Читать книгу Es war einmal ein Prinz - Rachel Hauck, Rachel Hauck - Страница 10
FÜNF
ОглавлениеUm halb sieben schlüpfte Susanna in das schwarze Etuikleid, das sie – samt einem passenden Paar Schuhe – für Hochzeiten und Militärbälle im Schrank hatte.
Schwarz. Wie passend. Nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie so schnell wohl kein weißes Kleid tragen würde, erschien ihr ein eleganter Abend ganz in schwarz, in Gesellschaft der Elite des südlichen Georgia, fast ironisch. Aber sie beschloss, das Ganze eher als einen therapeutischen Ansatz zu betrachten.
Sie bekämpfte einen Anflug von Traurigkeit, als sie sich im Badezimmer ihrem Spiegelbild entgegenlehnte. „Du wirst darüber hinwegkommen. Adam hat nur das gemacht, was du schon lange hättest tun sollen – er hat die Wahrheit gesagt.“
Aber zwölf Jahre? Bäh. In ihrem Magen formte sich ein Knoten, der allerlei saure Bedenken absonderte. Warum war sie still geblieben, obwohl sie tief in ihrem Inneren … ganz tief in ihrem Inneren Bescheid gewusst hatte? Sie stellte ihre Integrität und ihr Urteilsvermögen infrage. Ihren Mut.
Aber sie hatte sich von der Aussicht auf ein sicheres Leben an der Seite des kontrollierten und ehrbaren Adam Peters blenden lassen. Natürlich hatten auch sie ihre Auseinandersetzungen und Konflikte gehabt, aber am Ende war er immer ihre sichere und verlässliche Zukunft gewesen. Jemand, auf den sie sich verlassen konnte.
Ein Hupen in der Einfahrt teilte ihr mit, dass die Zeit zum Nachdenken vorbei war. Sie schnappte sich ihre silbrige Clutch von der Frisierkommode und stopfte eilig einen Zwanzig-Dollar-Schein, einen Lippenstift und ihr Handy hinein.
Zeit, auszugehen – und weiterzugehen.
Gage empfing sie an der Haustür mit einem Blumenstrauß in der Hand, den er ihr mit einem unbeholfenen „Hier“ entgegenstreckte.
„Oh-okay.“ Ihre Hand zitterte, als sie die Plastikfolie umschloss. Das Adrenalin und jegliche Hoffnung, schnell über Adam hinwegzukommen, ließen schlagartig nach. Sie fühlte sich schwach und sehr nah am Wasser gebaut. „Gage, ich … danke dir.“
Das ganze Thema Blumen kaufen, schenken, geschenkt bekommen war mit Adam immer eine heikle Geschichte gewesen. Gage wusste das, oder jedenfalls hatte er das vor einiger Zeit einmal gewusst. Damals hatte er sich auf Susannas Seite gestellt, als Adam auf Heimaturlaub war.
„Schenk der Dame mal ein paar Blumen, Adam.“
Der geradlinige Marine betrachtete Blumen als Geldverschwendung. In aller Regel sah Susanna das ja auch ein. Außer an Jahrestagen, Geburtstagen und am Valentinstag. Besonders, weil er die meiste Zeit der letzten sechs Jahre im Ausland verbracht hatte. Bis auf einen einzigen hatte er ihre letzten sieben Geburtstage verpasst.
„Ja, also, vergiss es einfach. Ich hab sie bei Publix gesehen. Die orangenen Blumen gefielen mir. Hör zu …“ Gage machte eine Kopfbewegung zum Auto hin und bot ihr seinen Arm an. „Heute Abend sollten wir folgendermaßen vorgehen –“
„Gage, warte mal, vielleicht solltest du doch ohne mich dorthin gehen.“ Susanna ging zurück ins Haus und legte das Bouquet auf ein Beistelltischchen neben der Tür. Sie konnte das nicht bringen … Sie brachte es einfach nicht … Die ganze Insel wusste Bescheid.
Den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau.
„Jetzt komm schon, Suz. Lass uns diesen Auftrag gewinnen. Dieser Krankenhausflügel wird uns ein Jahr lang solide schwarze Zahlen schreiben lassen.“
„Uns?“
„Ja, uns. Die Firma.“ Er bot ihr einmal mehr den Arm an, aber Susanna ging alleine die Treppe hinunter. So gut er in seinem schwarzen Smoking und mit seinem sorgfältig frisierten Haar auch aussah, war Gage doch einfach nur ihr Chef. Einfach nur ihr Freund.
Bei den Butlers reihte sich Gage ein, um das Auto einem dienstbaren Geist zu überlassen. Er überprüfte sein Aussehen im Rückspiegel und wandte sich Susanna zu, bevor er die Autoschlüssel einem Mann in roter Uniform übergab.
„Einschmeicheln, Honig ums Maul schmieren, umgarnen. Das ist die Strategie für heute Abend. Ach, und die Veranstaltungsmanagerin hat mir gesagt, dass die Mitglieder des Krankenhauskomitees Anstecknadeln mit roten Schleifen tragen werden.“
„Die Veranstaltungsmanagerin?“ Susanna öffnete die Autotür.
„Mit einem Abendessen und einer Fuhre Komplimente kann man ganz schön viel in Erfahrung bringen.“
„Gage, es ist ein Auftrag. Verkauf deine Seele nicht dafür.“
„Wir brauchen diesen Auftrag, Susanna. Wir. Brauchen. Diesen. Auftrag.“
Das Herrenhaus der Butlers war schön. Es war aus alten Flusssteinen gebaut, und das Foyer war ganz in Marmor gehalten. Ein Kristalllüster hing über der handgearbeiteten Mahagonitreppe und Damastgardinen zierten die sechs Meter hohen Fenster.
Susanna war vor vielen Jahren schon einmal im Haus gewesen, als Mrs. Butler sie eingeladen hatte, bei den „Debütantinnen“ mitzumachen, einer Hilfsorganisation. Jedes Jahr im Frühling pflanzten sie Blumen auf der ganzen Insel und hielten an einem Samstagabend einen Abschlussball mit einem jeweils passenden Motto.
Aber die Opulenz und der marmorne Reichtum des Herrenhauses, die Anmut und der offenkundige Wohlstand der anderen Bewerberinnen für die Debütantinnen hatten Susanna schnell wieder zu sich kommen lassen. Zu ihren Wurzeln. Dorthin, wo sie hingehörte … ins Volleyballteam der Schule und zum Kellnern ins Rib Shack, wo ihr Surfbrett an der Außenwand der Küche lehnte.
Dann, im gleichen Sommer, war Adam mit seinen Eltern zum Abendessen ins Rib Shack gekommen. Die Eltern waren irgendwann gegangen, aber Adam hatte auf dem Parkplatz auf Susanna gewartet, um sie ins Kino einzuladen.
„Lasst das Schmeicheln beginnen!“ Gage führte sie in den Ballsaal, in dem es nur so wimmelte von Smokings und paillettenbesetzten Kleidern, die über einem schimmernden Tanzboden aus Walnussholz glitzerten.
Warme Luft umhüllte Susanna. Sie wollte am liebsten sofort wieder gehen. Ein vorübereilender Diener gab ihr ein Glas Wein, und sie trat weiter hinein in die aristokratische Welt Georgias. Beinahe sehnte sie sich nach ihrem Surfbrett und einem Hauch Barbecue.
Als sie eine Frau mit einer Schleife am Träger sah, atmete Susanna tief ein und arbeitete sich durch die Menschenmenge zu ihr vor. Lasst das Schmeicheln beginnen.
„Hallo“, sagte Susanna. Sie waren zu dritt … in Kleider gezwängt, die zu eng und zu tief ausgeschnitten waren.
„Hi“, antworteten die anderen und warfen ihr einen kurzen Blick zu.
„Glaubt ihr wirklich, dass er kommt?“, frage eine füllige Blondine in einem blauen trägerlosen Kleid, das ihre sehr sichtbaren Vorzüge kaum verhüllte. „Carlene Butler behauptet schon seit Nixons Zeiten, sie habe königliche Wurzeln. Aber ich habe noch nie den kleinsten Beweis dafür gesehen.“ Die Frau trank den Rest ihres Weins und leckte sich die Lippen. „Nicht den kleinsten.“
„Nicht nur königliche Wurzeln, Süße. Sie ist mit der königlichen Familie verwandt.“ Die Brünette mit der roten Schleife unterdrückte ein Kichern. „Ich kann mir schon denken, was die Royals zu Carlene Butlers Ansprüchen zu sagen haben.“
„Jetzt reißt euch aber mal zusammen, ihr alle!“ Die Rüge kam von einer Frau mit leuchtend roten Haaren und einem kanariengelben Kleid. „Carlene ist eine tolle, aufrechte Frau. Behaltet euren Tratsch für euch, bis wir wissen, ob er hier ist oder nicht.“
Er – wer? Susanna stellte ihren Wein auf ein Tablett mit leeren Weingläsern, das gerade an ihr vorbeischwebte. Das Letzte, was ihr verletztes Herz jetzt gebrauchen konnte, war Rebensaft. Sie brauchte ihre Sinne bei sich.
Der Rotschopf reckte seinen Kopf zu Susanna hin: „Bist du nicht Glo Truitts Tochter?“
„Ja, Ma’am.“
„Liz Cane.“ Sie nahm ihr Weinglas in die linke Hand und bot Susanna die rechte an. „Erinnerst du dich an mich? Ich bin mit deiner Tante Jen befreundet. Das hier sind Cybil und Babe.“ Die Blondine und die Brünette. „Egal, meine Liebe. Es tut mir so leid für dich.“ Die Frau presste ihre Hand auf Susannas Arm. „Dieser Peters gehört erschossen.“
Holla die Waldfee. Scham und Verlegenheit trieben Susanna den Schweiß auf die Stirn.
„Warum? Was hat er getan?“ In Babes Augen glitzerte die Gier nach Tratsch, als sie näher an Susanna heranrückte.
„Nichts“, sagte Susanna. Das ging sie nichts an. Aber sie war dankbar, dass wenigstens eine Person auf der Insel anscheinend noch nichts von ihrem Kummer gehört hatte.
„Er hat ihr gesagt, dass er den richtigen Ring gefunden hat, aber nicht die richtige Frau.“
Cybil und Babe japsten gleichzeitig nach Luft und wichen zurück, die Hände in einer dramatischen Geste aufs Herz gelegt.
„Das hat er nicht.“ Cybils Augen hätten vor lauter Schock kaum größer werden können. „Wie in aller Welt kann es sein, dass du nicht komplett außer dir bist?“
„Ach du meine Güte. Ich wäre hinüber … völlig hinüber.“ Babe betrachtete Susanna, als könnte sie vielleicht irgendwo einen Riss entdecken, der anzeigte, dass sie kurz davor war, aus dem Leim zu gehen. „Ist das nicht der hochdekorierte Marine, der Kriegsheld und all das?“
„Er war einfach nur ehrlich“, platzte Susanna mit dem Geständnis heraus. Im selben Moment wünschte sie sich, sie hätte nichts gesagt, weil es zu Nachfragen einlud. Sie wollte sich wegen des Krankenhausflügels bei der Lady mit der roten Schleife einschleimen. Nicht ihr kaputtes Liebesleben diskutieren.
„Ehrlich?“, höhnte Cybil und hielt eine Servierkraft an, um sie mit einer weiteren Runde Wein zu versorgen. Sie nahm zwei Gläser und gab eins an Babe weiter. „Es gibt ehrlich, Schätzchen, und es gibt brutal.“
„Aber ich bin nicht die richtige Frau.“ Hör auf zu reden, Susanna. Diese Frauen waren ihre Bekenntnisse nicht wert. Sie waren Fremde mit einem ausgeprägten Hang zum Voyeurismus. „Babe, Sie sind im Komitee für den Krankenhausflügel?“
„Versuch es gar nicht erst, Süße. Wir wissen, dass du für Gage Stone arbeitest.“ Babe sah sie über den Rand ihres Weinglases an. „Was denkt der sich eigentlich dabei, dich hierherzuschleppen, um uns in den Hintern zu kriechen, während du in einer solchen Liebestragödie steckst.“
Meine Herren. Na gut. Kein Honig um Babes hübsches Schnütchen. Susanna sah sich nach Gage um und entdeckte ihn schließlich an der Seite einer majestätischen Frau mit silbernem Haar, die ein elegantes cremefarbenes Kleid trug. Carlene Butler. Er fing ihren Blick auf und winkte sie zu sich herüber.
„Bitte entschuldigen Sie mich.“ Susanna schob sich durch die dichte Menge. Es konnten sich kaum weniger als dreihundert Menschen in diesem kleinen Ballsaal befinden. „Entschuldigung.“ Sie hielt die Luft an und zog den Bauch ein, während sie versuchte, sich durch die Ansammlungen kleiner Frauengrüppchen zu drängen.
Wieso rückten die denn noch enger zusammen, anstatt ihr Platz zu machen?
„Lassen Sie mich doch bitte einfach hier durch …“ Sie lächelte Hinterköpfe an. Passierte da irgendetwas Interessantes am Eingang? Jeder einzelne der Körper strahlte so viel Wärme ab. Susanna fühlte sich langsam, als könne sie keinen einzigen richtigen Atemzug mehr tun.
Muss … hier … raus.
„Er ist hier.“
„Wo?“
„Ist er das?“
„Ach du liebes …“
In ihrem Kopf dröhnte das Flüstern. Wer war hier? Endlich ergab sich eine kleine Öffnung inmitten der Smokings und Kleider. Susanna kam in einer kleinen kühlen Schneise heraus, als gerade drei dunkelhaarige Männer mit einer greifbaren Aura der Autorität die Gäste zurückweichen ließen. Susanna wurde aus ihrer Schneise heraus wieder in die flüsternde Hitze hineingeschoben.
„Er ist es nicht.“
„Oh, wie schade. Bist du sicher?“
„Wahnsinn, er ist es wirklich. Großer Gott, er ist hier.“
Ja, nun, sie jedenfalls war draußen. Vergiss Gage und die Schmeicheleien, Susanna brauchte frische Luft. Es war nicht nur der überfüllte heiße Ballsaal, es war das ganze Leben, das sich auf sie stürzte und ihr die Luft nahm. Als ihr Handy in ihrer Clutch klingelte, war es die perfekte Ausrede, sich fürs Erste aus dem Staub zu machen.
„Entschuldigung. Bitte entschuldigen Sie mich.“ Susanna schlug sich nach Osten zum Ausgang des Ballsaals durch und ließ den geheimnisvollen Gast und die Menschenmenge hinter sich. Außerdem hatten die besonderen Gäste alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sodass vorläufig sowieso jegliches Einschmeicheln zum Erliegen gekommen war.
Gage hätte sein Abendessen und seine Komplimente besser darauf verwendet, die Veranstaltungsmanagerin nach dem Überraschungsgast auszufragen. Aber so, wie sie ihn kannte, interessierten ihn nur die Namen der wichtigen Entscheidungsträger im Komitee für den Bau des Krankenhausflügels.
„Hallo?“ Ihre Stimme hallte durch das hohe, kuppelüberspannte Foyer, als sie den Ballsaal verließ. Ihre Absätze klackerten auf dem polierten Boden.
„Suzy, wo – wo bist du?“ Avery.
„Ich bin mit Gage unterwegs. Bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung bei den Butlers. Aves, geht’s dir gut?“ Susanna trat durch die Haustür in die diesige rosa Nacht. Ihre Schwester war 17, athletisch, schlau, beliebt und ein bisschen verwöhnt, aber der Unterton in ihrer Stimme klang nach mehr als der üblichen Teenagerdramatik.
„Was ist passiert?“
„Es geht um Daddy. Er hat in der Küche gearbeitet … und auf einmal lag er auf dem Boden und hielt sich den Arm.“
„Ruf den Notarzt!“
„Das hat Catfish schon gemacht, aber Suz, Daddy sagt, er will nicht ins Krankenhaus, und Mama ist nicht hier.“
„Erinnere ihn daran, dass sie früher oder später zurückkommen wird.“
„Daddy.“ Averys Stimme klang dumpf. „Suzy sagt, Mama kommt sowieso früher oder später nach Hause.“
Susanna konnte ihren Vater im Hintergrund reden hören.
„Okay, er sagt, er fährt mit.“ Avery klang sehr erleichtert.
„Ruf mich an, wenn ihr im Krankenwagen seid. Ich mache mich auf den Weg zum Krankenhaus.“ Sie kehrte um und ging zum massiven doppeltürigen Eingangsportal der Butlers. Sie musste Gage finden.
„Suz, ich habe Angst.“
„Es wird alles gut werden, Avery. Die Sanitäter werden sich um ihn kümmern. Bleib einfach ruhig.“
„Mach ich. Aber bitte, bitte bete.“
Susanna lehnte sich gegen eine der Säulen des Portals und konzentrierte ihre Gedanken. Ihr Gebet war kurz, kam aber voller Kraft aus der Tiefe ihres Herzens. Mach Daddy gesund.
Durch das Telefon hörte sie Averys Weinen und das Tatütata des Krankenwagens.
„Sie sind hier.“
„Dann fahr mit. Sei bei Daddy. Ich treffe euch im Krankenhaus.“
Als Susanna das Foyer wieder betrat, klatschten die Gäste gerade und versuchten, an das Stirnende des Raumes zu kommen.
Gut, Gage, wo bist du?
Ihr Lächeln ließ die Gesichter der Gäste warm aufleuchten und ihr ursprünglich zweifelndes Flüstern war nun voller Überzeugung.
„Kannst du das glauben? Und das hier auf St. Simons Island.“
„So eine wunderbare Rede.“
„Kurz und auf den Punkt. Genau wie ich es mag.“ Das Kreischen einer Rückkopplung zerschnitt die Luft und ließ die Gäste mit viel „Oh“ und „Ah“ zurückweichen.
„In 15 Minuten wird das Abendessen serviert. Bitte begeben Sie sich in das Speisezimmer.“
Susanna drängte sich durch die Menschenmenge bis dorthin vor, wo sie Gage zuletzt gesehen hatte. Die Gäste drängten sich in den schmalen Türen zum Speisezimmer. In diesem Durcheinander würde sie ihn nie finden.
Sie versuchte, Gage auf dem Handy anzurufen, aber schon nach dem ersten Klingeln sprang die Mailbox an.
Warte. Denkfehler. Gages Auto und die Autoschlüssel waren doch bei der Parkaufsicht. Der Wachmann würde ihren Notfall sicher verstehen und den Wagen vorfahren.
Als sie sich unvermittelt umgedreht hatte, machte Susanna genau einen Schritt, bevor sie in einen Mann hineinrannte.
„Entschuldigung, tut mir leid, aber ich muss wirklich ganz schnell –“
„Susanna?“
Sie sah hinauf in das kantige Gesicht von Nate Kenneth. „Nate? Hallo. Was machen Sie denn hier?“
„Das Gleiche könnte ich Sie fragen.“ Er lächelte und verbeugte sich leicht. Eine Art Stromschlag fuhr ihr durch den Bauch. „Ich bin hier, um die Finanzierung des neuen Krankenhausflügels zu unterstützen.“
„Ich bin mit meinem Chef hier. Er versucht, den Auftrag für die Erweiterung an Land zu ziehen.“ Sie warf einen Blick zurück in den Ballsaal. Letzte Chance, Gage zu finden, bevor sie sich seinen Wagen auslieh. Er würde wahnsinnig wütend werden, aber wenn er herausfand, was passiert war, hätte er sicher Verständnis. Vollstes Verständnis. Oder? Gut, mal davon abgesehen, dass sein Auto seine erste und einzige große Liebe war.
„Sie sehen besorgt aus.“
„Ich muss ins Krankenhaus.“ Komm schon, Gage. Wo bist du? Ich leih mir mal schnell dein Auto. „Meine Schwester hat angerufen …“ Sie sah Nate an, und seine ruhige Aufmerksamkeit ließ ihre Knie weich werden. „Mein Vater …“
„Wieso stehen Sie dann noch hier? Auf geht’s, sehen wir zu, dass wir Sie ins Krankenhaus schaffen. Kommen Sie.“ Er knöpfte seine Smokingjacke auf und bot ihr die Hand an. „Ich fahre Sie.“
„Nein, nein. Darum kann ich Sie wirklich nicht bitten, Nate. Danke.“ Sie sah sich noch einmal um. „Ich kann das Auto von meinem Chef nehmen. Wenn der Sicherheitsmann seinen Autoschlüssel herausrückt.“
„Mein Auto steht genau da drüben.“ Er schnappte sich ihre Hand, ohne auf ihre Antwort zu warten, und zog sie in einen dämmerigen, schmalen Flur, während er sein Mobiltelefon aus der Tasche holte. „Liam, fahr den Wagen vor. Eine Freundin braucht eine Fahrt ins Krankenhaus.“
„Nate, ich kann Sie nicht von diesem Abendessen hier wegholen.“ Sie musste sich beeilen, um mit seinen langen Schritten mithalten zu können. „Haben Sie mitbekommen, dass ein königlicher Ehrengast erwartet wird?“ Sie blieb mit dem Absatz im tiefen Flor des Teppichs hängen und fiel gegen seinen Arm.
Er hielt an. „Ein königlicher Ehrengast?“
„Ja. Das haben jedenfalls die Kunstfaser-Tanten behauptet. Irgendeine königliche Verwandschaft von Mrs. Butler.“
Er ging weiter. „Was glauben Sie, von wem sie wohl gesprochen haben?“
„Ich weiß es nicht … Hey“, sagte sie leise. „Sie sind doch aus Brighton. Wäre es nicht lustig, wenn Sie der Ehrengast wären?“
„Ein echter Schenkelklopfer. Sollen wir zusehen, dass wir ins Krankenhaus kommen?“
„Ich hab mich sowieso noch nie für Königshäuser interessiert. Wer heiratet schon einen Prinzen, außer Kate Middleton, meine ich?“
„Ganz genau.“
Nate führte sie durch eine Tür unter der Treppe, und sie kamen in einer eingebauten Garage heraus.
„Eine geheime Garage?“ Luxuslimousinen standen aufgereiht vor den verschlossenen Garagentoren. Ein Bediensteter hastete auf sie zu.
„Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?“
„Öffnen Sie bitte schnell das Tor. Wir müssen ins Krankenhaus.“
„Ja, Sir.“
„Nate, sind Sie sicher … Wie ist denn Ihr Auto hier hineingekommen?“
„Ah, da ist ja Liam.“
Ein Schrank von einem Mann mit einer sehr stämmigen Erscheinung, der sich in seinem Smoking sichtlich unwohl fühlte, marschierte auf sie zu.
„Gib Gas, Liam.“ Nate öffnete die Beifahrertür für Susanna, bevor er sich selbst auf den Rücksitz setzte.
Der große Mann sagte keine Silbe, während er den Wagen zügig rückwärts aus der Garage setzte. Als er den Vorwärtsgang einlegte, streifte er Susanna kurz mit einem Blick und fragte: „Southeast Medical?“
„Ja.“ Hinter ihr legte ihr Nate eine Hand auf die Schulter und lehnte sich in seinem Sicherheitsgurt so weit es ging nach vorne, um die Straße besser sehen zu können.
Der große Wagen donnerte vorwärts, während Liam ihn durch den Verkehr lenkte.
„Danke. Ihnen beiden.“ Sie hatte nur einen Moment lang Gelegenheit, um die Stimmung zwischen den beiden Männern zu erkunden. Es war, als ob der eine dem anderen diente. Aber ihr Telefon klingelte, bevor sie weitere Schlüsse ziehen konnte.
„Avery?“
„Es ist ein Herzinfarkt, Suz. Er ist so blass.“ Die Worte ihrer Schwester klangen vor Angst ganz vernuschelt. „Bist du auf dem Weg?“
„Ich bin in fünf Minuten da.“
Nate machte den Arm lang und nahm ihre Hand. Er tröstete sie ohne Worte und nahm ihr ein kleines Stück ihrer Last ab.