Читать книгу Homo sapiens movere ~ gerettet - R. R. Alval - Страница 8

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Öffnet die Augen, wir sind da. Wir sind schon immer da gewesen und werden es auch weiterhin sein. Wie ihr auch. Vernichtet ihr auch nur eine Spezies, folgt ihr eine weitaus gefährlichere. Schaut euch die movere an! Was meint ihr, warum es zu dieser Evolution gekommen ist? Weil die Natur Langeweile hatte? Ihr glaubt, ihr habt alles gesehen? Ich sage, ihr irrt euch! Ihr kennt nicht einmal die Hälfte der Arten, die unter euch leben…“

Karina Jack,Abgeordnete der VN Europas,Fraktion der Andersweltler, 2129

„Verdammt, Briony, du hast keine Zeit für sowas! Wir haben nur noch sechs Tage und ich weiß immer noch nicht, wie ich dir helfen kann!“ Ich verdrehte die Augen, obwohl Roman im Grunde Recht hatte. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun? Versetz dich mal in meine Lage! Hast du dir mal überlegt, was ist, wenn du gar nichts tun kannst? Was, wenn trotz aller Bemühungen am Zwanzigsten etwas passiert, was niemand aufhalten kann? Ich möchte nicht die restlichen Tage meines Lebens damit verbringen, etwas stoppen zu wollen, was nicht gestoppt werden kann.“ Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, weil ich einfach nicht daran denken wollte. Schließlich gab Roman klein bei. „Gut. Ich begleite dich. Vielleicht fällt mir etwas auf, was später von Relevanz sein könnte.“ Das hoffte ich sehr. Nach wie vor waren wir keinen Schritt weiter. Roman war mürrisch, verfluchte seinen Zustand und trieb mich damit in den Wahnsinn. Ich konnte doch nichts dafür, dass er nirgends eine Gebrauchsanleitung für Zeitreisen auftreiben konnte. Stépans Vorschlag, einen Ker-Lon zu finden, glich der Suche nach einem 1000-DM-Schein in meiner Wohnung. Um ehrlich zu sein, legte ich persönlich keinen großen Wert darauf, mich auch noch mit einem Dämon zu unterhalten. Was, wenn erst Romans Auftauchen in meiner Zeit meinem Verschwinden zuträglich war? Die Möglichkeit zog er durchaus in Betracht, wagte aber nicht, sich näher damit zu beschäftigen. Viel eher glaubte er daran, dass Sven für mein Verschwinden verantwortlich sein könnte. Was ihn wiederum dazu antrieb, so schnell wie möglich in Erfahrung zu bringen, wie er körperlich werden konnte, um meinen Ex aufzuhalten. Denn einen anderen Pir wollte er damit nicht beauftragen. Die würden mit mir, wenn ich Roman glauben konnte, eine Gegenleistung dafür vereinbaren, die ich mir im besten Fall nicht leisten konnte. Egal, wie sie aussah, und ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie sie aussähe.

Zwei Stunden später waren Anja, ich und Roman - von dem meine Freundin nichts ahnte - nach einem spektakulären Ablenkungsmanöver ohne meinen unsensiblen Verfolger inmitten des mittelalterlichen Trubels angekommen. „Du bist die Beste!“, grinste ich und küsste Anja, die mich verschmitzt anstrahlte, auf die Wange. „Ne, das war einfach nur Glück. Wäre meine Mutter nicht dagewesen, hätten wir ziemlich in der Patsche gesessen.“ Das stimmte allerdings. Doch allein Anjas Idee war zum Umfallen genial. Deren Mutter parkte, wie alle Mieter des Reihenhauses, in der Tiefgarage, zu der sonst niemand Zugang hatte. Anja hatte vor dem Haus ihrer Mutter geparkt, in das wir zusammen – in normalem Alltagsoutfit – hineingingen. Drinnen überredete sie ihre Mutter, dass wir deren Auto nehmen konnten. Wir zogen uns um und fuhren los, während Sven sich auf Anjas immer noch parkendes Auto und die Haustür konzentrierte. Tja, da konnte er lange warten.

Roman war verdächtig still. Vielleicht schwirrte er über die Massen und hielt Ausschau nach einem Bekannten. Oder überlegte sich, wie er mich auch heute in den Wahnsinn treiben konnte. „Met oder Ale?“ Entgeistert sah ich Anja an. „Du kannst doch nichts trinken, wenn du fährst!“ Sie verdrehte die Augen und lachte. „Einen Krug wirst du mir wohl gönnen, wenn ich uns schon hierher chauffiert habe, ohne dass Sven uns verfolgt. Wir fahren doch erst heute Abend.“

Schulterzuckend gab ich nach.

Wir wären schließlich bis mindestens Mitternacht hier; jetzt war es gerade mal drei. Zeit genug, den Alkohol wieder abzubauen. „Du zahlst 14 Euro für einen Wein?“ Fast hätte ich den Met verschüttet, als Romans Stimme dicht an meinem Ohr aufbrauste. Warum in Euro? Ist das eine Währung? In Deutschland zahlen wir in D-Mark und nein, da sind zehn Mark Pfand dabei. Reg dich ab. Wir hatten uns – eigentlich – darauf geeinigt, lediglich in Gedanken miteinander zu kommunizieren, da alles andere ein wenig… seltsam aussähe. Zumindest wusste ich jetzt, dass er in meiner Nähe war. Und hör auf mich zu erschrecken! Hast du nichts Besseres zu tun? Roman lachte. Zum Beispiel nach Bekannten Ausschau halten? Ich sollte mit meinen Gedanken vorsichtiger sein. Wieso war der Mistkerl auch unsichtbar? Er könnte wenigstens ein – sichtbares – Fähnchen schwenken oder mit einem Glöckchen bimmeln. Aber offensichtlich machte es ihm viel mehr Spaß, wenn ich jedes Mal einen halben Herzkasper erlitt. Deine Freundin, wie lange kennst du sie schon? Ich überlegte nicht lange. Seit dem Kindergarten, wieso? Roman musste dicht bei mir stehen, denn meine rechte Seite kribbelte verdächtig. Ist dir nie etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Sie ist ein movere. „Was?“, kreischte ich laut. „Was?“, wiederholte Anja für mich und sah mich mit einem Blick an, der Fragezeichen beinhaltete. „Entschuldige, ich…“ Ich winkte ab, weil mir auf die Schnelle keine gute Erklärung einfiel. Noch war es früher Nachmittag und nicht so laut, dass ich aus heiterem Himmel schreien musste, um mich zu verständigen. Woher willst du das wissen? Sie ist vollkommen normal, glaub mir. Ich würde doch wissen, wenn meine Freundin anders wäre, oder? Ich glaube dir, dass du glaubst, dass sie normal ist. Aber ich kann dir versichern, sie ist ein movere. So wie du Tag und Nacht unterscheiden kannst, kann ich zwischen einem normalen und einem weiterentwickelten Menschen unterscheiden. Am liebsten hätte ich Anja sofort danach gefragt. Doch hier war der falsche Ort dafür. Aber wie? Roman erklärte mir, dass der Geruch ein anderer wäre, was ich mir nur schwer vorstellen konnte. Heißt das, sie ist für Vampire ein besonderes Leckerli? Soll ich sie warnen? Kennst du ihre Fähigkeiten? Seine Antwort auf meine Fragen war ein schlichtes Nein. In meiner Zeit ist es per Gesetz verboten, von einem movere zu trinken. Diese Menschen überleben unseren Biss in den meisten Fällen nicht. Ich schluckte nervös. Also… könnte momentan durchaus ein Vampir auf die Idee kommen und meine Freundin beißen, weil das Gesetz noch nicht existiert? Roman brummte zustimmend, während ich versuchte, die Neuigkeit zu verdauen. Anja war ein movere? Wieso war mir das nie aufgefallen? Vertraute sie mir so wenig oder wusste sie gar nichts davon? Vielleicht war es nur eine winzige Veränderung, die gar keine Fähigkeiten nach sich zog? Keine bewussten? Frag sie. Nein, das konnte ich nicht. Nicht hier. Aber später. Vielleicht. So dringend wollte ich es gar nicht wissen. Du platzt gleich vor Neugier. Verdammt, er tat es schon wieder. „Geht’s dir gut? Du siehst ein wenig blass aus.“ Ich grinste in meinen Weinkrug. „Jepp, alles bestens. Komm, lass uns alles ansehen. Ich brauche unbedingt noch eines dieser Haarteile. Oh, und eine dieser Ketten. Du weißt schon… mit den keltischen Symbolen.“ Ich hakte mich bei Anja unter, meinen Krug in der Hand. Zusammen schlenderten wir über den üppigen Markt, der vor Verkaufsständen, Fress- und Getränkebuden beinah überquoll. Es gab alles, was einem Mittelalterfan das Herz höher schlagen ließ. Kleidung, von schlicht bis aufwendig, Schuhwerk, von Hand angefertigten Schmuck – zumindest sagte man uns das, Geschmiedetes, Filzzeug, Trinkhörner, Tücher, Steine, geschnitzte Holzlöffel und Kellen, Geldbörsen, Gürtel, Gürteltaschen, Glöckchen und noch tausend andere Dinge mehr. Der typische Geruch des Mittelaltermarktes, den man nur schwer erklären kann, wenn man nie selbst einen besucht hatte, war an manchen Ständen intensiver. Der Duft nach Holzrauch, frischem Brot, Kräutern und einer geheimen Zutat, der unverkennbar war. Die Händler boten lauthals ihre Waren feil, in aufgesetzter alter deutscher Mundart und teilweise mit derbem Humor. Musiker spielten mit Dudelsäcken, Flöten, Geigen, Trommeln und anderen Instrumenten, deren Namen mir nicht geläufig waren. Der Schmied arbeitete an einem sehr kleinen Stück Metall, was er zu einem erstaunlich filigranen Anhänger formte. In unmittelbarer Nähe saß eine Frau an einem Spinnrad, eine andere webte einen Gürtel, eine weitere strickte und wieder eine andere stillte ihr Baby. Das Fest war eine kunterbunte Mischung aus Menschen, die von Rittern, dem Mittelalter im Allgemeinen, Schotten in Kilts und Burgen schwärmten. Zudem Animateure und Schausteller. Ein ausgelassenes Treiben, untermalt von Gerüchen und Geräuschen, die an das Mittelalter erinnerten. Nur nicht so blutrünstig, dreckig und untechnisiert, auch wenn man einige der Leute durchaus für Menschen aus dieser Zeit halten konnte. Gerade eben beobachtete ich, wie ein Mann Mitte 50 – nackt, wie Gott ihn schuf – in einen Badezuber stieg. Vor aller Leute Augen. Ich würde mich zu Tode schämen. Außerdem würde mich die momentane Temperatur davon abhalten. Heute Nacht waren es nur 8 Grad gewesen. Inzwischen hatte das Thermometer zwar die 20-Grad-Marke überschritten, aber richtig sommerlich toll war für mich etwas anderes. „Oh. Mein. Gohott!“, keuchte Anja neben mir, was ich mit einem Kichern bestätigte. „Mutig. Aber an dem Hinterteil ist auch nichts auszusetzen. Komm, ich will sehen, wenn er wieder raus steigt. Aber von vorn!“ Ich spürte, wie meine Ohren zu glühen begannen, aber dagegen war ich machtlos. Anja dachte doch nicht, dass er sofort wieder da raus spränge, oder? Hmmm… Ich fragte mich nicht, was dieser Laut von Roman bedeuten sollte. Nein, das tat ich wirklich nicht. Dann würden meine Ohren vermutlich Feuer fangen. Nun, der Hintern des Badenden war wirklich recht ansehnlich, was man von seinem Gesicht nicht behaupten konnte. Diese Meinung teilte auch Anja. Doch praktisch wie sie war, meinte sie, man könnte sich den Kopf wegdenken. Das war… ein wenig… schwierig. Im Dunkeln könnte es klappen. Frauen, ächzte Roman. Dann geh spazieren. Außerdem glaube ich kaum, dass Männer bei einer Frau nicht ebenfalls hinsehen würden. Ich streckte ihm gedanklich die Zunge heraus und hoffte, dass er dieses Bild ebenso deutlich übermittelt bekam wie meine Worte. Seine Antwort bekam ich gleichfalls in Bildform. Sie gefiel mir nicht, obwohl sie mich – zugegeben – ein wenig erregte. Denn das Knie, was ich dabei sah, gehörte zu einem recht ansehnlichen, langen Bein. Und die Hand auf meinem Hinterteil war nicht unbedingt dass, was man unter grob verstand. Nun, möglicherweise gefiel es mir schon aus dem Grund nicht, weil es etwas von einem Mann offenbarte, den ich nach dem 20. August nie wieder sehen würde. Wobei sehen der falsche Ausdruck war. Ich würde ihn niemals sehen. Punkt. Ich wünschte, ich könnte mich an die Vorstellung von einem mies gelaunten, kleinen Mann klammern, den ich mir schon oft ausgemalt hatte, auch wenn seine Stimme ein völlig anderes Bild von ihm vorgaukelte. Hey! Ich erinnerte mich an einige Radiomoderatoren, bei denen man feucht wurde, wenn sie nur ‚Guten Morgen’ sagten. Man sollte es jedoch vermeiden, nach Fotografien von ihnen Ausschau zu halten. Das wusste ich aus Erfahrung. Ergo war es nur verständlich, dass ich - was Romans Aussehen betraf - vorsichtig war. Rein gedanklich könnte er mir Adonis projizieren, selbst wenn er persönlich mehr Ähnlichkeit mit Quasimodo besaß. Willst du wissen, wie ich aussehe? Himmel Sakra! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, er versuchte mich aufzuziehen. Roman zeigte selten irgendwelche Gefühle. Abgesehen von seiner eisigen Arroganz, mit der er Befehle von sich gab und obendrein erwartete, dass ich diese ausführte. „Nein, das will ich nicht wissen.“, zischte ich lauter als beabsichtigt. „Hey, aber ich!“, kicherte Anja, die meine Aussage auf den Mann im Badezuber bezog. „Wir könnten wetten. Meinst du, er hat einen Ständer, bei den vielen Frauen die hinsehen oder eher nicht?“ Ich blinzelte ungläubig, auch wenn diese Sprüche von Anja nicht ungewohnt waren. „Äh, ich… weiß ich nicht. Was denkst du?“ Sie kniff Mund und Augen zusammen und zog die Schultern bis zu den Ohren. „Keine Ahnung. Ich denke nicht. Vielleicht rubbelt er sich einen unter Wasser, hm? Sein Kopf ist schon ganz rot.“ Vielleicht war das Wasser heiß? „Meinst du, da sind ein paar Fische drin, die denken, es gäbe Futter?“ Futter? Oh… Fisch… Würmer… Bloß gut, dass mein Met längst alle war, sonst hätte ich ihn als riesige Fontäne über mehrere Leute verteilt, die neben uns standen und Anjas Äußerungen sehr unterhaltsam fanden. „Du bist manchmal unmöglich.“ Anja blinzelte mir spitzbübisch zu. „War doch nur eine Überlegung. Es könnten natürlich auch ein paar Frauen mit da drin hocken… mit Sauerstoffmasken…“ Ja, genau. „So heiß ist es doch gar nicht. Verträgst du den Wein nicht?“ Anja grunzte, was ich als Lachen interpretieren könnte… oder als Rüge.

Briony, komm mit. Ich habe einen Ker-Lon entdeckt. Na der war witzig. Und wie sollte ich das anstellen? Was weiß ich, lass dir was einfallen. Aber schnell! „Anja? Ich… äh… muss mal kurz wohin. Wartest du hier?“ Sie nickte. „Soll ich deinen Umhang halten?“ Eigentlich war das nicht notwendig. Aber da sie annahm, dass ich auf Toilette ging, wäre es unklug abzulehnen. „Ja, danke dir. Bin gleich wieder da.“ Eiligst hetzte ich durch die Massen in die Richtung, in die Roman mich dirigierte. Da vorn, siehst du ihn? Groß, Hut, Trenchcoat. Ich sah ihn. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ein Dämon war. Hallo? Er sah aus wie ein verstaubter Detektiv aus einem Schwarz-Weiß-Film. Beeil dich! Was dachte er, was ich hier machte? Einen Spaziergang? Rufe ihn! Sein Name ist Humphrey, falls er den schon benutzt. Der Name passte wie die Faust aufs Auge. „Humphrey, warten Sie!“ Entweder war der Kerl taub oder meine Stimme zu leise. Versuch es mit Sael. Meinetwegen konnte er Picard heißen! Aber falls Roman dachte, ich würde sämtliche Namen mit ihm durchgehen, lag er falsch. „Sael, verdammt nochmal. Rennen Sie nicht so!“ Mister Trenchcoat blieb abrupt stehen und drehte sich ganz langsam zu mir um. Fast erwartete ich, ein grässliches Gesicht mit geschlitzten Augen zu sehen. Oder zumindest irgendetwas Schleimiges. Oder Schuppiges. Ich entdeckte nichts dergleichen. Dafür stahlgraue Augen, die vor Energie sprühten. „Kennen wir uns?“, fragte er mit einer tiefen Stimme und einem angenehmen, britischen Akzent. „Äh… nein. Noch nicht.“ Und falls Sie nicht wirklich ein Dämon sind, möchte ich auf der Stelle im Erdboden versinken. Roman zischte nah an meinem Ohr, während ich wartete, ob sich der Erdboden auftat. „Der Erdboden wird sich nicht auftun.“ Oh, vielen Dank auch für die rechtzeitige Warnung, dass der meine Gedanken ebenfalls hören konnte! Er packte mich am Ellenbogen und im nächsten Augenblick stand ich in einem dunklen Kellergewölbe. Verdammt, ich hasste das! Fluchend, mit ausgestreckten Armen tastete ich nach den kaum erkennbaren Wänden und stützte mich ab, da meine Beine viel zu wackelig waren. „Was wollen Sie?“ Zuallererst einmal wollte ich ihm nicht auf die Schuhe kotzen, aber das war sicher nicht der Grund seiner Frage. Ich für meinen Teil wollte gar nichts von ihm. „Ich… na ja… äh, habe da ein winziges Problem mit einem Geist.“ Wo genau der Mann stand, wusste ich nicht. Seine Stimme jedenfalls schien von überall her zu kommen. „Das ist nicht mein Problem, sondern Ihres.“ Zähneknirschend stampfte ich mit dem Fuß auf. „Das sagen Sie! Ich könnte gut und gern auf seine Anwesenheit verzichten. Aber da ich anscheinend die Einzige bin, die ihn hört und er unbedingt möchte, dass ich Ihnen ein paar Fragen stelle, tue ich das lieber. Wissen Sie, er kann sehr nervtötend sein.“ Das Rascheln des Mantels verriet mir, dass er näher kam. „Ich bin nicht auf Geister spezialisiert.“ Ich etwa? „Sag ihm, dass ich ein Briam bin.“, wies Roman mich an. Tja, das wollte ich gerade tun, als Sael auf Roman reagierte. „Ein Briam? Wieso kontaktierst du einen Menschen?“ Bloß gut, dass der Mann meinen verblüfften Gesichtsausdruck nicht sah. Obwohl… möglicherweise konnte er im Dunkeln sehen? „Sie hören ihn?“ Zugegeben: Selbst wenn er mein dummes Gesicht nicht sah, würde er es an meiner sich überschlagenden, leicht quietschenden Stimme erkennen. „Natürlich.“ Gerade so konnte ich ein hysterisches Kichern unterdrücken. „Heißt das, Sie unterhalten sich mit ihm allein? Ich kann gehen?“ Sein Einverständnis kam sehr rasch. „Schön, dann beamen Sie mich doch bitte wieder zurück.“ So viel Zeit würde er wohl haben. „Mädchen, gehen Sie einfach den Gang geradeaus, um die Ecke und durch die Tür. Dann stehen Sie direkt im Burghof.“ Haha. „Ich sehe noch nicht mal die Hand vor meinen Augen, Sie Scherzkeks!“ Eine starke, warme Hand ergriff meine und drückte mir ein Feuerzeug hinein. „Sie können es behalten. Gehen Sie.“ Bevor ich loslaufen konnte, fasste er mich an den Schultern und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung. „Da lang.“ Ich murmelte ein leises Dankeschön und stapfte davon. Wuuhuuh! Dafür, dass ich eben einem leibhaftigen Dämon begegnet war, hielt ich mich doch ganz, ganz großartig.

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Sael sprach Roman in einer sehr alten Sprache an, die dieser nur bruchstückenhaft verstand. „Warte. Ich bin ein Briam, aber deine Sprache verstehe ich kaum. Sprich bitte Deutsch mit mir.“ Sael gab einen knurrenden Laut von sich, der Roman sogar in seinem jetzigen Zustand eine Gänsehaut bescherte. Sofern das möglich war. Doch er hätte schwören können, dass er sie spürte. „Du bist ein Briam, sprichst unsere Sprache nicht und brichst die Regeln! Wie erklärst du mir das?“ Sael war wütend und Roman wirklich froh, dass er seine Wut nicht an Briony ausgelassen hatte. „Willst du die lange oder die kurze Version hören?“ Sael reichte die kurze. „Ich wurde als Vampir geboren, wurde zum Briam und später zum Pir. Dies hier ist mein erster Zeitsprung und abgesehen davon, dass ich die Magie der Ker-Lon beherrsche, verfüge ich über keinerlei Wissen darüber oder über die Regeln.“ Sael holte tief Luft und sah Roman genau in die Augen, wenn dieser das auch für puren Zufall hielt. „Ein Vampir, der zum Briam wird. Interessant. Eine ähnliche genetische Mutation, wie bei den Menschen, gibt es also auch bei euch?“

Roman wusste nicht, ob dies ein Grund für seine Abweichungen war, denn er kannte keinen anderen Vampir, der war wie er. Trotzdem hielt er es für möglich. „Wieso hat deine Saphi dich nicht aufgeklärt?“ Roman räusperte sich. „Sie ist tot.“ Saels wortlose Akzeptanz überraschte Roman nicht. „Warum hast du einen Zeitsprung gemacht? Willst du die Vergangenheit verändern? Das ist verboten. Die Konsequenzen sind nicht tragbar und stören das Zeit-Raum-Gefüge.“ Roman nickte. „Ich recherchiere. Die junge Frau, die du eben kennengelernt hast, wird am 20. August spurlos verschwinden und niemand weiß, was passiert ist. Ich versuche, dies herauszufinden.“ Außerdem erwähnte er, dass er vorhatte den Tod einer anderen zu verhindern. Ihren Namen verschwieg er vorsichtshalber. Man konnte nie wissen, woran sich dieser Ker-Lon in ein paar Jahrzehnten noch erinnerte. „Lass das!“ Sein ganzes Sein sträubte sich gegen diese Aufforderung. Und so sagte er das, was ihm auf der Zunge lag. „Das kann ich nicht. Sie ist eine der veränderten Menschen. Wir nennen sie movere. Und sie ist eine Saphi. Durch ihre Fähigkeiten hat sie einen Teil ihres Briam als neue Fähigkeiten hinzugewonnen. Ihr Herz verkraftet das allerdings nicht, was unweigerlich zu ihrem Tod führen wird, weil es niemand ahnt. Sie ist mit mir verbunden. Wäre ich nicht im Todesschlaf gewesen, um zum Pir zu werden, hätte ich es gespürt. Verstehst du, was ich meine? Es war nicht ihr Schicksal zur Saphi zu werden. Darum kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es ihr Schicksal war, zu sterben.“ Sael sagte eine Zeit lang nichts. „Woher weißt du, dass es nicht ihr Schicksal war?“ Wenigstens musste er bei einem Dämon seine Worte nicht mit Bedacht wählen, und er erzählte Sael von Sams Freundin, die ihr als Geist erschienen war. Sam hatte ihm das irgendwann einmal beiläufig erklärt. Oder war es sogar Alan gewesen? Roman erinnerte sich nicht genau. „Verstehe.“, murmelte der Dämon, den Roman anders in Erinnerung hatte. Die Narbe fehlte. Vermutlich hatte er sie sich während der Revolutionen zugezogen. Oder war ein Teil seiner späteren Tarnung. Wenn er es recht bedachte, hatte er auch immer angenommen, der Trenchcoat gehöre zu Saels Tarnung. „Wie hieß deine Saphi?“ Roman wurde nachdenklich. Er würde möglicherweise zu viel sagen. „Ich bin mir nicht sicher, ob du das wissen solltest.“ Der Dämon brummte und griff direkt nach seinem Hals, was Roman die nicht benötigte Luft rätselhafterweise dennoch abschnürte. „Antworte mir!“ Abrupt ließ er ihn los. „Wie hast du das gemacht? Kannst du mich sehen?“ Sael lachte. „Ich spüre und sehe deine Energie. Von Anfang an war mir klar, dass du da bist. Aber ich wollte sehen, was die Menschenfrau sagt. Und jetzt antworte mir!“ Roman konnte den Namen seiner Saphi nicht offenbaren. Der Frau, die ursprünglich für Sael vorgesehen war. „Das würde die Zukunft verändern. Dessen bin ich mir sicher.“ Sael lachte erneut. „Zumindest lernst du.“ Roman schnaubte. „Sieht so aus.“ Das Lachen verstummte. „Du kennst mich in der Zukunft persönlich?“ „Du bist ziemlich neugierig für jemanden, der die Regeln kennt.“ Sael stimmte ohne großes Überlegen zu. „Du kennst mich also aus der Zukunft. Wie ist unser Verhältnis? Sind wir Freunde oder Feinde?“ Roman kratzte sich an seinem nicht vorhandenen Kopf. „Deine Saphi war meine beste Freundin. Also danach. Später. Herr Gott, das ist verzwickt!“ Sael nickte angespannt. „Gut. Das reicht mir. Also, frag, was du wissen willst.“ Roman tat es äußerst ungern. Doch wenn er eine Chance haben wollte, sowohl Sam als auch Briony zu retten, musste er mit dem Ker-Lon kooperieren. Zur Not hätte er rostige Nägel gegessen, wenn er Sam damit helfen könnte.

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Ehe ich endlich wieder bei Anja war, war der Badezuber verlassen. Ich hatte also den besten Teil verpasst. Trotzdem war ich schnell, wäre ich tatsächlich auf dem Klo gewesen. „Das ging ja fix.“ Mit der Hand wedelnd spielte ich die Sache ein wenig herunter. „Ja, wundert mich auch.“ Verständnisvoll nickend reichte sie mir meinen Umhang, den ich mir bei den doch noch hervorgekrochenen Sonnenstrahlen durchaus hätte sparen können. Aber er gehörte nun mal dazu. Außerdem würde es gegen Abend definitiv wieder kühler werden – und dunkler. Da wollte ich ungern allein zum Auto laufen, nur um den Umhang zu holen.

Wir schlenderten weiter, blieben vor einer der Bühnen stehen, lauschten den rockigen Klängen, klatschten, tanzten und hatten Spaß. Anschließend amüsierten wir uns beim Gaukler. Wenig später beim Puppenspieler, der Märchen in gereimter, alter Mundart vortrug. Ich wusste jedoch auch, dass die Märchen gegen Abend, wenn keine Kinder mehr anwesend waren, ein wenig… spezieller wurden. Gegen zwanzig Uhr spürte ich meine Füße recht deutlich und war froh, als endlich ein Plätzchen auf einer der Bänke frei wurde. Zur Not hätte ich mich auch auf den Rasen gesetzt, aber dank des Korsetts, würde ich dabei an Sauerstoffmangel sterben. Oder zwar überleben, aber nicht mehr hochkommen.

Nicht ohne Kran!

Oder ohne mich zu blamieren.

Verdammt, wie hatten die feinen Damen früher gepicknickt? Und wer hatte sie anschließend von der Wiese gepflückt? „Ich habe mir bestimmt eine Blase gelaufen.“, jammerte ich, während ich meine schmerzenden Waden massierte, „Und ich bin zehn Zentimeter geschrumpft. Ganz ehrlich.“ Anja hob eine ihrer schön geschwungenen Augenbrauen, um die ich sie heftig beneidete. „Das kommt dir nur so vor. Außerdem ist es wissenschaftlich belegt, dass ein Mensch am Morgen größer ist als abends.“ Ich zog eine Schnute und bedachte Anja mit einem Dackelblick. „Ist ja schon gut. Ich gehe. Met?“ Ich nickte strahlend, streckte meine Beine aus – wenn jemand drüber fiele, wäre es mir egal – und freute mich des Lebens.

Roman war ruhig, was hieß, dass er immer noch mit dem Dämon beschäftigt war. Ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, wusste ich nicht. Doch ich war optimistisch. Roman konnte ziemlich überzeugend sein. Notfalls indem er nervte. Allerdings kannte ich diesen Sael nicht. Dennoch: Was wollte er einem Geist schon antun? Ihn wegpusten?

Ich bezweifelte, dass dies funktionierte.

Andererseits: Was wusste ich schon von Geistern und Dämonen?

Anja stellte den Krug neben mich, setzte sich, woraufhin ich mich bedankte und ihr versicherte, das Geld später zu begleichen. „Geschenkt. Ich bin heute nett. Und freizügig… Du musst mich jetzt sofort lieb haben!“ Wehmut überkam mich, als ich daran dachte, dass auch Anja nicht wissen würde, was mir passierte, wenn ich tatsächlich in ein paar Tagen verschwand. Ich umarmte sie, vielleicht ein wenig heftiger und länger, als sie erwartet hatte. „Geht’s dir gut?“ Es war niemand in Hörweite, die Situation war optimal. Aber sollte ich das wirklich tun? Es kam dem ersten Sprung in tiefes Wasser ziemlich nah; das Gefühl, jemandem etwas anzuvertrauen, was – theoretisch – nicht möglich war. „Ja. Und Nein. Nur weiß ich nicht, ob das hier der richtige Ort ist, um darüber zu reden. Trotzdem, ich bin gerade allein und vielleicht bekomme ich die Gelegenheit nie wieder.“

Skeptisch sah Anja mich an und runzelte die Stirn. „Allein, soso. Hast du sonst einen mitlaufen?“ Das kam meiner Begleitung durch Roman schon ziemlich nah. „Ja, kann man so sagen.“ Sie musterte mich kritisch, als erwartete sie, dass mir ein zweiter Kopf wuchs. „Erzähl.“

„Glaubst du an Geister?“

„Ja, wieso?“

„Hast du schon mal einen gesehen? Oder gehört?“

„Nein. Aber du?“ Ich nickte vorsichtig und wartete ab, ob Anja möglicherweise in Gelächter ausbrach. Doch das tat sie nicht. „Echt?“ Ich nickte abermals. „Momentan ist er beschäftigt.“

„Womit?“

“Er spricht mit einem… Mann.“ Fast hätte ich Dämon gesagt. „Ist er schwul?“ Wusste ich nicht. Glaubte es jedoch nicht. „Eher verzweifelt.“

„Sind wir das nicht alle?“

„Er kommt aus der Zukunft.“ Anjas ‚Oh!’ klang fasziniert, aber nicht ungläubig. „Du glaubst mir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ja. Sollte ich das nicht?“ Spring, sagte ich mir, aber noch traute ich mich nicht, sie auf ihre mögliche Andersartigkeit anzusprechen. Ein Geist war eine Sache, doch das andere war persönlich. „Was will er von dir?“ Tja, was wollte Roman und wie sollte ich es ihr verklickern? „Ich bin quasi sein Dolmetscher, da ich offenbar die Einzige bin, abgesehen von dem Mann, mit dem er gerade spricht, die ihn hören kann. Und außerdem…“, ich sah Anja direkt in die Augen, „… versucht er, mich zu retten.“ Anjas Augen wurden erst riesig, dann verzog sich ihr rosiger Mund und schließlich fing sie an zu lachen. „Okay, sorry, tut mir leid. Er rettet dich. Als Geist. Vor was? Vor Sven? Will er ihn erschrecken?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Die Geistersache ist ein Problem, das er nicht einkalkuliert hat.“ „Und das andere?“ „Tja, er weiß nicht, was genau passiert. Er weiß nur, dass ich am 20. August verschwinde und niemand in der Lage sein wird, mich oder meine Überreste zu finden.“ Anja schluckte und trank einen großen Schluck aus meinem Krug. „Sag sowas bitte nicht, Briony. Damit spaßt man nicht.“ Ich seufzte. „Ich wünschte, es wäre Spaß. Und glaube mir, ich habe Angst. Aber was soll ich tun?“ „Was, wenn er dich für etwas benutzt?“ „Was, wenn er die Wahrheit sagt?“ Anja schwieg einen Moment und hakte dann nach. „Vertraust du ihm? Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, dass er nicht lügt? Ich meine, ja, Sven ist eine Plage. Aber glaubst du ernsthaft, er könnte dir etwas tun?“ Wenn ich ehrlich war, ich wusste es nicht. „Er droht mir, Anja. Ich habe verdammt oft Sprüche auf dem Anrufbeantworter, die könnten einem Psychothriller entsprungen sein.“ Anja nickte. „Vielleicht gaukelt dir dein Verstand deshalb diesen Geist vor? Als Ritter in schimmernder Rüstung?“ Das wäre möglich. Aber wie erklärte ich mir dann die Pir und diesen Sael? „Ich habe… Beweise. Unglaubliches. Und…“, ich holte tief Luft, „… du müsstest wissen, wovon ich spreche.“ Ein wenig sah es aus, als würde Anjas Gesicht einschlafen. „Was? W-wovon sprichst du?“ Wenn ich das nur wüsste! „Roman, also der Geist, behauptet, du bist anders. Er sagt, in seiner Zeit gibt es eine neue Menschenspezies, die sich movere nennt. Sie alle haben besondere Fähigkeiten und du scheinst einer dieser Menschen zu sein.“ Ich hatte, wie auch Anja, meine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. „Woher will er das wissen?“ „Soweit ich weiß, unterscheidet sich der Geruch eines movere von dem eines normalen Menschen.“ Ich malte kleine Gänsefüßchen in die Luft. Sie seufzte, was für mich nach einer Erleichterung klang. „Glaub mir, ich wollte es dir sagen. Aber ich hatte Angst, wie du reagieren könntest.“ Dafür hatte ich vollstes Verständnis. „Du bleibst trotzdem meine Anja. Immer. Aber bitte, geh damit nicht hausieren. Laut Roman wird es zu einer Revolution kommen, die furchtbar, furchtbarer, am furchtbarsten ist. Wenn du also irgendwann Kinder hast und sie so sind wie du, pass auf sie auf. Versprich mir das!“ Anja nickte schluckend, wobei ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Hey, du Heulsuse. Hör auf, sonst fange ich auch noch damit an.“ Sie umarmte mich und drückte mich so fest, dass ich fast glaubte, noch ein zweites Korsett zu tragen. „Willst du wissen, was ich kann?“, flüsterte sie in mein Ohr und wartete gespannt auf die Antwort. „Darauf kannst du wetten!“ Ich fühlte, wie sie nickte. „Ich zeige es dir. Aber nicht hier, ok?“ Ich konnte es kaum erwarten. Im Gegenzug musste ich ihr natürlich alles erzählen, was ich von Roman wusste. Und da sie ihr Geheimnis stets für sich behalten hatte, wäre auch dieses bei ihr gut aufgehoben war.

„Guten Abend, Briony.“ Große Hände legten sich elektrisierend auf meine Schultern und ließen mich gleichzeitig frösteln und in Schweiß ausbrechen. „Wie ich höre, plauderst du Dinge aus, die du lieber hättest für dich behalten sollen.“ Mein Herz stolperte rückwärts, während ich versuchte, mit meiner sich verheddernden Zunge Worte zu bilden. „Stépan! Was tun Sie denn hier? Ich dachte, Sie sind in Italien?“ Er schnalzte mit der Zunge. „Nicht so viel denken, Briony.“ Wie wahr. Er brauchte nur mit den Wimpern klimpern und stände ruckzuck in Rom.

Oder sonst wo.

Erst jetzt begrüßte er auch Anja, die ihn mit großen Augen anstarrte. Oh ja, der Typ wusste ganz genau, wie er auf Frauen wirkte. „Ich will es Ihnen nachsehen, dass Sie ihre Freundin eingeweiht haben. Wie ich sehe, gehört sie zu jenen Menschen, die… nun ja, ein wenig aus der Art schlagen.“ Ich sah Anjas Verwirrung, die Stépan an meiner Stelle entkräftete. „Keine Angst, ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“ Noch immer lagen seine Hände auf meinen Schultern, während er sich näher an mein Ohr beugte und für meinen Geschmack viel zu dicht an meinem Hals hing. „Haben Sie Angst, Briony?“ Nein, ich hatte schon immer einen viel zu hohen Blutdruck! Was glaubte er denn?

„Wollen Sie, dass ich Angst habe?“ Ein geschickter Schachzug von mir, wenn ich mir überlegte, dass es eine Spezialität der Pir zu sein schien, Fragen mit einer Gegenfrage zu beantworten. „Clever, Briony. Ihre Art gefällt mir.“ Wie sollte ich das verstehen? Meinte er damit meinen Charakter oder die Menschen im Allgemeinen? War jetzt auch egal. „Und Stépan? Warum sind Sie hier? Ich dachte, das Mittelalter hätten sie hinter sich?“ Immerhin gab es hier keine blutrünstigen Szenen. „Nun, das habe ich auch. Ich bin geschäftlich hier.“

Geschäftlich.

Auf einem Mittelaltertreffen.

Na klar. Vermutlich wollte einer der alten Knacker über die gute, alte Zeit philosophieren. Bei einem guten Gläschen Blut und den Klängen der Dudelsäcke und Geigen. „Alte Knacker, hm?“ Kruzifix nochmal! Wieso vergaß ich immer wieder, dass ich neuerdings mit Leuten zu tun hatte, denen meine Privatsphäre – wozu auch meine Gedanken gehörten – nicht heilig war? „Wo ist Roman?“ War ich dessen Babysitter? „Er spricht mit jemandem.“ Stépan zuckte nicht zusammen, drückte die Hände nicht fester und auch in seiner Stimme hörte ich keine Überraschung, als er freundlich fragte, wie das möglich wäre. „Fragen Sie mich nicht! Vielleicht, weil der andere ein… ein… Kehr-irgendwas ist?“ Seine einzige Reaktion bestand aus einem ‚Hmhm.’

Sehr aufschlussreich.

Wirklich.

Also… Pir waren verdammt gute Schauspieler.

Plötzlich stand der rothaarige Typ vor uns, was niemandem außer mir und Anja aufzufallen schien. „Na hallo!“, zwinkerte Anja den anderen Pir an, was meine Kinnlade nach unten klappen ließ. Ian lächelte sie an, was jedoch nichts zu sagen hatte. Laut Roman würde ein Pir auch lächeln, wenn er jemandem das Genick brach. „Öhm, Anja?“ Sie zwinkerte mir zu und beugte sich zu mir. „Was denn? Er ist süß!“ Schon möglich. Außerdem war er saugefährlich. Wahlweise auch sauggefährlich! Während ich mit Anja flüsterte, schien Stépan Anweisungen zu geben. Das, oder die zwei Pir belauschten uns. „Ian wird euch an einen sicheren Ort bringen.“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Warum? Hier ist es sicher.“ Stépan lächelte dasselbe unnahbare Lächeln wie Ian. „Gleich nicht mehr. Ich sagte doch, wir haben hier geschäftlich zu tun.“ Oh. Oh!

„Sie wollen hier essen?“ Meine Frage klang derart ungläubig und laut, dass mich einige Leute schief ansahen. „Das auch. Aber erst nach unserer Arbeit.“ Ok, so genau wollte ich es gar nicht wissen. „Äh, ok. Anja, ich glaube, es ist besser, wenn wir gehen.“ Stépan hinderte mich daran, aufzustehen. „Dafür ist es zu spät. Ian bringt euch weg.“ Wie sollte ich mich einem Pir widersetzen? Besonders wenn meine Freundin von dessen Freund fasziniert war? Ian ergriff erst meine Hand, dann Anjas und zack, wusch, standen wir in einem riesigen, eleganten Saal, der voller reich verzierter Spiegel hing. „Oh mein Gott!“ Anja hüpfte begeistert durch den gigantischen Raum, drehte sich um ihre eigene Achse und strahlte, als würde sie gleich zum Traualtar schreiten. „Das ist ja sowas von cool!“ Ian schien ebenso überrascht wie ich zu sein, als sie ihm um den Hals fiel und einen Kuss auf die Wange drückte. „Kann man dich mieten? Du bist viel schneller als mein Auto.“ Zum zweiten Mal fiel mir die Kinnlade herunter – na ja, eigentlich hing sie schon ein paar Ebenen tiefer, seitdem sie ihn angesprungen hatte – und renkte sich auch nicht mehr ein. Sie kniff dem Pir in den Hintern! Dass Ian einfach nur dastand, als gehörte er zur Dekoration, schien Anja nicht zu stören. Nicht sehr. „Komm schon. Nicht so schüchtern, junger Mann. Ich beiße nur ganz selten!“ Ich verdrehte die Augen und befürchtete, dass Anja sich um Kopf und Kragen redete, wenn sie so weitermachte. „Anja, hör auf. Du beißt vielleicht nicht, aber er.“ Noch immer an dem rothaarigen Kerl klebend, drehte sie den Kopf zu mir und sah mich aus den Augenwinkeln an. „Also von dem hier lasse ich mich gern beißen!“ So dumm konnte man doch gar nicht sein! „Was habe ich dir vorhin geflüstert? Über movere?“ Super, den Wink hatte sie verstanden. Es sah jedoch ziemlich ulkig aus, wie sie wie von der Tarantel gestochen von Ian weg sprang und hinter mir in Deckung ging. „Entschuldigung.“, murmelte sie kleinlaut. Mich wunderte es nicht, dass der Pir nicht reagierte. „Er ist trotzdem eine hübsche Dekoration, nicht?“, flüsterte sie, weil sie wohl glaubte, dass er es nicht hörte. „Hmhm.“ Schwerter sind auch hübsche Dekorationen. Oder ein hübsches Paket Nitroglyzerin… die Guillotine.Ich drehte mich zu ihr um und sah, wie sie ihn mit glänzenden Augen betrachtete. Mich sollte mal jemand kneifen. Die Pir, Roman und ein Dämon waren schon bekloppt genug. Aber dass Anja sich benahm wie ein pubertierender Teenager, war ehrlich gesagt zu viel. Sie mochte oft derbe Sprüche auf Lager haben, doch dass sie derart offen flirtete, hatte ich noch nie erlebt. „Ich hoffe wirklich für dich, dass du ihn nicht in Gedanken ausziehst und unsittliche Dinge mit ihm anstellst.“ Sie kicherte. „Du klingst wie meine Mutter. Außerdem wird man doch wohl träumen dürfen.“ Sie wurde ein klein wenig blass, als ich ihr trällernd mitteilte, dass er ihre Gedanken sehen und hören konnte. Sie schnappte nach Luft, hielt sie an und ließ sich auf den Parkettboden plumpsen, obwohl es durchaus auch Sitzmöglichkeiten gab. Ganz langsam und hörbar atmete sie aus, wobei sie ihre Augen fest zusammenkniff. Ian erwachte aus seiner Starre, rollte seine Schultern, neigte den Kopf von rechts nach links und lachte leise. „Mädchen, rosa Elefanten sind nicht übel. Aber das andere war besser.“ Anja wurde noch blasser, was ich kaum für möglich hielt. „Oh Gott.“, hauchte sie. Ok, jetzt wurde sie rot. Ich hatte Mitleid mit ihr. Ein wenig. Trotzdem fiel es mir schwer, nicht ebenfalls zu lachen. Um sie abzulenken, fragte ich sie, ob sie mir hier zeigen könnte, was ihre Fähigkeit war. „Vor ihm?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Er wird es wohl kaum jemandem verraten. Und falls doch…“, ich senkte meine Stimme, „… ich weiß, wo er wohnt.“ Anja lachte leise, womit ich erreichte, was ich wollte. „Pass auf.“ Tat ich. Und schon wieder plumpste meine Kinnlade nach unten. Anja war weg. Dafür stand eine wildfremde Person vor mir. Ian grinste. „Warum grinst du?“ Es erschien mir vollkommen logisch ihn zu duzen. „Sie sieht anders aus, trägt andere Klamotten, aber ihr Duft ist unverändert.“ Anja – die sich kein bisschen ähnlich sah – ging mit erhobenem Zeigefinger auf ihn zu. „Du mogelst. Das ist unfair!“ Seine Lippen zuckten amüsiert. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er seine Gefühle momentan deutlicher zeigte als sonst. Ach was, sonst zeigte er gar keine Gefühle! Lag es an Anja oder daran, dass er unter Menschen war? „Wow, das ist beeindruckend. Du könntest Sven doch mal einen ordentlichen Schreck einjagen. Der würde kreischend davonrennen. Irgendwas Grässliches aus einem Horrorfilm und dann ‚Buh’ und los bin ich ihn.“ „Könnte funktionieren.“ Ich grinste boshaft. „Was ist mit ihm?“ Sie legte ihren Kopf schräg und sah Ian herausfordernd an. „Darf ich?“ Seine Augenbrauen hüpften als Zustimmung. Im nächsten Moment standen zwei Ians da. „Äh…“ Einer der beiden schnappte den anderen – und wusch, weg waren sie. Vermutlich nur im angrenzenden Zimmer, denn ich hörte Anjas leises Kichern. Dann jedoch nichts mehr. „Ian, wenn Sie meine Freundin beißen, hetzte ich Ihnen einen Ker-Lon auf den Hals! Ich weiß von Roman, dass Menschen wie meine Freundin ihren Biss nicht überleben.“ Ich hörte ein Keuchen und Schmatzen und dann Ians leicht heisere Stimme, die mir mitteilte, dass er das wisse. Was zum Teufel trieben die beiden denn dann? „Anja!“ Plötzlich standen beide wieder vor mir. Erst Ian, dann Anja. Meine Anja – so, wie ich sie kannte. Ihre Lippen waren geschwollen, ihre Wangen leicht gerötet. Ich kam mir vor wie das fünfte Rad am Wagen. „Sucht euch ein Zimmer!“, murmelte ich, wünschte aber im selben Moment, dass ich es nicht laut gesagt hätte. Den beiden traute ich momentan zu, dass sie es wörtlich nähmen.

Neidisch? Gut, dass ich kein Frosch war. Ich wäre doch glatt bis an die Decke gesprungen. „Herr Gott nochmal, Roman, musst du mich ständig erschrecken?“ Wie kam er überhaupt hierher? Gefällt dir Italien? „Wir sind in Italien?“ Anjas Wiederholung meiner Frage klang wie ein Echo. Nur dass sie auf eine Antwort von Ian wartete; ich auf eine von Roman. Woher sollte ich das auch wissen? Ein Ballsaal sah sicher in jeder Stadt prunkvoll aus. Sofern sie über einen verfügte. Wie hast du mich gefunden?„Ist dein Geist jetzt da?“, fragte Anja, die sehr dicht neben Ian stand. Ich nickte und erwartete ihre nächste Frage, die jedoch ausblieb. Oh, der hatte einen Arm um ihre Taille gelegt. Das war nicht gut. Roman gab mir keine Antwort. Aber angesichts der Tatsache, dass meine Freundin gerade mit einem Pir anbändelte auch nicht sonderlich wichtig. Ich glaube, die zwei wollen allein sein. „Das sehe ich auch, verdammt nochmal!“ Bleib ruhig. Du kannst sie nicht daran hindern, wenn sie es nicht will. Und sie sieht so aus, als wäre sie durch nichts davon abzubringen. Zu dumm, dass es sogar Roman auffiel. Allein hätte ich mir einreden können, dass es reine Einbildung war. Ich fasse es nicht, sinnierte Roman. Da waren wir schon zweit. Dass ich die Ähnlichkeit nicht schon eher bemerkt habe! Ich hatte keine Ahnung, wovon er faselte. Ich machte mir verdammt nochmal Sorgen um meine Freundin, die ganz offensichtlich ihren Verstand verlor. Oder konnte der Pir ihre Gedanken verwurschteln? Ihr suggerieren, dass sie ihn wollte? Es war überhaupt nicht typisch für meine Freundin, sich einem Mann so schnell und ungeniert an den Hals zu werfen. Sag Ian, er soll dich heimbringen. „Was? Nein! Ich…“ Halt den Mund und sag es ihm! Sie ist bei ihm sicher. Ich schnaubte empört. Nachdem, was er mir über Vampire, Pir und genetisch veränderte Menschen erzählt hatte, war Anja bei Ian alles andere als sicher. Vertrau mir bitte. Sie ist sicher bei ihm. „Und woher weißt du das?“, flüsterte ich mit zitternden Lippen. Die zwei gingen für meinen Geschmack viel zu vertraut miteinander um, obwohl sie sich erst ein paar Minuten, maximal eine halbe Stunde kannten. Weil ich die Wahrheit sehe, wenn sie mir ins Gesicht springt. Haha, er hatte doch gar keins!

Fluchend verrenkte ich mir die Arme, während ich versuchte, mich aus dem dämlichen Korsett zu befreien. Nach einer geschlagenen halben Stunde gelang es mir endlich. Schnaufend und schwitzend warf ich mich aufs Bett und atmete ein paar Mal tief durch. Froh, meine Lunge wieder ausdehnen zu können und nicht nur sporadisch nach Atem schnappen. Mich langsam wieder aufrappelnd, schälte ich mich aus dem Kleid. Da Roman meine Befreiungsversuche nicht kommentiert hatte, war er vermutlich nicht in meiner Schlafstube. In die er meines Erachtens nach sowieso nicht hingehörte. Hm, schöne Aussicht. Kannst du dich ein wenig drehen? Das durfte doch nicht wahr sein! Ich griff nach dem erstbesten Ding, was mir in die Hände geriet – mein Kopfkissen – und schleuderte es in die Richtung, in der ich Roman vermutete. „Verkrümel dich! In meiner Schlafstube hast du nichts verloren!“ Dass ich nur in Slip und BH vor ihm stand, trieb mich nur umso mehr auf die Palme. Ich hörte, wie sein Lachen leiser wurde und plumpste Kopf schüttelnd auf mein Bett. Würde er das auch tun, wenn er in seinem Körper steckte oder erlaubte er sich diese Freiheiten nur jetzt? Die Frage war jedoch, warum! Gefiel ich ihm? Oder war es eins seiner Hobbys, Frauen beim Umziehen zuzusehen? Ein kleiner Spanner sozusagen. Ich konnte nur raten. Ich würde nämlich einen Teufel tun und ihn danach fragen.

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Roman lachte. Es amüsierte ihn köstlich, sie ein wenig aufzuziehen. Andererseits drängten sich ihm ab und an Fragen auf, die ihn bezüglich Sams Verwandter überhaupt nicht kommen sollten. Wäre ihre Haut heiß oder kühl? Bekäme sie eine Gänsehaut, wenn er sie streichelte? Würde sie schreien, wenn er in ihre Brüste biss. Würde sie feucht werden, wenn er sie über die Bank legte und sie bearbeitete, bis die Zeugen des Schmerzes ihre Haut zierten? Und wie würde es sich anfühlen, wenn er in ihr war?

Als Briony sich vorhin mit dem Korsett abmühte, waren ihm ihre glühenden Wangen aufgefallen. Roman war fasziniert, weil sie damit aussah, als hätte sie guten Sex gehabt. Und er malte sich aus, dass er für ihre rosigen Wangen und die Schweißperlen auf Stirn und Dekolletee gesorgt hatte. Als sie halb nackt vor ihm stand, konnte er sich die Aufforderung nicht verkneifen, obwohl er hätte ruhig sein sollen und sie weiterhin schweigend bewundern. Ihre Reaktion war goldig gewesen. Noch immer musste er lachen. Absurderweise sehnte sich sein – nicht vorhandener – Körper nach Erlösung. Dabei war sie gar nicht sein Typ. Sie war Sam kein bisschen ähnlich. Verwandtschaft hin oder her. Trotzdem, es wäre – theoretisch – einfach, den Körper eines anderen in Besitz zu nehmen. Zumindest laut Auskunft des Ker-Lon, der jedoch keine Garantie dafür gab. Roman mochte ein Briam sein; ein Ker-Lon war er nicht. Er liebte Briony nicht. Sie war ihm nicht mal besonders wichtig. Aber er wollte sie verflucht nochmal in seinem Bett. Oder auf dem Küchentisch. Oder dem Teppich. Oder an der Wand. Nur einmal. So, wie er sich bei anderen Frauen bediente, um seine Gelüste zu stillen. Sie war verfügbar und ganz sicher wäre sie willig. Sicher? Seit seinem Gespräch mit Sael fragte er sich manche Dinge nicht zum ersten Mal. Roman durfte recherchieren, was mit Briony geschehen war beziehungsweise passieren würde. Doch egal, ob sie von ihm gerettet werden konnte oder nicht, sie durfte nicht weiter existieren. Nicht in dieser Zeit! Und Sam? Sie war Saels Saphi, was dieser möglicherweise ahnte, aber nicht wusste. Schließlich hatte Roman ihm nicht gesagt, dass dessen Saphi und die, die er gedachte zu retten, ein und dieselbe Person waren. Trotzdem schien der Ker-Lon geneigt zu sein, anzunehmen, dass es nicht ihr Schicksal war zu sterben. Besonders seit Sael wusste, dass die Vereinigung mit ihrem Briam nie vervollständigt worden war, sie aber dennoch über die Kräfte der Saphi verfügte. Die Erklärungen genügten Sael, um Roman zu gestatten, diese Frau zu retten. Samantha würde also, wenn alles glatt lief, weiterleben. Wäre er der Einzige, der wusste, was er mit seiner Zeitreise erreichte? Nun, damit konnte er leben. Er lachte im Stillen, auch wenn er sich nach wie vor den Kopf zerbrach, wie er Briony retten könnte. Selbst wenn sie überlebte – was er hoffte – durfte sie von niemandem mehr gesehen werden. Verdammt! Ihm war nach einem ordentlichen Schluck Whisky. Oder besser noch Tanar. Er musste wohl oder übel nochmal mit Sael sprechen. Möglicherweise kannte der eine Lösung. Selbst wenn Roman daran zweifelte, dass ein Ker-Lon einem Menschen half.

Homo sapiens movere ~ gerettet

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