Читать книгу Das verlorene Seelenheil - R. S. Volant - Страница 6
Aufbruchstimmung
ОглавлениеHenry war gerade mit seinem verspäteten Frühstück fertig, das ein gewöhnlicher Diener ihm gebracht hatte, als sein Onkel und Wilhelm hereinkamen. „Nanu, ganz allein? Wo ist denn deine kleine Zecke?“, fragte Richard spöttisch. „Und wo ist Kai?“, hängte er mit einem Blick auf den fremden Bediensteten an.
„Keine Ahnung“, antwortete Henry mürrisch und hielt seine Hände nah ans Kaminfeuer.
„Hm?“, machte sein Bruder und setzte sich neben ihn.
„Was weiß denn ich! Wahrscheinlich abgehauen, so, wie mir in letzter Zeit alle Diener weglaufen! Er hat mir gestern einen Vortrag gehalten, dass ich ihn anscheinend jahrelang benachteiligt hätte und weg war er“, knurrte Henry, ohne sie anzusehen.
„Na endlich“, entgegnete Richard nüchtern und setzte sich auf die andere Seite.
„Wie bitte? Was soll das heißen?“, fuhr Henry auf.
„Heinrich! Du hast den armen Jungen wirklich, also wie soll ich es sagen, jahrelang hingehalten?“, antwortete sein Onkel verständnislos.
„Verarscht“, korrigierte Wilhelm unverblümt. „Das wolltest du doch eigentlich damit sagen, oder?“
Richard nickte einmal aussagekräftig. „Ja!“
Henry sah zwischen ihnen hin und her und setzte sich empört zurück. „Der Meinung bin ich ganz und gar nicht! Ich habe ihm niemals Versprechungen gemacht, was Sebastians Nachfolge betrifft!“
„Ach, Sebastian“, seufzten die beiden wie aus einem Munde.
„Was soll das wieder heißen?“, beschwerte Henry sich zickig.
„Gar nichts! Aber ehrlich? Wäre es nicht an der Zeit, ihm mal eine Nachricht zu schicken? Ich verstehe dich nicht“, blaffte Wilhelm ihn an.
Henry straffte sich augenblicklich, was fast lächerlich schnippisch wirkte und die beiden verdrehten die Augen. „Heinrich, du brauchst ihn! Gerade jetzt, da du dir offenbar auch noch Kai verscherzt hast und das, bitte entschuldige, mit recht!“, sagte Onkel Richard vorwurfsvoll.
„Na klar! Fallt mir nur alle in den Rücken!“, fuhr Henry hoch und begann wieder einmal seine Runden zu drehen. „Sebastian hat mich verlassen, ja?! Er ging von sich aus, weil“, plötzlich hielt er sich die Stirn und schluckte dermaßen schwer, dass sich Wilhelm sofort erhob.
„Raus!“, sagte er energisch zu dem Diener und der suchte sofort das Weite. „Henry, ach verdammt! So geht das doch nicht weiter, wir beide, so sehr ich es auch bedaure, können dir anscheinend nicht helfen! Sebastian war immer für dich da, auch, nach der schlimmen Sache damals“, wurde er immer leiser. „Er bedeutet dir wahrscheinlich mehr, als jeder andere auf dieser Welt und ich bitte dich nochmals, ihn endlich zurückzuholen! Für dich selbst“, bat er seinen Bruder inständig.
Henry schüttelte nur den Kopf, so verzweifelt, dass es den anderen beiden zu Herzen ging. „Ich kann nicht“, stammelte er erstickt.
Wilhelm schnaufte schwer aus. „Weil du befürchtest, dass er zu Amanoue halten könnte, ja?“, sprach er es endlich aus und sein Bruder schluchzte auf.
„Ja!“, kam es kläglich über dessen Lippen und jetzt stand auch Richard auf.
Erschüttert trat er neben seinen Neffen und umarmte ihn fest. „Das weißt du doch gar nicht“, sagte er leise zu ihm, doch Henry nickte überzeugt.
„Er war immer auf seiner Seite“, schluchzte er.
„Wenn Sebastian die Wahrheit erfährt, ganz sicher nicht!“, brummte Wilhelm. „Und ganz ehrlich? Du hättest dem kleinen Bastard doch den Kopf abschlagen lassen sollen!“
Henry schluchzte noch lauter und Richard warf seinem anderen Neffen einen bitterbösen Blick zu. „Wilhelm, sei jetzt einfach still!“, zischte er dem zu und führte Henry zurück zu den Sesseln. „Setz dich, ja?“, sagte er liebevoll und Henry ließ sich einfach darauf fallen.
„Aber so“, Wilhelm deutete genervt auf ihn, „geht es doch wirklich nicht weiter!“
„Das sehe ich selbst ein und er, auch“, erwiderte Richard sanft. „Heinrich, bitte, du musst endlich wieder du selbst werden! Auch, wenn es bedeuten würde, Amanoue wieder zurückzuholen“, flüsterte er nur noch und Henry sah ihn erschrocken an.
„Das, kann ich nicht“, murmelte er zurück und die beiden ließen ihre Köpfe hängen. Jeder auf eine andere Art, Richard völlig betrübt und Wilhelm maßlos verzweifelt.
„Dann musst du dich endlich aufraffen und darüber hinwegkommen!“, raunte er seinem Bruder zu. „Du bist betrogen worden, ja! Aber sei jetzt endlich ein ganzer Kerl und scheiß auf die beiden! Sybilla wird nach der Taufe in der Versenkung verschwinden und Amanoue ist doch offenbar schon weg! Er ist einfach auf und davon! Ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen! Keine Entschuldigung, keine Erklärung, nichts! Kapier` es endlich, der ist einfach nur froh, endlich frei zu sein und sicher schon über alle Berge“, versuchte er Henry klarzumachen und ganz plötzlich begann der zu nicken.
„Du hast recht! Es ist an der Zeit, endlich wieder vorauszuschauen“, erwiderte er und richtete sich auf.
„Wie wäre es, wenn wir morgen mal wieder zur Jagd gehen würden?“, schlug Richard vorsichtig vor. „Nur wir drei und Falco, das würde dich mal auf andere Gedanken bringen, hm?“
„Ein sehr guter Vorschlag!“, stimmte Wilhelm sofort begeistert zu. „Henry, du musst mal hier raus! An die frische Luft! Du darfst dich nicht länger verstecken! Immerzu sitzt du entweder in der Halle herum oder vergräbst dich hier oder sperrst dich in deinen Gemächern ein! Da muss man ja trübsinnig werden“, raunte er brummig und Henry nickte wieder.
„Ja, ihr habt recht, so geht das wirklich nicht weiter! Und ich werde gleich heute damit anfangen! Ich möchte ausreiten, gleich!“, sagte er entschlossen und die beiden anderen schnauften geradezu befreit auf.
„Ich lasse sofort die Pferde bereitstellen, sagen wir in einer halben Stunde?“, fragte Wilhelm übermäßig erfreut.
„Noch vor dem Mittagessen?“, warf Richard überrascht ein, was ihm einen verständnislosen Blick von Wilhelm einbrachte.
„Naja, wir könnten auch noch warten oder ich reite allein. Ich habe gerade etwas gegessen“, meinte Henry ein wenig geknickt und sein Onkel schüttelte schnell den Kopf.
„Nein! Scheiß auf das Mittagsmahl, du bist viel wichtiger und wir kommen sehr gerne mit“, erklärte er rasch und die Miene des Königs hellte sich ein klein wenig auf.
„Also dann, bis gleich!“, rief Wilhelm und machte sich auf den Weg.
Auch Henry und Richard gingen nach oben, um sich umzuziehen und vor dem königlichen Gemach fand Henry auch die `kleine Zecke´, wartend vor. „Eure Majestät“, begrüßte Laurin ihn mit einer vollendeten Verbeugung.
„Auch schon da?“, brummte der König etwas missmutig und betrat sein Gemach.
Der Kleine folgte ihm unaufgefordert und Henry blieb überrascht stehen. Der Tisch war endlich abgeräumt und als er in sein Schlafgemach hinüberging, stellte er fest, dass auch hier jemand aufgeräumt hatte, zumindest war das Bett einigermaßen gemacht. „Nanu?“, sagte er und drehte sich um.
Laurin stand mit verlegen gesenktem Haupt da und hob verschämt die Schultern. „Ich dachte, naja, ich mache es, zumindest habe ich es versucht“, meinte er schüchtern.
Henry lächelte ihn an. „Und wo ist Kai?“, fragte er, ohne jeden Vorwurf.
„Ich weiß es nicht, Eure Majestät“, antwortete sein Page achselzuckend.
Henry nickte seufzend, trat zu ihm und hob ihm das schmale Kinn an. „Naja, Bettenmachen scheint nicht deine Stärke zu sein, hm?“
Ein kleines Lächeln stahl sich auf Laurins Lippen und er sah zu ihm hoch. „Muss ich wohl noch lernen“, nuschelte er und der König grinste ihn fast zärtlich an.
„Du hast ja jede Menge Zeit, dazu! Immerhin, ein ganzes Jahr“, sagte er ein wenig spöttelnd und der Bengel gluckste leise.
„Ich werde mir redlich Mühe geben“, meinte er spitzbübisch und Henry nickte schmunzelnd.
„Tja, da ich im Moment wohl ohne Leibdiener bin, würdest du mir vielleicht beim Umziehen helfen? Ich möchte gerne einen Ausritt machen und so“, er deutete an seiner langen edlen Robe entlang, „geht das wohl schlecht! Es sei denn, ich setze mich schräg auf den Sattel!“
Laurin nickte kichernd. „Wie eine Dame!“, sagte er frech und Henrys Herz ging wieder ein kleines bisschen weiter auf. „Ich helfe Euch gerne!“, rief sein Page freudig aus und sah sich suchend um. „Wo?“
Henry blinzelte kurz. „Äh, ja, wo? Gute Frage, keine Ahnung? Wahrscheinlich in einer der Kleidertruhen“, meinte er und Laurin legte den Kopf schief.
„Na klar! Wo sonst“, erwiderte er, sich selbst an die Stirn fassend, weil er nicht selbst daraufgekommen war und machte sich auf die Suche nach Henrys Jagdgewänder.
***
Falco hatte einen Trupp aus Herriks Abteilung dazu bestimmt, um seine Majestät zu begleiten und die stand wartend im Innenhof bereit.
Da es ein wirklich warmer Frühlingstag war, standen oder saßen auch etliche andere Soldaten vor dem Wachgebäude herum und sahen eher gelangweilt zu ihnen hin. „Ist ja ein echtes Wunder“, meinte Matto spöttisch, „glaubt ihr, dass der Alte auch wirklich mal seine Höhle verlässt?“
„Hm“, machte Bernard achselzuckend und nicht gerade überzeugt. „Würde aber auch endlich mal Zeit werden! Mittlerweile ist unser König so blass wie ein gekochter Weißfisch und macht sogar unserem Benny damit Konkurrenz“, antwortete er, mit einem Seitenblick auf den.
„He!“, empörte der sich auch sogleich und rempelte ihn an.
„Was ist denn hier los?“, fragte Amanoue erstaunt, als er gerade aus dem Gebäude heraustrat.
„Seine Majestät möchte ausreiten“, raunte Matto ihm zu und hielt ihn mit einem erhobenen Arm auf. „Du solltest also lieber drinbleiben!“
Amanoue trat sofort wieder einen Schritt zurück und versteckte sich hinter dem breiten Türpfosten. Unwillkürlich musste er schwer schlucken und war schon drauf und dran, die Flucht zu ergreifen, als der König auch schon erschien. Amanoue konnte sich kaum noch bewegen und starrte wie gebannt hinüber. „Hau ab!“, zischte jetzt auch Bernard ihm ermahnend zu, aber Amanoue blieb trotzdem.
„Verdammt, Manou! Wenn der Alte dich sieht, ist der Teufel los! Der denkt, dass du längst weg bist“, raunte Matto wieder und so trat Amanoue wenigstens ein kleines Stückchen weiter zurück.
Zu ihrer aller Überraschung, stellte sich Benny direkt vor ihn und gab ihm dadurch noch zusätzlich einen Sichtschutz, da Amanoue weiterhin wie gebannt zu Henry hinübersah. Neben dem König stand ein recht kleiner, fast zierlicher Junge und grinste den ganz offen an. „Wer ist das?“, fragte Amanoue flüsternd.
Benny entkam ein dermaßen angewidertes Schnauben, dass es ihm fast den Rotz aus den Nasenlöchern blies. „Der neue Page des Königs!“, zischte er höhnisch, aber die Eifersucht konnte es nicht überdecken. „Laurin von Lothringen! Und der ist sowas von einem Miststück, da kommst nicht mal du ran!“
„Oh, viele Dank auch“, sagte Amanoue schnippisch.
„Nein, echt jetzt, von dem könntest sogar du noch was lernen, so wie der seine Majestät um den Finger wickelt“, setzte Benny noch nach und jetzt kam auch Brac heraus.
„Hast du sie noch alle? Mach, dass du hier wegkommst!“, fuhr er Amanoue erschrocken an und der zog eine beleidigte Schnute.
„Er sieht misch doch gar nischd! Isch wollte ihn doch nur mal sehen!“, erwiderte er trotzig.
„Ja! Und wenn er dich sieht, macht er dich wahrscheinlich einen Kopf kürzer! Mann, Kleiner, so leid es mir auch tut, der Alte hasst dich inzwischen wie die Pest! Wehe, es wagt einer auch nur deinen Namen zu erwähnen und schon rastet er aus und Wilhelm bekräftigt ihn noch! Also, rein mit dir, aber schnell!“, befahl Brac ohne noch einen Widerspruch zuzulassen. „Ist eh `n Wunder, dass du überhaupt noch bis jetzt hierbleiben konntest und dich noch keiner verraten hat“, raunte er ihm noch zu und Amanoue marschierte mürrisch nach hinten. In der Tat deckten auch die anderen Soldaten, jedenfalls die der ersten und zweiten Abteilung Amanoue bisher und Ulrichs Leuten schien seine Anwesenheit nicht weiter zu kümmern. Sie kannten ihn ja nicht und da sie keiner danach fragte, war er ihnen schlichtweg egal. Außerdem hatte Brac diejenigen von ihnen zur Brust genommen, die Amanoues Schreibdienste in Anspruch genommen hatten und ihnen dringlich geraten, ihre Klappen darüber zu halten, wenn sie hier noch ein schönes Leben zu führen gedachten.
Amanoue schlurfte dennoch lieber in den Schlafraum, sicher war sicher, nicht dass Henry doch noch einer plötzlichen Eingebung folgte und Lust auf ein Bierchen mit seinem besten Freund bekam. Ach, wie sehr er es doch vermisste, die ungezwungenen Abende, die er und die Jungs oft mit Henry verbracht hatten…
Und wie wundervoll er ausgesehen hatte. Genau wie früher, dachte er seufzend. Tatsächlich trug der König mittlerweile wieder einen dichten Vollbart und sein Haar war fast schulterlang geworden, in den letzten Monaten. Amanoue hatte es von Anfang an gemocht, ihm in dieses seidige Haar zu fassen, immer, wenn sie sich geliebt hatten und auch den Bart hatte er irgendwie vermisst, als er Henry zum ersten Male glattrasiert gesehen hatte, damals in Averna…
So lange her, so viel war geschehen, in der Zwischenzeit. Sehr viel Schlechtes aber auch manch Gutes. Und, wie er zugeben musste, sehr viel Schönes! Besonders im letzten Jahr…
Verdammt, warum musste er sich auch ausgerechnet da in ihn verlieben? Warum nicht früher, dann wäre dieser ganze Mist nicht passiert! Auch die Sache in Averna wäre mit Sicherheit ganz anders zwischen ihnen verlaufen, aber nein, sein blödes Herz musste ja Falco nachheulen und alles kaputtmachen! Eigentlich konnte er Henrys Reaktion echt nachvollziehen! Der hatte sich so auf ihn gefreut und was hatte er gemacht? Ihm immer wieder vor den Kopf gestoßen, beleidigt und betrogen!
Und ausgerechnet jetzt, als auch er sich in Henry verliebt hatte, kam alles genau anders herum! Ja, er konnte es nicht verleugnen, er liebte ihn inzwischen wirklich und dafür brachte Henry jetzt ihm nur noch Hass und Abscheu entgegen. Was war das Schicksal doch manchmal für ein mieses Miststück, dachte er seufzend und setzte sich auf sein Bett.
Wenig später betrat auch Benny den Raum und sah unschlüssig zu ihm hin. Doch dann wandte er sich ab und tat so, als würde er etwas suchen. Kurz darauf drehte er sich wieder um und blickte zu Amanoue hinter, der frustriert vor sich hinstarrte. „Tut mir echt leid“, murmelte er plötzlich und kam einige zögerliche Schritte näher.
„Hm?“, machte Amanoue, zu ihm hinsehend. „Warum bist du eigendlisch nischd mitgeritten? Du hast seine Majestät doch sonst immer begleiten dürfen“, fragte er, ohne auf dessen vorangegangenen Ausspruch einzugehen.
„Weil ich nicht mitdurfte?“, schnappte Benny zickig zurück. „Seine Majestät sieht mich doch gar nicht mehr an! Seit Monaten, behandelt er mich und uns alle, nur noch wie Luft! Und, seit dieser Giftzwerg da ist, hat er nur noch Augen für den!“, regte er sich noch weiter auf.
„Ach“, meinte Amanoue nur.
„Was, ach?! Regst du dich nicht darüber auf? Und übrigens, ich habe dir vorhin etwas gesagt! Nämlich, dass es mir leidtut!“, warf Benny ihm vor.
Amanoue seufzte erneut. „Warum solllte isch misch aufregen? Und worüber? Isch hoffe, dass Henry wieder glücklisch werden kann, mit wem auch immer“, erwiderte er betrübt. „Und was die andere Sache betrifft, entschuldige, wahrscheinlisch habe isch es nischd gehört und isch verstehe es ehrlisch gesagt auch nischd. Was, tut dir leid?“
„Na alles! Dass ich immer so zickig zu dir war und auch, naja, dass du jetzt fortmusst“, gestand er leise.
Amanoues Augenbrauen wanderten verdutzt nach oben, was seine Augen noch größer erscheinen ließ. „Aha, na dann, danke, für die Auskunft. Allerdings weiß ich das ohnehin schon“, meinte er und stand schwerfällig auf. Er begann seine Sachen zusammenzulegen und Benny schlurfte zu ihm hin.
„Was machst du?“, fragte er, als er sah wie Amanoue anscheinend tatsächlich seine wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Zu unterst lag der Umhang und darauf legte er gerade die warmen Wintersachen, da er in den letzten Tagen eh nur das dünne Unterhemd und eine leichtere Leinenhose getragen hatte.
„Ich packe wohl lieber schonmal alles susammen. Viel ist es ja nischd und wer weiß, vielleischd muss isch morgen schon gehen? Jedsd, da es `enry wieder besser geht und er die Schloss wieder verlässt? Isch möschte ihm lieber nischd begegnen, vor allem nischd um seinetwegen. Er hat genug Schmers durch misch erfahren müssen“, antwortete Amanoue und Benny fiel ihm plötzlich um den Hals.
„Es tut mir sooo leid! Ehrlich! Ich war oft so ungerecht zu dir, das habe ich inzwischen begriffen! Ich war so eine dumme Nuss“, heulte er los und Amanoue erstarrte regelrecht, vor Überraschung. „Wie kannst du nur so gelassen bleiben und so guuut!“
„Äh, naja, hilft ja nischds und es war doch meine Schuld, dass er misch rausgeworfen `at“, stammelte Amanoue, noch immer verblüfft. „Ist ja schon gut“, meinte er und schob Benny zurück.
Sein ehemaliger Erzrivale hatte tatsächlich Tränen in den Augen und zog schniefend die Nase hoch. „Ich werde dich vermissen, du Nervensäge“, sagte er leise und Amanoue nickte leicht.
„Mir tut es auch leid, dass ich manchmal so gemein su dir war“, meinte auch er jetzt und hob betreten die Schultern.
Benny zog nochmals ungeniert die Nase hoch. „Und wo willst du hin?“
Amanoue zuckte die Achseln. „Weiß nischd, vielleischd suche isch mir erstmal eine Bleibe in der Stadt.“
„Hast du denn Geld?“, fragte Benny erstaunt.
Amanoue zog einen Geldbeutel unter der Matratze hervor und schüttete ihn aus. „Das ist alles.“
„Ist ja nicht grad viel“, meinte Benny skeptisch und verteilte die Münzen mit den Fingern. „Mit den paar Kröten kommst du aber nicht weit, das langt dir gerademal für ein schäbiges Hinterhofzimmer und auch nicht gerade für länger.“
„Isch weiß, aber was bleibt mir anderes übrig? Isch möschte Brac und eusch nischd unnötig in Misskredit bringen! Wer weiß, wie `enry reagiert, wenn er erfährt, dass ihr misch hier versteckt haltet“, antwortete Amanoue durchschnaufend. „Isch werde schon irgendwie sureschdkommen, habe isch doch immer getan“, sagte er beinahe tröstend, als er Bennys traurige Miene sah.
Und genau das tat er dann auch. Schon am gleichen Nachmittag machte er sich auf den Weg und suchte sich in einem der ärmeren Viertel der Stadt ein billiges Zimmer.
***
Henry hatte sich doch erkältet. Noch während des Ausritts bekam er immer schlechter Luft, seine Nase war zu, sein Schädel brummte wie nach einer durchzechten Nacht und seine Glieder schmerzten. Nach einem kurzen aber schnellen Galopp bremste er deshalb den erstaunlich ruhigen Schimmel wieder ab und Wilhelm sah besorgt zu ihm rüber. „Was ist los?“, fragte er, seinen Bruder musternd.
„Ich weiß nicht, irgendwie fühle ich mich nicht gut. Irgendwie so schlapp und meine Beine tun weh“, gab Henry ehrlich zu und bei Richard und Wilhelm schrillten alle Alarmglocken los.
„Naja, du bist ja auch schon länger nicht mehr geritten, vielleicht liegt es daran“, meinte Wilhelm dennoch beruhigend.
„Ach was! Reiten hat mir noch nie was ausgemacht und die paar Wochen?“, widersprach Henry fast beleidigt.
„Wir sollten zurückreiten“, sagte Richard besorgt. „Wenn du mal zugibst, dass es dir nicht so gut geht, dann muss es dir wirklich grottenschlecht gehen!“
Zu ihrer Überraschung nickte Henry nur und holte mit zusammengekniffenen Augen tief Luft. „Mir ist schwindlig“, murmelte er und kippte vom Pferd. Der sonst so schreckhafte Apollo blieb einfach stehen und sah sich fast bedauernd nach seinem Herrn um, während um ihn herum das reinste Chaos herrschte. Falco war als erster aus dem Sattel gesprungen und eilte zu dem am Boden liegenden König, die beiden Herzöge fielen als nächste daneben nieder und die Soldaten hatten Mühe ihre Gäule unter Kontrolle zu halten, da die ja gerade noch im vollen Galopp hinter der vorderen Gruppe nachgejagt kamen. Der weiße Hengst drehte um, trabte an den vieren vorbei und stellte sich den anderen wiehernd entgegen. Wie ein Schutzschild baute das große Tier sich auf und drohte seinen Artgenossen mit hochgeworfenem Kopf und weit ausholenden Tritten seiner Vorderhufe. Immer wieder hob er sie hoch an, so als wolle er damit sagen, noch einen Schritt weiter und ich verpasse euch eine damit.
„Was ist denn mit dem los?“, fragte Wilhelm ungläubig. „Der Gaul war zwar schon immer verrückt, aber sowas habe ich noch nie gesehen“, starrte er den wie ein dressiertes Zirkuspferd wirkenden Hengst an.
„Vielleicht `ne rossige Stute“, meinte Kommandant Falco stutzig, während Richard Henry Luft zufächelte.
„Geht’s wieder?“, fragte er seinen Neffen und Henry rappelte sich nickend hoch.
„Au“, machte er, sich den Arm haltend, auf den er gefallen war und rieb darüber.
„Schau mal, was dein Pferd macht“, raunte Wilhelm, als Apollo sich nun auch noch aufbäumte und mit den Vorderhufen ausschlug. Es war eine weitere Drohgebärde des Hengstes und die anderen Pferde wichen allesamt vor ihm zurück. „Sieht aus, als wolle er dich beschützen, würde ich sagen, wenn ich den Mistgaul nicht besser kennen würde“, sagte er zynisch, während sie aufstanden.
„Apollo“, rief Henry einigermaßen energisch und der Schimmel stand still. Mit einem lauten Schnauben, nochmals in die Richtung der Soldatengäule, drehte das edle Ross sich um und trottete lammfromm zu seinem Herrn.
Wie gewöhnlich fing Falco das sonst so nervöse Pferd ab und tätschelte ihm den kräftigen Hals. „Ist ja gut, Junge“, beruhigte er es noch zusätzlich, was aber vollkommen unnötig zu sein schien.
„Ich glaube, da wurde wohl noch jemand verhext“, brummte Henry zynisch und die drei sahen ihn überrascht an. „Na, von IHM! Ja, irgendwann muss ich es wohl wieder aussprechen! Amanoue hat Apollo mal was zugeflüstert und ihm damit wohl im wahrsten Sinne ins Gewissen geredet! Seitdem ist er wie ausgewechselt und viel ruhiger!“, fauchte er sie an und alle drei nahmen zweifelnd die Köpfe zurück.
„Ich will jetzt nach Hause“, murmelte Henry nur noch und schwang sich recht mühsam in den Sattel.
Gleich nach ihrer Rückkehr ließ Richard Gregorius kommen und der untersuchte den König gründlich. Dabei fiel sein Blick natürlich auch auf den Armreif, was er allerdings unkommentiert ließ. Gregorius hob lediglich die Augenbrauen, sah den König kurz nachdenklich an und half ihm den Morgenrock überzuziehen. Danach gingen beide zurück ins Vorzimmer und die Herzöge standen umgehend auf. „Der Arm ist nicht gebrochen und auch sonst sind seine Majestät nicht schlimm verletzt, durch den Sturz.“, erklärte der Heiler sogleich beruhigend. „Allerdings hat er Fieber! Ich denke, seine Majestät haben sich erkältet und rate daher zu unbedingter Bettruhe!“
Wilhelm und Richard nickten, während Henry ein empörtes Gesicht zog. „Und was wird aus der Jagd?“
„Henry! Du solltest dich lieber ausruhen“, sagte sein Onkel dazu und Wilhelm verdrehte mal wieder die Augen.
„Scheiß die Jagd an! Deine Gesundheit ist wohl wichtiger!“, meinte er verständnislos. „Oder willst du wieder vom Pferd kippen?“
„Ihr seid vom Pferd gekippt, einfach so? Ich dachte, das Pferd hätte Euch abgeworfen?“, fragte Gregorius überrascht.
Richard und Wilhelm sahen recht betreten aus und beide hoben entschuldigend die Schultern. „Ja! Einfach so!“, gab Henry deshalb endlich zu. „Mir war kurz schwindelig, mehr nicht“, brummte er.
Gregorius musterte ihn nachdenklich. „Nun, Eure Majestät sollten daher erstrecht strenge Bettruhe halten!“, meinte er nachdrücklich besorgt.
„Ach was! Es ist nur ein Schnupfen, mehr nicht! Ich werde den restlichen Tag ruhen und mich ordentlich ausschlafen und morgen geht’s mir sicher wieder besser! Von mir aus braut mir auch noch einen Eurer Wundertränke“, murrte Henry uneinsichtig.
Wilhelm bedachte seinen Bruder mit einem skeptischen Blick. „Wie konnte es überhaupt dazu kommen? Ich meine, den ganzen Winter über, warst du gesund und ausgerechnet jetzt erkältest du dich!“
„Was weiß ich! Denkst du, das habe ich mir ausgesucht?“, warf Henry ihm verständnislos vor und wie um von Gregorius eine Antwort darüber zu erwarten, blickten beide Brüder zu dem.
„Mir kommt dies keineswegs ungewöhnlich vor“, meinte der Heiler auch gleich. „Eure Majestät haben in den letzten Monaten viel durchgemacht, wenn auch nicht körperlich. Auch seelische Überanstrengung kann einen Körper auslaugen und entkräften. Dazu habt Ihr auch noch stark abgenommen, was Euren Körper noch zusätzlich schwächte. Da reicht oft schon eine leichte Auskühlung und man zieht sich eine handfeste Erkältung zu! Ich rate Eurer Majestät dringlich, meine Anweisungen zu befolgen! Also, ab ins Bett und warmhalten! Viel Ruhe und viel trinken, leichte aber ausgewogene Kost, damit meine ich Gemüse und Hühnerbrühe und keinen Schweinebraten“, sagte er, Henry schief ansehend und der zog ihm eine schnippische Grimasse, woraufhin der Heiler unwillkürlich schmunzelte. „Und, ich werde Eurer Majestät auf alle Fälle, wie sagtet Ihr, einen meiner Wundertränke bringen!“
„Und ich werde nicht von Eurer Seite weichen!“, entschied Laurin plötzlich und trat aus dem Hintergrund hervor.
„Ist denn Kai noch nicht aufgetaucht?“, fragte Richard wenig begeistert über den Vorschlag des Jungen und der schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
„Siehst du ihn hier irgendwo?“, murrte Henry seinen Onkel an.
„Ich habe ja nach ihm gesucht, aber auch die Dienerschaft weiß nichts über seinen Verbleib“, sagte Laurin recht schnippisch darauf, weil er es auf sich bezog. „Was kann ich dafür, dass der sich aus dem Staub gemacht hat!“
„Deshalb bin ich ja letzte Nacht auch rüber gegangen, ins, äh“, regte Henry sich weiter auf, hielt dann aber mit einem Blick auf Laurin kurz inne. „Ich musste halt nochmal und meine Nachtschüssel war voll“, grummelte er ärgerlich weiter.
„Ihr wart drüben?“, hakte Gregorius nach und der König sah ihn warnend an. Der Heiler nickte verstehend und runzelte die Stirn. „Da war es sicher sehr kalt, hm?“
„Wo, drüben?“, fragte Laurin, ahnungslos zwischen beiden hin und hersehend.
„Nirgends! Das geht dich nichts an!“, fuhr Henry den Kleinen ungewöhnlich barsch an. „Ja, es war sogar eiskalt“, wandte er sich Gregorius wieder zu und der nickte seufzend, während Laurin beleidigt die Arme verschränkte. „Ich will kein weiteres Wort mehr von Euch darüber hören und von dir schon gar nicht! Hättest du deine Aufgaben erfüllt und dich nicht so quergestellt, wäre Kai sicher nicht abgehauen! Und ich hätte nachts nicht nochmal rausgemusst!“, schimpfte er in die Runde.
„Ich sagte doch, dass ich mich bessern möchte“, erwiderte der Frechdachs trotzdem, sich zickig windend.
Richard schüttelte nur den Kopf, Wilhelm verdrehte mit einem Blick gen Himmel die Augen und Gregorius hob erstaunt die Augenbrauen. „Naja, besser als gar nichts“, murmelte er und deutete eine Verbeugung an. „Eure Majestät, ich werde jetzt erstmal einen Kräuteraufguss für Euch bereiten und eine Hühnerbrühe in Auftrag geben. Ich bitte Euch, legt Euch ins Bett!“, sagte er nochmals und ging rasch hinaus.
„Ja, ja“, brummte Henry mürrisch und schlurfte zurück ins Schlafgemach. „Laurin!“
„Sofort, Eure Majestät“, rief sein Page säuselnd und eilte ihm nach.
„Ich werd` nicht mehr“, murmelte Richard völlig entnervt und Wilhelm tätschelte ihm aufmunternd die Schulter.
„Macht Euch keinen Kopf wegen diesem kleinen Wicht, Onkelchen! Ich denke Henry hat ihn mittlerweile ganz gut im Griff und naja, wie Gregorius schon sagte, besser als nichts! Besser einen schlechten Diener, als gar keinen, solange Kai nicht wieder auftaucht“, meinte er.
„Ja, falls er je wieder, auftaucht“, brummte Richard seufzend und beide verließen das königliche Gemach.
***
Tatsächlich saß Kai in einer heruntergekommenen Spelunke und ertränkte seinen Frust seit zwei Tagen mit dem billigen Gesöff des Wirtes. Er hatte sich auch eine Dirne gegönnt, oder hatte es zumindest versucht, doch in seinem Rausch waren alle seine Bemühungen diese zu beglücken erfolglos geblieben und so hatte er die restliche Nacht schnarchend in dem gemieteten Zimmer verbracht.
Die Dirne hatte nur die Augen verdreht, hatte ihm die Geldbörse ausgeräumt und war gegangen, was für Kai ein recht bitteres Erwachen bedeutete. Mit brummendem Schädel stand er auf, zog sich an und als er dabei seinen leeren Geldbeutel fand, fluchte er gehörig über seine eigene Blödheit. Natürlich kam auch die Hure dabei nicht zu kurz und er verfluchte das Miststück ebenfalls lautstark.
Zum Glück hatte er das Zimmer im Voraus bezahlt und so konnte er sich jetzt wenigstens unbehelligt davonstehlen. Gerade als er die Kammer verließ, sah er wie eine ihm nur zu gut bekannte Gestalt in einem der anderen Räume am Ende des Ganges verschwand und stutzte. Was machte Amanoue denn hier?
Ohne zu zögern ging er dem hinterher, trat ohne anzuklopfen ein und Amanoue drehte sich überrascht zu ihm herum. „Was machst du hier?“, fragten beide gleichzeitig.
„Eben! Was, machst du, hier?!“, wiederholte Kai deshalb und Amanoue wand sich unschlüssig hin und her.
Wie immer, wenn er um eine Antwort verlegen war, lutschte er kurz an seiner Unterlippe. „Isch wohne jedsd hier“, kam es schließlich zurück und Kai sah ihn verdutzt an.
„Häh? Hier? In diesem Drecksloch?“
„Ja, in diese Drecksloch! Aber das gleische könnte isch disch fragen! Was machst du eigendlisch hier?“, erwiderte Amanoue schnippisch. „Immerhin muss isch ja irgendwohin, bis isch mir genügend susammengespart habe für eine Reise!“
„Eine Reise?“, fragte Kai noch belämmerter. „Wohin?“
„Nach Hause? Was weiß isch! Aber hierbleiben kann isch ja wohl schleschd! `enry ist anscheinend endgültig über misch hinweg und Brac `at gesagt, dass es misch den Kopf kosten könnte, wenn isch noch länger bleibe“, antwortete Amanoue mürrisch.
„Scheiße Mann“, raunte Kai und Amanoue seufzte schwer.
„Geht er mit ihm ins Bett?“, fragte er geknickt.
„Wer?“
„Na, ER! `enry! Mit diese Junge!“, zischte Amanoue ihn an.
Kai zuckte die Achseln, was recht unbeteiligt wirkte. „Keine Ahnung, ist mir auch scheißegal!“, brummte er zurück.
„Mir aber nischd“, murmelte Amanoue und setzte sich auf das kümmerliche Bett.
„Mir ehrlich gesagt, auch nicht. Deshalb bin ich ja abgehauen“, gab Kai nun doch zu und jetzt sah Amanoue ihn verdutzt an. „Dieser Giftzwerg hat Henry total um den Finger gewickelt und nimmt sich Sachen raus, dass kannst du dir gar nicht vorstellen! Und, er macht keinen einzigen Handschlag! Ich muss mich um alles kümmern und aufräumen, als wäre ich der niedrigere Diener, von uns. Da hatte ich halt irgendwann die Schnauze voll! Soll ER doch jetzt zusehen, wer seinen Dreck wegräumt“, erklärte Kai ihm wütend aber auch sichtlich gekränkt.
Amanoue schnaufte nur schwer durch und ließ den Kopf wieder hängen, was Kai noch mehr zu ärgern schien. „Danke auch, für deine Anteilnahme! Schließlich bist du ja selbst schuld an deiner Misere! Ich aber nicht und wenn du diesen Bockmist nicht gemacht hättest, wäre es sicher nie so weit gekommen“, warf er ihm deshalb vor und Amanoues Kopf ruckte wieder hoch.
„Viele Dank, dafür! Meinst du escht, isch weiß das nischd selbst? Jede Tag verfluche isch misch selbst dafür, das kannst du mir glauben!“, blaffte er zurück.
Kai atmete betreten durch. „Ist jetzt auch egal, daran werden wir wohl eh nichts mehr ändern können“, raunte er. „Und wie willst du das Geld für deine Heimreise zusammen bekommen?“, fragte er schließlich.
Amanoue hob die linke Schulter und blickte zur Seite. „Na wie wohl“, sagte er leise und sehr zynisch.
Kai fiel regelrecht in sich zusammen. „Nee, oder? Du meinst doch nicht etwa? Manou, nein!“
„Wie soll ich sonst an Geld kommen, hm?“, fuhr der ihn an. „Isch habe nischds! Und isch könnte mir inswischen in meine Arsch beißen, dass isch so blöd war und nischd wenigstens meine asconische Sachen mitgenommen `abe! Die Edelsteine könnte isch jedsd wirklisch gut gebrauchen und wäre damit wahrscheinlisch schon längst weg!“
„Tja, da warst du wirklich blöd und dein Stolz oder warum auch immer du nichts mitgenommen hast, war echt unangebracht. Brac hat`s dir ja noch geraten, wenigstens den Armreif mitzunehmen.“
„Hörst du jedsd endlisch auf, mir Vorhaltungen su machen?! Ja, wie du vorhin schon sagtest, daran kann isch jedsd nischds mehr ändern! Und wenigstens habe isch noch diese Körper und diese Gesicht!“, fauchte Amanoue zurück.
„Ich fasse es nicht“, murmelte Kai und hielt sich kopfschüttelnd die Stirn. „Du willst dich also echt wieder verkaufen! Hier!“
„Ja, hier! Wo sonst?“, antwortete Amanoue schnippisch, ließ aber gleichzeitig den Kopf sinken. „Isch habe mit die Gastwirt gesprochen und der hat nischds dagegen, für eine fette Anteil, natürlisch“, meinte er spöttisch. „Hier nehmen auch andere Dirnen seine Simmer in Anspruch.“
„Ja, Frauen! Was denkst du, was passiert, wenn du auffliegst, hm? Auf Sodomie steht die Todesstrafe!“, fuhr Kai ihn verständnislos an, doch Amanoue zuckte nur gleichgültig die Achseln.
„Na und? Wenn misch `enry erwischt, bin isch meine Kopf auch los, diese Risiko muss isch eben in Kauf nehmen und sobald isch kann, bin isch weg“, meinte er trotzig.
„Manou, Manou“, seufzte Kai und biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Und wenn ich dir das Geld gebe? Ich habe mir was zurückgelegt…“
„Nein danke!“, lehnte Amanoue sofort entschieden ab und zeigte zur Tür. „Auf Wiedersehen, Kai!“
„Du Hornochse! Ich hätte dir das Geld ohne jede Gegenleistung gegeben!“, knallte der ihm noch wütend hin und stampfte umgehend hinaus.
Amanoue hatte noch am gleichen Abend seinen ersten Kunden. Der Mann sah gar nicht einmal so schlecht aus und war ein recht angesehener Kunstmaler der Stadt. Er behandelte Amanoue gut und so kam auch der wenigstens ein klein wenig auf seine Kosten…
***
Kai kehrte zurück aufs Schloss und marschierte gerade über den Hof, als Bernard ihm unverhofft entgegenkam. „Wo kommst du denn her?“, fragte der blonde Savoyer grinsend und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter zurück. „Wir haben uns schon gefragt, wo du steckst!“
„Was geht’s dich an!“, fauchte Kai ihn wie eine wütende Katze an.
„Mon Dieu! Was habe ich dir getan?! Ich meinte ja nur“, nahm Bernard sich entschuldigend zurück und Kai verzog betreten sein Gesicht.
„Tut mir leid, hab`s nicht so gemeint“, erwiderte er betroffen. „War irgendwas?“
„Naja, seine Majestät ist gestern vom Pferd gefallen, sonst nichts weiter“, antwortete Bernard als wäre es nichts Besonderes.
„Ist er schlimm verletzt?“, fragte Kai sofort voller Sorge und der Gardist winkte ab.
„Non! Ich glaube nur ein paar blaue Flecke, mehr nicht! Allerdings liegt er seitdem im Bett und war auch nicht bei der Sonntagsmesse. Aber mehr weiß ich auch nicht und woher soll ich auch mehr erfahren? Ist doch die reinste Geheimniskrämerei hier geworden, seit Manou nicht mehr bei ihm lebt“, meinte er achselzuckend. „Und wo der steckt, weiß auch keiner.“
Kai zog erneut ein sehr betroffenes Gesicht. „Ich habe ihn in der Stadt getroffen, in einem mehr als fragwürdigen Gasthaus“, sagte er leise.
Bernard schien kein Wort verstanden zu haben oder auch einfach nur den Sinn. „Was macht er in der Stadt? In einem Gasthaus? Er bekommt doch hier zu essen?“
„In SO, einem doch nicht, sondern in einem anderen, du Rindvieh“, versuchte Kai es noch einmal und Bernard runzelte die Stirn.
„Ich verstehe nicht?“, sagte er, die Schultern hebend.
„Mann, bist du blöd! Einem Puff!“, knallte Kai ihm hin und dem Savoyer fiel die Kinnlade herab.
Doch dann begann er zu lachen. „Er kann`s einfach nicht lassen, hm? Die Finger, von den Weibern, meine ich! Dafür brauchte er also das Geld!“
„Du schnallst es echt nicht“, murmelte Kai fassungslos. „Nicht so, anders! Mann! Er geht dort auf den Strich!“
Bernard erstickte fast an seinem Lachen und glotzte ihn an, während Kai tief durchatmete. „Tu mir einen Gefallen und erzähl`s nicht weiter rum, ja?“, verlangte der Soldat mit einem Male sehr ernst. „Auch den Jungs nicht, die müssen das nicht erfahren! Du weißt, wie Matto manchmal sein kann und über Benny brauchen wir nicht reden“, sagte er befürchtend.
„Ist mir doch gleich! Was geht’s mich an“, brummte Kai nur und ließ ihn stehen.
Bernard sah ihm verdutzt nach, setzte seinen Weg in die Unterkunft weiter fort und war für den Rest des Abends ungewöhnlich schweigsam.
***
Kai klopfte an der Tür und Laurin öffnete diese mit einem erstaunten Blick auf ihn. „Ach“, sagte er mit einem unverschämt arroganten Tonfall, wodurch Kai augenblicklich wieder in Rage geriet.
„Ja, ach!“, erwiderte er ebenso und trat einfach an dem Wicht vorbei.
„He!“, rief der auch gleich empört und stieß die Türe wieder zu. „Wie kannst du es wagen, hier einfach so reinzuplatzen?!“
Kai ging gar nicht darauf ein und schritt eiskalt weiter. Im Durchgang zum Schlafgemach blieb er stehen und verbeugte sich tief. „Eure Majestät!“
Henry schien im ersten Moment verblüfft, doch dann spitzte er mürrisch die Lippen. „Auch mal wieder da! Und?“, raunte er beleidigt und Kai richtete sich auf.
„Wie Ihr seht, ja! Ich habe mir erlaubt, zwei Tage Urlaub zu nehmen, na und?“, antwortete er kalt.
„Urlaub! Ohne meine Erlaubnis, allerdings!“, fuhr der König ihn an, was den Diener jedoch nicht zu beeindrucken schien.
„Ich brauchte Zeit zum Nachdenken“, erwiderte er schlicht und Henry hätte beinahe gelacht.
„Und, zu welchem Ergebnis bist du gekommen?“, fragte er übertrieben interessiert nach und Kai verschränkte die Arme.
„Dass ich so nicht länger in Euren Diensten bleiben möchte!“, antwortete er kühl und direkt. „Ich brauche zumindest Unterstützung“, fuhr er ein wenig einlenkender fort, als er Henrys brüskiertes Gesicht sah. „Wenn schon Euer Page nicht seinen Aufgaben nachgeht, dann stellt noch einen weiteren Diener für den ein, zu meiner Entlastung! Mehr verlange ich gar nicht und ich werde augenblicklich meine Pflichten wieder übernehmen, als Euer Leibdiener! Andernfalls“, meinte er achselzuckend und Henry sah ihn an, als würde er die Welt nicht mehr verstehen.
„Andernfalls? Was soll das heißen?! Drohst du mir etwa?“, fuhr er empört aus seinem Bett hoch.
„Das würde ich mir nie erlauben, Eure Majestät!“, wiegelte Kai gespielt beruhigend ab, was das Fass zum Überlaufen brachte. Der König schnappte dermaßen nach Luft, dass Laurin sofort zu ihm eilte.
„Eure Majestät, nicht aufregen, gaaanz ruhig“, sagte der so übertrieben besänftigend, dass es schon peinlich wirkte.
„Eure Majestät, ich wollte damit nur sagen, dass ich nicht länger bereit bin, unter diesen für mich untragbaren Umständen weiterhin in Euren Diensten zu bleiben. Mehr nicht! Aber wenn Ihr dies“, Kai deutete auf Laurin, „dem vorzieht, dann werde ich gehen, so leid es mir auch tut“, erklärte er ruhig und ehrlich bedauernd.
„Werft ihn raus!“, riet der Giftzwerg dem König sogleich energisch und Kai lächelte kopfschüttelnd.
„Eure Majestät, mit Eurer Erlaubnis ziehe ich mich freiwillig zurück, bevor Ihr mich wieder einmal aus dem Schloss prügeln lassen wollt“, sagte er nur und verbeugte sich erneut sehr ehrerbietend. „Wenn Ihr Euch entschieden habt, lasst nach mir schicken“, meinte er noch und spazierte hinaus.
Der König war einfach nur fassungslos. Er stand auf, stieß Laurin dabei unsanft zur Seite und begann wütenden Schrittes den Raum zu durchqueren. „So eine Unverschämtheit! Langsam habe ich seine Frechheiten wirklich satt!“, brüllte er los und marschierte nach vorn.
Das Blöde daran war, dass er Kai brauchte. Jetzt mehr denn je, das war ihm allerdings ebenfalls klar und machte ihn noch wütender. Einen neuen Leibdiener einzustellen, bedeutete auch, einen neuen Mitwisser zu haben und sich damit noch verletzlicher zu machen. Ob er Benny fragen sollte? Nein, dessen Eifersucht würde nur zu noch mehr Ärger führen und dafür hatte er nun wirklich keine Nerven mehr. Allein wenn er nur an die vergangenen Dramen zwischen dem und Amanoue zurückdachte, wurde ihm schon schlecht und er konnte Laurin nicht einfach wieder zu seinem Vater zurückschicken. Mit welcher Begründung auch? Verzeiht, aber mein neuer Leibdiener vergeht vor Eifersucht auf Euren Sohn, daher kann ich ihn leider nicht länger bei mir behalten! Das wäre ja lächerlich! Oh ja, es war lächerlich, diese ganze Situation, in der er sich inzwischen befand, war eine einzige Farce! Nein, so konnte es echt nicht weitergehen, er war ja nur noch eine Witzfigur!
Naja, und eigentlich wollte er Laurin auch gar nicht mehr missen. Verdammt, er mochte den Kleinen, musste er sich ebenfalls eingestehen. Nicht so, aber eben einfach nur seine Nähe. Wie er ihn mit seiner Unbeschwertheit zum Lachen brachte, seine kleinen Frechheiten, eben. Manchmal erinnerte er ihn damit sogar ein klein wenig an, IHN…
Er verscheuchte schnell die Gedanken an Amanoue und setzte sich. „Wein!“, befahl er herrisch und Laurin beeilte sich ihm einzuschenken.
„Eure Majestät“, sagte der so leise, dass es schon einem Flüstern glich, reichte ihm den Pokal und setzte sich zu seinen Füßen auf den Boden.
Henry lächelte auf ihn hinab, zwar etwas bitter, aber dies war wieder einer dieser Momente, in denen sein Herz für diesen Knaben aufging. Unwillkürlich streichelte er ihm über das rötliche Haar und über die blassen Wangen. „Danke.“
„Aber wofür denn?“, flötete Laurin mit den Wimpern klimpernd zu ihm hoch.
„Einfach so. Es ist schön, dass du da bist“, antwortete Henry beinahe liebevoll, was ein schüchternes Lächeln auf Laurins Lippen zauberte.
„Ich bin gerne hier, bei Euch“, säuselte er zurück und nahm Henrys linke Hand ganz sachte in seine. Als er sie an seinen Mund führen wollte, glitt der Ärmel des Morgenmantels ein klein wenig zurück und gab den Armreif preis, den der König seitdem an seinem Handgelenk trug. „Was für ein schönes Schmuckstück!“, entfuhr es dem Jungen beeindruckt und er schob den Ärmel noch ein Stückchen höher.
Henry entzog ihm unwohl die Hand und bedeckte den goldenen Reif wieder, was Laurin fragend aufblicken ließ. „Warum versteckt Ihr ihn?“
Henry holte langsam und tief Luft und sein Gesicht nahm einen bittersüßen Ausdruck an. „Es ist eine schmerzliche Erinnerung, an jemanden“, antwortete er leise und sein Page runzelte die Stirn.
„Warum tragt Ihr ihn dann?“, fragte er stutzend und des Königs Blick ging an ihm vorbei.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er, hilflos die Schultern hebend. „Vielleicht, weil es mir mal sehr viel bedeutete?“, meinte Henry und strich ihm lächelnd über die Wange.
„Seid Ihr deshalb immer so traurig?“, fragte Laurin vorsichtig und prompt wurden Henrys Augen feucht.
Er nickte bedächtig und blinzelte die Tränen fort. „Warst du schonmal verliebt? Ich meine, keine Schwärmerei, sondern die ganz große Liebe“, fragte er sanft und Laurin zuckte leicht die Achseln. „Nein, dafür bist du wohl noch zu jung“, schlussfolgerte Henry daraus und wieder blickte er zur Seite. „Weißt du, ich war schon oft verliebt, aber es waren eben nur kurze Liebeleien, die wahre Liebe erfuhr ich nur ein einziges Mal und diese Liebe brach mir das Herz. Deshalb trage ich dieses Armband, damit es mich immer daran erinnert, was für ein Narr ich war“, murmelte er vor sich hin, schnaufte tief durch und sah ihn lächelnd an. „Tja, vielleicht bin ich inzwischen doch nur noch ein alter einsamer Mann, zumindest im Vergleich zu dir und vielleicht findest auch du irgendwann deine große Liebe und denkst dann an mich zurück?“, sagte er und Laurins Stirn legte sich erneut in Falten.
„Vielleicht sollten sich Eure Majestät besser wieder hinlegen, ich denke, Ihr habt wieder Fieber“, meinte er treusorgend, da er Henrys wirre Worte darauf bezog und der musste darüber schmunzeln.
„Denkst du?“, fragte er amüsiert und der Kleine schnaufte durch, als hätte er schon sonst was durchgemacht.
„Naja, Ihr sollt Euch doch schonen und“, Laurin senkte verschämt den Blick, „Ihr seid nicht alt. Vielleicht einsam“, meinte er achselzuckend, „aber daran könnt nur Ihr allein etwas ändern. Es betrübt mich zutiefst, Eure Majestät so traurig zu sehen und ich würde alles dafür tun, wenn ich Euer Leid wenigstens ein wenig lindern könnte. Bitte, vergebt mir“, hauchte er und sah ihm tief in die Augen. Ganz langsam richtete er seinen Oberkörper etwas weiter auf, beugte sich zu Henry hin und küsste ihn zart. Es war nur ein flüchtiger Kuss, sanft wie ein Windhauch und doch ließ es den König am ganzen Leib erzittern.
„Nicht“, flüsterte er und stand rasch auf.
„Warum nicht? Ich will es doch!“, erwiderte Laurin uneinsichtig und voller kindlichem Trotz.
Henry seufzte schwer. „Du bist doch noch fast ein Kind! Laurin, bitte, tu das nicht! Nütze nicht die Schwäche meines einsamen Herzens aus! Ich weiß nicht, ob ich dir auf Dauer widerstehen könnte, also bitte, geh“, bat er inständig, drehte sich um und ging rasch in sein Schlafzimmer.
Auf Laurins Lippen entstand ein kleines, aber sehr siegessicheres Lächeln. Mehr brauchte er gar nicht zu erfahren und, er hatte Zeit…
Henry setzte sich geschafft aufs Bett und stützte seinen Kopf in beide Hände. Was hätte er beinahe getan?
Oh ja, er war einsam! Aber das war noch nicht alles, was ihn zermürbte. Denn da war ja auch noch dieses andere Bedürfnis, welches sich mehr und mehr bemerkbar machte und gestillt werden wollte. Auch wenn er es immer wieder verdrängte, sein kleiner Freund da unten hatte noch nie so lange stillhalten müssen und meldete sich wegen dieser Vernachlässigung immer häufiger, um endlich Erlösung zu bekommen. Auch jetzt, ausgerechnet jetzt! Dieser flüchtige Kuss hatte schon genügt, um ihn hart werden zu lassen, verdammt!
Naja, wenigstens hatte er noch zwei gesunde Hände und damit musste sich sein kleiner König erstmal zufriedengeben! Seufzend erhob er sich und warf einen Blick nach vorn. Laurin war tatsächlich gegangen und so schlurfte er zurück zum Bett.
Doch dann hielt er wieder abrupt inne. Nein, nicht hier! Denn wenn Laurin morgen das Bett machen würde, würde er unweigerlich auch die Spuren der letzten Nacht entdecken und wie peinlich wäre das dann wieder! Und es würde dem kleinen Biest auch noch in die Taschen spielen! Der König hat sich nach meinem Angebot einen `Runtergeholt´, na Klasse!
Damit würde er völlig unglaubwürdig mit seiner Ablehnung rüberkommen und Laurin würde dies sicher nur noch mehr anstacheln, ihn verführen zu wollen…
Er könnte wieder nach drüben gehen, da wäre er ungestört und das Bett hatte so wunderbar nach IHM geduftet…
Nur ein wenig träumen, sich daran erinnern, wie sie sich dort immer geliebt hatten… Seufzend schnappte er sich den nächstbesten Kerzenleuchter und machte sich auf den Weg.
Dieses Mal würde er sich aber nicht den Arsch abfrieren und so machte er als erstes ein ordentliches Feuer im Kamin. Danach zündete er noch etliche Kerzen an und dabei fiel sein Blick auf den Zobelfellumhang, der auf einer der Kleidertruhen lag. Nicht einmal den, hatte Amanoue mitgenommen, ob er überhaupt etwas von seinen Geschenken mitgenommen hatte? Ohne weiter zu zögern, ging er zu den Truhen und öffnete eine nach der anderen.
Tatsächlich, alles noch da. Die edlen Tuniken, die kostbaren Stiefel, der hübsche Sommerumhang, die Hemden und Hosen, der Schmuck, alles hatte er zurückgelassen. Warum nur?
Na klar, weil er eben nichts von ihm haben wollte und schon gar nichts behalten, was ihn an seine `Gefangenschaft´ hier erinnern könnte! Und an ihn…
Ärgerlich knallte er den Deckel zu und wandte sich der letzten Truhe zu. Es war die asconische und Henry war sich sicher, dass zumindest diese leer wäre, doch als er sie öffnete, blickte er erstaunt auf den unberührten Inhalt. Auch noch alles da, soweit er es erkennen konnte. Warum?
Henry kramte ein wenig darin herum, holte den Stapel Kleider heraus, darunter lagen die weichen, weißen Stiefel, selbst die edelsteinbesetzten Gürtel waren noch da und die Schatulle. Er nahm sie heraus und voller Überraschung stellte er fest, dass Amanoue auch hiervon nichts mitgenommen hatte. Der kostbare asconische Schmuck, die Perlen, alles noch da! Aber was war das? Henry nahm ein zusammengefaltetes Tüchlein heraus und legte die Schatulle weg. Vorsichtig faltete er den seidenen Stoff auseinander und erstarrte.
Darin befand sich ein Schneeglöckchen und Henry schluchzte beim Anblick des verwelkten Blümchens heftig auf. Warum hatte er es behalten?
Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, an ihren Ausritt, zu zweit auf Apollo und wie er plötzlich dieses Schneeglöckchen am Wegesrand entdeckt und gepflückt hatte und wie sehr sich Amanoue darüber gefreut hatte. `Für mich?´, hatte er so schüchtern gefragt und das kleine Blümchen die ganze Zeit über in seiner zarten Hand gehalten. Und all die Zeit über, seit diesem tragischen Winter in Averna, hatte er es aufbewahrt und gehütet, wie einen kostbaren Schatz. Warum?
Momentmal, in einer der anderen Truhen hatte er auch ein seltsames Bündel entdeckt, einen Sack oder sowas ähnliches und hatte es achtlos beiseitegeschoben. Henry legte das Schneeglöckchen vorsichtig zurück in das Schmuckkästchen und ging zurück. Welche war es doch gleich wieder gewesen? Ah, die da! Er nahm den Sack heraus, der sich als Kissenbezug entpuppte und blickte hinein. Nanu? Schriftrollen? Waren das etwa? Ja, seine Briefe! Alle, die er an Amanoue geschickt hatte und einige der Pergamente waren leicht angekohlt…
Henry schlurfte damit zum Bett und schüttete die Briefe heraus. Er setzte sich und entrollte den erstbesten. Ja, unverkennbar seine Handschrift, aber was war das? Unter seiner eigenen Signatur, befand sich ein weiterer, in Amanoues filigraner Schrift verfasster Satz:
Ich liebe dich, bitte verzeih mir
Henry stieß die Luft aus und zog die Nase hoch. Mit tränenden Augen öffnete er auch die anderen Rollen und unter jedem davon hatte Amanoue diese Botschaft hinterlassen, bis auf den von Henry zuletzt verschickten, denn dieser war rund um seine Nachricht herum beschrieben worden und was er dort las, ließ ihn vollends die Fassung verlieren.
Mein König, mein Herr, mein Henry, ich liebe dich!
Wenn du dies hier liest, bedeutet es wohl, dass du mir nicht vergeben konntest und ich habe es ehrlich gesagt auch nicht anders erwartet. Aber eines möchte ich dir dennoch versichern, bitte glaube mir, ich tat es letztendlich doch nur für dich! Dies soll keine Entschuldigung für mein Handeln sein, denn was ich dir damit angetan habe, lässt sich durch nichts entschuldigen. Ravio riet mir, also sein Geist, dir die Wahrheit zu sagen und dass ich auf deine Liebe zu mir vertrauen solle. Tja, wie es aussieht, lag er damit wohl doch daneben und mich gibt es nicht mehr in deinem Leben. Vielleicht hast du mich sogar hinrichten lassen? Ich weiß es zu diesem Zeitpunkt nicht und kann nur hoffen, dass du wenigstens Sybilla verschont hast und vergeben konntest, da sie nicht wirklich die Schuld an unserem Betrug an dir, trägt. Sie liebt dich wirklich und ich weiß selbst nicht, weshalb sie mir verfiel. Sie bezeichnete mich danach als einen Incubus und wer weiß, vielleicht bin ich ja tatsächlich eines von diesen Höllengeschöpfen und auch deine Liebe zu mir entstand nur deshalb, weil du den Verführungskünsten eines Dämons zum Opfer fielst.
Du sagtest so oft zu mir, dass du mich lieben würdest, aber nun bezweifle ich es doch immer mehr und vor allem zweifle ich an mir und an dem, was ich wirklich bin. Oh Henry, es gibt noch so vieles, was ich dir noch hätte sagen wollen, über mich! Stattdessen sitze ich nun da und schreibe dir diese Zeilen, in der Nacht, die ich wohl Zeit meines Lebens nie vergessen werde. Es ist diese Nacht, in der wir unser Bündnis mit unserem Blut besiegelten und ich schreibe dies auch mit meinem Blut nieder. Zum einen, weil ich keine Tinte habe und zum anderen, weil ich es möchte. Es stammt zwar aus meiner Handwunde, aber es fühlt sich für mich an, als wäre es mein Herzblut!
Ja, dieses Kind, Sybillas Kind, ist von mir und ich muss dir gestehen, dass ich mich anfangs auch in sie verliebt hatte, dachte ich zumindest. Aber ich bin eben nur ein dummes Ding, ich muss jetzt ein klein wenig schmunzeln über unseren lieben alten Sebastian und doch hatte er recht damit! Ich war so dumm! Und erst jetzt, hoffentlich ist es noch nicht zu spät, erkenne ich, wie sehr ich dich inzwischen liebe. Ich glaube es begann schon in Averna, nur wollte ich es da wohl noch nicht wahrhaben, du kennst ja meine Sturheit und ich bereue auch dieses, zutiefst! Was habe ich dir nur angetan, in all der Zeit, in der du mir stets nur mit deiner Liebe entgegengekommen bist! Ich kann es leider nicht rückgängig machen, aber ich kann nun mit Gewissheit sagen, dass du dich schon damals erfolgreich in mein kleines Herz geschlichen hast und es inzwischen geschafft hast, alle anderen daraus zu vertreiben!
Mein Herz gehört nur noch dir allein, das musst du mir glauben!
Und wenn ich dich auch betrogen habe, dieses Kind will ich dir schenken, von ganzem Herzen und als Beweis meiner Liebe zu dir! Denn Gott wird dir niemals deinen langersehnten Erben schenken, ich weiß, das ist jetzt wirklich zynisch von mir! Bitte, vergib mir, es tut mir so leid und ich sagte es dir vorhin bereits, du wirst nie eigene Nachkommen haben können aber vielleicht wirst du diesem Kind irgendwann wenigstens ein klein wenig von der Liebe schenken können, die du mir entgegengebracht hast.
Ich muss weinen, verzeih die verwischten Flecken…
So, jetzt geht es wieder, hoffe ich wenigstens, wie du weißt, bin ich eine schlimme Heulsuse und wie oft hast du dich darüber beschwert, weil dir mein ständiges Geheule auf die Nerven ging!
Naja, jetzt bist du mich ja los und ich kann nur hoffen, dass du ohne mich glücklicher bist. Ich wünsche es dir wirklich!!! Mit wem auch immer, von mir aus sogar mit Benny, werde glücklich, Henry!
Während ich dies hier schreibe, schläfst du tief und fest und wirkst so zufrieden. Es sieht fast so aus, als würde ein glückliches Lächeln deine Mundwinkel umspielen und ich werde dich gleich darauf küssen, weil ich gar nicht anders kann!
Dein dich liebendes Kätzchen
Henry ließ den Brief sinken, schloss die Augen und eine Flutwelle an Tränen ergoss sich über sein Gesicht.
Nach einer Weile stand er auf, löschte die Kerzen und verließ das Gemach wieder, mit dem Schwur, es nie wieder zu betreten. Dieser Raum sollte fortan das Grabmal seiner verlorenen Liebe sein.
***
Amanoue streckte sich und blinzelte über seinen gebeugten Arm zu seinem ersten Stammkunden hoch. Der Mann strich ihm gerade mit den Fingerrücken über die Wirbelsäule entlang, bis zum Steiß. „Du bist geradezu unvorstellbar schön und ich bin immer auf der Suche nach schönen Menschen. Möchtest du mir nicht mal Modell stehen? Mein Name ist Rafael und ich bin ein recht angesehener Künstler hier im Land. Ich habe kürzlich einen größeren Auftrag erhalten und du wärst das richtige Vorbild dafür“, sagte er und musterte ihn nochmals eingehend, bevor er aufstand um sich anzukleiden.
Auch Amanoue rutschte aus dem Bett, trat zum Waschtisch und begann sich ungeniert zu säubern. Er hatte längst wieder jegliches Schamgefühl abgelegt und war ohne weiteres in sein altes Leben als Lustknabe zurückgeglitten. „Verdient man als Modell gut?“, fragte er und wischte sich mit einem feuchten Lappen über die Innenseiten seiner Schenkel.
„Zumindest besser, als hier“, meinte sein Kunde lächelnd. „Und, es ist bei weitem sicherer! Als männliche Hure erwischt zu werden, bedeutet den Scheiterhaufen! Aber als Muse eines Künstlers würde man dir sogar Respekt entgegenbringen. Du siehst, es hätte also nur Vorteile für dich, wenn du mein Angebot annimmst! Wir müssten allerdings schon morgen beginnen, da das Bildnis bis Ostern fertig sein soll.“
„Was ist das für ein Auftrag?“, fragte Amanoue ohne allzu großes Interesse und hockte sich über die Waschschüssel.
„Es soll ein Heiligenbild werden, zu Ehren der Taufe des Thronfolgers. Ein Triptychon, das ist ein dreiteiliges Altarbild. In der Mitte die heilige Jungfrau mit ihrem Kind, flankiert von zwei Engelsbildnissen“, erklärte der Mann und Amanoue sah ihn überrascht an. „Du würdest den perfekten rechten Engel abgeben, obwohl du auch für die Jungfrau selbst wie geschaffen wärst“, meinte er etwas zynisch und Amanoue schnaubte lachend.
„Da wäre ich wohl eher für die andere die richtige Wahl! Wie hieß sie noch gleisch? Maria Magdalena?“, raunte er spöttisch und Rafael lachte derb auf.
„Auch wieder wahr! Die heilige Hure“, spottete er zurück und kniff gleichzeitig grübelnd die Augen zusammen. „Dein Gesicht ist wahrlich wunderschön, beinahe zu schön, für diese Welt! Was macht eine solche Schönheit wie du, in so einer heruntergekommenen Absteige? Wie kommst du hier her und woher stammst du? Du sprichst beinahe Akzentfrei unsere Sprache aber dein Aussehen ist eher orientalisch anmutend.“
Amanoue hielt mit seiner Waschung inne und erhob sich. „Ich komme von Nirgendwo her und bin nur sufällig hier gelandet“, antwortete er achselzuckend und warf den Lappen auf den kleinen Tisch.
„Dann bist du einer vom fahrenden Volk?“, fragte Rafael erstaunt und Amanoue sah ihn nachdenklich an.
„Ihr meint, ob isch eine Sigeuner bin? Ja, vielleischd, bin auch ich eine von diese heimatlose Vertriebene und nur eine Staubkorn, die die Wind aus einer Laune heraus hierher geweht `at, hat“, sinnierte Amanoue versonnen. „Ich habe keine Heimat, sumindest nischd mehr“, meinte er dann bestimmt und Rafael nickte verstehend.
„Es ist mir auch gleich, woher du kommst. Alles was für mich zählt ist dein überaus hübsches Aussehen! Dein wundervoll vollkommener Körper und dein engelhaftes Gesicht sind viel zu schade, um sich hier zu verstecken! Lass mich dich malen und alle Welt Anteil an deiner Schönheit haben lassen! Was sagst du?“, rief er begeistert aus und Amanoue schnaufte grübelnd durch.
„Habt Ihr eine Badewanne?“, fragte er, der Maler nahm stutzend den Kopf zurück und nickte. „Gut! Wenn ich vorher ein ausgiebiges Bad nehmen kann, komme ich mit Euch!“, schlug Amanoue ein und schlüpfte in sein Hemd.
Und so stand er am darauffolgenden Morgen pünktlich in dem Künstleratelier. Während ein Diener das Bad für ihn vorbereitete, sah er sich in dem großzügigen Raum um. Er betrachtete eingehend die Werke und blieb schließlich vor dem unfertigen Triptychon stehen. Der linke Engel war bereits vollendet, ein schöner geflügelter Mann, blond und blauäugig, in goldener Rüstung und einem leuchtenden erhobenen Schwert, blickte ermahnend auf ihn herab. Zu dessen Füßen wanden sich wie in unsäglicher Pein allerlei kriechendes Getier, Schlangen und seltsame Fabeltiere mit hässlichen Fratzen schienen sich selbst zu fressen und auch nackte Menschen streckten mit greinenden Gesichtern flehend die Hände nach dem himmlischen Wesen aus, um dem lodernden Höllenfeuer unter ihnen zu entkommen.
Das Bild in der Mitte war hingegen voller Trost für den Betrachter. Die Madonna, eingehüllt in einem hellblauen Mantel, hielt ihr süßes Kindlein beschützend in ihren Händen und obwohl sie noch kein Antlitz besaß, strahlte das Werk jetzt schon so viel mütterliche Fürsorge aus, dass Amanoue unwillkürlich leicht lächelte.
„Gefällt es dir?“, fragte Rafael und Amanoue drehte sich zu ihm um.
„Es ist riesig!“, entkam es ihm überwältigt nickend.
„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, meinte der Künstler lachend und nickte ebenfalls. „Es muss ja auch so groß sein, immerhin soll es ja den neuen Altarraum schmücken, den die Königsfamilie aus Dankbarkeit gestiftet hat!“
„Wofür sollte es doch gleich wieder sein?“, fragte Amanoue stirnrunzelnd.
„Als Dank, dass unserem König ein Thronerbe geschenkt wurde! Das Königspaar hat für die Taufe des Kronprinzen eine neue Ausschmückung ihres Altarraumes gespendet“, antwortete Rafael erklärend und Amanoues Miene wurde immer stutziger.
„Was für eine Thronerbe? Ist die Kind nischd gestorben?“, fragte er verdutzt nach und Rafael schüttelte erstaunt den Kopf.
„Nein, wie kommst du darauf? Ah“, meinte er dann allerdings erkennend, „du verwechselst da sicher etwas! Das Kind des Herzogspaares, Wilhelms und Hildegundes Sohn verstarb leider im letzten Jahr ganz plötzlich! Das Königshaus war voller Trauer darüber und deshalb hatte seine Majestät auch alle Festlichkeiten absagen lassen, aus Respekt und tiefem Mitgefühl für seinen geliebten Bruder“, erklärte er. „Zu Ostern soll nun aber die Taufe des kleinen Heinrichs stattfinden und die Königin ist so froh über dessen Geburt, dass sie sich sogar für eine Weile aus Dankbarkeit in ein Kloster zurückzuziehen gedenkt, um Gott zu preisen und zu dienen“, sagte er tief beeindruckt, was bei Amanoues nur zu noch mehr Verwirrung führte.
„Die kleine `einrisch? Isch glaube, isch verstehe hier wirklisch nischds mehr“, nuschelte er nur und winkte gleich wieder ab. „Na egal, isch, ich, finde es jedenfalls sehr schön und puh, auch eine wenig beeindruckend“, er drehte sich wieder zum Bild um und deutete auf den Engel. „Wie der einen ansieht, da könnte man eschd sofort eine schlechte Gewissen kriegen“, meinte er, instinktiv den Kopf einziehend. „Auf alle Fälle, habt Ihr damit aber die Geschmack von seine Majestät su hundert Prosent getroffen! Isch kenne da nämlich jemanden, der sieht dem da verdammt ähnlisch“, rutschte es ihm, dabei an Satory denkend, heraus. „Da stand Euch nischd sufällig eine gewisse Hauptmann Satorius Modell?“
Rafael blinzelt erst einmal irritiert. „Nun, ja, also ich muss gestehen, dass ich mich in der Tat von einem Hauptmann der Königsgarde habe inspirieren lassen, den ich kürzlich bei einer Audienz sah. Allerdings malte ich es aus dem Gedächtnis heraus, äh, woher kennst du ihn?“, fragte er durcheinander.
Amanoue zuckte nur die Achseln. „Sagen wir, ich kenne ihn einfach, ja? Und belassen es dabei“, erwiderte er, was einen erahnenden Ausdruck in Rafaels Mimik brachte. Ein regelrechts „Aaah!“, stand unausgesprochen in seinem Gesicht geschrieben und er nickte wohlweißlich. „Tja, und ich soll dann also die andere Engel werden?“, fragte Amanoue fast amüsiert nach und musste unweigerlich den Kopf darüber schütteln.
„Ja, genauso ist es!“, antwortete Rafael entschlossen.
„Warum hat die Jungfrau noch keine Gesicht?“, wollte Amanoue grübelnd wissen und Rafael seufzte hinter ihm auf.
„Ich habe ehrlich gesagt noch kein wirklich, wie soll ich es nennen, würdiges Antlitz dafür gefunden“, gab er ehrlich zu und räusperte sich leise. Amanoues Augenbrauen schnellten nach oben und er sah sich augenblicklich zu dem Künstler um. „Dein Gesicht, wäre wie erschaffen dafür“, meinte der beinahe entschuldigend und jetzt hätte Amanoue wirklich am liebsten gelacht. „Natürlich werde ich es leicht abwandeln, ihm noch weiblichere Züge verleihen, mütterliche, verstehst du?“
Amanoue musste sich abwenden und nickte nur. `Na, wenn IHN das mal nicht umhaut, Satory links, ich rechts und in der Mitte die heilige Jungfrau mit meinem Gesicht´, dachte er zynisch. Allerdings konnte er sich auch ein kleines Grinsen bei dem Gedanken daran nicht länger verkneifen und er musste sich eingestehen, dass er auch ein paar kleine, süße Rachegelüste dabei verspürte. „Seid Ihr Euch da wirklich sicher?“, fragte er dennoch sehr skeptisch und schlenderte zurück in die Wohnräume des Ateliers.
„Ja, selbstverständlich! Sonst wärst du ja nicht hier und umso länger ich dich betrachte, je sicherer werde ich mir“, antwortete Rafael, der ihm gefolgt war.
Amanoue zog sich aus und stieg in die Wanne. „Aah, das tut gut“, seufzte er, als er in das heiße Wasser glitt und erschauderte dabei wohlig, da sich in den letzten Wochen mittlerweile ein unangenehm juckender Schweiß und Fettfilm auf seiner Haut gebildet hatte. „Endlisch wieder eine Bad!“
„Warum suchst du nicht das öffentliche Bad auf? Es ist an mehreren Tagen im Monat auch für das gemeine Volk zugänglich und sogar umsonst“, meinte Rafael und setzte sich auf einen Hocker.
„Wirklisch? Das wusste ich gar nischd, aber, hm, nein! Lieber nischd, die ledsde Besuch dort hat mir gereischd“, erwiderte Amanoue nachdenklich murmelnd. „Tja, um nochmal auf vorhin surücksukommen, gut, ich willige ein, Ihr dürft mich malen! Aber ich lege alle Verantwortung in Eure Hände, es ist allein Eure Entscheidung“, sagte er, beide Hände abwehrend hebend.
„Ja, sicher doch! Ich verstehe deinen Einwand nicht ganz, was meinst du damit?“, hakte Rafael sofort erstaunt nach.
„Naja“, raunte Amanoue, seine Fingernägel kritisch betrachtend, „es könnte ja auch sein, dass Euer Gemälde ein klein wenig su viel Aufsehen erregen wird, aber isch wasche meine Hände in Unschuld“, antwortete er mit einem diabolischen Lächeln auf den zauberhaften Lippen und tauchte vollends unter.
„Das hoffe ich doch, dass es Aufsehen erregen wird“, meinte Rafael verständnislos. „So etwas wünscht sich schließlich jeder Künstler!“
Allerdings konnte er nicht mit dem rechnen, was das Bildnis tatsächlich auslösen würde. Es geriet zu einem regelrechten Skandal und das in mehrerlei Hinsicht…
***
Henry war froh, als die Audienzen vorüber waren. Entgegen Gregorius` Rat war er am Montagmorgen trotz einer schlaflosen Nacht, wie immer frühzeitig aufgestanden und war seinen Pflichten als König nachgekommen. Den ganzen Tag hatte er sich nichts anmerken lassen und auch den beiden Herzögen gegenüber immer wieder beteuert, dass es ihm gutginge.
Sobald der letzte Bittsteller fort war, lehnte er sich durchschnaufend zurück und schloss für einen Moment die müden, geröteten Augen. „Laurin, würdest du mich in meine Gemächer geleiten?“, fragte er sichtlich erschöpft und sein Page stand umgehend auf.
„Selbstverständlich, Eure Majestät“, flötete der zurück und reichte ihm sogleich eine helfende Hand.
„Wir werden dich ebenfalls begleiten“, raunte Richard mit einem besorgten Blick auf seinen Neffen.
„Unsinn, mir geht es gut“, lehnte der aber fast mürrisch ab, während sich beide Herzöge erhoben.
„Dir geht es nicht gut“, murrte Wilhelm verständnislos und Henry sah zu ihm auf.
„Mir, geht, es, gut!“, wiederholte er seine Worte nochmals mit Nachdruck, ergriff Laurins Hand und ließ sich aufhelfen.
„Das sieht man! Du kannst dich kaum noch auf den Beinen halten“, warf Richard ihm wieder vor und trat neben ihn. „Lass mich dir wenigstens die Treppe hochhelfen!“
„Fass mich ja nicht an! Verdammt, ich habe vergangene Nacht lediglich schlecht geschlafen und bin einfach nur hundemüde“, zischte der König seinen Onkel wütend an und straffte sich. Tief durchschnaufend ließ er Laurins Hand los und marschierte stolzen Hauptes davon. Sein Page warf den anderen beiden noch einen bedauernden Blick zu und eilte ihm nach.
„Er gefällt mir gar nicht“, brummte Wilhelm.
„Meinst du mir? Dieser verdammte Sturkopf!“, schimpfte Onkel Richard und beide blickten sie ihrem geliebten König hilflos hinterher, wie der tapfer die Treppe hochstieg.
Oben angekommen, blieb er allerdings kurz stehen und wankte bedrohlich vor und zurück. Die zwei Gardisten hinter ihm ließen beide ihre Hellebarden fallen und streckten schon in Erwartung den König auffangen zu müssen ihre Hände aus, doch Henry fing sich gerade noch und hielt sich stattdessen wieder an Laurin fest. „Eure Majestät!“, entkam es dem erschrocken, wobei er Mühe hatte, dessen Gewicht auf seiner Schulter zu stemmen. „Holt Gregorius! Sofort, ihr zwei Idioten“, schrie der Page die Wachen an und tatsächlich drehte sich einer von ihnen um und rannte so schnell er konnte wieder die Steinstufen hinab.
„Majesté, wenn Ihr erlaubt“, sagte der andere so sanft, dass Henry sich erstaunt umsah. Bernard streckte vorsichtig die Hand aus und der König nickte zustimmend. Ohne ein weiteres Wort trat der Savoyer neben ihn und legte stützend seinen kräftigen Arm um dessen Taille. Beinahe mühelos führte er Henry bis in dessen Gemächer und ließ ihn auf eine der Liegen niedersinken.
„Danke, seine Majestät braucht dich nicht mehr“, entließ ihn Laurin dermaßen hochnäsig, dass Bernard gerade deshalb stur stehenblieb und nur eine leichte Verbeugung andeutend, einen Schritt zurücktrat.
„Hast du mich nicht verstanden, Savoyer?“, blies der Giftzwerg sich noch mehr auf und Bernard sah ihn gelassen an.
„Ich bin ja nicht taub, aber ich nehme keine Befehle von einem Pagen entgegen, Lothringer“, erwiderte er lässig lächelnd.
„Schon gut“, mischte Henry sich dazwischen. „Ihr könnt gehen, beide! Laurin, lass Kai zu mir kommen und Ihr Leutnant, nehmt Euren Mund nicht so voll, in meiner Gegenwart!“, blaffte er beide an.
Der Gardist schien zwar im ersten Moment leicht verunsichert, verbeugte sich dann aber nochmals und marschierte hinaus, während Laurin geradezu unterwürfig die Augen niederschlug. „Eure Majestät, soll ich nicht warten, bis Gregorius hier ist?“, fragte er besorgt, wobei er allerdings nur seinem Kontrahenten von eben eins auswischen wollte.
Der König nickte tatsächlich dankbar zu ihm hoch und Laurin strahlte ihn an. „Schenke mir doch bitte einen Becher Wein ein“, sagte Henry und der Kleine beeilte sich dem nachzukommen.
Gleich darauf kam der Heiler herein und musterte Henry kurz auf seine vorwurfsvolle Weise. „Es geht mir gut, Herrschaftszeiten“, brummte der ihn sofort an. „Ich bin auf der Treppe ein wenig ins Wanken geraten, mehr nicht!“
„Eure Majestät, diese Schwächeanfälle, auch wenn Ihr sie als `klein´ bezeichnet, machen mir ernsthaft Sorgen!“, erwiderte Gregorius und beugte sich vor. Er befühlte Henrys Stirn und Wangen und setzte sich unaufgefordert neben ihn. „Darf ich Euren Puls fühlen?“ Da er zu Henrys linker Seite saß, reichte der ihm auch diesen Arm und der Heiler schob den Ärmel zurück. „Leider bräuchte ich die andere“, meinte er, leise seufzend auf den Armreif blickend. Allerdings ließ er Henrys Hand nicht los und so sah der ihn fragend an. „Eure Majestät, warum macht Ihr es Euch so schwer?“
Henry zog fast ein wenig zu heftig seine Hand zurück und hielt ihm die andere hin. „Laurin, hatte ich dich nicht gebeten, nach Kai schicken zu lassen?“, brachte er nur noch krächzend heraus. „Geh!“
Der Junge deutete nur widerwillig eine Verbeugung an und stapfte mürrisch hinaus. „Und?“, fragte Gregorius sanft und Henry fiel weinend in seine Arme. „Oh, Eure Majestät“, entkam es dem Heiler voller Mitgefühl und er drückte den König fest an sich.
„Niemand versteht mich wirklich“, klagte der sein Leid und schmiegte sich regelrecht an Gregorius. „Alle sagen mir nur immer wieder, dass ich ihn vergessen soll oder, dass ich ihn besser gleich hätte umbringen lassen sollen, aber ich kann ihn einfach nicht vergessen“, wimmerte er schluchzend. „Ich weiß doch selbst, dass ich mich wie ein Idiot aufführe, aber ich bekomme ihn einfach nicht aus meinem Kopf. Nachts liege ich wach und denke unentwegt an ihn und wenn ich mal schlafe, dann träume ich nur von ihm! Ich weiß ja nicht einmal, was aus ihm geworden ist oder wo er ist! Nichts, nicht die kleinste Nachricht oder irgendeine Botschaft, über seinen Verbleib, hat er mir hinterlassen. Er ist einfach gegangen“, schluchzte er verzweifelt. „Ich war noch einmal drüben, in seinem Gemach und dort fand ich einen Brief, den er allerdings schon vor Monaten geschrieben haben muss, mit seinem Geständnis! Er bat mich um Verzeihung, so als hätte er da alles schon geahnt, also noch vor der Geburt seines Balgs!“, wimmerte Henry weiter und setzte sich wieder zurück. „Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals vergeben werde können, aber eines weiß ich mit Sicherheit, vergessen kann ich ihn nicht. Ich möchte doch nur wissen, wo er ist. Warum schrieb er mir diesen Brief, in dem er mir sogar seine Liebe beteuerte und jetzt keine einzige Zeile? Er hat nichts mitgenommen, gar nichts und dies schmerzt mich umso mehr“, sagte er den Kopf bitter schüttelnd.
„Es tut mir so leid für Euch, Eure Majestät und glaubt mir, wenn ich es könnte, würde ich alles dafür tun, um Euer Leid zu mindern. Ich habe mich inzwischen sogar heftig mit Marius zerstritten, deswegen, deinetwegen“, sagte Gregorius leise und tief bekümmert.
Henry sah ihn beinahe staunend an und der Heiler nickte leicht. „Er weiß auch nichts, über Amanoues Verbleib oder will es mir nicht sagen. Ich war daraufhin sogar drüben im Wachgebäude, aber auch dort konnte mir keiner weiterhelfen. Man sagte mir nur, dass er wohl bis vor kurzem noch dort gelebt hätte, nun aber fort wäre. Benedicto selbst sagte mir, dass Amanoue noch am gleichen Tage Eures Ausrittes seine Sachen zusammengepackt hätte und seitdem spurlos verschwunden wäre. Ohne jeden Hinweis und ohne sich von seinen Freunden zu verabschieden. Brac wäre seitdem untröstlich darüber und hätte eine Mordswut auf ihn, was er seitdem in reichlich Bier zu ertränken versuche. Ihr seht also selbst, Eure Majestät, Amanoue hat allem Anschein nach wirklich alles hinter sich gelassen und…“ Gregorius senkte betrübt den Blick, „er ist einfach auf und davon! Und glaubt mir, auch mich schmerzt dies zutiefst, aber nicht nur, weil ich mich von ihm enttäuscht fühle, sondern vor allem, wegen… dir“, kam es nur noch mühsam über seine Lippen.
„Warum?“, fragte Henry halb erstickt.
„Weil ich dich liebe“, antwortete Gregorius und erstickte vollends jedes weitere Wort mit einem innigen Kuss. Henry wehrte sich nicht, anfangs einfach nur, weil er schlichtweg zu baff war, doch dann erwiderte er den Kuss voller Leidenschaft. Als er auch noch begann, an Gregorius` Kleidern zu zerren, schob der ihn jedoch energisch von sich. „Nicht, Eure Majestät, man hat uns schon einmal beinahe erwischt“, sagte er ermahnend.
„Na und? Ist mir in diesem Moment einfach nur gleich“, murmelte Henry zurück und schnappte wieder küssend nach ihm.
„Nein! Nein“, wiederholte Gregorius sanfter und hielt ihn an den Handgelenken fest. „Glaube mir, ich will es ebenso, ich will dich! Aber Eure Majestät dürfen sich keinen weiteren Fauxpas erlauben! Euer Page kann jeden Moment zurückkommen!“
„Ist mir Scheißegal!“, widersprach Henry erneut trotzig und erhaschte einen weiteren Kuss. Dabei knabberte er so bettelnd sehnsüchtig an Gregorius` Lippen, dass der nur noch seufzen konnte.
„Henry“, wisperte er derart verlangend zwischen zwei Küssen zurück und der König rang regelrecht nach Luft.
„Ich will es, ich, will, dich! Bitte, ich brauche es, dich“, raunte er so innig, dass der Heiler ihn nur wieder an sich ziehen konnte und ihre Lippen erneut miteinander verschmolzen.
„Und was wird aus Laurin?“, keuchte Gregorius wieder ermahnend auf und dieses Mal schob Henry ihn zurück.
„Warte!“, unterbrach er das leidenschaftliche Spiel ihrer Zungen und stand auf. Er hob kurz einen Zeigefinger, was Gregorius zum Schmunzeln brachte und eilte zur Tür, die er regelrecht aufriss.
„Lasst keinen mehr durch!“, befahl der König energisch und die Wachen salutierten. „Niemanden! Ich möchte bis morgenfrüh nicht gestört werden, von keinem! Ist das klar?! Und“, er sah beide eindringlich an, „niemand ist mehr bei mir!“
Erneut salutierten die Wachen und neigten verständig ihre Häupter. Henry verschloss die Türe wieder und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Nun, mein Heiler, es ist Zeit für eine ausgiebige Massage, ab ins Schlafzimmer mit Euch und wehe, wenn Ihr nicht genau da weiter macht, wo wir damals unterbrochen wurden“, raunte er erwartungsvoll.
Gregorius´ Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Es ist mir eine Ehre, Eure Majestät und, ich werde mir außerordentliche Mühe geben! Stets zu Euren Diensten“, sagte er mit einem rauen Unterton, nahm sich die Kappe vom Kopf und schüttelte seine schwarze Lockenmähne aus.
***
Am gleichen Tag erreichte endlich auch Sebastian Kais Nachricht und der öffnete diese sogleich. Die ganze Zeit über hatte er nichts vom Königshof gehört und alle seine Briefe an Henry waren unbeantwortet geblieben. Gut, er hatte es bislang auf den harten Winter geschoben, aber dass er nun einen Brief von Kai in seinen Händen hielt, erstaunte ihn doch und noch mehr, was er darin las:
„Mein lieber Sebastian!
Ich hoffe, es geht dir gut und du hast den strengen Winter gesund überstanden, denn eines vorneweg, du musst unbedingt zurückkommen! Bitte, Sebastian, ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich dringend wäre! Du kannst dir nicht vorstellen, was hier los war und noch immer ist! Ich kann dir leider nicht Näheres dazu schreiben, aber ich nehme an, dass du es auch so ahnst, was ich damit meine!!! ER, hat sein Kätzchen verloren und dies ist noch bei weitem nicht alles, was sich in den letzten Monaten ereignete!
Darum bitte ich dich nochmals, nach Hause zu kommen! ER braucht dich mehr denn je und ich auch, mit den allerliebsten Grüßen,
dein Kai, in der Hoffnung, dass du bald diese Zeilen erhältst.“
Sebastian ließ den Brief sinken und schloss vor Bestürzung die Augen. Was hatte das zu bedeuten? War Amanoue etwa tot? Das Geschwür! Oh nein…
Der alte Mann schluchzte leise auf, bei dem Gedanken daran und innerlich zerriss es ihn schier, weil er sich noch immer diese schlimmen Vorwürfe machte. Er hatte ihn allein gelassen…
Und Henry auch! Wie schlimm musste es für den erst gewesen sein, wenn es schon sein eigenes Herz vor Schmerz zerbersten ließ. Deshalb kam also keine Nachricht!
Sebastian rollte den Brief zusammen, stand auf und packte noch am gleichen Tag alles Nötige für die Reise zusammen.