Читать книгу Das verlorene Seelenheil - R. S. Volant - Страница 4

Gebrochene Herzen

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Herzog Richard lief aufgebracht hin und her. Immer wieder hielt er kurz inne und schüttelte fassungslos den Kopf über das, was ihm sein Neffe und König gerade offenbart hatte. Schließlich blieb er erneut vor dem stehen und atmete tief durch. „Ist das dein letztes Wort?“, fragte er und der König blickte ihn kalt an.

„Ja“, antwortete der unnachgiebig und nun schüttelte auch dessen Bruder Wilhelm das Haupt und stützte seine Stirn in eine Hand.

„Henry, ich bitte dich noch einmal, darüber nachzudenken“, sagte er von den endlosen Diskussionen der letzten Tage zermürbt, „du brauchst sie!“

„Ich brauche niemanden!“, erwiderte der König trotzig und Wilhelm stieß die Luft schnaubend aus.

„Niemand wird das verstehen oder auch nur das geringste Verständnis für deine Entscheidung aufbringen!“, warf Richard ihm wieder vor und Henry fuhr von seinem gepolsterten Stuhl hoch.

„Sie hat mich auf das Schändlichste hintergangen und betrogen! Und das ist in meinen Augen Hochverrat!“, brüllte er seine beiden engsten Verwandten an. „Sybilla wollte mir ein Kind unterjubeln! Soll ich das einfach so hinnehmen? Mit den Schultern zucken und sagen: Ach was solls, kann ja mal passieren“, sagte er gespielt lässig und winkte mit beiden Händen zynisch lächelnd ab.

„Nein, selbstverständlich nicht“, erwiderte Wilhelm genervt.

„Ach!“

„Aber wie willst du es begründen? Offiziell hast du doch jetzt einen Erben und alle Welt denkt, es wäre alles in bester Ordnung zwischen euch beiden“, versuchte Wilhelm es erneut und Henry wandte sich verbittert um.

„Ich kann ihr das nicht verzeihen, ihnen beiden nicht“, raunte er tief getroffen. „Die beiden Menschen, die mir das liebste waren, haben mich betrogen. Ich habe ihnen vertraut und sie haben mich beide verraten“, sagte er, sich wieder zu ihnen umdrehend und sah sie mit feuchten Augen an.

Sein Onkel ging rasch zu ihm und umarmte ihn fest. „Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr dein Herz schmerzen muss und es zerreißt auch mich, glaube mir“, murmelte er nahe an Henrys Ohr. „Es muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein und dennoch bin ich der gleichen Meinung wie Wilhelm. Du kannst doch deine Königin nicht einfach scheinbar grundlos wegen Hochverrates anklagen und hinrichten lassen. Bitte Heinrich, es geht hierbei auch um dich! Du hast Wilhelms Sohn bereits öffentlich als euer legitimes Kind ausgegeben und jedermann denkt, es wäre dein rechtmäßiger Erbe. Du kannst Sybilla nicht mehr anklagen, bitte, sieh das doch ein“, beschwor er ihn nochmals.

Henry entwand sich aus der Umarmung, drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen am Kaminsims ab. „Ich kann jeden anklagen! Und niemand hat das Recht, meine Entscheidungen anzuzweifeln!“, bekräftigte er seinen Standpunkt erneut.

„Und gibst damit deinen Gegnern einen wirklich guten Grund, wieder gegen dich zu rebellieren“, entgegnete sein Bruder hämisch. „Verdammt Heinrich! Du spielst Rudolf damit in die Karten, warum kapierst du das nicht?! Er wird sich mit Savoyen verbünden und Satorius lacht sich ins Fäustchen! Die warten doch nur darauf, einen Grund für einen Krieg gegen dich zu finden! Die Savoyer lieben ihre Königin, weil sie eine von ihnen ist! Aber dich, würden sie lieber heute als morgen, zum Teufel jagen!“, fuhr er nun wirklich ärgerlich fort.

Richard stieß einen schweren Seufzer aus. „Hast du eigentlich einmal Sybilla selbst dazu befragt?“, fragte er vorsichtig.

„Er hat noch kein einziges Wort seither mit ihr gewechselt“, antwortete Wilhelm ungehalten und Henry drehte sich wütend zu ihnen um.

„Und das werde ich auch nicht!“, zischte er, was Richard entnervt die Hände in die Luft werfen ließ.

„Du willst ihr also nicht einmal die Chance geben, sich zu erklären! Höre sie wenigstens einmal an und dann kannst du immer noch eine Entscheidung treffen! Verdammt, sie liebt dich! Sie hat immer nur dich geliebt und stand immer zu dir oder denkst du wirklich, dass sie in all den Jahren nichts von deinen abwegigen Liebeleien ahnte?!“, fragte er verständnislos.

Der König senkte daraufhin kurz das Haupt und schnaubte nur auf seine spöttische Art. Richard kratzte sich verlegen die gerunzelte Stirn und atmete erst einmal tief durch, um sich wieder zu beruhigen. „Und was geschieht mit Amanoue?“, fragte er leise, Henry hob den Blick und sah ihn mit verengten Augen an. Maßlose Wut, aber auch tiefe Trauer spiegelten sich darin wider und so war es nun Richard, der vor ihm den Blick niederschlug.

„Ich will nicht über ihn sprechen“, hörte er Henry antworten und der Schmerz war deutlich herauszuhören.

„Er hat ihn eingesperrt, seitdem“, antwortete Wilhelm stattdessen.

„Aber das geschah doch schon vor Wochen!“, entfuhr es Richard regelrecht erschrocken. „Seit der Geburt? Du hast ihn seitdem eingesperrt? Das war Anfang Dezember und jetzt haben wir Januar“, hängte er fassungslos daran.

„Du hast dir ja auch reichlich Zeit gelassen“, erwiderte Henry zähneknirschend.

„Ich konnte doch nicht ahnen, was hier los war! In der Nachricht stand nur, dass ich so schnell wie möglich zurückkommen sollte! Und sie war von deinem Bruder“, verteidigte sich sein Onkel und Wilhelm verdrehte die Augen neben ihm. „Außerdem brauchte der Bote eben auch seine Zeit…“

„Ja, genau! Ein paar Tage, hin und zurück! Und du hast erstmal eine Woche überlegt, um überhaupt zu antworten! Oder war der zu Fuß unterwegs?“, brummte Henry schnippisch zurück.

Richard schnaufte laut aus. „Ich war eben noch immer etwas wütend, über deinen liebevollen Hinauswurf“, rechtfertigte er sich höhnisch. „Ist doch selbstredend, dass ich den Boten ausgefragt habe und der erklärte mir lediglich, dass ihre Majestät einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hätte und es ansonsten nichts zu berichten gäbe! Ich konnte doch nicht ahnen, was hier wirklich los war!“

Wieder rollte Wilhelm mit den Augen. „Ihr zwei seid beide solche…“, raunte er dazwischen, zwang sich dann aber zur Ruhe und winkte schließlich nur noch ab.

„Was?“, fuhr Henry ihn an, „Arschlöcher?!“

Wilhelm hob überrascht die Augenbrauen und nickte tatsächlich. „Ja, dass auch! Ich wollte es eigentlich nicht so derb ausdrücken, aber ja, ihr seid beide manchmal echte Arschlöcher und beide vom gleichen Schlag! Müsst ihr ausgerechnet jetzt die beleidigten Leberwürste spielen? Wir haben echt andere Sorgen, als euren angekratzten Stolz! Seht mich nicht so schockiert an, es ist so! Und ich habe allmählich echt die Schnauze voll davon! Seit Jahren sehe ich mir das jetzt schon mit an! Ihr streitet euch wegen jedem Furz und liegt euch gleich darauf wieder in den Armen! Jetzt ist Schluss damit! Du bist jetzt da und wir sollten nun endlich eine Lösung finden! Und du“, wandte er sich direkt an Henry, „wirst dich endlich wieder wie ein vernünftiger Mensch benehmen, mit dem man ein vernünftiges Gespräch führen kann! Zu deiner Erinnerung, du bist hier nicht nur ein gewöhnlicher, gehörnter Ehemann, sondern auch unser aller König und trägst damit die Verantwortung für uns alle! Und deshalb musst du erst recht deine Gefühle hintenanstellen! Du wirst Sybilla zumindest die Chance einer Verteidigung lassen und wir drei werden über sie urteilen! Außerdem interessiert es mich brennend, wie es dein kleiner Lustknabe angestellt hat, sie flachzulegen“, meinte er und schüttelte auch gleich geradezu ungläubig den Kopf darüber.

Henrys Brust war mit jedem seiner Worte mehr angeschwollen und er stand kurz vor dem Platzen. „Richtig, ich bin euer König und somit verbiete ich dir, so mit mir zu reden! Was fällt dir ein?!“, brüllte er seinen jüngeren Bruder an, doch der verzog nur gelangweilt das Gesicht.

„Jetzt geht das wieder los“, murmelte er genervt vor sich hin. „Gut, wenn es dir danach besser geht, brüll mich an oder wirfst du mich jetzt auch raus?“, meinte er relativ gelassen.

„Heinrich, Wilhelm hat recht, lass uns nicht länger streiten und unseren Groll beiseitelegen“, lenkte wenigstens Richard ein und streckte ihm die rechte Hand entgegen. „Es tut mir leid, bitte vergib einem störrischen alten Mann“, sagte er geknickt.

Henry holte tief Luft, atmete geräuschvoll aus und drehte sich zierend hin und her. „Du hast mich zutiefst verletzt und warst nicht da, als ich dich am nötigsten gebraucht hätte“, grummelte er und wieder wurden seine Augen feucht. „Ich kann einfach nicht mehr“, gestand er leise und schon lagen sie sich in den Armen.

„Jetzt bin ich ja da, ist schon gut“, versuchte sein Onkel ihn zu trösten und klopfte ihm den Rücken, während Henry leise schluchzend nickte.

„Wie konnten sie mir das antun, wie konnte er mir das antun?“, weinte er mit der Stirn auf Richards Schulter und der unterdrückte nun selbst nur noch mühsam die Tränen.

Wilhelm hob leicht mit dem Kopf schüttelnd die Augenbrauen und seufzte schwer. „Könnten wir jetzt endlich wieder zur Sache kommen? Ich bekomme allmählich Hunger und bin am Verdursten!“, brummte er, stand auf und ging hinüber zum Tisch. Er schenkte sich einen Becher Wein ein und trank einen großen Schluck.

„Mir auch“, krächzte Henry und zog die Nase hoch. Wilhelm goss den Pokal voll, reichte den seinem Bruder und der trank wie ein Verdurstender.

„Ich auch“, knurrte Richard, wischte sich über die Augen und so füllte Wilhelm den dritten Becher.

„Hier“, meinte er, seinem Onkel das Getränk übergebend und alle drei tranken nochmals.

„Gut“, sagte Henry schließlich doch einsichtig und räusperte sich, um den Kloß in seinem Hals endgültig los zu werden. „Dann wollen wir uns mal anhören, was Sybilla dazu zu sagen hat“, murmelte er und die beiden anderen atmeten erleichtert auf.


***


Sybilla betrat mit gesenktem Haupt das private Audienzzimmer und blieb mitten im Raum stehen. „Eure Majestät“, kam es leise über ihre bebenden Lippen und sie knickste etwas unsicher. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und auch ein schwarzer Schleier bedeckte ihr lockiges, rötliches Haar.

„Ihr wisst, warum Ihr hier seid?“, fragte Wilhelm kühl und die Königin sah ihn fragend an. „Euch wird Ehebruch vorgeworfen und dazu habt Ihr noch versucht, Eurem Gemahl ein Balg unterzujubeln! Was sagt Ihr dazu?“

„Bitte Henri, Eure Majestät, vergebt mir, es war nicht so, ich wollte es nicht, ich schwöre es!“, prasselte es sofort aus ihr hervor und sie fiel händeringend auf ihre Knie. „Er war es, er hat mich irgendwie gefügig gemacht, ich konnte mich nicht einmal wehren, oh bitte, bitte, das ist die Wahrheit“, bettelte sie und schlug schluchzend die Hände vor ihr deutlich ausgemergeltes Gesicht.

„Was wollt Ihr damit sagen? Dass Amanoue Euch gegen Euren Willen nahm?“, fuhr Herzog Richard sie geradezu entrüstet an und sie nickte schnell.

„Ja, Euer Gnaden, genauso, war es!“

„Oh bitte!“, höhnte Richard schnaubend. „Lasst dieses Theater! Ich kenne Amanoue gut genug um zu wissen, dass er niemals dazu in der Lage wäre!“

„Es ist die Wahrheit! Er hat mich mit einem Zauber gelähmt und mich geschän…“, weinte sie haltlos und sank noch mehr in sich zusammen.

Immerhin schien sie damit Wilhelm zu beeindrucken und der rutschte bereits unwohl auf seinem Polster hin und her. „Er hat Euch“, das Unfassbare auszusprechen, viel selbst diesem hartgesottenen Mann schwer, „vergewaltigt?“, fuhr er wesentlich leiser fort, während Henry weiterhin mit versteinerter Miene neben ihm saß.

„Oh bitte! Niemals! Heinrich, Eure Majestät, meinte ich, du weißt selbst, dass Amanoue nie dazu fähig wäre!“, regte Richard sich erneut auf. „Amanoue ist die Sanftmut in Person!“

„Und dennoch hat er mich mit meiner Gemahlin hintergangen und dazu gehören immerhin zwei! Ob mit oder ohne ihre Zustimmung, es ist unverzeihlich“, erklärte der König kalt.

„Es geschah ohne meine Zustimmung! Bitte, Ihr müsst mir glauben! Ich habe immer nur Euch geliebt und dies sagte ich auch zu ihm! Aber er wollte es nicht hören und fiel regelrecht über mich her!“, beschwor Sybilla ihn, die Hände wie zum Gebet gefaltet. „Henri, ich würde Euch niemals aus eigenem Willen heraus betrügen! Er ist ein Incubus, er muss ein Incubus sein, sonst wäre ich sicher standhaft geblieben, wie in all den Jahren, in denen Ihr mich so oft alleine gelassen habt!“, redete die Königin sich schließlich in Rage, was bei den drei Männern zu unterschiedlichen Reaktionen führte.

Herzog Richards Blick ging zynisch amüsiert zur Decke, da er kein Wort davon glaubte, Wilhelm schien plötzlich ganz Ohr zu sein und der König zeigte weiterhin keinerlei Regung. „Ihr bezichtigt den Adjutanten seiner Majestät also der Zauberei?“, fragte sein Bruder höchst interessiert nach und die Angeklagte nickte rasch.

„Ich schwöre vor Gott und würde es auch vor aller Welt tun, wenn man mir ein gerechtes Gerichtsverfahren zugestehen würde, dass ich in all den Jahren meinem Gatten treu ergeben war und ihn niemals betrog! Ich liebe meinen Gemahl von ganzem Herzen, auch wenn er es wohl nie mit der ehelichen Treue so genau nahm, wie ich! Befragt meine Hofdamen oder Eure eigene Gemahlin, die mir eine enge Freundin ist und sie werden Euch meine Treue bestätigen! Niemals, ich wiederhole es: Niemals, war ich meinem Ehemann untreu, nicht einmal in Gedanken“, antwortete Sybilla felsenfest und mit Stolz erhobenem Haupt.

Wilhelm schnaufte tief durch und sah zu seinen beiden Mitanklägern hinüber. „Ich glaube Euch auch so“, sagte er und deren Köpfe fuhren zu ihm herum. „Was? Sie hat das Recht dazu, eine öffentliche Anhörung zu bekommen, wenn du sie wirklich verurteilen möchtest! Es geht hier schließlich um ihren Kopf“, flüsterte er ihnen zu. „Henry, du wirst nicht um ein ordentliches Gerichtsverfahren herumkommen und was dann? Sie ist echt gut! Und glaube mir, alle Welt wird auf ihrer Seite stehen, wenn sie so vor Gericht redet und damit könnte sich das Blatt ganz schnell wenden und plötzlich stehst du als untreuer Gemahl da, der, wenn sie es darauf anlegt, auch noch mit dem gleichen Kerl wie sie Unzucht getrieben hat! Und nicht nur mit dem!“

„Verdammt, verdammt, verdammt“, murmelte Richard und nickte. „Schicke sie zurück in ihre Gemächer und zwar ganz schnell, ehe sie dich noch ganz um Kopf und Kragen redet!“

Henry sog die Luft ein, stützte nachdenklich seinen Kopf auf eine Hand, wobei er mit drei Fingern sein Kinn hielt und blickte zur Seite. Schließlich nickte auch er. „Gut, Ihr könnt einstweilen wieder zurück in Eure Gemächer gehen. Ich werde mich mit meinen Ratgebern besprechen und Euch wird dann mitgeteilt werden, zu welchem Entschluss ich gekommen bin“, sagte er ehrerbietig, aber ohne seine Gemahlin anzusehen.

Sybilla war längst wieder aufgestanden und fasste im Gegensatz zu ihm alle drei offen ins Auge. „Ich danke Euch, mich wenigstens angehört zu haben aber eines möchte ich noch hinzufügen: Wenn mein Kopf fällt, wird es nicht der einzige sein, das verspreche ich Euch“, sagte sie kühl und knickste wieder, dieses Mal wirkte es allerdings keines Wegs unsicher, sondern voller Eleganz und siegesgewiss. „Eure Majestät, Eure Gnaden“, verabschiedete sie sich liebreizend lächelnd und stolzierte hinaus.

„Sie ist wirklich gut, das muss man ihr lassen“, meinte Wilhelm anerkennend. „Dir ist schon klar, dass sie dir gerade offen gedroht hat? Oder kapierst du es immer noch nicht, dass sie dich in der Hand hat, mehr, als du sie“, wandte er sich an seinen Bruder, der mal wieder kurz vor der Explosion zu stehen schien.

„Ob ich es kapiert habe?“, donnerte er auch gleich los, „oh ja! Wie kann sie es wagen, MICH! Derart anzugreifen! Sie will mir drohen? Soll sie doch! ICH! Bin der König und sitze ja wohl am längeren Hebel!“, brüllte er aufspringend.

Die beiden ließen ihn erst einmal einige Runden durchs Zimmer streifen und damit Zeit, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. „Was hast du erwartet? Dass sie weinend zusammenbricht und alles ohne sich zu wehren einfach so hinnimmt? So ist Sybilla nicht, schließlich wurde sie zur Erbin eines Herzogtums erzogen! Sie war schon immer eine Kämpferin“, wagte es Wilhelm schließlich zu sagen.

„Wie konntes du auch diese Scheiße mit Satorius machen! Konntest du nicht irgendeinen anderen zum Herzog von Savoyen einsetzen?“, warf ihm auch noch Onkel Richard vor und Henry biss sich vor Wut dermaßen auf die Unterlippe, dass es fast blutete.

„Ich wollte, dass sein Sohn Herzog wird und dachte mit Nicolas hätte ich somit einen starken Bündnispartner! Wie hätte ich denn ahnen können, dass der alte Satorius mir derart in den Rücken fällt? Hm?“, blaffte er zurück.

„Du hast ihm sein geliebtes Söhnchen weggenommen! Denkst du wirklich, dass er dir dies jemals vergibt? Satorius mochte dich nie so recht, aber seitdem hasst er dich regelrecht und ich kann es ihm nicht mal verdenken“, entgegnete sein Onkel ebenfalls aufgebracht.

„Hört auf!“, rief Wilhelm dazwischen und hob beide Hände ermahnend in ihre Richtungen. „Es nützt uns nichts, wenn wir uns jetzt gegenseitig an die Kehlen gehen und Vorwürfe machen! Henry, auch wenn es dir schwerfällt und du vielleicht sogar daran erstickst, du musst Sybilla freisprechen! Ich verlange nicht, dass du ihr jemals vergeben sollst, aber du hast dich selbst in diese Misere gebracht oder willst du öffentlich deinen Betrug um den Thronerben zugeben? Denn das wirst du tun müssen, wenn du etwas gegen Sybilla in deiner Hand haben möchtest! Du kannst dir hoffentlich ausmalen, was dann alle Welt über dich denkt! Nämlich, dass du nicht nur ein Lügner bist, der sich von seiner Gemahlin auch noch Hörner aufsetzen ließ, sondern offensichtlich nicht in der Lage bist, selbst einen gesunden Thronerben zu zeugen!“

Henry lief so rot an, dass es schon fast bläulich wirkte. Ein Zittern lief durch seinen ganzen Körper und den beiden wurde es für einen Moment himmelangst. „Heinrich?“, fragte Richard beinahe ängstlich und voller Sorge, „geht’s dir gut?“

Der König sah ihn an, blinzelte mehrmals und nickte schließlich. „Ich ziehe mich erst einmal zurück, ich muss jetzt allein sein“, antwortete er murmelnd. „Allein, wie immer“, raunte er seltsam nachdenklich und ging leicht taumelnd zur Tür.

„Henry? Sollen wir Gregorius zu dir schicken?“, fragte nun auch sein Bruder besorgt nach, doch Henry schüttelte den Kopf.

„Ich brauche keinen Arzt, ich brauche nur ein wenig Ruhe, und…“ Er sah sie nochmals an, „nur einer, könnte mir jetzt wirklich Trost spenden. Wie konnte er mir dies antun? Immer wieder, frage ich mich, warum? Aus Rache? Hass?“, sinnierte er wie zu sich selbst und öffnete stirnrunzelnd die Tür.


***


Nach dem Abendmahl suchte Richard nochmals Henry in dessen Gemächern auf. Eine Weile saßen sie sich schweigend schräg gegenüber. „Bitte, Heinrich, ich möchte dir gewiss nicht noch mehr Schmerz zufügen und es tut mir wirklich leid, was dir widerfuhr aber ich frage dich dennoch, lebt er eigentlich noch? Bitte, ich möchte es nur wissen“, machte er schließlich seinem bangenden Herzen Luft.

„Wer?“, fragte sein Neffe scheinbar ahnungslos zurück.

„Du weißt genau, wen ich meine! Amanoue! Lebt er noch?“, verlangte Richard mit sanftem Nachdruck zu wissen.

„Oh ja, er lebt“, antwortete Henry knapp und bitter.

Richard nickte einmal. „Und wie lange willst du ihn noch einsperren?“

„Von mir aus, bis er verrottet“, kam es von Henry derart verbittert, dass es schon einem Hilferuf gleichkam.

Wieder nickte sein Onkel, tief betrübt und voller Mitgefühl. „Möchtest du es mir nicht erzählen? Auch wenn ich wohl schon das Wesentlichste von deinem Bruder erfahren habe, so würde ich doch gerne die ganze Geschichte hören, von dir. Ich spüre doch, dass viel mehr auf deinem Herzen lastet“, bat er sanft.

Statt einer Antwort schloss Henry die Augen und ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. „Kai, würdest du uns alleine lassen?“, wandte der Herzog sich dem jungen Diener zu und der bejahte es mit einem stillen Nicken. Nachdem er gegangen war, zog Henry nicht gerade königlich die Nase hoch und trank einen großen Schluck.

„Er war mir so nahe, wie nie zuvor“, begann er einigermaßen gefasst zu erzählen, „wir, waren uns so nahe. Nachdem du fort warst, hatten wir einen fürchterlichen Streit und er schimpfte mich aus wie ein Rohrspatz“, sagte er lächelnd, was auch Richard zum Schmunzeln brachte. „Du kennst ja sein überschäumendes Temperament und ich dachte schon, entweder er haut mir jetzt vor versammeltem Hofstaat eine runter oder er grillt mich an Ort und Stelle“, sprach Henry weiter. Richard runzelte ungläubig die Stirn und sein Neffe nickte bestätigend. „Ehrlich! Für einen Moment dachte ich, so, das wars, jetzt kommt gleich ein Blitz und schickt mich geradewegs zu Ambrosius in die Hölle. Ich habe es gespürt, wie sich die Luft um uns auflud und er begann zu leuchten! Er leuchtete heller als die Sonne, zum ersten Male sah ich es mit eigenen Augen, er leuchtete!“, sagte er geradezu überwältigt. „Satory warf mir einmal vor, dass ich ihn eben einfach noch nie zum Leuchten gebracht hätte, weil ich mich darüber lustig machte und ja, er hatte recht, ich war wohl einfach nicht dazu in der Lage, bis zu diesem Tag! Er stand vor mir und leuchtete, aber nicht aus Freude, sondern vor Wut“, meinte er betrübt. „Es kam kein Blitz“, fuhr er achselzuckend fort, „er beschimpfte mich nur weiter und weiter, bis mir der Kragen platzte und ich ihn hinter mir herzog, bis in meine Gemächer. Wir stritten noch eine Weile und er beteuerte mir, dass es nur noch mich geben würde. Ja, du hattest recht, ich war eifersüchtig! Ich hatte einfach nur Angst ihn wieder verloren zu haben, an dich…“

„Heinrich“, unterbrach Richard ihn leise und leicht vorwurfsvoll. Er griff hinüber, drückte ihm kurz die Hand und Henry sah ihn voller Bestürzung an.

„Allein der Gedanke, dass er wieder einen anderen haben könnte, machte mich fast wahnsinnig, aber er sagte mir, dass ich keinen Grund dazu hätte und es nur noch mich in seinem Leben geben würde. Ich glaubte ihm“, raunte Henry und hielt sich im selben Moment die Stirn. „Er log mich an, log mir dreist ins Gesicht, aber dass er mich mit Sybilla betrogen hatte, hätte ich nie erwartet. Nie! Verstehst du?“, krächzte er heiser weiter und schüttelte gleichzeitig fassungslos den Kopf. „Einige Wochen später hatten wir wieder einen Streit, ich war sauer auf ihn und er mal wieder auf mich, weil ich mich nicht mehr ausreichend um ihn kümmern würde, so warf er es mir vor und ich habe ihn einfach stehen lassen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet und tags darauf, oder wohl eher die Nacht darauf, hatte ich die vielleicht schönste Nacht meines Lebens. Wir liebten uns wie noch nie und er sagte mir zum ersten Male, dass er mich lieben würde“, erzählte er immer leiser werdend und wieder drückte Richard ihm die Hand. „Ich brach einfach in Tränen aus, heulte sprichwörtlich Rotz und Wasser, vor lauter Glück und dann…“

„Dann?“, hakte Richard gefühlvoll nach, als Henry auch nach einer kurzen Weile nicht weitersprach.

„Wir schlossen eine Art Pakt, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll, er saß auf mir und stach mir mit einem Dolch in die Brust, genau hier“, sagte sein Neffe und tippte sich auf die Herzseite. Richards Augen weiteten sich augenblicklich vor Schreck und vor Unglauben. „Nicht schlimm, nur so tief, dass es etwas blutete“, fuhr Henry deshalb rasch fort. „Vertraue mir, sagte er und ich vertraute ihm“, wieder machte er eine kleine Pause, „er schnitt sich in die Hand und legte sie auf meine Wunde und sagte: Jetzt sind wir eins, von einem Blut, du gehörst mir und ich dir oder so ähnlich. Ich war, es war, wie in einem Traum, ich fühlte mich, wie in einem Traum gefangen, unfähig mich zu bewegen und eine bleierne Müdigkeit überfiel mich plötzlich. Alles was ich noch hörte, war sein Geständnis. Eben, dass Sybillas Kind von ihm wäre und ich nie eigene Kinder haben würde. Er bat mich sogar um Verzeihung und sagte, dass er alles nur für mich getan hätte, weil ich mir doch so sehr ein Kind gewünscht hätte…“, schluchzte er verzweifelt auf. Als Richard sich zu ihm hinüberbeugen wollte, wehrte er allerdings mit beiden Händen ab und rutschte sogar ein klein wenig von ihm fort. „Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, alles war weg“, schniefte er hilflos, „bis es mir plötzlich wieder einfiel! Am Tag als Sybilla das Kind gebar!“ Erneut musste er innehalten, um erst einmal tief Luft zu holen und wischte sich fast ärgerlich über die nassen Augen. „Dann kam Gregorius und sagte, dass es tot wäre, dass mein Kind, gestorben wäre! Alles um mich herum drehte sich nur noch und meine letzte Hoffnung war Amanoue. Ich rannte zu ihm, aber seine Tür war verschlossen, ich flehte ihn an, meinem Kind zu helfen, aber er erhörte mich nicht, ich hämmerte wie ein Verrückter gegen diese verfluchte Tür, bis meine Fäuste bluteten und plötzlich öffnete Marius“, berichtete er so als könne er es selbst nicht glauben. „Ich stieß ihn weg und versuchte wie von Sinnen Amanoue zu wecken, doch alles war vergebens. Er konnte mich nicht hören, weil Marius ihm den Bauch aufgeschnitten und ihm das Geschwür entfernt hatte. Da fiel es mir auf einem Male wieder ein, als ich später allein hier war. Ich saß da und wusste alles wieder, konnte mich glasklar an jene Nacht erinnern und damit auch an sein Geständnis. Ich weiß, dass es vor allem meine Schuld war, ich habe ihm so oft Vorwürfe gemacht, weil er mir kein Kind schenken konnte und vielleicht habe ich ihn sogar damit regelrecht in Sybillas Arme getrieben, aber vergeben, kann ich ihm nicht“, endete er beinahe flüsternd und mit geschlossenen Augen.

Richard lehnte sich tief durchschnaufend zurück. „Und seitdem warst du nicht bei ihm? War überhaupt jemand, bei ihm?“, fragte er erschüttert.

Henry öffnete die Augen und nickte leicht. „Marius. Er kümmerte sich weiterhin um ihn, versorgte die Wunde und brachte ihm Essen. Drei Wochen lag er da, dem Tode näher als dem Leben, dann ging es ihm langsam besser. Seit einer Woche etwa, scheint er über den Berg zu sein, so berichtete es mir Gregorius, aber mich kümmerte es nicht. Es ist mir gleich, was von nun an mit ihm geschieht“, antwortete er ohne jede Regung und ohne seinen Onkel anzusehen, der sich fassungslos an den Kopf fasste.

„Kann ich zu ihm?“, fragte er nach einer stillen Weile und endlich schien Henry aus seiner Starre zu erwachen.

„Warum?“, fragte er, ihn überrascht ansehend.

„Warum? Weil ich ihn sehen möchte! Und sprechen! Wenn du ihm keine Gelegenheit gibst, sich zu rechtfertigen, möchte ich wenigstens erfahren, weshalb und warum“, antwortete Richard verständnislos.

„Ah! Wie bei Sybilla, ja?“, nickte Henry ihm zu und Richard griff sich erneut seufzend an die Stirn.

„Henry! Ich bin auf deiner Seite, wirklich! Ich heiße ganz gewiss nichts gut, weder Sybillas noch Amanoues Verhalten, aber ich möchte mir eben ein eigenes Bild darüber machen. Und ehrlich gesagt, bin ich völlig durcheinander, im Moment! Mir schwirrt der Kopf über das, was ich heute alles erfahren habe oder musste. Vielleicht sollten wir erstmal darüber schlafen und morgen beraten wir uns weiter, ja?“, versuchte er ihn zu besänftigen, was Henry jedoch mit einem Schnauben quittierte.

„Morgen, Übermorgen, Überübermorgen, was soll sich ändern?“, fragte er ihn mit schiefgelegtem Kopf. „Nichts ist mehr so, wie es war und es wird auch nie mehr so werden, jedenfalls nicht für mich.“

Richard konnte nur wieder seufzen, schwer und voller Mitgefühl. Er klopfte seinem Neffen noch tröstlich das Knie und erhob sich. „Versuche zu schlafen und glaube mir, die Zeit heilt jede Wunde oder macht es zumindest erträglicher“, sagte er bitter und schlurfte hinaus.

Allerdings schlug er den Weg zu Gregorius` Gemächern ein und klopfte wenig später an dessen Tür, die auch gleich darauf von Marius geöffnet wurde. „Euer Gnaden?!“, grüßte der junge Mann erstaunt.

„Verzeiht die späte Störung, kann ich mit dir und deinem Meister sprechen?“, fragte der Herzog und Marius trat sofort zur Seite.

„Aber sicher, bitte, tretet ein“, erwiderte er, sich verbeugend.

Richard nickte ihm lächelnd zu und schritt ins Vorzimmer, während Marius nach Gregorius rief. Der Heiler kam überraschten Blickes aus dem Schlafraum und hielt verdutzt inne. „Kann ich Euch sprechen?“, fragte der Herzog und Gregorius machte eine einladende Handbewegung zu den Sitzplätzen hin.

„Euer Gnaden, welch Ehre“, antwortete er und beide setzten sich. „Nun, womit kann ich Euch dienen?“, fragte er ihn freundlich und Richard verzog derart missmutig das Gesicht, dass Gregorius unwillkürlich nickte. „Aha, ich kann es mir schon denken“, meinte der Heiler daraufhin und sah zu seinem Gehilfen auf. „Marius, bringe uns doch einen Krug von dem Gewürzwein, den wir vorhin aufgesetzt haben, ja?“

Marius nickte nur, holte den heißen Wein und drei Becher, goss ein und setzte sich ebenfalls. „Danke“, raunte Herzog Richard und umfasste seinen mit beiden Händen.

„Vorsicht, heiß“, warnte Gregorius und nippte an seinem Getränk. „Mmh, genau richtig gewürzt, gut gemacht“, lobte er Marius lächelnd. „Es gibt nichts besseres, an einem kalten Winterabend, als ein gut gewürzter, heißer Wein, nicht wahr? Besonders in unserem Alter!“

Richard schloss kurz die Augen, dann sah er sie beide fast flehend an. „Wie geht es Amanoue? Lebt er?“, fragte er tief besorgt und ohne Umschweife.

Gregorius und Marius blickten sich in stummer Verständigung an und letzterer nickte schließlich. „Ja, er ist am Leben. Ihr wisst, was geschah? Dass ich ihm das Geschwür herausgeschnitten habe?“, fragte er und Richard nickte kurz. „Es stand wirklich schlimm um ihn und so lange hatte er noch nie gebraucht, um sich zu erholen. Drei Wochen kämpfte er um sein Leben und ich war Tag und Nacht bei ihm, denn sonst durfte niemand zu ihm, seine Majestät hatte es verboten“, fuhr er beinahe angewidert fort, „und das gestattete er auch nur später und weil Gregorius ihn darum anbettelte!“

„Marius!“, rügte der auch gleich.

„Warum nimmst du ihn immer in Schutz? Ich verstehe es nicht! Ich verstehe dich nicht und das in hundert Jahren nicht! Amanoue wäre gestorben! Und er hätte eiskalt dabei zugesehen! Von mir aus, soll er verrecken! Sagte er uns ins Gesicht!“, blaffte Marius Richard wütend an und der senkte mit geschlossenen Augen bitter den Blick.

„Das sagte seine Majestät doch nur im ersten Moment seiner tiefen Trauer! Er hatte sein Kind verloren und…“

„Und, und, und! Ich kann es nicht mehr hören!“, fauchte Marius aufspringend. „Ich war als einziger bei ihm und habe wenigstens versucht, ihn zu retten, während du doch nur Henrys Händchen gehalten hast!“

„Marius! Seiner Majestät ging es ebenfalls sehr schlecht und jemand musste sich auch um ihn kümmern! Ich habe eben mittlerweile ein ganz gutes Verhältnis zu ihm aufgebaut…“, rechtfertigte Gregorius sein Handeln und wieder unterbrach ihn sein Gehilfe.

„Oh ja, Verhältnis! Das glaube ich inzwischen gern! Tagtäglich sitzt du bei diesem Scheusal und sprichst ihm auch noch Mut zu!“, schrie Marius nun schon beinahe.

„Bitte, Marius, ich möchte nur wissen, wie es ihm jetzt geht und habt vielen Dank, für alles“, versuchte Richard daher schnell die Wogen zu glätten.

„Was denkt Ihr wohl, hm?“, fuhr Marius erzürnt zu ihm herum. „Drei Wochen lag er nur da, von Fieberkrämpfen geschüttelt, ohne Nahrung aufnehmen zu können und es ist mir ein Rätsel, wie er dies überhaupt überleben konnte! Ich habe ihm nur Brühe einflößen können und auch nur heimlich! Ich schlich mich täglich hintenherum, über die Treppe, die zum Geheimgang führt und seit er wach ist, stehen auf Anweisung seiner Majestät zwei Wachen vor seiner Tür, damit niemand sonst zu ihm rein kann! Weil er“, er zeigte auf Gregorius, „es seiner Majestät ja brühwarm berichten musste! Daraufhin verbot dieser Mistkerl mir jeglichen weiteren Kontakt zu Manou und lässt ihn seither bewachen. Zwei volle Tage war er vollkommen allein dort eingesperrt!“

„Marius! Zum letzten Mal, ich verbiete dir, derart über seine Majestät zu lästern!“, tadelte Gregorius ermahnend und sein Blick schien dabei zu sagen: `Und das auch noch vor einem Mitglied des Königshauses´!

„Na und? Es ist mir gleich! Von mir aus kann jeder hören, was ich von deinem Henrylein halte!“, knallte Marius ihm trotzdem an den Kopf.

„Ich gehe wohl besser“, raunte Richard betreten und wollte schon aufstehen.

„Bitte, Euer Gnaden, vergebt meinem jungen Gehilfen! Es ist die jugendliche Unreife, die aus ihm spricht und sein ungezügeltes Temperament…“

„Jugendliche Unreife?“, schrie Marius völlig fassungslos.

„Bitte! Es reicht! Marius!“, ging der Herzog jetzt doch ziemlich energisch dazwischen. „Was ist denn nur los, mit dir? So kenne ich dich gar nicht! Du warst doch sonst immer so ruhig und besonnen, ist ja schon gut! Von mir aus kannst du meinen Neffen betiteln, wie du möchtest, es interessiert mich nicht, hörst du? Im Augenblick interessiert mich nur Amanoue und wie wir ihm helfen können! Denn in einem hast du recht! Auf seine Majestät können wir hierbei wohl nicht mehr zählen, das ist auch mir inzwischen klargeworden“, sagte er bedauernd aber eindringlich. „Er hat auch mir so etwas ähnliches gegenüber angedeutet, indem er sagte, dass Amanoue von ihm aus verrotten könne, also beruhige dich“, hängte er milder an.

„Und wie wollt Ihr ihm helfen?“, fragte Marius nicht gerade überzeugt.

„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht, aber ich werde Brac mit ins Boot holen! Vielleicht kann der wenigstens zu Henry durchdringen“, antwortete Richard und so suchte er den noch am gleichen Abend auf.


***


Gleich nach dem Mittagessen ließ Henry Sybilla erneut zu sich in die kleine Halle zitieren und dieses Mal wirkte die Königin um einiges gefasster. Sie trug wieder Schwarz und das verlieh ihr noch zusätzlich etwas Erhabenes. Stolz und ebenso unnahbar wie Henry am Vortag stand sie vor dem großen Tisch und sah ihren drei Richtern geradewegs ins Gesicht.

„Seine Majestät und wir haben uns erneut über Euren Fehltritt, wenn ich es so bezeichnen darf, beraten“, sagte Wilhelm ernst und machte eine bedeutungsvolle Pause. „Und wir sind übereingekommen, keine Anklage gegen Euch zu erheben“, er senkte kurz den Blick und tippte alle zehn Fingerspitzen gegeneinander, „aber selbstverständlich kann seine Majestät Euren Betrug nicht einfach so hinnehmen und darüber hinwegsehen! Ihr werdet Euch für unbestimmte Zeit in ein Kloster Eurer Wahl zurückziehen um dort Buße für Euer Vergehen zu üben! Als Grund werdet Ihr angeben, dass Ihr Gott für die glückliche Geburt und Gesundheit Eures Kindes danken wollt und es als Eure weitere Berufung anseht, ihm zu dienen! Eure engsten Hofdamen dürfen Euch aus freien Stücken begleiten, außer Herzogin Hildegunde selbstverständlich! Sie, als Eure teure Freundin, wird sich bereit erklären, den Kronprinzen an Eurer statt aufzuziehen“, schloss er kalt ab.

Sybilla nickte zuerst nur, doch dann straffte sie sich. „Und wenn ich mich weigere? Ich fürchte mich nicht vor einem öffentlichen Prozess“, erwiderte sie ebenso unterkühlt.

Wilhelm hielt sich kurz die Stirn. „Das dachten wir uns fast, aber seid gewiss, bei einem öffentlichen Prozess wird man Euch nicht mit Samthandschuhen anfassen, so wie wir! Die Anwälte seiner Majestät werden Euch gnadenlos auseinandernehmen, verlasst Euch darauf! Und Ihr werdet natürlich in Gewahrsam genommen, im Kerker! Es ist Winter, Madame und auf einem schmutzigen Strohlager zu liegen, bei Wasser und Brot? Ich kann mir Schöneres vorstellen und solltet Ihr weiterhin diesen Unsinn von einem Incubus verzapfen, dann wird der Euch gleich dabei Gesellschaft leisten und ihr werdet beide der Unzucht angeklagt, ganz einfach! Seine Majestät hat nichts mehr mit seinem ehemaligen Adjutanten zu schaffen und es ist ihm herzlich gleich, was mit ihm geschieht. Es würde ein sehr schmutziger Prozess werden, glaubt mir und Ihr müsstet jedes noch so kleine Detail Eures Beischlafs mit ihm beschreiben. Und seid Euch ebenfalls gewiss, dass es uns nicht an Zeugen, die selbstredend allesamt gegen Euch sein werden, mangeln wird! Wollt Ihr dies wirklich oder zieht Ihr nicht doch ein würdevolles Leben, in dem man Euch weiterhin mit Achtung begegnen wird, dem vor? Es liegt bei Euch, Sybilla von Savoyen! Ihr habt bis morgen Zeit um Euch zu entscheiden und solltet Ihr ein Kloster wählen, gewährt seine Majestät Euch sogar noch eine großzügige Apanage damit es Euch auch weiterhin an nichts mangelt. Ihr hättet weiterhin Eure Dienerinnen und könntet ein ruhiges, wenn auch bescheidenes, Leben führen! Ihr dürft gehen“, antwortete er ruhig und voller geheuchelter Sanftmut.

Sybilla hatte kaum noch Farbe im Gesicht und sie schnappte mehrere Male nach Luft. „Das werdet Ihr noch bereuen“, zischte sie zornig, drehte sich um und ging.

„Das fürchte ich auch“, murmelte Wilhelm vor sich hin und sah zu seinem Bruder. „Und, bist du nun zufrieden?“

„Ich werde wohl nie wieder zufrieden sein“, raunte der ohne ihn anzusehen, zurück.

„Zumindest bist du sie erstmal los“, meinte Wilhelm achselzuckend, „und niemand kann dir etwas vorwerfen! Das ist doch schonmal was, oder?“ Er blickte von ihm zu Richard und der seufzte schwer.

„Das bleibt abzuwarten! Wer weiß eigentlich sonst noch Bescheid, also über die Sache mit den ausgetauschten Kindern?“, fragte er mulmig.

„Außer uns dreien, natürlich die Königin und ihre zwei engsten Hofdamen, Hildegunde und ihre Amme, Gregorius und dessen Gehilfe, Kai und eine Zofe“, antwortete Wilhelm entnervt.

„Du liebe Zeit!“, entfuhr es Richard erschrocken, „das ist ja der halbe Hofstaat!“

„Oh ja“, seufzte Wilhelm.

„Und? Wie willst du das wieder bewerkstelligen? Denkst du ernsthaft, dass die alle dichthalten werden?“, wandte Richard sich Henry zu, der recht teilnahmslos zwischen ihnen saß.

„Selbstverständlich haben wir mit allen beteiligten gesprochen und sie haben geschworen, zu schweigen. Wohl jeder aus einem anderen Grund, die Hofdamen und die anderen Frauen um Sybillas Willen, tja und der Rest, keine Ahnung“, erklärte Wilhelm ratlos.

„Können wir ihnen vertrauen?“, hakte Richard weiter nach und wieder hob Wilhelm die Schultern.

„Ich weiß es nicht! Aber ganz sicher können wir wohl nie dabei sein, irgendwann wird vielleicht jemand darüber plaudern, sei es aus Unbedacht oder aus welchem Grund auch immer, sie alle werden eine stetige Gefahr für ihn sein“, nickte er zu seinem Bruder hin. „Und dann gibt es auch noch Phineas! Wie viel der davon noch mitbekam wissen wir nicht, er verschwand jedenfalls in der Nacht spurlos!“

Richard stützte fassungslos den Kopf in beide Hände. „Großer Gott!“

„Gregorius wird schweigen! Und Kai ebenfalls“, murmelte Henry vor sich hin.

Seinem Onkel entkam ein schnaubendes Lachen, wie von jemandem, der am Ende seiner Nerven angekommen war. „Und die anderen?“

„Wir haben mit allen eingehend gesprochen, also ich und ihnen unmissverständlich klargemacht, was geschieht, wenn einer von ihnen sein Schweigen brechen sollte“, antwortete Wilhelm unmissverständlich. „Es würde ihnen den Kopf kosten, allen voran ihrer geliebten Königin und somit sind wir zumindest halbwegs auf der sicheren Seite, jedenfalls was deren Seite betrifft. Bei dem Rest, wie gesagt, wirklich Sicher, können wir wohl nie sein, es sei denn, naja, wir bringen sie anderweitig zum Schweigen und damit endgültig! Was Hildegunde anbelangt, sie schweigt totsicher! Immerhin ist ihr Kind jetzt der Thronfolger und sie scheint sich langsam damit anzufreunden, wenngleich sie sich auch immer noch weigert, das eheliche Bett mit mir zu teilen“, seufzte er. „Als erstes solltest du jetzt endlich wieder zum geregelten Alltag zurückkehren und dich nicht länger vor der restlichen Welt verstecken!“, brummte er zu Henry hin, was ihren Onkel fragend die Augenbrauen heben ließ und Wilhelm sah wieder zu ihm rüber.

„Er hat Weihnachten abgesagt und Silvester und seine Namenstagfeier soll auch ausfallen“, beantwortete er die ungestellte Frage mürrisch. „Gut, er hat es damit begründet, dass er es mir und Hildegunde zuliebe getan hat, aus Respekt vor dem plötzlichen Tod unseres Kindes“, sagte er zynisch, „aber irgendwann muss er wieder seinen Pflichten als König nachgehen! Und zwar bald! Immerhin wurde dem Königshaus ein Erbe geschenkt und Konr…, äh, der kleine Heinrich, ist noch nicht getauft! Wir könnten noch ein, zwei Monate warten aber dann musst du ihn endlich dem Adel und der restlichen verdammten Welt präsentieren! Hörst du?!“, fuhr er Henry ziemlich barsch an, weil der wieder nur teilnahmslos vor sich hinstarrte. „Henry!“, herrschte er ihn laut an und schlug mit der flachen Hand vor dem auf die Tischplatte, woraufhin der leicht zusammenzuckte und schließlich leicht nickte. „Gut! Wenigstens scheinst du uns halbwegs zugehört zu haben, Herrgott nochmal!“

„Hast du nicht jemanden vergessen?“, warf Richard vorsichtig ein und seine beiden Neffen sahen ihn an. Wilhelm fragend überrascht und endlich auch Henry, der allerdings wenig bekümmert wirkte. „Was ist mit Amanoue? Was soll mit ihm geschehen?“

Wilhelm hielt für einen Moment den Atem an und hob abwehrend die Hände. „Das liegt einzig allein bei ihm, ich mische mich da sicher nicht mehr ein“, antwortete er mit einem genervten Seitenblick auf Henry, der wieder die Tischplatte mit seinen Augen absuchte.

„Henry! Hast du mich verstanden? Was geschieht mit ihm? Willst du ihn für den Rest seines Lebens wegsperren?“, stellte Richard erneut seine Frage und Henry erhob sich wie jemand, der sich ein langweiliges Theaterstück nicht weiter ansehen wollte. Gähnend drehte er sich um, streckte sich und schlenderte zum Kamin. „Ich fasse es nicht“, murmelte Richard nur noch kopfschüttelnd und Wilhelm sah ihn beinahe mitleidig an.

„Das tue ich schon lange nicht mehr“, brummte er nur zurück und beide wandten sich zu Henry um.

„Willst du mir nicht wenigstens antworten?“, drängte Richard verärgert.

„Ich habe dir bereits geantwortet und es gibt nichts mehr dazu hinzuzufügen!“, kam es hart aus Henrys Mund.

„Gut!“, erwiderte Richard mit einem bekräftigenden Nicken, „dann kannst du ihn auch meiner Obhut überlassen, wenn dir eh nichts mehr an ihm liegt.“

Henry wandte sich halb zu ihm um und kniff abschätzend die Augen zusammen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren setzte er sich in seinen Lieblingssessel und gönnte sich einen Schluck Wein.

„So kommen wir nicht weiter“, sagte sein Onkel und riss sich zusammen. „Heinrich, bitte, lass mich wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen, bitte! Ich war gestern Nacht schon dort aber die Wachen ließen mich nicht zu ihm, also bitte ich dich um einen Passierschein, das ist alles. Er hat dir das Herz gebrochen, ja, aber er hat mir meines zurückgegeben“, versuchte er es mit einem versöhnlicheren Tonfall. „Ich war ein alternder, verbitterter Mann, doch er zeigte mir einen Weg heraus. Die Monate mit ihm kann ich nicht vergessen und ich möchte es auch nicht, darum bitte ich dich nochmals, erfülle mir diesen einen Wunsch, lass mich ihn noch ein einziges Mal sehen.“

Henry blickte auf und wieder zur Seite. „Wenn es dich glücklich macht, meinetwegen“, erwiderte er schließlich achselzuckend. „Bring mir ein Stück Pergament und ich gebe dir deinen verdammten Wisch.“

„Danke“, sagte Richard ehrlich gemeint, stand auf und brachte ihm die Schreibutensilien.

Henry tauchte die Feder in das Tintenfässchen und stellte ihm das gewünschte Schriftstück aus.


***


Richards Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als er hinter dem Vorhang hervortrat, doch zu seiner Überraschung war das riesige Bett leer. „Amanoue?“, fragte er, sich umsehend und nahm sogleich eine Bewegung in einer der dunklen Ecken des großen Raumes wahr. „Amanoue, bist du das?“

Amanoue kam schnellen Schrittes auf ihn zu und hielt abrupt inne, als er ihn erkannte. Auch das erleichterte Lächeln auf seinen Lippen verschwand jäh und er schloss bitter die Augen.

„Du hast jemanden anderen erwartet, stimmts?“, fragte der Herzog mitleidig erkennend und Amanoue sah ihn traurig an. „Ich hoffe trotzdem, dass du dich wenigstens ein klein wenig freust, mich wiederzusehen“, sagte Richard betroffen und sein Gegenüber nickte schluckend.

„Onkel Richard“, kam es sehr leise zurück und das brach dem fast das Herz. Ohne ein weiteres Wort zog er Amanoue in seine Arme und drückte ihn fest an sich.

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, dich gesund zu sehen“, raunte er ergriffen und erhielt ein leises Schluchzen als Antwort. „Mein lieber Junge, ich weiß nicht wie ich dir jetzt noch helfen kann, aber ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen um dich hier rauszuholen! Das verspreche ich dir.“

Amanoue trat einen Schritt zurück und legte den überirdisch schönen Kopf leicht schräg. „Dann wird er also nischd kommen“, erwiderte er, so als ob er es eh schon geahnt hätte. „Warum?“, fragte er dennoch, an Richard vorbeigehend und setzte sich auf die Bettkante.

„Er“, Richard atmete hilflos durch, „er ist nicht mehr, er selbst“, sagte er, zu ihm gehend und setzte sich daneben. „Du weißt was geschehen ist?“, fragte er und nahm Amanoues zarte Hand in seine.

„Ich konnte seine Kind nischd retten und deshalb ist er böse auf mich“, antwortete er betrübt. „Es tut mir so leid, ehrlisch! Aber ich konnte doch nischds dafür, wieso bestraft er mich?“

Richard tätschelte ihm seufzend die Hand. „Er weiß es, Liebes, alles“, erklärte er sanft. „Ist es wirklich wahr, war das Kind von dir?“

Amanoues Blick ging zur Seite und er nickte leicht. „Isch wollte ihm meine Kind schenken, obwohl es mir die Hers brach. Er `at sich doch so sehr eine Erbe gewünscht“, antwortete er, Richard auf seine unschuldige Art ansehend.

„Geschah es mit Sybillas Einwilligung?“, fragte der bedächtig und Amanoue runzelte die glatte Stirn wie ein Kind, das nicht verstand, was man ihm vorwarf.

„Isch verstehe nischd?“

„Liebes, sie sagte, dass es gegen ihren Willen geschah, also dass du sie ohne ihre Zustimmung nahmst“, erklärte Richard bedächtig und zu seiner Überraschung nickte Amanoue.

„Das `atte sie auch su mir gesagt, eben, dass sie misch anklagen würde, wenn isch sie verraten würde“, seufzte er geknickt und sein Blick senkte sich wieder. „Isch `abe ihr keine Gewalt angetan, wirklisch nischd und das hatte isch auch nischd nötig, ehrlisch! Sie wollte es genauso wie isch und sie konnte gar nischd genug von mir bekommen, die erste Mal. Wir liebten uns in eine alte Hütte und es war wunderschön. Sie war so voller Leidenschaft und isch war wie versaubert von ihr. Isch weiß auch nischd, aber sie war so freundlisch und gütig su mir und die schönste Frau, die isch jemals gesehen hatte. Als isch sie sum ersten Male sah, war isch wie von meine Sinne beraubt und sofort in sie verliebt, aber sie wies mich surück, nachdem wir uns hier wiedersahen. Sie nannte misch eine Dämon, eine Incubus und drohte mir damit, misch als diese ansuklagen und wer hätte mir schon geglaubt? Sie ist die Königin und isch nur eine Sklave, also schwieg isch. Auch ihretwegen, weil sie mir trodsdem leidtat. Deswegen habe isch `enry su ihr geschickt, damit er dachte, dass es seine Kind wäre aber isch war so traurig und auch tief verledsd über Sybillas Surückweisung und dies war auch die Grund, warum isch `enrys Briefe nischd gelesen habe und ihm nischd antwortete. Schließlisch war es doch meine Kind und isch durfte misch nischd eine Mal darüber freuen, so wie alle anderen sisch mit ihm freuten. Aber dann konnte isch nischd länger schweigen, `enry hatte sich so verändert, als er von seine Rundreise surückkam. Er ist so liebevoll su mir gewesen, obwohl isch wirklisch nischd nett su ihm war und gans gleisch wie sehr isch ihn auch ärgerte, begegnete er mir doch stets mit Verständnis und Liebe. Isch wollte ihn nischd länger belügen“, schniefte er mit geschlossenen Augen.

Richard verzog betrübt den Mund. „Oh Junge, ich weiß ehrlich nicht mehr weiter, wenn ich dir doch nur irgendwie helfen könnte“, murmelte er vor sich hin und Amanoue sah ihn an.

„Bitte, ich muss ihn sehen! Wenn Ihr ihn darum bittet, für misch, dann könnte ich es ihm erklären!“, flehte er verzweifelt.

„Ach Liebes, das habe ich doch schon versucht, aber er will nicht einmal mehr über dich sprechen, sein Herz ist wie verhärtet und er starrt nur noch vor sich hin“, antwortete Richard bestürzt und drückte ihm die Hand. „Aber sag, wie geht es dir jetzt? Marius hat mir erzählt, was mit dir geschah und wie schlecht es dir ging.“

„Lange Seit ging es mir gar nischd gut und es war, als wäre isch in eine Swischenwelt gefangen gewesen. Isch konnte misch nischd bewegen, so als würden misch unsichtbare Hände festhalten. Sie fühlten sisch glühend heiß an und isch dachte, isch müsste innerlisch verbrennen“, erzählte Amanoue ihm bitter. „Es war seltsam, denn isch konnte Marius sehen und hören, aber ihm nischd antworten, dann ging es mir langsam besser“, sagte er und seufzte schwer. „Seit eine paar Tage erst, kann isch wieder laufen und eigentlisch sollte isch froh darüber sein und Marius dankbar, aber vielleischd wäre es besser gewesen, wenn er misch hätte sterben lassen. Nischd nur für misch, auch für meine arme `enry, dann wäre er wenigstens diese Sorge los und seine Hers könnte heilen. Es muss ihm fürchterlich wehgetan haben, ich, habe ihm so fürchterlich wehgetan“, schluchzte er, die Hände vors Gesicht haltend. „Ich wollte es nischd, ich wollte ihn doch nur glücklisch machen!“

Richard räusperte sich seufzend. „Es tut mir so leid“, war alles, was er in diesem Moment noch herausbrachte und Amanoue sah ihn mitfühlend an.

„Mir auch! Auch, dass isch Euch solche Kummer bereite, denn ich weiß doch, was Ihr für ihn empfindet. Es muss Euch ebenfalls sehr wehtun, ihn so leiden su sehen, ohne ihm helfen su können“, sagte er ehrlich bedauernd.

Richard sah ihn nur an und schloss vor Rührung die Augen. Eine ganze Weile saßen sie nur noch schweigend nebeneinander, bis sich Amanoue zu ihm hinüberlehnte und ihm einen zarten Kuss auf die Wange hauchte. „Ihr könnt ruhig gehen“, meinte er verständnisvoll und Richard holte tief Luft, um irgendwie nicht gänzlich die Fassung zu verlieren. „Bitte, seid für ihn da, ja? Er braucht Euch jedsd mehr denn je“, sagte Amanoue liebevoll und der Herzog konnte nur noch nicken.

Er schluckte schwer und stand auf. „Ich werde dich nicht im Stich lassen“, raunte er tief ergriffen, drehte sich rasch um und eilte hinaus.

Schnellen Schrittes ging er zurück zur Treppe, die ebenfalls zum Geheimgang führte und nahm den längeren Weg, vorbei an den Gesinderäumen, die gleich neben der Küche lagen. So war er auch schon zuvor gegangen, um zu Amanoues Gemach zu gelangen, weil er es nicht gewagt hatte, durch Henrys Gemächer zu schleichen. Schwer geschafft suchte er seine eigenen Räumlichkeiten auf und setzte sich erst einmal. „Wie soll ich ihm nur noch helfen“, murmelte er hoffnungslos vor sich hin und stützte sein langsam ergrauendes Haupt in seine Hände.

Lange saß er so da, bis er sich wieder aufraffte und sich erneut auf den Weg zum privaten Audienzzimmer machte. Wie erwartet traf er dort seine beiden Neffen an und ein einziger Blick auf die beiden genügte, um ihre Stimmung zu erkennen. „Schon wieder gestritten?“, fragte er und sie sahen ihn mürrisch an.

„Dieser Sturkopf macht mich noch wahnsinnig!“, schimpfte Wilhelm, die Augen verdrehend und zeigte auch noch anklagend auf Henry. „Ganz gleich was ich ihm auch vorschlage, er blockt alles ab!“

„Was denn?“, hakte Richard nach, wobei er nicht gerade interessiert wirkte.

„Diese blöde Namenstagfeier kann mir gestohlen bleiben“, brummte Henry und wandte ihnen trotzig den Rücken zu.

„Gut, dann lassen wir sie eben ausfallen“, meinte Richard lässig und beide sahen ihn gleichermaßen verdutzt an. Wilhelm vor Verständnislosigkeit und Henry echt überrascht. „Warum auch nicht? Wenn es sein Wunsch ist? Es ist eh eiskalt draußen und wer möchte sich schon gerne den Arsch abfrieren, nur um einen König zu sehen, der eine Trauermiene zur Schau trägt als stünde sein Reich in Flammen“, winkte er ab und setzte sich. „Könntest du nicht wenigstens Kai wieder reinlassen?“, brummte er und schenkte sich selbst ein. „Und würde einer von euch mal Holz nachlegen?“

Henry stampfte trotzig zu ihm hinüber und warf gleich eine ganze Unmenge davon in die glimmende Glut, was eine starke Rauchentwicklung zur Folge hatte. „Willst du uns alle umbringen?“, schnauzte Wilhelm ihn an, stieß ihn vom Kamin fort und fischte die Hälfte der Scheite wieder heraus.

„Wäre keine schlechte Idee“, zischte Henry hämisch zurück, während sein Bruder in der Glut herumstocherte.

„Jetzt reichts wirklich langsam!“, fuhr Richard mit erhobener Stimme dazwischen. „Hör endlich auf damit! Dein Bruder meint es nur gut mit dir und will dir helfen! So, wie wir alle“, zwang er sich wieder ruhiger zu sprechen.

„Ach ja? Und wenn ich mir nicht helfen lassen will? Mir kann sowieso niemand mehr helfen und wieso überhaupt Alle? Wer denn?!“, wurde dafür Henry mit jedem Wort lauter und ungehaltener. „Ich sehe hier nur euch zwei!“, schrie er schließlich seinen Onkel an und verschränkte vor lauter Hilflosigkeit die Arme vor seiner bebenden Brust wie ein Schutzschild. „Jedem anderen bin ich doch mittlerweile entweder scheißegal oder sie verachten mich! Ja! Es wäre tatsächlich besser, wenn ich krepieren würde“, hängte er wieder leiser werdend dran und ließ den Kopf hängen.

„Langsam kann ich es nicht mehr hören! Seit Wochen zerfließt du jetzt in Selbstmitleid und ja, allmählich bin ich auch deiner Meinung, dass du dir einfach nicht helfen lassen willst!“, brüllte Wilhelm plötzlich los, packte ihn grob bei den Schultern und schüttelte ihn heftig durch. „Wir sind hier, bei dir! Weil wir dich lieben, du Vollidiot!“

Henry ließ sich wehrlos abermals von ihm durchschütteln und sank danach schluchzend in sich zusammen. Wilhelm fing ihn auf und hielt ihn fest an sich gedrückt in seinen Armen. Auch Richard erhob sich seufzend und umarmte beide. „Bitte, Heinrich, gib dich nicht auf“, flüsterte er mühsam und endlich nickte der nachgebend.


***


Zwei Tage später gab der König die erste Audienz im neuen Jahr. Es kamen allerdings wegen der Eiseskälte nur die wichtigsten ansässigen Adligen und ein paar hochrangige Bürger der Hauptstadt, um dem Königspaar persönlich ihre Glückwünsche auszusprechen und so konnte Henry sich bereits am frühen Nachmittag wieder zurückziehen. Jedenfalls dachte er es.

Der letzte Adlige hatte sich gerade verabschiedet, als Brac sich vor dem Thron aufbaute. „Eure Majestät“, sagte er mit einer tadellosen Verbeugung, „auch ich möchte es mir nicht nehmen lassen und Euch persönlich zu Eurem Thronfolger gratulieren! Und ich soll Euch selbstverständlich auch die Glückwünsche meiner Jungs überbringen! Äh, ja, gut gemacht, alter Junge“, meinte er und klopfte dem überraschten Henry etwas unbeholfen die Schulter.

Der König blinzelte irritiert, doch dann riss er sich zusammen. „Habt vielen Dank, Baron de Brac und dankt auch Eurer Truppe vielmals“, presste er gedämpft hervor.

„Is was? Also, warum schaust`n so angepisst? Wir sind nur noch unter uns, der fette Sack is weg, was soll`n der Käse mit dem förmlichen Gerede?“, fragte jetzt auch Brac verwirrt, als sich Henry einfach erhob und Richtung kleine Halle umwandte. „Was`n los? Henry?“, rief Brac ihm nach und ging ihm hinterher. „Eigentlich wollte ich dich noch was Persönliches fragen, jetzt wart halt mal!“

Henry blieb nicht stehen und so latschte Brac ihm und den beiden Herzögen nach, bis ins private Audienzzimmer. „Kann ich mit rein?“, fragte er unschlüssig und Richard nickte.

„Komm schon rein! Eigentlich hätte ich dich schon früher erwartet“, raunte der leise und Brac sah ihn verblüfft an.

„Wie denn? Er hatte sich doch noch gar nich öffentlich gezeigt und die Holzköpfe vor seiner Tür ham mich nicht zu ihm gelassen“, entschuldigte er sich brummend.

Henry stand vor dem Kamin und blickte argwöhnisch zu ihnen. „Macht ihr endlich die Tür zu? Was willst du noch?!“

„Boaah, hier isses ja noch kälter, als draußen! Gleich wachsen noch die Eiszapfen von der Decke“, erwiderte Brac auf Henrys unterkühlten Tonfall hin und marschierte erst einmal auf Wilhelm zu. „Du, äh, Eure Gnaden, tut mir echt leid, mit deinem Kleinen, wie packst du`s denn so?“, fragte er auf seine etwas tollpatschige und rüde Art und legte ihm mitfühlend eine seiner Riesenpranken auf die Schulter.

Wilhelm hätte beinahe gelacht, doch dann konnte er sich gerade noch zurücknehmen. „Vielen Dank für deine Anteilnahme“, antwortete er, ohne ihn anzusehen.

„Echt blöde Frage, grad von mir, ´tschuldige! Muss dir echt Scheiße gehen und Hilde sicher erst recht“, meinte Brac, der Wilhelms gesenktes Haupt als Trauer deutete und der zwang sich zu nicken.

„Genug!“, fauchte Henry plötzlich. „Du hast jetzt deine Sprüche zum Besten gegeben, also herzlichen Dank und auf Wiedersehen!“

Brac drehte sich zu ihm um und starrte ihn mit offenem Mund an. „War das `n Rauswurf? Wenn ja, dann bin ich auch gleich wieder weg, aber eins möchte ich dich noch fragen, was is`n mit Amanoue los? Und wieso hast`n den unter Bewachung gestellt? Und nur von Ulrichs Leuten? Keiner von uns weiß was über ihn und von denen sagt uns auch keiner was! Nur Richard war neulich bei mir drüben und hat `ne komische Andeutung gemacht, dass du ihn eingesperrt hättest und ich mal mit dir reden soll! Also, hier bin ich und ich gehe nicht eher, bis ich eine ordentliche Antwort von dir erhalten habe“, meinte er entschlossen.

Henry warf seinem Onkel einen bitterbösen Blick zu, sah dann wieder zu Brac und verschränkte die Arme. „Das geht dich nichts an und jetzt raus, bevor ich die Wachen rufe!“, drohte er und der riesige Mann stellte sich entspannt hin.

„Da musst du schon ein ganzes Bataillon aufbieten! Die paar Hansel da draußen machen mir keine Angst“, erwiderte er trocken. „Wenn du mich loshaben willst, dann gib mir eine vernünftige Antwort. Was zum Geier, ist hier los?!“

Richard und Wilhelm sahen sich fragend unschlüssig an und dann zu Henry hin. „Sagst du´s ihm?“, fragte sein Onkel vorsichtig. „Also, ich meine, es ist Brac und er gehört ja schon fast zur Familie, zumindest ist er dein bester Freund, aber es liegt bei dir“, meinte er, die Hände abwehrend hebend.

„Ja, was denn?“, warf Brac noch verwirrter dazwischen.

„Wieviel hast du ihm schon verraten, hm?“, bellte Henry seinen Onkel an.

„Eigentlich nichts! Ich sagte ihm lediglich, dass du mal wieder einen heftigen Streit mit Amanoue hattest und du ihn deshalb eingesperrt hättest und ja, ich bat ihn, mit dir zu sprechen!“, gab Richard achselzuckend zu und Henry schnaubte mal wieder zynisch.

„Einen heftigen Streit“, raunte er voller Hohn und nickte vor sich hin. „So kann man es auch nennen!“

„Kann mir endlich mal einer sagen, was hier los ist?“, mischte sich Brac wieder ein, „ich kapier nämlich gar nix! Wilhelms Trauermiene kann ich ja verstehen, aber bei dir? Du hättest doch allen Grund dich zu freuen und feiernd durch die Gegend zu tanzen! Mensch, du hast endlich deinen Erben und ziehst ein Gesicht, als wäre morgen deine eigene Beerdigung! Was`n los mit dir, spuck`s endlich aus! Oder is was mit dem Kleinen, also Amanoue, meine ich“, fragte er schließlich, schon das Schlimmste befürchtend.

Wieder kam nur ein Schnauben von Henry und Richard sah ihn auffordernd an. „Du solltest es ihm sagen“, meinte er leise.

„Das Kind war nicht von mir!“, platzte es plötzlich aus Henry heraus. „Es war von ihm!“

„Von wem?“, kam es vollkommen überrascht von Brac und er blickte unwillkürlich zu Wilhelm hin, woraufhin der sofort verdutzt eine Augenbraue hob und geradezu empört den Kopf schüttelte.

„Nein! Es war von“, begann Richard sich windend, „ach Scheiße!“

„Amanoue!“, brüllte Henry heraus. „Er hat mich betrogen! Mit Sybilla!“

Brac stand da als hätte man ihm gerade einen schlechten Witz erzählt, dessen Pointe er nicht verstand und sein Gesicht nahm einen so ungläubigen Ausdruck an, dass es schon mitleiderregend wirkte. „Quatsch“, brabbelte er nur und blinzelte sie an.

Richard schnaufte tief durch. „Es ist wahr, leider und dies ist auch der Grund, weshalb er ihn einsperrt. Es geht Amanoue den Umständen entsprechend gut, aber…“

„Was, aber?“, brüllte Henry ihn an, „er hat mich betrogen und belogen, wie schon seit je her! Von Anfang an, hat er mich immer nur hintergangen, erst mit Ravio und mit wem weiß ich noch und nun hat er dem Ganzen die Krone aufgesetzt! Jetzt ist mir auch klar, warum er so wütend auf mich war, er war tatsächlich eifersüchtig! Aber nicht auf Sybilla, sondern auf mich, weil ich bei ihr sein konnte und nicht er! Ich will ihn nie wiedersehen! Und es ist mir gleich, was mit ihm geschieht! Von mir aus, nimm ihn mit, ich will ihn nicht länger hier im Schloss haben!“, schrie er verbittert, wobei sich seine Stimme fast überschlug, vor Schmerz. „Ich kann ihn nicht länger in meiner Nähe ertragen“, kam es schließlich nur noch schluchzend aus seinem Mund. Sein Kopf sackte herab und er verbarg sein Gesicht hinter seinen zitternden Händen.

„Scheiße, Mann“, murmelte Brac fassungslos entsetzt. „Entschuldigt, aber das is jetzt echt kein Witz? Das, das, kann doch nicht wahr sein!“ Sein Blick glitt über jeden einzelnen von ihnen und blieb an Henry hängen.

„Mir ist es eh ein Rätsel, dass du ihn bisher am Leben gelassen hast“, sagte Wilhelm plötzlich und die beiden anderen sahen ihn erschrocken an. „Was? Er sollte ihm den Kopf abschlagen lassen, dafür! Dann käme er endlich zur Ruhe!“

„Hast du `ne Meise?! Der Kleine hat uns alle gerettet!“, entfuhr es Brac wütend.

„Ich kann es langsam nicht mehr hören“, murmelte Wilhelm genervt. „Gut, er hat euch allen das Leben gerettet! Aber schau ihn dir an!“, brummte er, auf Henry deutend. „Mein Bruder ist völlig am Ende und lieber ein Ende mit Schrecken, als dieses endlose Drama! Du hast Sybilla verurteilt und schickst sie in die Verbannung! Also beende es endlich und fälle auch ein Urteil über ihn! Du musst endlich wieder zur Vernunft kommen und das kannst du nur, wenn du einen Abschluss findest! Und zwar jetzt gleich!“, sagte er aufgebracht.

„Halt die Fresse!“, herrschte Brac ihn an und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. „Dem Kleinen krümmt keiner ein Haar, kapiert?! Henry! Hör bloß nicht auf den, der weiß doch gar nicht was Sache ist! Amanoue hat dir mehrmals den Arsch gerettet! Und was ist mit seiner letzten Vorhersage, hm? Hast du`s schon wieder vergessen? Er riet dir Wasser und Kornspeicher anzulegen! Was, wenn er recht hatte, hm? Und das hat er! Du weißt es! Wir alle, wissen es! Bis auf diesen ignoranten Idioten, da drüben! Es ist noch keine einzige Schneeflocke vom Himmel gerieselt! Es ist zwar saukalt aber furztrocken!“

„Hört auf!“, schrie Henry verzweifelt und plötzlich nickte er. „Wilhelm hat recht, ich muss es zu Ende bringen! Holt ihn aus seinem Gemach und macht mit ihm was ihr wollt, ich möchte ihn nie wiedersehen! Sein Leben kann ich ihm nicht nehmen, das ist alles, was ich noch dazu sage“, fuhr er immer leiser werdend fort.

„Ich halte mich da raus und werde nichts dergleichen tun! Nicht dass du es mir später dann doch noch irgendwann zum Vorwurf machst, dass ich den Retter Austriens den Kopf abschlagen ließ!“, erwiderte Wilhelm äußerst zynisch. „Also Brac, du hast ihn gehört! Nimm ihn mit und sieh bloß zu, dass er ihm nie wieder über den Weg läuft!“

„Mit deiner Erlaubnis, könnte ich ihn auch einstweilen auf meine Burg bringen lassen“, schlug Richard vor.

„Es ist saukalt! Viel zu kalt, für eine mehrtägige Reise, keiner kann jetzt auch nur eine Nacht draußen verbringen und der Kleine erst recht nicht!“, widersprach ihm Brac allerdings sofort verständnislos.

„Es ist mir gleich!“, schrie Henry wieder. „Ich will nichts mehr hören!“, gellte seine Stimme durch den Raum und er drehte sich die Ohren zuhaltend, um.

„Also bleibt vorerst nur eines“, brummte Brac, einen missmutigen Blick auf seinen König werfend, „ich nehme ihn mit rüber, bis es wärmer wird und dann sehen wir weiter, einverstanden?“

Richard nickte und Wilhelm zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Hauptsache, er ist erstmal weg und sollte er hier nochmals auftauchen, mache ich ihn persönlich kalt“, murmelte er genervt, während Richard ein kurzes Schriftstück aufsetzte und damit zu Henry ging.

„Du musst es unterzeichnen“, sagte er sanft und Henry unterschrieb ohne einen weiteren Blick auf die geschriebenen Worte zu werfen. „Danke“, meinte Richard leise und klopfte ihm die Schulter. „Vielleicht ist es wirklich besser so“, raunte er belegt, das Pergament an Brac weiterreichend und der große Mann nahm es nickend entgegen.

„Und damit wäre es wieder einer mehr“, murmelte Wilhelm wieder, die Augen verdrehend.

„Brac, ich muss dir nicht sagen, dass dies hier unter uns bleibt, ja?“, sagte Richard daraufhin eindringlich.

„Warum tust du`s dann trotzdem? Denkst du echt, ich würde es sofort draußen herum posaunen?“, erwiderte Brac fast beleidigt. Er wartete noch einen Moment unschlüssig und als von Henry nichts mehr kam, deutete er schließlich eine Verbeugung an. „Es tut mir wirklich leid, Henry“, sagte er noch und machte sich auf den Weg.

***


Allerdings marschierte er völlig ungehemmt durch die königlichen Gemächer und auch der vollkommen überrumpelte Kai konnte ihn nicht aufhalten. Mürrisch blieb Brac erst wieder vor den beiden Wachen stehen und hielt einem davon das Pergament unter die Nase. „Ich bin hier, um den Kleinen mitzunehmen!“, sagte er unumwunden.

„Was soll das heißen, Ihr nehmt ihn mit?“, fragte die Wache überrascht.

„Na lies es doch selbst, Mann!“, herrschte Brac ihn ungeduldig an und der Gardist zog ein belämmertes Gesicht.

„Ich kann nicht lesen, du vielleicht?“, fragte er seinen Kameraden und der schüttelte ratlos den Kopf.

„Oh Mann, Jesus!“, brummte Brac nur und las genervt vor:

„Hiermit erteile ich Baron de Brac die Erlaubnis, den Gefangenen mit sich zu nehmen, unterzeichnet von seiner Majestät, König Heinrich von Austrien! Zufrieden?“, blaffte er sie an und die beiden tauschten die Blicke.

„Das kann ja jeder behaupten!“, meinte der andere schnippisch und sein Kamerad nickte bestätigend.

Brac wandte sich halb um, packte Kai am Kragen und zog ihn vor sich. „Was steht da? Hab ich recht? Na los, sag`s ihnen!“, verlangte er barsch und Kai überflog die Zeilen.

„Ja, es stimmt“, sagte er kleinlaut und Brac ließ ihn los.

„Also, siehste! Der da ist mein Zeuge und jetzt macht ihr zwei die Fliege!“, fuhr der gigantische Mann sie an.

„Ist ja schon gut, beruhige dich“, wiegelte der erste Gardist mulmig ab und wollte ihn schon durchlassen.

„Nee, nee“, schüttelte der andere den Kopf, „nicht mit mir! Wir dürfen niemanden da reinlassen, außer Marius! So lautet die Order!“

„Ich geb dir gleich `ne Order, du Hampelmann!“, schnauzte Brac ihn an und beugte sich bedrohlich über ihn. Der Soldat war mindestens anderthalb Köpfe kleiner als er und nur halb so breit und so trat er eingeschüchtert zur Seite.

„Gut, aber du bestätigst es wirklich!“, piepste er zu Kai hin und der nickte rasch.

„Macht `n Abgang! Aber schnell, oder meine Faust überlegt sich`s doch noch“, donnerte Brac die beiden an und die verzogen sich umgehend. „Und du? Gehst du mit rein?“, fragte er Kai und der seufzte unschlüssig.

„Ich weiß nicht, ich darf eigentlich nicht und es ist mir echt schleierhaft, wie du das geschafft hast! Ist das Schriftstück wirklich echt? Es ist jedenfalls nicht von Henry selbst geschrieben, das erkenne ich nämlich“, antwortete er.

„Klar ist es echt, du Holzkopf! Hat zwar Herzog Richard aufgesetzt, aber der Alte hat`s unterschrieben! Und jetzt lass mich da rein, wenn du schon nicht genug Mumm dazu hast! Ich werde Amanoue auf alle Fälle mitnehmen!“, sagte Brac entschlossen und zog den Riegel zurück. „Was jetzt?“

Kai holte tief Luft und nickte. „Ich hoffe nur, dass er auch mitgehen kann“, grummelte er vor sich hin und folgte Brac in den düsteren Raum.

Ein starker Veilchenduft wehte ihnen sofort entgegen und Brac konnte sich ein tiefes Seufzen nicht verkneifen. „Jedes Mal, wenn ich hier reinkomme, ist es das gleiche! Jedenfalls riecht`s immer gleich“, murmelte er und beide blieben kurz stehen.

Marius saß am Bett und sah sie genauso überrascht an, wie sie ihn. „Wie kommt ihr beiden denn hier rein?“, fragte er und blickte zur Tür als würde er gleich noch die Wachen erwarten.

„Egal!“, winkte Brac ab und kam rasch heran. „Wie geht’s ihm? He, Kleiner!“

Amanoue schien zu schlafen, doch dann erkannte er, dass dessen Augen offenstanden und starr nach oben blickten. „Jesus! Er ist doch nicht etwa tot?!“, rief Brac erschrocken aus und fasste sich ans Herz.

„Nein, er liegt oft so da und starrt dort hinauf“, antwortete Marius und deutete auf den Baldachin. „Wochenlang schon, allerdings ging es ihm die letzten Tage besser und er konnte sogar schon wieder gehen, aber seit gestern Abend ist er wieder in diesem Zustand“, meinte er seufzend.

Brac näherte sich vorsichtig und setzte sich auf die Bettkante. Unter seinem Gewicht sank die Matratze auf seiner Seite derart ein, dass Amanoues Körper beträchtlich in Schieflage geriet und zu ihm kippen zu drohte. „Kleiner?“, fragte der Riese sanft und Amanoue sah ihn tatsächlich an.

Mit einem überraschten „Huch“ rollte er seitwärts in die tiefe Mulde um Bracs breiten Hintern herum und klebte für einen Moment förmlich an dem, bis er sich mit allen Vieren strampelnd wieder aus dem Loch befreien konnte. „Brac!“, rief er freudig aus und warf sich in dessen Arme. „Was machst du denn hier?“

„Na hör mal, haste echt gedacht, ich würde dich hier drin verrotten lassen? Ich bin hier um dich hier rauszuholen!“, antwortete Brac und drückte ihn fest. „Mann, alles wieder weg! Bist wieder Mager wie eh und je“, brummte er ihm ins Ohr und Amanoue schluchzte leise. Er hielt ihn noch einen Moment fest und schob ihn dann sachte von sich. „Komm, Kleiner, lass uns von hier abhauen, bevor sich`s der Alte noch anders überlegt!“

„Er lässt misch gehen?“, fragte Amanoue ungläubig und Brac nickte mit verzogenem Mund.

„Naja, ehrlich gesagt, möchte er dich nie wiedersehen und das gleicht wohl dann eher einem Rausschmiss als einem Gehenlassen“, meinte er verhalten. „Oh Mann, Kleiner, da hast du dieses Mal echt den Bock abgeschossen! Auf alle Fälle hast du damit deinen Wunsch erfüllt, als du sagtest, dass du ihm richtig wehtun möchtest. Da wäre es mir echt lieber gewesen, wenn du dir doch wieder einen von meinen Jungs ausgesucht hättest! Aber Sybilla? Das wird er dir nie verzeihen“, brummte er vorwurfsvoll.

Amanoue biss sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen. „Das habe isch doch nischd gewollt“, schniefte er tief bekümmert.

Brac seufzte laut. „Jetzt ist halt so und wir können nichts mehr daran ändern, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, das kann man nicht mehr ungeschehen machen und jetzt lass uns gehen, zieh dich an“, raunte er und Amanoues Kopf ruckte wieder hoch.

„Die Kind ist in eine Brunnen gefallen?!“, rief er erschrocken und klatschte vor Entsetzen seine Hände gegen seine Wangen.

„Nee! Das war eine Redewendung! Herrgott nochmal! Dem Kind, deinem Kind“, verbesserte er schnaubend, „geht’s gut! Hoffe ich zumindest…“

Marius und Kai warfen sich mulmige Blicke zu und beide schnauften so schwer durch, dass sie unweigerlich ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. „Oh, Kai, du bist ja auch da, schön disch su sehen“, sagte Amanoue, noch immer etwas verwirrt erscheinend.

„Äh, ja, hallo“, war alles was der junge Diener im Moment herausbrachte.

„Wieso gut?“, murmelte da Marius verständnislos. „Das Kind ist doch gestorben!“

Kai trat ihm dermaßen gegen das Schienbein, dass Marius aufheulte wie ein getretener Hund. „Halt die Klappe, du Idiot!“

„Hast du sie noch alle?!“, schimpfte Marius empört zurück und Brac blickte argwöhnisch zwischen ihnen hin und her.

„Is mir hier irgendwas entgangen? Das Kind lebt gar nicht mehr?“, fragte er ungläubig und die drei senkten wie auf Kommando ihre Augen. „Heiliger Bimbam!“, entfuhr es Brac entsetzt, „aber, also, was ist das dann, also, das ganze Getue um einen Thronfolger, ER, hat gar keinen?!“

„Na toll, bravo, gut gemacht!“, zischte Kai Marius an und der zog eine verlegene Schnute.

„Die Kind ist gleisch nach die Geburt gestorben, Sybilla `at es getötet“, flüsterte Amanoue und alle fuhren zu ihm herum.

„Was?“, kam es gleichzeitig aus ihren Mündern und Amanoue nickte traurig.

„Isch `abe es gesehen, sie `at unsere Kind einfach an sisch gedrückt, bis es tot war“, schluchzte er los. „Sie `at es erstickt, nur weil es meine Kind war und isch fühlte es, `ier“, heulte er, sich ans Herz fassend.

„Heilige Scheiße“, murmelte Brac fassungslos. „Das wird ja immer schlimmer! Kein Wunder, dass Henry so drauf is! Das haut echt den Stärksten um!“

„Das darfst du niemandem sagen! Hörst du! Oder er lässt uns alle einen Kopf kürzer machen und nur wegen dir Idiot!“, schnauzte Kai und stieß Marius wieder grob an.

„Keine Angst, ich verrate bestimmt nichts“, brummte Brac zu ihnen hin und wandte sich wieder um. „Komm jetzt, Kleiner! Aber zieh dich warm an, is saukalt draußen!“

„`at es geschneit?“, schniefte Amanoue und wischte sich die Augen trocken.

„Nee, leider noch nicht. Wir haben Ostwind und der bringt nur trockene Kälte! Damit`s schneien kann, müsste der Wind drehen und von Westen kommen, vom Meer her. Der würde dann mildere und feuchtere Luft mitbringen, verstehst du?“, erklärte Brac und Amanoue nickte.

`Du kannst die Elemente beeinflussen´, hörte er in seinem Kopf und zwinkerte verstört.

„Ich weiß nicht, ob er schon so weit laufen kann“, warf Marius währenddessen skeptisch ein. „Er ist noch ziemlich schwach und ihr solltet lieber den langen Weg nehmen, über die Treppe“, meinte er, mit dem Finger die ungefähre Richtung anzeigend.

„Klar, oder denkst du echt, ich latsche mit ihm munter durch Henrys Heiligtum?“, erwiderte Brac mürrisch. „Ich werde den Kleinen halt tragen, das macht doch nix, hm, du Fliegengewicht?“, wandte er sich um einiges freundlicher an Amanoue und der rutschte endlich zur Bettkante. „Ähm, Kai, würdest du ihm seine Sachen einpacken?“

„Sicher!“, antwortete der Diener nickend und wollte sich schon umdrehen.

„Nein!“, widersprach Amanoue jedoch und senkte den Blick. „Isch möschte nischds von ihm mitnehmen“, hauchte er leiser.

„Kleiner! Da draußen ist es saukalt und du kannst wohl schlecht nur mit deinem Hemd am Leibe da rausgehen! Was Warmes solltest du dir schon anziehen!“, riet ihm Brac eindringlich, doch Amanoue schüttelte wieder den Kopf.

„Es wäre nischd richtig, es würde sich nischd richtig anfühlen, für misch und isch würde mir wie eine Dieb vorkommen. Er hat mir all diese schöne Sachen geschenkt, aber isch kann sie jedsd nischd mehr annehmen, lieber gehe isch nackt…“

„Das würdest du ziemlich schnell bereuen, glaub mir!“, brummte der große Mann. „Zieh dir wenigstens das Nötigste an oder willste dir wieder den Arsch abfrieren, wie in Averna? Und das war noch gar nix gegen die Kälte, die wir grad haben!“

Amanoue sah ihn dermaßen erschrocken an, dass Brac unwillkürlich lachen musste. „Oje, oje, nein, dass, will isch dann doch nischd“, brabbelte er entsetzt.

„Siehste! Also dann doch lieber ein paar warme Klamotten mopsen und glaube mir, Henry wird’s scheißegal sein“, meinte Brac, etwas betreten die überbreiten Schultern hebend.

„Aber mitnehmen werde isch sonst nischds! Nur eine warme Gewand, mehr nischds“, bekräftigte Amanoue nochmals und schob plötzlich seinen rechten Ärmel hoch. Nachdenklich betrachtete er das Sklavenarmband. „Er möschte misch wirklisch nie wieder, sehen?“, fragte er bangend aber auch ein wenig hoffnungsvoll, während seine Augen wieder feucht wurden und Brac nickte seufzend.

„Das waren seine Worte, leider! Und dieses Mal denke ich, meint er es wirklich so! Wie konntest du auch so einen Bockmist bauen“, kam es sehr vorwurfsvoll von ihm zurück.

Amanoue nickte nur und hielt ihm den Arm hin. „Machst du es ab?“, fragte er bittend und unweigerlich kamen ihm die Tränen. „Isch `abe es gehasst und nun ist es, als würde isch mir eine Teil von meine Hers herausschneiden“, schluchzte er herzzerreißend.

„Hör mal, das Ding ist aus Gold, du solltest es vielleicht behalten, nur für alle Fälle, denn auf Dauer kannst du nicht bei uns drübenbleiben, das hat er mir ebenfalls klargemacht und zwar unmissverständlich! Wenn es nach Wilhelm gegangen wäre, stünde hier nämlich ein Henker, statt ich! Und Richard wollte dich eigentlich auf seine Burg schaffen lassen, aber bei der Kälte geht das im Moment nicht. So leid es mir auch tut, aber spätestens im Frühjahr wirst du uns wohl doch verlassen müssen“, gestand ihm Brac bestürzt.

„Mach es bitte ab“, flehte Amanoue dennoch und so nahm Brac ihm schweren Herzens das schön verzierte Armband ab.

„Hier“, sagte er, es ihm reichend.

Amanoue sah es geradezu zärtlich an, küsste es sanft und legte es aufs Kopfkissen, Henrys Kopfkissen. Er rutschte aus dem Bett, zog sich die warmen Wintersachen an und Kai hielt ihm den herrlichen Zobelfellmantel hin. „Lege ihn wieder weg, ich möchte ihn nischd“, sagte er und Kai nickte betroffen. „Danke Kai, für alles und vergib mir bitte“, hauchte er und Kai fiel ihm um den Hals.

„Du mir auch, verzeih mir bitte“, wimmerte er ebenso und beide umarmten sich schluchzend.

„He, Mann! Jetz langst aber!“, brummte Brac schniefend. „Noch isser ja nich weg! Kannst doch jederzeit rüberkommen!“

Kai nickte zwar, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er genau dies nicht tun würde. Er hatte seine Wahl getroffen und die war Henry. Sich mühsam zusammennehmend ließ er Amanoue los und trat einen Schritt zurück.

„Ich werde auf alle Fälle weiterhin für dich da sein und nach dir sehen“, sagte Marius, als ob er Kais Gedanken gelesen hätte und schnaufte ebenfalls tief durch. „Bis bald, ja?“

Amanoue konnte nur noch nicken. Er holte den alten Umhang, den Sebastian ihm einst mit Kaninchenfellen unterfüttert hatte und legte ihn sich um. Brac zog ihn sanft an sich, führte ihn zur Tür und Amanoue drehte sich noch einmal um. „Dies war für misch wie eine Kerker und doch fühle isch misch jedsd wie eine eingesperrte Vogel, der plödslisch die offene Käfigtüre erblickt und Angst davor hat, davonsufliegen“, raunte er.

„Komm, Kleiner, die Freiheit wartet auf dich und du brauchst nur die Flügel auszubreiten, auch wenn du dich jetzt davor fürchtest und du nicht weißt, was auf dich zukommt“, meinte Brac mitfühlend und schob ihn hinaus.

Als hätte der Himmel Bracs Worte gehört, drehte noch in derselben Nacht der Wind auf West und brachte den langersehnten Schnee. Und zwar gleich Haufenweise davon. Es schneite tagelang ohne Unterlass und bald lag über allem eine meterdicke, weiße Daunendecke. Damit fiel zu Henrys Erleichterung dessen Namenstagfeier endgültig aus und es fanden auch zwangsläufig keine weiteren Audienzen mehr statt, was eine fast gespenstische Ruhe zur Folge hatte.

Der König grübelte weiterhin still vor sich hin, Sybilla verblieb einstweilen weiterhin in ihren Gemächern und Amanoue zog in die Gardisten Unterkünfte ein.




















Das verlorene Seelenheil

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