Читать книгу Es war einmal ein Prinz - Rachel Hauck, Rachel Hauck - Страница 7
ZWEI
Оглавление„Ich gehe aus.“ Nathaniel warf einen suchenden Blick auf den Esszimmertisch. Er dachte, Liam hätte den Schlüssel für den gemieteten Geländewagen dort deponiert, nachdem er von seinem täglichen Frühstücksrundgang wiedergekommen war.
„Wohin?“ Jonathan, Nathaniels persönlicher Berater, kam mit dem iPad in der Hand durchs Wohnzimmer und runzelte die Stirn.
„Nirgendwohin. Nur raus.“ Wo waren die verflixten Schlüssel? Nathaniel hob die Zeitung an, die Liam gelesen hatte. Aha …
„Liam ist Joggen gegangen.“ Jonathan konzentrierte sich wieder auf sein iPad, tippte, wischte, scrollte wahrscheinlich durch seine Emails. „Warte, bis er zurück ist.“
„Ich brauche Liam nicht.“
Die Aufmerksamkeit war zurück. „Du gehst nicht alleine aus.“
„Ich brauche keinen Leibwächter auf dieser kleinen Insel. Die Leute hier wissen nicht einmal, dass ich hier bin.“
„Mrs. Butler weiß, dass du hier bist.“
„Ja, aber ich bin der Überraschungsgast bei ihrer Benefiz-Veranstaltung, also wird sie es sicher nicht vor der Zeit herumerzählen. Außerdem lieben die Amerikaner die britischen Prinzen. Wir Jungs aus Brighton laufen unerkannt nebenher.“
„Die Krone wird meinen Kopf verlangen, wenn dir irgendetwas passiert.“
„Soll ich ihnen eine Nachricht schicken, dass ich mich entschieden habe, alleine herumzustrolchen, um dich deiner Verantwortung zu entheben?“
„Jetzt bist du gönnerhaft.“
„Und du machst dir zu viele Sorgen, Jonathan.“ Nathaniel drehte sich um. Das Gespräch war beendet. Er ging aus – alleine.
Obwohl er bereits drei Tage im Sommerhaus seiner Familie auf der Insel verbracht hatte, hatte Nathaniel noch nicht viel von ihr gesehen. Den Strand, der zugegebenermaßen sehr schön war, die besorgte Miene seines persönlichen Assistenten und die ernsten Blicke seines Sicherheitsoffiziers. Beide gute Freunde, aber eben nicht so besonders schön waren … das war’s.
Drei erwachsene Männer im Urlaub, die in einem hundert Jahre alten Sommerhaus Filme schauten und ein uraltes Brighton‘sches Kartenspiel spielten. Nathaniel wurde langsam unruhig.
Gut, im Grunde war er auf einer Geschäftsreise in Amerika, nicht für einen Erholungsurlaub. In königlicher Angelegenheit, um genau zu sein. Aber eigentlich schuldete ihm das Königreich Brighton einen echten Urlaub. Einen mit Sonne, Strand und Wellen und vielleicht der Gesellschaft einer hübschen Dame, mit der er essen gehen konnte.
So gesehen könnten ihm sein Berater und seine geliebte Nation ruhig einmal eine oder zwei Stunden für sich gönnen.
„Weißt du, wohin du fährst?“ Jonathan eilte um das Sofa herum, um Nathaniel im Foyer aufzuhalten.
„Zum Glück nicht.“ Nathaniel trat hinaus in die Sonne und die Freiheit. Er liebte sein Land. Liebte Brightons wolkenverhangene Tage mit einem Hauch Frost in der Luft. Aber die Sonne, die Hitze und den endlosen blauen Himmel Georgias liebte er auch. „Es ist eine kleine Insel. Ich bin sicher, ich werde mich zurechtfinden.“ Er lächelte Jonathan zu, der so ernst und angestrengt war. Der Mann nahm seine Pflichten als Berater des Kronprinzen von Brighton sehr genau.
„Ich komme mit.“
„Jonathan, ich brauche mal einen Moment nur für mich.“ Nathaniel rutschte hinter das Lenkrad. „Zum Nachdenken.“
„Worüber?“
„Ich weiß auch nicht … Über das Leben.“
Der Mann seufzte und ließ seine dünnen Schultern hängen. „Hast du dein Handy dabei?“
Nathaniel klopfte auf seine Hosentasche, in der er das Telefon verstaut hatte. „Mach einfach mit dem weiter, was du bis eben gemacht hast, Jon. Ich werde nicht lange weg sein.“
Nathaniel lenkte den Wagen aus der Ausfahrt, schlug den Weg nach Süden in Richtung des Ocean Boulevards ein und öffnete alle Fenster.
Die sonnenheiße Julibrise füllte den Raum und zerzauste ihm das Haar. Der Wind zerrte an den losen Enden seines Hemdes und an den Gedanken, die an seinem Herzen nagten.
Nathaniel legte den Ellbogen ins Fenster und nahm den Fuß vom Gas. Er machte es sich in seinem Sitz bequem und lenkte das große Auto durch das wechselhafte Licht, wo die Helle des Nachmittags bereits den längeren Schatten des Abends wich.
Als er eine alte Frau entdeckte, die auf dem schmalen Lehmpfad neben der Straße Fahrrad fuhr, begann er langsam, sich zu entspannen.
Trotzdem, die Nachrichten von Zuhause waren nicht gut gewesen, als er eben das Haus verlassen hatte. Papas Gesundheit ließ merklich nach. Nathaniel vermutete, dass er nicht nur hierher geschickt worden war, um seiner entfernten Kusine Carlene Butler einen Gefallen zu tun, sondern weil es möglicherweise Nathaniels letzter Ausflug als freier Mann war. Mit 32 Jahren dachte er, er hätte Jahre – Jahrzehnte –, bevor die Königswürde auf ihn wartete.
Stattdessen blieben ihm Monate. Ein Jahr vielleicht, höchstens.
Mit einem Gefühl des Wiedererkennens lenkte er den Wagen um eine Kurve. Er brauchte mehr Zeit. Um Papas Weisheit in sich aufzunehmen. Um seine jugendliche Rebellion und seine Indiskretionen in den Griff zu bekommen.
„Du wirst binnen eines Jahres König sein. Bereite dich darauf vor.“ Papa war so sachlich. So förmlich. Erst König, dann Mensch.
„Papa, nein, du wirst dich erholen …“
Als Nathaniel an einer Ampel hielt, atmete er den süßen Duft der Jasminblüten ein. Er erinnerte ihn an zu Hause. An die Sommer seiner Kindheit mit Papa, Mama und seinem kleinen Bruder Stephen in Parrsons House.
Als die Ampel auf Grün umsprang, wählte Nathaniel im Kreisverkehr den Weg über Frederica nach Demere.
Diese Ausfahrt war genau das, was er gebraucht hatte. Eine neue Perspektive. Das Leben veränderte sich. Zu plötzlich. Zu schnell.
Der Druck, sich eine Frau zu suchen, würde immens wachsen, sobald er wieder nach Brighton zurückkehrte. Erst von Mama, dann von Papa. Dann seitens der königlichen Behörde. Vielleicht würde der Premierminister „auf ein Wort“ mit ihm sprechen wollen.
Sag, Nathaniel, hast du dir denn schon Gedanken über die Wahl deiner Braut gemacht? Der Thron braucht einen Erben.
In letzter Zeit hatten die Medien angefangen, ihre britischen und deutschen Vettern nachzuahmen und schlüpfrige Geschichten über die königlichen Prinzen zu drucken. Sie wollten Auflage machen. Deswegen streuten sie abfällige Bemerkungen über die Heiratsabsichten des Kronprinzen, erinnerten die Leute an seine jugendlichen Unüberlegtheiten und daran, dass er in den letzten zehn Jahren keine feste Begleiterin gehabt hatte. Schön, schön … ein ganzes Jahrzehnt. Obwohl er neuerdings immer öfter mit der schönen Lady Genevieve Hawthorne gesehen worden war.
Nathaniel nahm den Damm von Torras nach Brunswick, folgte den Kurven der Straße und ließ sich von ihr leiten.
Er war gerade scharf rechts abgebogen, als sein Blick auf ein Straßenschild fiel. Prince Street.
Nathaniel nahm den Fuß vom Gas und ließ den Geländewagen langsam im Schatten der Virginia-Eichen entlanggleiten. Eine sanfte Brise strich vorbei. Prince Street … Das Schild machte ihm ein bisschen Hoffnung, gab ihm das Gefühl, dass doch alles gut werden könnte. Als ob er tatsächlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein könnte. Ein ungewöhnliches Gefühl für Kronprinzen.
Herr, ich bin bereit …
Er wollte gerade wenden, als er auf eine laute, weibliche Stimme aufmerksam wurde. Nathaniel lehnte sich über das Lenkrad, kniff die Augen zusammen, um besser durch das Spiel von Licht und Schatten sehen zu können. Eine Frau ging um ein Auto herum, das unter einem riesigen, knorrigen alten Baum geparkt war. Ein abgerissen aussehender Mann folgte ihr.
Sie hielt an und wedelte mit einem Eisenstab oder etwas Ähnlichem und zeigte die Straße hinunter, als ob sie ihm sagen wollte, dass er gehen soll.
Der Mann trat mit einem wölfischen Grinsen einen Schritt auf sie zu. Sie schwang den Gegenstand in ihrer Hand in seine Richtung. Gut gemacht, Mädchen!
Nathaniel fuhr sein SUV unter den Baum, parkte neben dem kleinen grünen Cabrio und stieg aus.
„Kann ich irgendwie behilflich sein?“
Die Frau wirbelte herum und sah ihn mit großen Augen an. Die Lichtstrahlen, die durch das dichte Blätterdach fielen, ließen ihr goldenes Haar leuchten. „Da bist du ja. Was hat dich denn aufgehalten?“ Sie zeigte mit dem Werkzeug auf ihn. „Ich hab diesem Kerl da gesagt, dass du gleich kommst … Schatz.“ Sie zog ein Gesicht. „Unfassbar. Schon wieder einen Platten.“ Freudloses Lachen. „Die Radmuttern sitzen fest.“
„Na, dann müssen wir sie irgendwie lose bekommen.“ Nathaniel nahm ihr den Kreuzschlüssel aus der Hand und schaute ihn nachdenklich an. Er hatte schon so einige Räder gewechselt. Während seines Studiums war es sein Lieblingszeitvertreib gewesen, über die Landstraßen zu jagen, um Dampf abzulassen.
Er wandte sich dem gepiercten und tätowierten Mann zu. Er war dünn, trug abgerissene, schmutzige Kleider, und Nathaniel war beinahe sicher, dass er nur Geld wollte. Er war sich fast ebenso sicher, dass die junge Frau es mit ihm hätte aufnehmen können, wenn er wirklich auf Ärger aus gewesen wäre. „Sie können jetzt weitergehen.“
„Ich wollte doch nur helfen.“ Der Mann ging einen Schritt zurück.
„Aber ich habe gesagt, dass Sie gehen sollen, und Sie sind nicht gegangen.“ Die Frau lehnte sich ihm entgegen, die Hände in die Hüften gestemmt, Feuer in der Stimme.
Nathaniel lächelte. Er mochte sie.
„Gehen Sie Ihres Weges.“ Nathaniel steckte die Hand in die Tasche und nahm den zwanzig Dollar-Schein heraus, den er vor seiner Abfahrt eingesteckt hatte. Er ging um die blonde Frau herum. Dann bot er dem Mann die Hand an und drückte ihm die Banknote in die schmutzige Hand. „Kaufen Sie sich eine warme Mahlzeit.“
Der Mann faltete den Zwanziger auseinander und hielt ihn hoch, sein Blick verhärtete sich. „Ihr reichen Leute denkt, ihr könnt immer nur machen, was ihr wollt, oder?“
„Und was denken Leute wie Sie sich? Dass Sie eine Dame weiter belästigen können, nachdem sie Sie gebeten hat, zu gehen?“
Der Mann fluchte, steckte das Geld ein und ging weg. Er redete mit sich selbst und warf dabei mit derben Ausdrücken um sich.
„Das hätte ich auch tun können.“ Jetzt richtete sie ihr Feuer auf Nathaniel. „Ihm Geld geben. Sie wissen schon, dass er sich jetzt Schnaps oder Drogen kaufen wird, oder?“
Nathaniel zuckte mit den Schultern und beobachtete sie einen Moment. Sie schien ihn nicht zu erkennen. Aber wer würde denn schon genau hier, genau jetzt, einen echten Prinzen erwarten? „Oder vielleicht kauft er sich ein leckeres warmes Essen. Er sieht aus, als ob es ihm guttun würde.“ Nathaniel schloss seine Finger um den kühlen Schraubenschlüssel. Sie hatte so etwas an sich. Am liebsten würde er sie einfach umarmen und ihr sagen, dass es ihm völlig egal war, was der Typ mit dem Geld tat, solange es ihr nur gut ging.
„Haben wir uns schon einmal getroffen?“, frage er, obschon er wusste, dass er sie noch nie vorher gesehen hatte. Aber sie hatte so etwas Vertrautes an sich. Warm und vollkommen.
„Nein.“ Sie nahm ihm den Schraubenschlüssel aus der Hand. „Danke fürs Anhalten. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Aber von hier aus kann ich das wirklich alleine.“ Ihre Stimme schwankte und Nathaniel sah einen verdächtigen Glanz in ihren Augen, bevor sie ihren Blick abwandte.
„Sind Sie sicher? Was ist mit diesen festgefressenen Radmuttern? Ich habe Erfahrung im Räderwechseln.“ Nathaniel hielt ihr seine Handfläche hin. „Wie wäre es, wenn wir zusammenarbeiteten? Dann sind Sie flugs wieder unterwegs.“
„Flugs wieder unterweg? Wohin?“ Sie ließ sich gegen das Auto fallen, atmete aus, ihr vom Wind zerzauster Pferdeschwanz fiel ihr über die Schulter. „Was für ein dummer, mieser Tag.“
Nathaniel wurde abrupt wieder auf den Erdboden zurückgeholt, als er hörte, wie sie kurz schluchzte.
„Oh, was ist denn los? So schlimm kann es doch nicht sein, oder?“
Sie drehte sich um und bestrafte den platten Reifen, indem sie heftig dagegentrat. „Dummer, mieser Tag.“
„Es ist doch nur ein Plattfuß.“
Sie starrte ihn zornig an. Ihre blauen Augen waren gerötet und voller Tränen. „Es hätte halten sollen, für immer, wissen Sie? Zwölf Jahre … Wer wartet denn schon zwölf Jahre auf einen Kerl, wenn es am Ende nicht für immer ist?“
„Ah, ein Streit unter Liebenden.“
„Streit? Nein. Totalausfall. Alles, was wir von unserem Leben, in unserer Beziehung wollten, ist futsch. Von dem wir dachten, dass wir es wollten.“ Die ersten Tränen fielen auf ihre hohen, glatten Wangenknochen. Sie wischte sie mit dem Handrücken ab, trat ein letztes Mal gegen das Rad und ging hinter Nathaniel zu dem Baum. „Ich weiß nicht, warum ich hierhergekommen bin. Ich hab mich einfach ins Auto gesetzt und bin losgefahren.“ Sie bedachte das Auto mit einem weiteren Blick und zog eine Grimasse. „Und jetzt finde ich mich hier wieder, bei der guten alten Liebeseiche.“
„Der Baum hat also einen Namen und eine Geschichte?“ Nathaniel ging um den Wagen herum und sah sich die dicken, knotigen, medusischen Äste der raumfüllenden Eiche genauer an.
„Der Baum ist legendär. Es heißt, er sei neunhundert Jahre alt. Ein Ort, wo sich die jungen Helden der Eingeborenen mit ihren Mädchen trafen.“ Sie strich mit der Hand über die Rundungen des tiefsten Astes. Als könnte sie den Puls des Baumes fühlen und die Geschichten der vergangenen Tage herbeirufen.
„Ob etwas Wahres dran ist, was meinen Sie?“ Nathaniel war vertraut mit Sagen und Legenden, langen Geschichten von Mut, Liebe und Kühnheit. Sie waren ein Teil von Brighton. Ein Teil seines fünfhundert Jahre alten Stammbaums.
Sie warf ihm einen Blick zu. „Ich wollte mich unter diesem Baum verloben. Eine Lichterkette in den Ästen. Vielleicht ein kleines Streichquartett da drüben.“ Sie zeigte auf die Kante des Grüns. „Etwas Besonderes, Romantisches.“
„Aber Ihr Freund hatte andere Absichten.“
Ein neuer Schwung Tränen. „Ich – ich … wollte …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich war so ein Dummkopf.“
„Ich glaube, niemand, der sein Herz verschenkt, ist dumm.“
Sie setzte sich auf eine flache Stelle am Fuße des breiten Baumstamms, legte das Gesicht in die Hände und weinte leise.
Was sollte er nun tun? Er kannte die Frau gar nicht. Und Tränen? Mit Tränen konnte er noch nie gut umgehen.
„Es zeugt von Mut. Sein Herz zu verschenken.“ Was wusste er schon? Er hatte einmal versagt in Liebesdingen und es nie wieder versucht.
Sie trocknete ihr Gesicht mit dem Ärmel ihres T-Shirts. „Ich habe nie viel erwartet. Nur Liebe und Hingabe, wissen Sie? Dass er das tun würde, was er mir versprochen hatte … mich heiraten. Meine ganze Kindheit über wusste ich nie, was meine Eltern als Nächstes tun würden. Ob sie sich küssen und vertragen oder einander mit Geschirr bewerfen würden. Ich fand es super, es langsam anzugehen. Wir sind beide aufs College gegangen, haben unsere Karrieren gestartet.“ Sie atmete langsam und tief ein. „Er hat vier Einsätze in Irak und Afghanistan gemacht.“
„Ein Soldat.“
„Marineinfanterist. Captain.“
„Ich habe selbst bei der Marine gedient. Vier Jahre.“
„Wurden Sie entsendet?“ Sie richtete sich etwas auf.
Wie konnte er ihr das sagen? Sein Geburtsstatus verhinderte, dass er entsendet wurde. Weil er eine größere Gefahr für seine Kameraden darstellte als der Feind. „Ich wurde nie in Konfliktzonen eingesetzt.“
„Sind Sie aus England?“
„Aus dem Königreich Brighton.“
„Brighton. Da gibt es schöne Gärten.“
„Sie haben von unseren Gärten gehört?“
„Auf dem College habe ich den Lecharran Garden studiert. Ich bin Landschaftsarchitektin – naja, jedenfalls wenn ich nicht gerade im Rib Shack Barbecue serviere.“ Ihre Augen waren klar, sie sah ihn mit einem starken, blauen Blick an. „Am Strand dachte ich, er würde mir einen Heiratsantrag machen. Vergiss den Baum, die baumelnden Lichter, das Streichquartett. Immerhin ging’s voran.“ Sie boxte die Faust in ihre andere Hand und lachte beinahe.
„Sie sind eine schöne Frau. Ich bin sicher, es gibt eine Reihe Männer?“
„Eine Reihe Männer? Nein, nein … nein. Schauen Sie … Wie ist Ihr Name?“
Egal, welchen Prozess sie da gerade durchlief, er schien ihre Tränen zu stillen und ihr neue Kraft zu geben.
„Nate.“ Er reichte ihr die Hand. „Nate Kenneth.“ Immerhin ein Teil seines Namens. Sein Reisename.
„Susanna Truitt.“ Sie schüttelte seine Hand, und er liebte das Gefühl ihres festen Griffs.
„Was sagten Sie?“
„Was? Ja, Sie sagten …“ Ihre Augen verweilten auf seinem Gesicht. Ihre Hand blieb in seiner. „Männer. Eine Reihe Männer, ja?“ Sie zog die Hand weg.
Er wollte instinktiv danach greifen, schloss aber stattdessen die Finger zu einer losen Faust.
„Ich will keine Männer. Ich will einen Mann.“ Sie hielt den Zeigefinger hoch. „Eine wahre Liebe.“
„Es gibt nur eine?“
„Ja.“
„Wie können Sie sich da so sicher sein?“
Sie legte sich die Hand aufs Herz. „Mein Herz sagt es mir. Es gibt einen für mich. Nur einen.“
Ihre Worte gingen ihm durch und durch … heiß, explosionsartig. Sie weckten seine eigenen Gedanken über die Liebe. „Sie haben mich schon fast überzeugt.“
„Dann sind Sie genauso dumm wie ich.“ Sie brach einen toten Zweig ab und zerkrümelte die Blätter in ihrer Hand. „Ich dachte, ich hätte ihn gefunden.“ Schnipsel brauner Blätter rieselten auf den Boden. „Aber das habe ich nicht.“ Sie atmete zitternd ein.
„Vielleicht besinnt er sich noch.“ Wenn der Mann nur halbwegs bei Verstand war. Wie konnte man diese Frau sitzen lassen? Susanna?
„Er hat jemand anderes kennengelernt.“ Ihre Augen glänzten schon wieder, und ihre perfekt geformte Nasenspitze rötete sich. „Er sagte, er habe den richtigen Ring gefunden, aber nicht die richtige Frau.“
„Oh, das hat er gesagt? Er scheint ein ehrlicher Kerl zu sein, wenn auch vielleicht ein bisschen brutal.“
Sie schüttelte den Kopf und tippte sich mit den Fingern auf die Brust. „Das Schlimmste daran ist, dass ich langsam kapiere, dass ich so darauf aus war, dass er mir endlich einen Antrag macht, dass ich mir nie meine Antwort überlegt habe. Als er mir so ehrlich sagte, dass er den richtigen Ring, aber nicht die richtige Frau gefunden hat, war ich wütend. Mann, war ich wütend. Aber je mehr wir redeten, desto mehr wurde es mir klar … Wir waren ein romantischer Plan aus der High School, der nicht funktioniert hat. Jetzt muss ich die ganze Zeit daran denken, was gewesen wäre, wenn er mich gefragt hätte.“ Sie brach einen neuen, toten Zweig vom Baum ab. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ja gesagt hätte.“
„Sie sind sich nicht sicher?“ Nathaniel schluckte das Hurra, das ihm auf der Zunge lag, schnell herunter. Welches Recht hatte der Mann denn auf diese Schönheit, wenn er ihr das Herz mit so einer groben Beichte gebrochen hatte?
„Aaach. Ich weiß nicht.“ Ihre sanften Worte dehnten und bogen sich unter ihrem Akzent. „Ich hing so sehr an ihm …“ Sie boxte in die Luft. „Er sagte, ich würde den Plan mehr lieben als ihn. Aber wer macht denn so was? Ich habe ihm gesagt, dass er spinnt. Aber er könnte vielleicht recht gehabt haben, Nate. Ich habe alles auf die, Heirate-Adam-Peters-Karte’ gesetzt, und das war‘s. Ende der Geschichte.“
„Also lieben Sie ihn auch nicht?“
„Ja … nein … Ich weiß es nicht.“ Sie funkelte ihn an. „Sie sind ganz schön frech dafür, dass wir uns gerade erst kennengelernt haben.“ Eine Mischung aus Lachen und Weinen entfuhr ihr. „Nur, dass ich … Frieden fühle.“ Sie lehnte sich gegen den breiten, geteilten Stamm des uralten Baums. „Das habe ich lange nicht. Wissen Sie, wie es ist, wenn man an etwas so feste festhält … dass man so nah dran ist, dass man gar nicht mehr sieht, woran man da eigentlich festhält?“
Ja, das wusste er.
„Und dann lässt du los und siehst, dass deine Hände ganz kaputt und verbrannt sind von dem Seil, an dem du festgehalten hast. Dass der Topf mit Gold am Ende deines Regenbogens nur ein Haufen Schokoladenpapier ist, das in der Sonne geglitzert hat.“
Nathaniel grunzte ein leises Lachen, verkniff es sich aber, so gut es ging, weil er nicht sicher war, ob sie tatsächlich komisch sein wollte. „Aber die Zukunft liegt doch nun in Ihren Händen. Sie können sie gestalten.“
Sie betrachtete ihre Handflächen, als erwartete sie, dort Brandspuren eines Seils zu sehen. „Was für eine Verschwendung.“ Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Nathaniel. „Und jetzt schauen Sie mich an, wie ich meinen Kummer einem Fremden erzähle.“
„Nicht so fremd, hoffe ich. Nur neu.“ Gerade hatte Nathaniel sie noch gemocht. So langsam fing er an, sie zu verehren. „Sie sind berufstätig?“
„Es ist gerade nicht so viel los im Landschaftsbau. Die Leute bauen nicht um. Sie sparen Geld.“ Sie sah nach dem Himmel, an dem der Abend dämmerte und hielt die Hand nach dem Kreuzschlüssel hin. „Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als sich mit mir zu unterhalten. Ich kann das Rad selbst wechseln.“
„Es ist mir ein Vergnügen, mich mit Ihnen zu unterhalten.“
Nathaniel ging zu dem platten Reifen und kniete sich hin. Sie hatte das alte Rad getreten. Er hätte es küssen können. Weil es platt war, hatte er die bezaubernde Susanna kennengelernt. „Ich beneide Sie, Susanna. Sie haben Ihr Leben vor sich und können frei entscheiden, was Sie tun wollen. Sie können neu anfangen, gehen, wohin Sie wollen, tun, was Sie wollen.“
„Sprechen Sie weiter, Kumpel. Vielleicht glaube ich Ihnen irgendwann.“ Sie schob den Wagenheber unter das Auto.
Er lockerte die Radmuttern. „Denken Sie an diejenigen, deren Leben schon bei ihrer Geburt durchgeplant wurde. Die keine Möglichkeit haben, etwas zu verändern, oder etwas zu tun, was sie wollen.“
„Ich kenne hier keinen, auf den das zutrifft. Vielleicht Mose Watson, der irgendwann mal den Immobilienhandel seines Vaters erben wird, aber die sind Millionäre und ich denke nicht, dass Mose sich beschweren wird.“
„Aber wenn Mose weggehen wollte, könnte er das?“
„Theoretisch schon. Obwohl sein alter Herr dann bestimmt einen hysterischen Anfall kriegen würde.“
Sie brachte ihn zum Lachen. Innerlich und äußerlich. Sie ließ ihn vergessen, dass es eine Last war, dass seine Zukunft bereits verplant war … nicht nur von seinen Eltern, sondern durch fünfhundert Jahre Geschichte.
Wenn er nachts wach lag und über seine Bestimmung nachdachte, nahm ihm diese Last beinahe den Atem.
Aber in diesem Moment spielten das Königreich Brighton und seine durchgeplante Zukunft keine Rolle. Nur die Sommerbrise, die die Blätter der Liebeseiche zum Rauschen brachte, und Susanna zu helfen, das zählte.
Nathaniel entfernte die Radmuttern und hievte den platten Reifen von der Achse. „Meine Freunde und ich haben während des Studiums Dampf abgelassen, indem wir auf den Landstraßen Rennen gefahren sind.“ Er ließ seine Erinnerungen wach werden. „Einer von uns hatte immer irgendwann einen Platten. Aber es war gut, mit meinen Freunden unterwegs zu sein.“
„Klingt, als würde es Ihnen fehlen.“ Sie sah ihn durch die Haarsträhnen hindurch an, die sich aus ihrem Pferdeschwanz befreit hatten.
„Es war eine andere Zeit. Wir waren jung und ungestüm, wir dachten, wir wären unbesiegbar.“
„Und jetzt?“
„Bin ich ganz respektabel und weder ungestüm noch unbesiegbar.“ „Ist das schlecht?“ Sie zerrte das Ersatzrad aus dem Kofferraum und ließ es neben Nathaniel fallen.
„Im Moment überhaupt nicht.“ Er zögerte. „Überhaupt nicht.“ Und für einen süßen Südstaatenmoment ließ er das Licht und das Leben von Miss Susanna Truitt in den geheimsten Ort seines Herzens sickern.