Читать книгу Es war einmal ein Prinz - Rachel Hauck, Rachel Hauck - Страница 12
SIEBEN
ОглавлениеNathaniel joggte den Strand entlang einem Möwenschwarm hinterher. Bilder von Susanna geisterten ihm im Kopf herum. Schon beim Aufwachen hatte er an sie gedacht und sie seitdem nicht aus seinen Gedanken verbannen können.
Als er von seinem Telefonat mit Liam zurückgekommen war, hatte er sie zitternd vorgefunden. Sie tigerte hin und her und diskutierte murmelnd mit sich selbst. Ihr Chef war vorbeigekommen, und sie hatte den Mut aufgebracht, ihm zu sagen, dass sie kündigte. Warum, wusste Nathaniel nicht, und er fragte sie auch nicht danach, während er sie nach Hause brachte. Aber er liebte ihren Mumm und das im Schatten der Trennung von ihrem Möchtegern-Verlobten.
„Ich kündige.“
Wie unglaublich befreiend. Nathaniel hatte diese Worte noch nie in seinem Leben gesagt. Er hatte seine Indienststellung bei der Marine zurückgezogen. War als Geschäftsführer seiner Kommunikationsfirma zurückgetreten. Alles für das Wohl der Krone.
Aber kündigen? Das war ihm nicht erlaubt.
Zu kündigen war eine Freiheit, die die meisten Leute für selbstverständlich nahmen. Die Chance, die Ruder in die Hand zu nehmen und eine andere Richtung einzuschlagen.
Als das Sommerhaus in Sicht kam, bahnte Nathaniel sich einen Weg durch das Strandgras und wuchernde Palmettopalmen und sprintete den Pfad entlang. Unter seinen Laufschuhen gab der Sand nach, sodass er sich auf jeden der langen Schritte konzentrieren musste.
Eine niedrige Steinmauer umgab das Sommerhaus, das recht typisch war für St. Simons. 1902 war es der königlichen Familie von Brighton, genauer Ur-Ur-Großvater Nathaniel I., geschenkt worden. Vor dem Krieg hatte die Familie jedes Jahr die Reise nach St. Simons Island unternommen. Aber in den letzten Jahrzehnten … Die rostigen Scharniere des schmiedeeisernen Gartentors quietschten, als Nathaniel es aufschob und den Vordergarten betrat.
Er hielt an, um seine Umgebung zu betrachten. Der Garten war ein ganz schönes Durcheinander und ziemlich heruntergekommen, kümmerlich und vernachlässigt.
Nathaniel war zwanzig Jahre lang nicht auf der Insel gewesen, aber er erinnerte sich an Vaters schönen Garten und Rasen. Wo heute das Unkraut wucherte, war einmal ein Rosenbeet gewesen. An der Einfassung der Veranda hatte Vater gemulchte Beete mit Hecken und Hibiskus gehabt. Nathaniel erinnerte sich nur wegen der Alliteration daran … Hecken und Hibiskus. Gärten waren Vaters Zeitvertreib gewesen. Er sagte, die Gartenarbeit helfe ihm, mit Gott Zwiesprache zu halten. Stunde um Stunde kniete er im Dreck, grub und pflanzte, hegte und pflegte. Hielt Zwiesprache.
Als er krank wurde, wurden auch seine Gärten krank.
Nathaniel ging den ramponierten Weg entlang und hielt auf halber Strecke zum Haus an.
Er hatte das Talent seines Vaters im Umgang mit Pflanzen und Blumen nicht geerbt, aber er kannte jemanden, der ein Auge dafür haben könnte, die vergangene Schönheit des Gartens wiederherzustellen. Vielleicht eine schöne Landschaftsarchitektin, die Arbeit suchte.
Jonathan betrat die Veranda vor der Küche und ließ die Zwischentür aus Fliegengitter hinter sich zufallen.
„Du bist in den Nachrichten.“ Er hielt sein iPad hoch.
„Amerikanische oder brighton’sche?“ Nathaniel gesellte sich zu ihm. Salzige Meeresbrise strich unter das Vordach. Mit einem letzten Blick in den Garten entschied er sich. Um seines Vaters Willen würde er etwas gegen den jämmerlichen Zustand unternehmen. Das würde das Herz des Königs erwärmen.
„Brighton‘sche. Wir haben dich aus den Lokalgazetten hier herausgehalten. Mrs. Butler hat ihren Teil der Vereinbarung eingehalten.“
Jonathan zog einen Stuhl mit einem seiner mit Sandalen bekleideten Füße heran und begann zu lesen, als er sich setzte. „Obwohl sie sehr aufgebracht war über dein Verschwinden.“
„Lad sie zum Tee ein. Ich werde mich entschuldigen.“ Nathaniel saß auf dem Stuhl gleich neben ihm. Er hörte Jon zu, der laut vorlas und spürte, wie sich Spannung in seiner Brust aufbaute.
„ … angesichts der Krankheit des Königs stellt sich die Frage, ob Prinz Nathaniel bereit ist, das Königreich zu übernehmen und das Ende des Abkommens zu meistern? Er scheint noch nicht einmal imstande zu sein, Liebe und eine Ehefrau zu finden und dem Hause Stratton einen Erben zu schenken.“
„Jon, ganz ernsthaft: Erfindest du das gerade?“
„Ich lese es direkt von der Internetseite der Liberty Press.“
„Der Liberty Press? Und die schimpfen sich eine seriöse, etablierte Zeitung … Wollen sie auf etwas Bestimmtes hinaus?“
„Ja, ich komme gleich darauf.“ Er scrollte etwas. „Ah, hier haben wir es. ‚Wir haben dem Prinzen einen Vorschlag zu machen – Lady Genevieve Hawthorne.‘“ Jonathan machte eine Pause, um Nathaniels Reaktion abzuwarten.
„Ach du liebe Güte. Und wer hat diesen kreativen Text geschrieben?“
„Claudette Hein.“
„Ja, natürlich.“ Sie war eine von Ginnys besten Freundinnen und eine feurige, sehr aktive Reporterin aus Hessenberg, die für Brightons führende Tageszeitung, die Liberty Press, schrieb.
„Und ich sollte Ginny heiraten, weil sie eine entfernte Kusine von Prinz Franz ist?“
Jonathan rutschte nach vorne und legte sein iPad beiseite.
„Natürlich. Sie könnte das Abkommen zu einem märchenhaften Ende führen. Eine hessenbergische Prinzessin aus der Linie von Prinz Franz, die dem Land seine Unabhängigkeit zurückgibt und es wieder zu einer souveränen Nation macht. Es würde dir eine Menge Bonuspunkte bei den Menschen einbringen.“
„Was ist mit diesem Mensch hier?“ Nathaniel tippte sich auf die Brust. „Ich muss mit mir leben und mit den Entscheidungen, die ich treffe.“
Er stand auf und lehnte sich gegen die nächste Verandasäule. Heute wollte er nicht über Vereinbarungen und Abkommen oder Pflichtehen reden. Er wollte sich einen üppigen Garten mit einer schönen Frau darin vorstellen. Susanna. Aber seine Gedanken waren in der Diskussion über das Abkommen gefangen. „Ginny ist nicht die Lösung für Hessenberg. Sie stammt nicht aus der Linie des Großherzogs, sie ist nur eine sehr, sehr entfernte Kusine aus einer morganatischen Ehe von vor 150 Jahren. Die Hawthornes haben ihre Rechte auf den Thron schon lange vor dem Abkommen aufgegeben.“
„Aber das Abkommen endet nächstes Jahr, Nathaniel. Die Leute werden unruhig und suchen nach einer Lösung. Ob es möglich ist, dass Hessenberg wieder unabhängig wird? Die EU hat finanzielle Unterstützung zugesagt, um Hessenberg zu helfen, auf eigenen Beinen zu stehen.“
„Ja, und es laufen ja auch Gespräche über großzügige Handelsabkommen mit Großbritannien und Deutschland. Aber wenn es nötig wäre, dass ich Ginny heirate …“ Dann würde er darüber nachdenken müssen, oder? Oder konnte er rundheraus ablehnen?
„Prinz Nathaniel I. und Prinz Franz müssen doch etwas im Sinn gehabt haben, als sie für das Ende des Abkommens einen Erben bestimmt haben.“
Nathaniel war entschlossen, danach zu suchen.
„Sicher, Hessenberg war der letzte Autokrat. Prinz Franz, nun, das Haus Augustin-Sachsen besaß ja quasi ganz Hessenberg.“
„Deswegen waren sie ja auch nicht in der Lage, den Krieg zu überstehen.“
„Aber ein Jahrhundert später“, Jonathan schüttelte den Kopf, „scheint Ginny doch als ganz passable Erbin durchzugehen.“
„Sie ist vielleicht adelig, aber nicht königlich. Prinz Franz wollte, dass Hessenberg zur königlichen Familie zurückkehrt.“
Ausgehend von den Tagebüchern des Königs Nathaniel I. wusste Nathaniel, dass sein Ur-Urgroßvater die Rolle von Königen in Regierung und Kultur sehr schätzte. Deswegen hatte er überhaupt erst zugestimmt, Prinz Franz zu helfen. Um eine Nation zu retten. Jetzt sah es ganz so aus, als würde es dem nächsten König Nathaniel zufallen, das Ende des Abkommens abzuwickeln. Ihm.
„Es spielt keine Rolle, was sie wollten, Nathaniel. Es ist nur wichtig, was du und dein Vater wollen.“
„Doch, es spielt durchaus eine Rolle, was sie wollten. Sie mögen vergangen sein, aber ihr Wille wirkt auf uns heute nach. Das Blut des König Nathaniel I. fließt durch meine Adern.“ Nathaniel setzte sich wieder und griff nach Jons iPad. „Ich werde keine Frau heiraten, die ich nicht liebe. Ich schätze Freiheit und Unabhängigkeit, aber ebenso sehr schätze ich wahre Liebe.“ Er scrollte durch die Story. „Denkst du, Ginny wusste von diesem Artikel? Sie und Claudette kennen sich seit der Universität.“
„Wer weiß? Will Ginny die Erbin sein? Wenn ja, ist der einzige Weg für sie, königlich zu werden, jemanden aus der königlichen Familie zu heiraten. Das bist dann du, Kamerad.“
„Meinen Bruder, den wunderbaren Prinzen Stephen, gibt es ja auch noch.“ Nathaniel gab das iPad zurück. Er wollte nicht mehr lesen. Es verdarb nur seine Gedanken um den Garten und das Mädchen. „Das wäre eine schöne Bescherung.“
„Was mich wundert ist, dass du doch seit Jahren mit Ginny befreundet bist, Nathaniel“, sagte Jon. „Zeitweise sogar romantisch verbunden.“
„Wir sind ein paar Mal ausgegangen.“ Außerdem hatte er da noch nicht jemanden wie Susanna getroffen.
„Wieso also nicht heiraten? Sie ist eine Ikone in Brighton. Olympiasiegerin. Miss Brighton Universe. Ich glaube nicht, dass ich dich daran erinnern muss, dass sie heiß ist, mein Freund. Unglaublich heiß.“
„Eine Beziehung besteht aus mehr als, heiß’, Jon.“ Da war Susanna. Schön in jeder Hinsicht.
„Ja, aber das ist doch ein fantastischer Anfang.“
Nathaniel sah seinen ehrwürdigen Berater böse an. „Dann heirate du sie doch.“
„Ich? Ich habe ja noch nicht einmal einen Titel. Technisch betrachtet hat sie einen höheren Rang als ich.“
„Na gut, dann kümmere ich mich sofort nach unserer Rückkehr darum. Ich sehe zu, dass der König dich zum Ritter schlägt. Sir Jonathan Oliver.“
„Super, aber das bringt Ginny doch auch nicht weiter. Sie will keinen Ritter, sie will einen Kronprinzen.“
„Da kann sie warten, bis sie graue Haare hat.“
Der Gedanke daran, sich mit Genevieve zusammenzutun, wühlte Nathaniel auf. Der Druck, zu heiraten, lastete immer auf dem Kronprinzen, aber der Druck, jemand ganz Bestimmten zu heiraten, war neu und unwillkommen.
„Jetzt komm schon, Nate.“ Jonathan verschränkte die Hände hinter dem Kopf und nahm eine Haltung ein, als würden sie Rugbyergebnisse diskutieren und nicht Nathaniels Leben, sein Herz und die Zukunft zweier Nationen. „Lady Genevieve könnte die einfache Lösung für ein sehr emotionales Problem sein.“
„Leicht für wen?“ Ginny war zweifellos ein echter Star in Brighton. Aber nicht seiner. Obwohl Mama und der größte Teil des Königshofes sie zu lieben schienen. „Das Abkommen verlangt einen legitimen Erben mit Anspruch auf den Thron. Ginny ist das nicht.“
„Schade, dass du sie nicht einfach zu einer königlichen Prinzessin aufbauen und dem Ganzen ein Ende machen kannst.“
„Wenn die Krone sie vor dem Ende des Abkommens zur Prinzessin aufbaut, finden wir uns vor dem europäischen Gerichtshof wieder. Von den Sanktionen unseres eigenen Parlaments ganz zu schweigen. Oder der Tatsache, dass es sehr danach aussähe, als ob man einen königlichen Titel kaufen könne. Verkauft an den höchsten Bieter.“
„Wenn du also Ginny nicht heiraten willst, wen dann?“
„Die Frau, die ich liebe.“ Nathaniel ging ans Ende der Veranda und sah über den Rasen. „Ich denke darüber nach, den Garten neu zu gestalten. Ich glaube, das würde Papa gefallen. Was meinst du?“
„Wir? Du und ich? Ich kann noch nicht mal Unkraut züchten, ganz zu schweigen von echten, richtigen Blumen.“
„Susanna ist Landschaftsarchitektin.“
„Das Mädchen, mit dem du von Mrs. Butlers Abendessen verschwunden bist?“ Jonathan gesellte sich auf den Stufen der Veranda zu Nathaniel. „Bitte sag mir nicht, dass du für sie schwärmst.“
„Sie ist momentan arbeitslos. Ein kleiner, schnell erledigter Gartenbauauftrag könnte genau die Ermutigung sein, die sie braucht.“
„Ein Ausweichmanöver kommt einem Geständnis gleich.“
„Ich gebe gar nichts zu.“
„Du hast mir noch nicht einmal erzählt, wie du sie kennengelernt hast.“
Er bewahrte die Erinnerung an ihr erstes Treffen unter dem Baum wie einen Schatz auf. Wenn der Rest seines Lebens schon in den Zeitungen von Brighton und Hessenberg breitgetreten wurde, wollte er Susanna für sich behalten. „Ich glaube, sie würde mit dem Garten gute Arbeit leisten.“
„Wenn du den Garten neu gestaltet haben möchtest, werde ich Angebote von anderen Landschaftsgärtnern und Architekten einholen.“ Jon sprang die Stufen hinunter und trat gegen die braune, moosige Rasenkante.
„Kein Bedarf. Meine Wahl ist Susanna.“ Nathaniel wies mit einer Geste auf die kleine, eingezäunte Fläche. „Es ist ein Garten, Jon.“
„Du stehst auf sie!“ Jon starrte ihn an. „Nathaniel, was denkst du dir eigentlich? Sie weiß, wer du bist und …“
„Sie weiß es nicht.“ Nathaniel griff nach den grünen Blättern eines tiefhängenden Astes, die in der Brise schaukelten. „Ich habe mich als Nate Kenneth vorgestellt.“
„Was ist mit deiner Rede bei der Benefizveranstaltung?“
„Da war sie draußen und hat telefoniert.“
„Wie passend.“
„Ja, sehr.“ Nathaniel schnitt eine Grimasse in Jons Richtung. „Aber ich bin ein Prinz, kein Wundertäter. Der Anruf war purer Zufall.“
„Du verschwendest deine Zeit.“
„Im Gegenteil, wenn ich den Garten neu gestalten lasse, nutze ich meine Zeit sehr gut.“
„Du weißt, was ich meine, Nathaniel.“
„Rufst du sie an, um einen Termin zu machen, oder soll ich?“
„Ich kümmere mich darum.“ Jonathan nahm sein iPad. „Wenn du schon dabei bist, ruf bitte Mrs. Butler an. Lade sie zum Tee ein. Ich werde mich für meine Abwesenheit gestern Abend entschuldigen.“
„Bereits erledigt. Steht für morgen um vier in deinem Kalender.“
„Gut, gut. Dann bestell Susanna doch für den Vormittag.“ Oder für heute Abend. Oder für jetzt gleich.
Wenn er könnte, würde Nathaniel jeden einzelnen seiner Urlaubstage mit ihr verbringen.
Ein Gärtnereiprojekt wäre die perfekte Verbindung. Und der perfekte Abstandhalter. Nathaniel war von ihr bezaubert und angetan, sehr sogar. Ihm wurde bewusst, dass Jonathans alarmierte Reaktion gerechtfertigt war. Er musste sich schützen. Er würde mit Susanna Truitt höchstens befreundet sein können, nicht mehr. Nie.
Am Dienstagmorgen wachte Susanna früh auf, zog ein Paar Shorts und ein T-Shirt an, nahm ein paar Kartons aus der Garage mit, die von ihrem Umzug zurück auf die Insel übrig geblieben waren, und fuhr ins Büro.
Gage war dort, aber er machte sich rar, während sie ihre Sachen einsammelte. Nur Myrna versuchte, sie aufzuhalten.
„Suz, bleib. Er braucht dich. Wir alle brauchen dich. Du bist das ruhige Auge im Sturm.“
„Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht, Myrna. Ich muss das hier machen. Ich kann nicht erklären, warum. Ich weiß einfach, dass ich es tun muss.“
Susanna trug die Kartons beschwingt zum Auto. Sie war frei … wirklich frei … und brachte zu Ende, was Adam begonnen hatte. Legte ihre Pläne und ihre Komfortzonen in Schutt und Asche.
Als Nächstes hielt sie am Krankenhaus an, um bei Daddy zu sitzen. Er hatte die Operation schon hinter sich und erholte sich in seinem Zimmer.
„Die Operation ist traumhaft verlaufen“, hatte Mama ihr sehr gefühlvoll zugeflüstert, als Susanna früher am Morgen angerufen hatte, um sich zu erkundigen, wie es ihm ging.
Gegen Mittag war sie wieder zu Hause und hatte einen freien Nachmittag vor sich. Sie hatte noch nie einen Tag ohne Pläne gehabt.
Um zwei hatte sie die Küchenschränke saubergemacht und den gefliesten Boden gesaugt und gewischt. Nach einer zweiten Dusche schnappte sie sich eine Orange und ging auf die Terrasse im Hinterhof hinaus.
„Suz, bist du da?“
„Ja, auf der hinteren Terrasse.“ Susanna kniff die Augen zusammen und sah über ihre Schulter durch das helle Sonnenlicht Gracie auf sie zukommen.
Beste Freunde trösteten die Seele wie nichts anderes.
Gracie ließ sich auf den Adirondack Stuhl neben Susanna fallen, nahm ihr dunkles Haar im Nacken zusammen und türmte es sich auf den Kopf.
„Mann, ist das heiß.“ Sie musterte Susannas Orange. „Isst du die noch?“
„Ich esse sie in diesem Augenblick, ja.“ Susanna pulte einen Schnitz ab und reichte ihn Gracie.
„Also, ich hab da mal ’ne Frage.“ Gracie schob das Stück in den Mund. „Wie kommt es eigentlich, dass ich von Mary Jo auf dem Wochenmarkt erfahre, dass meine beste Freundin sich von ihrem Freund getrennt hat?“
„Ich war beschäftigt.“
„Ja? Womit? Gekündigt hast du auch.“
Susanna sah sie skeptisch an. „Woher weißt du das nun wieder?“
„Myrna hat mich angerufen. Du weißt doch, dass sie ganz dicke ist mit meiner Tante Lisa.“
„Sorry.“ Sie gab Gracie noch ein Stück Orange. Das sollte ihr ein paar Gramm Vergebung einbringen. „Ich wollte dich anrufen, aber …“
„Es ist schon okay, Suz.“ Gracie hob ihr Gesicht zur Sonne. „Nach 15 Jahren Freundschaft weiß ich doch, dass du Zeit brauchst, um das sacken zu lassen. Aber ich will dir sagen, dass ich stolz auf dich bin. Das Mädchen mit dem Plan, das Mädchen, das sogar vor Impulskäufen recherchiert, versucht sich freestyle.“
Gracie streckte die Hand nach einem weiteren Orangenschnitz aus. „Erinnerst du dich an das Fahrrad, das du vor ein paar Jahren kaufen wolltest?“
„Das wirst du mir bis zum Sankt Nimmerleinstag aufs Butterbrot schmieren, oder?“ Susanna gab reichte ihr mehr Orange. „Ich wollte doch nur das richtige Rad kaufen. Damit ich es auch wirklich benutze.“
„Und du hast es … wann nochmal zuletzt benutzt?“ Gracie nickte dem gelben Strandrad zu, das an die hintere Veranda angekettet war.
„Du findest dich total witzig, haha. Ich wollte heute Abend Fahrrad fahren.“ Susanna schnitt ihr eine Grimasse. „Aber Mama hat mich für das Rib Shack eingeplant, solange sie an Daddys Bett sitzt.“
„Wenn ich deine Mama nicht so gut kennen würde, würde ich das als lausige Entschuldigung bezeichnen. Im Shack arbeiten. Wie geht es eigentlich deinem Dad? Das hab ich dir übrigens vergeben, dass du mich nicht angerufen hast, als er ins Krankenhaus musste.“ Gracie streckte die Hand aus und Susanna reichte ihr einfach den Rest der Orange.
„Ich hatte vor, dich anzurufen. Und Rad zu fahren.“ Eine Radtour über die sonnenbeschienene Insel wäre schön … Meeresbrise im Haar, Sonne auf den Schultern, den süßen Kuss der Freiheit in ihrem Herzen.
„So, jetzt aber mal wirklich. Wie geht es dir, Suz? Warum hast du gekündigt?“
„Ich weiß es nicht. Ich hab einfach … ich hab‘s einfach gesagt. Vielleicht war das meine Reaktion auf Adam, weißt du? Kontrolle zu übernehmen, wo ich doch so lange ihm die Zügel überlassen habe.“
„Hast du ein Foto gemacht? Ich hätte so gern Gages Gesicht gesehen.“
„Ja, klar, ein Foto zu machen war mit mein erster Gedanke, als ich sagte, ich kündige. Er rannte raus, ich hätte also nur seinen Hinterkopf erwischt. Ich weiß auch nicht, Gracie.“ Susanna ging langsam auf die Rasenkante zu, wo das ordentlich gemähte Gras das Wildblumenbeet berührte, das sie gepflanzt hatte.
„Heute Morgen um drei bin ich mit einem Ruck aufgewacht und habe mich gefragt, ob ich den Verstand verloren habe. Aber als ich im Büro meine Sachen zusammengepackt habe, fühlte es sich an wie der größte Moment meines Lebens. Gage hatte ehrlich gesagt doch sowieso keine Arbeit für mich. Bei der Wirtschaftslage ist Landschaftsbau ein echtes Luxusgut.“
„Was hast du von Adam gehört?“
„Schweigen.“ Susanna warf einen Blick auf ihre Freundin, die gerade den letzten Orangenschnitz aß. „Was völlig in Ordnung ist. Was gibt es denn noch zu sagen? Ich fühle mich erleichtert. Als hätte ich zehn Jahre lang den Atem angehalten.“
„Ich bin mal so frei und sag dir, dass ich mir nie viel aus ihm gemacht habe.“ Gracie ging zum Gartenschlauch hinüber und fummelte an der Düse herum.
„Du Lügnerin! Du warst doch grün vor Eifersucht, als Adam und ich anfingen, miteinander auszugehen.“
„Das war in der High School. Jedes Mädchen wollte mit Adam Peters ausgehen.“
„Jetzt ist er wieder auf dem Markt, falls du interessiert bist.“ Susanna ging ebenfalls zum Gartenschlauch und wusch sich die klebrigen Hände.
„Als ob ich deine abgelegten Sachen wollte“, sagte Gracie und ging mit tropfnassen Händen zurück zu ihrem Stuhl. „Aber immerhin hattest du eine Beziehung, die gehalten hat, Suz. Ich habe längere Beziehungen zu meinen Schuhen als zu den Männern in meinem Leben.“
„Weil du dir in den Kopf gesetzt hast, dass jeder Mann da draußen wie dein Vater ist.“ Susanna stellte das Wasser ab und rollte den Schlauch auf.
„Nein, hab ich nicht“, sagte Gracie. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass sie noch schlimmer sind.“
„Von diesem Gedanken musst du einfach mal wegkommen.“ Susanna kehrte zu ihrem Platz auf der Terrasse zurück. „Du hast jeden Mann beurteilt und verdammt, noch bevor ihr euch vorgestellt und Telefonnummern ausgetauscht habt. Du musst mal loslassen, ein bisschen vertrauen. Einem Kerl auch mal ‘ne Chance geben.“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und ließ sich auf das entfernte Brummen eines Rasenmähers ein, genoss das Aroma des frisch gemähten, sonnengetrockneten Grases.
„Mal loslassen? Ein bisschen vertrauen? Ha! Die Krähe schimpft den Raben schwarz, was?“
„Welche Krähe? Hier ist keine Krähe. Ich war zwölf Jahre mit demselben Typen zusammen.“
„Weil du einen Plan hattest.“
„Jetzt klingst du wie Adam.“ Susanna ließ ihren Arm über die Lehne baumeln und grub ihre Zehen in die Kante des Terrassengeländers. „Genug über mich geredet. Was ist mit dem Segler passiert? Mit dem, der mit seiner Jacht um die Welt segeln wollte?“
„Ethan? Den gibt’s noch“, sagte Gracie leichthin. Ein bisschen zu leichthin.
„Oha, es geschehen doch noch Zeichen und Wunder. Jetzt sind es, warte mal, zwei Wochen?“
„Drei.“
„Meine Damen und Herren, ich glaube, wir dürfen einen Rekord vermelden.“ Susanna setzte sich aufrecht hin und applaudierte ihrer Freundin.
„Okay, du kleine Klugscheißerin, vielen Dank auch. Wenn du es unbedingt wissen musst: Ich mag ihn. Sehr sogar.“
Susanna beugte sich in ihrem Stuhl vor, um ihrer Freundin die Hand zu drücken. „Ich freue mich für dich.“
„Und was ist mit dir? Was wirst du machen?“
„Über Adam hinwegkommen und Perspektiven entwickeln.“ Sie überlegte, ob sie ihre Faszination für ihren neuen Freund, Nate Kenneth, beichten sollte. Aber außer den zufälligen Rettungsaktionen gab es nicht viel zu erzählen. Sie hatte noch keine Worte für die Gefühle gefunden, die er in ihr weckte.
Er hatte Susanna am Montagabend zu Hause abgesetzt. Immer wieder hatte sie sich bedankt. Aber zu dem Zeitpunkt, als Liam in ihre Auffahrt fuhr, hatte ihre Beziehung ihren Höhepunkt erreicht.
Sie hatte gerade erst eine Beziehung hinter sich. Und in etwa einer Woche würde er nach Hause fliegen … ein Zuhause, das viertausend Meilen entfernt war. Was sollte da schon aus ihren Gefühlen für ihn werden?
„Ich bin froh, dass du so gut drauf bist“, sagte Gracie. „Weil ich einigermaßen schlechte Nachrichten habe. Tante Rue hat angerufen.“
„Oho. Was gibt’s?“ Susanna setzte sich aufmerksam hin und rieb sich die Sonnenwärme von den Oberschenkeln. „Hat sie das Haus verkauft?“
„Schlimmer. Sie kommt im Herbst auf die Insel.“ Gracie zog ihre Schultern bis zu den Ohren hoch.
„Und ich muss umziehen.“ Rue Prather war eine Modedesignerin, die in Alanta lebte. Sie vermietete das Haus an Susanna für kaum mehr als die Nebenkosten. Die einzige Fußangel war, dass Susanna eine andere Unterkunft finden musste, falls Rue eine Zeit auf der Insel verbringen wollte.
„Weil ich gerne Gastgeberin bin.“
„Von Oktober bis März.“
„Sechs Monate?“
„Du weißt, dass sie nicht so lange bleiben wird, Suz. Sie wird unruhig werden und wieder abreisen. Sie wird von einem neuen Designer hören, der Atlanta im Sturm erobert, und die Biege machen. Ich wette, sie kommt nicht einmal vor Thanksgiving hierher. Und ist an Weihnachten wieder weg.“
„Ich kann jedenfalls nicht für ein halbes Jahr ausziehen und hoffen, dass es nur für einen Monat ist. Wenn sie sagt, dass sie im Oktober kommt, muss ich spätestens im Oktober umziehen. Was mal echt lustig werden wird, wo ich doch gerade nur im Shack arbeite.“
In fünf kurzen Tagen war alles, was in ihrem Leben stabil und durchgeplant war, mit Karacho in sich zusammengefallen. Verschwunden.
Aber in der Tiefe ihrer Seele glaubte Susanna, dass da etwas Göttliches sich seinen Weg bahnte. Eine himmlische Veränderung geschah. Wenn sie es nur lange genug durchhielt, das Ergebnis zu sehen. Vielleicht hatte Daddy ja recht. Etwas Großes war unterwegs.
„Du kannst bei mir wohnen, wenn du möchtest.“
„Nein, vielen Dank. Dafür mag ich dich zu sehr.“ Sie hatte einmal mit Gracie zusammengewohnt. Gleich nachdem sie ihren Collegeabschluss gemacht hatte. Nie wieder. „Da zieh ich vorher mit in Auroras Zelt ein.“
„Ach wirklich, Suz. So schlimm war es auch wieder nicht.“
„Doch, das war es.“
Gracie lebte sehr raumgreifend. Grenzen waren verhandelbar. Sie breitete sich in der ganzen Wohnung aus. Susanna blühte mit Grenzen erst auf. Wenn alles an seinem Platz war. Vorhersehbar. Geordnet. Routine.
Nach ein paar Monaten war sie ausgezogen, um ihre geistige Gesundheit und ihre Freundschaft zu retten.
Ihr Gespräch drehte sich und verfiel in den leichten Rhythmus einer lebenslangen Freundschaft. Susanna brauchte Gracie nicht jedes Detail ihres Seelenlebens haarklein auseinanderzusetzen. Sie wusste darum. Sie wusste es einfach.
Gracie versorgte Susanna mit den letzten Neuigkeiten aus ihrem Schönheitssalon und darüber, dass ihre neu eingestellte Stylistin dachte, dass es eine freiwillige Sache sei zu arbeiten, wenn man für eine Schicht eingetragen war. „Sie sagte mir, sie, mache in Haar’, weil sie gehört hätte, da könnte man seine Arbeitszeiten selber festlegen.“
Susanna lachte. „Ist das nicht derselbe Grund, warum du in ‚Haar’ machst?“
„Ja, aber immerhin habe ich genug Anstand besessen, erst einmal meinen eigenen Laden aufzumachen. Du, ich muss mich beeilen.“ Die Frau, mit der sie seit der sechsten Klasse befreundet war, nahm Susanna in ihre langen, schlanken Arme. „Ich muss noch ein paar Sachen erledigen, bevor ich den Segler zum Abendessen treffe.“ Sie warf Susanna im Gehen einen Blick über die Schulter zu. „Möchtest du auch kommen?“
„Ich habe doch Dienst im Rib Shack. Außerdem muss ich selber auch noch was erledigen.“
„Okay … Suz, geht es dir gut?“
Wieder alleine.
„Ja, doch, mir geht es wirklich gut.“
Susanna blieb auf der Terrasse sitzen und dachte nach, bis die Sonne am späten Nachmittag lange Schatten über den Hinterhof warf.