sein Ziel, nicht ich.“ Obwohl ich Josh nicht ins Gesicht sehen konnte, wusste ich, wie sehr er mit sich rang. Ich war seine Alpha. Er musste tun, was ich sagte. Gleichzeitig musste er jedoch auch für meine Sicherheit sorgen. „Bist du dir sicher, kleine Sam?“ Romans kaltes Grinsen ließ mich zittern, während ich schluckend antwortete, dass ich mir absolut sicher sei. Immerhin lebte ich noch. „Vielleicht möchte ich mit dir spielen, kleine Sam?“ Gezielte Fragen, die mich aus der Reserve locken sollten. Doch sie erreichten das Gegenteil.
Roman war nicht wahnsinnig, sondern eiskalt planend.
Ein Mörder, der keine Ruhe geben würde, bis Alan seelisch zerstört war und darum bettelte sterben zu dürfen. „Du willst mit Alan spielen, nicht mit mir.“ Roman schnalzte mit der Zunge, Josh hinter mir knurrte. „Reiß dich zusammen, Josh!“ So hatte ich bisher nie mit ihm gesprochen, aber es musste sein. In meinem Kopf ratterte es unaufhörlich, während ich nach einem Ausweg, einer Lösung suchte. Doch wie ich es auch drehte und wendete, es schien keine zu geben. Alan konnte Roman nicht aufhalten. Ich ebenso wenig. Fiat konnte ihn in Schach halten, aber nur für eine bestimmte Zeit. Die Pir waren ihm wahrscheinlich ebenso wenig gewachsen. Die einzigen, die ihn vielleicht stoppen konnten, waren die Ker-Lon.
Doch wie sollten wir an die herankommen?
Würden die uns überhaupt helfen?
Einen Grund hatten sie keinen dazu. Schließlich hatte Alan eine der ihren umgebracht. Zwar in Notwehr, aber soweit ich wusste, spielte das für Ker-Lon keine Rolle. Alan, ich und viele andere würden definitiv sterben. Egal wie lange Roman dafür brauchte. Und wenn er die Geduld verlöre, wäre es egal, ob Alan und ich aneinandergebunden waren oder nicht.
Ach was, ich wusste, dass ich früher oder später mit Alan schlafen würde.
Schon jetzt fiel es mir schwer, mich von ihm fernzuhalten. Wieso kürzte ich die ganze Sache also nicht einfach ab? Wenn Alan und ich nicht mehr lebten, würde Roman aufgeben müssen. Ich erinnerte mich an Humphreys Warnung, die mir lange Zeit wie eine Mahnung in den Ohren gehangen hatte… Wenn du dich dazu entschließt Energie aufzunehmen, egal ob bewusst oder unbewusst, kann niemand dich aufhalten. Ich nicht, ein anderer Ker-Lon nicht und auch sonst wer nicht. Noch nicht einmal ein Vampir oder die Pir. Sie mögen dazu in der Lage sein deinem Herzen zu befehlen, aufzuhören zu schlagen oder deiner Lunge, das Atmen einzustellen. Doch um deine Fähigkeiten als movere oder Saphi zu beeinflussen, müssten sie wissen, woher du diese nimmst. Und das Kleines, ist unmöglich. Denn du selbst bist diese Fähigkeit. Wenn du dich also entscheidest, kannst nur du selbst diesen Entschluss aufhalten…
Ich musste lediglich genug Energie in mich aufnehmen und diese dann gebündelt in uns beiden freilassen, während ich Alan sehr nah war. Wir würden beide sterben, ohne dass jemand etwas dagegen unternehmen konnte oder selbst in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Noch nicht einmal Roman.
Sofern er uns nicht berührte.
Josh atmete zischend hinter mir ein und wich einen Schritt zurück. „Sam, deine Haut…“ Ich drehte meinen Kopf zu ihm um und nickte. „Ich weiß.“ So wie er seine Augen aufriss, musste Josh wissen, was ich plante. Er setzte bereits an etwas zu sagen, als Romans Stimme wie eine reißende Brandung über mich donnerte. „Untersteh dich, Samantha!“
Herausfordernd drehte ich mich zu ihm um und setzte ein provokatives Lächeln auf. „Warum? Ich weiß, wo deine Rache endet, Roman. Doch vorher wirst du mir und Alan wehtun. Wieso sollte ich nicht selbstsüchtig sein und es aus eigenem Antrieb beenden? Ich mag Schmerzen nicht, weißt du? Weder seelische noch körperliche. Doch genau darauf wird es hinauslaufen, wenn ich jetzt keinen Schlussstrich ziehe. Das verstehst du doch, nicht wahr, Roman?“ Seine Gesichtszüge verzogen sich zu einer bedrohlichen Grimasse. „Es würde damit nicht aufhören, Sam. Deine Familie würde als Nächstes leiden. Und dann jeder einzelne aus dem Rudel.“ Es fiel mir schwer, mein provokatives Lächeln aufrecht zu erhalten. „Ach ja? Das glaube ich dir nicht. Du willst Alan leiden sehen. Vielleicht auch mich, sonst würdest du nicht meiner Familie drohen. Außerdem hat die Sache noch einen Haken: Wenn keiner mehr von Alans Rudel existiert, wird niemand die Wandler in Schach halten können. Ribberts Rudel allein schafft das nicht. Du weißt das. Noch nicht einmal du wirst das wollen.“ Roman lachte. Eisig wie ein Felsklotz. „Wenn es meinen Rachedurst sättigt, denke ich nicht darüber nach.“ Es war eine Lüge. Ich wusste es.
Ich konnte seine Unsicherheit beinah fühlen, als wäre Roman ein Teil von mir.
Dabei zeigte nichts an seiner Haltung oder seinem Gesichtsausdruck auch nur das Geringste davon.
Konnte er meine Entschlossenheit ebenso spüren?
„Für heute hast du gewonnen, kleine Sam. Aber glaube nicht, dass es vorbei ist.“ Ehe ich etwas erwidern konnte, war Roman verschwunden. Auf meiner Haut hingegen tanzten die Energiefäden wilder als jemals zuvor. „Ich weiß nicht genau, was du vorhast, Sam, aber denke noch einmal darüber nach. Wir werden eine Lösung finden. Wir müssen einfach!“ Joshs Glaube an das Unmögliche war der Punkt, der mich in meiner Entscheidung schwanken ließ. „Meinst du wirklich? Wäre es nicht besser, wenn wir – Alan und ich – einfach gehen? Ihr findet einen neuen Alpha. Du weißt genau, dass Roman nicht eher aufgeben wird, bis Alan vernichtet ist.“ Müde sah ich in Joshs schönes Gesicht.
Seine muskulöse Statur, seine nackenlangen, braunen Haare und seine dunklen Augen erinnerten mich an einen Bären, obwohl er keineswegs wie ein Bär aussah. Ich wusste selbst nicht, warum ich immer wieder diesen Vergleich zog. „In welches Tier verwandelst du dich eigentlich?“ Josh lachte herzhaft. „Das nenne ich einen geschickten Themenwechsel. Soll ich es dir zeigen?“ Mein Nicken war ziemlich heftig, was Josh noch lauter lachen ließ. „Dann sieh genau hin.“ Ha, und ob ich das würde!
Schließlich hatte ich noch nie sehen dürfen, wie sich einer von ihnen verwandelte. Als Joshs Verwandlung begann, hielt nicht nur ich den Atem an. Es schien, als würde die gesamte Welt für einen Moment still verharren, während sich ein silberner Schleier über Josh ausbreitete und ihn von oben beginnend nach unten überzog. Schemenhaft konnte ich erkennen, wie Josh in dem Glitzern auf alle viere fiel, sich streckte und dehnte und schließlich mit einem leisen, fauchenden Brüllen aus dem silbrigen Dunst auftauchte.
Ein Gepard.
Ein wahrhaft gigantischer Gepard, der um einiges größer ausfiel als sein natürliches Pendant. Er reichte mir bis an die Schulter. Fast wie der Panther aus meiner Nahtoderfahrung, der jedoch weitaus muskulöser gewirkt hatte. Nicht so sehnig wie der Gepard. Der Panther musste Alans Tiergestalt sein.
Allerdings ahnte ich das mehr, als dass ich es hundertprozentig wusste.
In der Realität hatte ich bisher lediglich Alans Kampfgestalt sehen dürfen. Der Gepard stupste mich mit seinem Kopf an und senkte diesen ein wenig, als wolle er mich dazu auffordern ihn zu berühren. Ich konnte mir nicht verkneifen in sein volles Fell zu fassen und dieses zu streicheln. Es fühlte sich herrlich weich an und dicker, als ich vermutet hatte. Ein wenig ölig, aber keinesfalls fettig. Mit Ehrfurcht strich ich über die dunklen Flecken seines Fells, die auf dem Rücken zu drei dicken schwarzen Streifen zusammenliefen. Auf seinem Nacken bildete sich sogar eine etwas längere, dunkle Mähne, die mich sehr an Joshs Haare erinnerte. Der Gepard hob seinen Kopf und blinzelte mich mit seinen wunderschönen bernsteinfarbenen Augen an, wobei mir die Tränenstreifen besonders auffielen. „Wunderschön.“ Grazil. Mit Sicherheit saugefährlich.
Doch es war auch Josh; der würde mir nichts tun.
Nicht, solange ich seine Alpha war.
Er trat ein Stück von mir zurück. Abermals verhüllte ihn der Silberschleier wie ein Schemen, aus dem in Sekundenbruchteilen wieder der Mann erschien. „Wow. Danke.“ Zu meinem Erstaunen war Joshs Kleidung nicht im Mindesten in Mitleidenschaft gezogen. Hatte er sich vorher ausgezogen? Nein, das wäre mir aufgefallen. Aber warum hatte sich dann Fiat entkleidet?
Weil sie anders war?
„Wie hast du das mit den Sachen gemacht? Du hast sie doch nicht ausgezogen, oder?“ Josh grinste. „Hätte ich tun können. Aber ich bin mir sicher, dass Alan mir später dafür an die Gurgel gegangen wäre. Unsere Magie macht uns das möglich.“ Gestaltwandlermagie. Warum wusste ich so wenig davon? „Und Fiat kann das nicht?“ Josh stutzte kurz. „Sie hat sich vor dir verwandelt?“ Äh, ja, hatte sie. Joshs ungläubig aufgerissen Augen ließen mich schlucken. „Nun ja…“ Meinem Blick ausweichend fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. „Sie hat dir wohl nur nicht alles zeigen wollen.“ Entweder das oder sie hatte testen wollen, wie ich auf ihre Nacktheit reagierte.
Tja, wäre sie ein Mann gewesen…
Meine Energie hatte sich beruhigt. Vermutlich weil mich Joshs Verwandlung abgelenkt und mir bestätigt hatte, dass ich nicht gewillt war zu sterben.
Ich würde kämpfen.
Bis zuletzt.
Vorhin war mir das nicht bewusst gewesen. Wäre Roman nicht verschwunden… ich wollte gar nicht daran denken. Ob Roman ahnte, was in mir vorging? Ich hatte das Gefühl, ihm manchmal näher zu stehen als mir lieb war. Ich war ebenso Saphi, wie er Briam.
Hatte ich deshalb seine Unsicherheit gespürt? Konnte es damit zusammenhängen? Ganz so abwegig war der Gedanke nicht. Wenngleich ich nicht seine Saphi; er nicht mein Briam war. Aber warum sonst sollte ich seine Gefühle wahrnehmen und einige seiner Gedanken hören können?
Das hatte ich doch, oder? Ich hatte seine Worte in meinem Kopf gehört!
Mist.
Mir fiel ein, dass er meine Frage bezüglich des Baums nicht beantwortet hatte.
„Hast du heute schon was gegessen, Sam?“ Essen? Oh. Ich glaubte nicht. Kein Wunder, dass ich vorhin die Energie mühelos wie einen Schwamm an mich gezogen hatte. Wenn auch nicht genug, um sofort ernstere Schäden anzurichten. Hatte Roman auch das gewusst? „Ich… nein. Habe ich nicht.“ Josh nickte. „Du solltest etwas essen, um bei Kräften zu bleiben. Das nächste Mal wird Roman dir deinen Bluff nicht abnehmen.“ Oh Josh. Es war niemals ein Bluff. Doch dies Josh zu offenbaren, erschien mir nicht richtig. Möglicherweise hatte ich Angst vor seiner Reaktion. Andererseits, vermutlich wusste er, dass es ernst gewesen war. Die ganze Angelegenheit als Täuschung zu betrachten, erschien mir eher wie eine ausgestreckte Hand.
Ein Angebot, die Sache nicht weiter zu durchdenken.
„Wenn du gegessen hast, solltest du dich ein wenig ausruhen. Du siehst müde aus, Sam.“ Das war ich auch. Aber die Gewissheit, dass Alan mich brauchte oder sogar aufwachte, wenn ich gerade schlief, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich nickte leidenschaftslos, setzte mich aber Joshs Aufforderung zum Trotz wieder an Alans Bett. „Ich lasse dir von Scott etwas zu essen bringen und anschließend ruhst du dich aus. Tu mir den Gefallen. Alan bringt mich um, wenn er aufwacht und sieht, wie vernachlässigt du aussiehst.“ Na vielen Dank auch! Ich wusste, dass Josh Recht hatte. Doch konnte ich mich einfach nicht dazu aufrappeln etwas anderes zu tun als zu hoffen oder meine Zeit in Alans Nähe zu verbringen.
Je näher, umso beruhigter war ich. Wenn er doch nur endlich aufwachen würde!
Als Josh die Tür hinter sich schloss, sackte ich antriebslos in mich zusammen. Wo war nur meine Kraft hin, die ich eben noch hatte aufbringen können? Wie weit reichte meine Willenskraft zu leben aus, ehe ich aufgab? Verflixt und zugenäht! Seit wann war ich denn derart pessimistisch? Noch nicht einmal von den Pir hatte ich mich aufhalten lassen. Oder von der wütenden Ker-Lon oder dem arroganten Alan, der jetzt so reglos neben mir lag.
Ich wollte so vieles.
Wie konnte ich nur daran denken, meinem und Alans Leben ein Ende zu setzen? Wir fanden einen Ausweg. Es gab eine Lösung. Wir mussten sie nur entdecken. Vom Himmel hoch jauchzend zu Tode betrübt wechselten meine Gedanken ihre Stimmung, wie es ihnen gerade beliebte. Dass Scott mir Essen gebracht hatte, bemerkte ich erst, als mir der köstliche Duft in die Nase stieg. Wie ein verhungernder Wolf schlang ich das Fleisch, die Kartoffeln und das Gemüse hinunter, ohne den Geschmack richtig zu genießen. Mein Körper brauchte die Kalorien und so war es nicht verwunderlich, dass ich die riesige Portion innerhalb weniger Minuten verdrückte.
Nur mit viel Mühe gelang es mir dem Drang zu widerstehen den Teller abzulecken. Dabei hätte es weder jemand gesehen, noch hätte es jemandem etwas ausgemacht.