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FÜNF

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Tanners Abreise nach Amerika war von einer wahren medialen Feuersbrunst begleitet worden.

Ein Informant hatte jedes Print- und Onlinemedium über die neue Prinzessin informiert.

Die Details waren übertrieben und an so mancher Stelle schlicht und einfach falsch. Trotzdem waren die Medienberichte wie Pilze aus dem Boden geschossen.

Prinzessin gefunden! Das war’s dann, Brighton!

Ein unabhängiges Hessenberg kann nicht bestehen.

Wir werden scheitern. Nach dem Ende des Abkommens treten die alten Gesetze wieder in Kraft. Wir fallen um hundert Jahre zurück!

Die Liberty Press, die angeblich seriöseste Zeitung des Landes, hatte eine respektlose Karikatur gebracht, die den alten Prinz Franz als Geist zeigte, der König Nathaniel II. und der königlichen Familie samt der erst kürzlich angekommenen Verlobten Susanna mit seinen Reitstiefeln einen Tritt in den Allerwertesten verpasste.

Deshalb hatte Tanner den Morgen vor seiner Abreise damit zugebracht, die Brandherde zu löschen und eine kurzfristig angesetzte Pressekonferenz abzuhalten. All das hatte seine Mission verzögert.

»Was wissen wir über die neue Prinzessin?«

»Ist sie eine Irre?«

»Was, wenn sie nicht die passende Person ist? Nicht ansprechend, unattraktiv?«

»Wie können wir einer Ausländerin zutrauen, die Geschicke Hessenbergs zu lenken?«

Die Fragen waren frech gewesen, unüberlegt, aus dem Bauch heraus. Tanner hatte sein Bestes getan, sie ruhig und sachlich zu beantworten, aber um ehrlich zu sein, hatte er sich schon häufig das Gleiche gefragt.

Er hatte den Vorabend damit zugebracht, die Akte der Prinzessin im Detail zu studieren. Sie schien nett zu sein. Auf dem Foto ihres Führerscheins wirkte sie jedenfalls schon einmal ganz sympathisch. Aber darüber hinaus …

Er wusste es nicht. Es schien, als arbeitete sie in einer Autowerkstatt, obwohl sie eine gute Ausbildung am College genossen hatte. Wie sollte er das deuten?

Während er sich um die Presse gekümmert hatte, sammelte Louis im Hintergrund Informationen beim Personal von Wettin Manor. Er vermutete die undichte Stelle im Büro des Gouverneurs.

Was hast du vor, Seamus?

Der Mann war unzufrieden damit, dass der König Tanner überhaupt damit beauftragt hatte, die Prinzessin zu suchen. Aber er würde sicherlich nicht so weit gehen, die Sicherheit der Mission zu gefährden.

Egal, damit durfte er sich jetzt nicht aufhalten. Das gestrige Tohuwabohu änderte nichts am Erlass des Königs. »Holen Sie die Prinzessin nach Hause.«

Tanner landete am frühen Freitagmorgen in Florida. Er checkte in seinem Hotel ein und versuchte, sich an die amerikanische Zeitzone zu gewöhnen.

Als es auf den Abend zuging, beschloss er, zu Miss Beswicks Werkstatt hinauszufahren.

Er verließ das Hotel und dachte, er sei mitten in eine dichte Wolke hineingetreten. Wie hielten die Einheimischen diese unglaubliche Luftfeuchtigkeit nur aus? Er richtete sich nach dem Navi seines Mietwagens und fuhr nach Westen. Der Bericht des Privatdetektivs deutete an, dass Miss Beswick die Freitagabende häufig in der Werkstatt verbrachte, in der sie arbeitete.

Er fuhr durch die Innenstadt, glitt mit dem Strom des Wochenendverkehrs dahin und kam an der Universität vorbei. An der Florida State University wehten Flaggen, und Banner mit dem Bild eines Indianers schmückten Fenster und Wände.

Die Football-Saison war in vollem Gange, und Tanner spürte die Ausgelassenheit der Stadt. Er kannte das Gefühl allzu gut, nachdem er nun seit fast zwei Jahrzehnten in den Rugby-Ligen seiner Heimat unterwegs war.

Sein emotionales Gedächtnis rührte sich und hob den Kopf. Er fragte sich … ob er wohl mitmischen könnte … Vielleicht war Miss Beswick …

Ein eiskalter Schauer ließ seine Abschweifungen gefrieren. Da war er erst seit ein paar Stunden in Amerika und in Gedanken schon dabei, sein Ziel aus den Augen zu verlieren.

Bleibe bei deiner Aufgabe! Konzentriere dich.

Genauso hatte er schon früher versagt, auf diese Weise hatte er seine Lebensberufung in den Sand gesetzt. Und jetzt, zehn Jahre später, nachdem er eine zweite Chance erhalten hatte, musste er feststellen, dass er kein bisschen reifer war als mit 22.

Schau mal, da glitzert was. Und weg war er.

Worum war es denn in den letzten zehn Jahren gegangen? Doch wohl darum, seine Gefühle, Gedanken und seinen Körper zu disziplinieren und unter Kontrolle zu halten.

Sich als würdig zu erweisen.

Tanner lenkte den SUV durch die Abenddämmerung, die sich auf die Stadt herabsenkte. Am Straßenrand begannen die Laternen in einem sanften Licht zu leuchten.

Er übte noch einmal seine Vorstellung. Auf seinem Flug hierher hatte er sie ein Dutzend Mal aufgeschrieben und laut vorgelesen, während er in dem spezialgefertigten Flugzeugrumpf auf und ab gegangen war. Er stellte sich vor, wie er die Worte vor Miss Beswick wiederholen würde, die vielleicht, vielleicht aber auch nicht, über ihr Schicksal Bescheid wusste.

Tanner ging zuerst einmal davon aus, dass sie nichts wusste. So versuchte er, seine Ansprache mit der Hintergrundgeschichte zu spicken, was aber viel zu lange dauerte. Sie würde ihn für verrückt halten, und zwar lange bevor er zu »Sind Sie die wahre Urenkelin von Alice Edmunds, die am 10. Dezember 1897 geboren wurde?« kam.

Er hatte ein gutes Gedächtnis und die Akte und die Details seiner zukünftigen Prinzessin auswendig gelernt. Jetzt ging es darum, sie Miss Beswick überzeugend vorzutragen.

Regina Alice Beswick. Geboren am 21. März 1985. Das einzige Kind von Noble und Bettin Beswick. Bettin war 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Die Urgroßmutter, Alice Edmunds, verstarb ein Jahr später im Februar 1998 im Alter von hundert Jahren und zwei Monaten.

Ausbildung. Hochschulabschluss an der Florida State University. Ein Bachelor of Arts in Finanzwesen. Akkreditierte Wirtschaftsprüferin. Hochrangige Mitarbeiterin bei Backlund & Backlund. Vor sechs Monaten die Kündigung ihrerseits. Neue Beschäftigung: Inhaberin einer Autowerkstatt.

Der Vater, Noble, besaß eine Klempnerei. Die Stiefmutter, Sadie, war Vorstandsvorsitzende einer Bank.

Vor seinem inneren Auge betrachtete er noch einmal die Fotos von Miss Beswicks Führerschein und ihrer Abschlussfeier an der Universität. Recht angenehm anzuschauen. Viel rotes Haar und blaue Augen, wie Prinzessin Alice.

Während er weiter nach Westen fuhr, wichen die Bilder und Geräusche der Stadt zunehmend denen eines ländlichen Gebiets, die Häuser hatten hier Vorgärten und wurden von Bäumen und allerlei Stauden abgeschirmt. War er hier noch richtig? Hatte er nicht richtig aufgepasst? Er warf einen Blick auf das Navi. Der Pfeil zeigte ihm, dass er immer noch auf der ursprünglichen Route war.

Er atmete aus und lockerte seinen Griff um das Lenkrad. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sich verfuhr, weil er in Gedanken ein Dokument oder eine Ansprache durchging.

Die mechanische Stimme des Navis sprach ihn an. »Biegen Sie nach einer halben Meile rechts ab.«

Tanner schloss seine mentale Akte. Seine Mission war kurz davor, in die heiße Phase zu treten.

Konzentrier dich.

Er atmete tief und langsam ein und füllte seine Lunge bis zum Anschlag mit Luft. Du. Darfst. Nicht. Scheitern. Ein einziges Wort kam ihm über die Lippen. Weisheit. Er brauchte Weisheit. Seine Bitte war genau genommen kein Gebet. Tanner hatte nämlich mit Gott eine Vereinbarung getroffen. Sie ließen sich gegenseitig in Ruhe. Blieben in ihren jeweiligen Ecken. Dieses kleine Bittgesuch heute aber galt der Prinzessin. Galt Hessenberg.

Tanners Gedanken und seine ganze Lebenskraft flossen in diesen Herzenswunsch. Miss Beswick, bereiten Sie sich auf die Wahrheit vor.

Das Navi befahl, nach zweihundert Metern rechts abzubiegen.

Tanner ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen und entdeckte einen Kreis aus kleinen Lampen rund um einen großen gelben Lichtschein. Ein offenes Tor. Leute gingen ein und aus.

Er bog rechts ab, als das Navi es verlangte, und rumpelte eine geschotterte Auffahrt entlang, wo er hinter dem letzten Auto parkte.

Wahrscheinlich wäre es das Beste, wenn er sich dem Gebäude langsam und vorsichtig näherte. So würde er die Menschenmenge und auch Miss Beswick am besten in Augenschein nehmen können. Er hoffte nur, dass sie nicht bereits gegangen war.

Es herrschte eine lebendige, fröhliche Stimmung. Musik und der Duft nach amerikanischer Pizza lagen in der Luft. Tanner hatte einmal welche gegessen und sie ziemlich gemocht.

Finde einfach den Rotschopf. Bitte lass es nur einen geben …

Zu seiner Linken hatte sich unter dem kalten, nackten Licht eines Baustellenscheinwerfers ein Grüppchen um etwas geschart, das nach einer alten Corvette aussah.

Es herrschte Aufregung um den Wagen, Stimmen hoben und senkten sich. Neugierig ging Tanner etwas näher. Als Jugendlicher hatte er sich für Oldtimer interessiert, aber inzwischen bevorzugte er neuere Modelle.

Er mischte sich unter die Menge und stand Schulter an Schulter neben einem Schwarzen, der seine Mütze verkehrt herum trug und das Auto eingehend studierte.

Die alte Corvette brauchte Arbeit, war aber eine seltene Schönheit.

»Welches Baujahr?«, flüsterte er dem Mann zu.

»53. Eins der Originale. Handgemacht.«

Tanner pfiff. »Reizend.«

Der Mann sah zu ihm auf. »Sie kommen nicht aus der Gegend hier, oder?«

»Nein, Sir.«

»Al mein Name.« Er bot ihm die Hand an.

»Tanner Burkhardt«, sagte er und schlug in Als rauen, festen Griff ein. »Ich bin gerade aus dem Großherzogtum Hessenberg angereist.«

»Hessenberg?« Die braunen Augen des Mannes weiteten sich. »Das ist ein ganz schön langer Weg, um für einen Abend an Reggies Hof zu kommen.« Er lachte. Der satte, samtige Ton seiner Stimme erinnerte Tanner an Jazz. »Aber Reg behauptet, dass die Leute für ein Stück Pizza alles tun und selbst den weitesten Weg auf sich nehmen würden.«

»Reggies Hof, sagten Sie?«

»Ach, wir ziehen sie nur auf und nennen die Treffen am Freitagabend ›Reggies Hof‹. Aber hier kommen nur ein paar Freunde zusammen und reden über Autos und so. Deshalb sind Sie wohl gekommen, nehme ich an. Haben Sie Freunde hier?«

»Eigentlich …« Tanner zögerte. Sollte er die Situation verschleiern? Und Al zustimmen und so tun, als sei er wegen der Autos hier? Ein bisschen mehr Zeit schinden, um die Lage zu beobachten? Nein, besser bei der Wahrheit bleiben. »Eigentlich suche ich nach Miss Regina Beswick.«

Der Mann richtete sich auf und lehnte sich etwas zurück. »Miss Regina Beswick?« Ein Glucksen polterte in seiner Brust. »Ich weiß nicht, ob sie darauf hört, aber Sie können es ja einmal versuchen.« Er zeigte auf die Corvette. »Sie ist da drunter.«

»Unter dem Auto?« Tanner bückte sich, um besser durch die Schatten zu sehen, und fand einen schmalen Lichtstrahl und einen Körper, der sich unter dem Wagen wand.

»Urban«, eine starke Stimme mit ausgeprägtem Südstaaten-Akzent wetterte unter dem Auto hervor, »hast du das Öl überprüft, bevor du mit dem hier durch die Stadt gefahren bist?«

Einer der Männer, die sich versammelt hatten, kauerte sich hin, um zu antworten. Mit seinem ordentlichen Haarschnitt und den feinen, gutgeschnittenen Hosen sah er aus wie jemand, der im gehobenen Wirtschaftsbereich zu Hause war.

»Natürlich habe ich das gemacht.«

Ein Anwalt. Wenn Tanner sich nicht irrte, und er war sicher, dass er sich nicht irrte. Er hatte mit Männern wie diesem … Urban … zusammengearbeitet. So hatte sie ihn doch genannt, oder? Tanner erkannte die Spezies Anwalt, seine Spezies, selbst in Amerika.

»Er ist der Besitzer«, sagte Al. »Er hat die Karre gerade seinem Schwager abgekauft und sie hergefahren, um sie uns zu zeigen.«

»Und Miss Beswick … inspiziert das Auto?«

»Urban glaubt, er kann es selbst restaurieren. Reg überzeugt ihn davon, dass er uns das besser machen lässt.«

»Aha.« Sie restauriert also Autos. Faszinierend. Und so ein glücklicher, vielleicht sogar göttlicher Zufall, dass er ausgerechnet neben Al ein freies Plätzchen gefunden hatte.

Miss Beswick rutschte unter dem Auto hervor. Einer der umstehenden Männer sprang vorwärts, um ihr aufzuhelfen. Trockenes Gras und Laub hafteten in ihrem wirren Haar, das vorher irgendwann einmal sorgfältig geglättet worden war, während ein breites Rinnsal Motoröl über ihr Gesicht und ihren Hals lief.

»Rafe«, brummte Al leise, »lauf und hol Reg ein Handtuch.«

»Was hast du denn mit meinem alten Veteranen gemacht, Reg?« Urban sank auf die Knie und warf einen Blick unter das Auto.

»Ich habe die Ölablassschraube angefasst, und dann ist die zerbröselt.« Miss Beswick wischte sich mit dem Saum ihres Tops das Öl aus dem Gesicht. »Hast du einfach so neues Öl auf das alte gefüllt, das noch drin war?«

Der Mann sprang auf die Füße. »Der Peilstab zeigte einen niedrigen Ölstand an, also habe ich einen Liter nachgefüllt.«

»Der Peilstab? Urban!« Miss Beswick lachte. Ihr breites Lächeln unterbrach weiß leuchtend die Ölschmiere, die sich über ihre Wangen und um ihren Mund herum verteilt hatte. »Du bist der Peilstab hier. Der Ölstand war niedrig, weil das Öl alt und klebrig ist. Du hast Glück gehabt, dass dir auf dem Weg hierher der Motor nicht hopsgegangen ist.«

Sie ging um das Auto herum und musterte beiläufig die Gruppe. Schließlich fiel ihr Blick auf Tanner.

Ihre Augen trafen sich, und einen Moment lang dachte er, sie würde ihn ansprechen. »Wer sind Sie?« Oder: »Kann ich Ihnen helfen?« War er schon so weit, dass er ihr antworten könnte? Würde die Wahrheit heraussprudeln, gleich hier und jetzt, wie das Öl auf dem Boden? Wie das Öl in ihrem Gesicht?

Tanner atmete ein. Atmete aus. Wartete. Innerlich gewappnet, die Nerven am Anschlag. Ein seltsames, flatterndes Gefühl kitzelte seinen Brustkasten. Eine Vorahnung. War er wirklich kurz davor, die Erbin von Hessenbergs Thron zu treffen?

Der Wind flüsterte zwischen ihnen und verstärkte den Geruch nach Erde, die unter der Sonne knochenhart geworden war. Miss Beswick lächelte, und ihre Augen funkelten. Sie hatten dasselbe brillante Blau wie das, in dem Renoir Prinzessin Alice‘ Augen gemalt hatte.

Miss Beswick war schön. Viel schöner, als Tanner es sich vorgestellt hatte, und das Flattern in seiner Brust bestätigte, was seine Augen sahen.

Als sie weiterging, atmete er aus. Ein Glück. Er musste sich erst einmal sammeln und sie in einer etwas zivilisierteren Umgebung antreffen. Vielleicht, wenn sie keine Schmiere im Gesicht hatte. Ohne das Rauschen seines eigenen Blutes, das jetzt gerade in seinen Ohren pulsierte. Trotzdem blieb das flatternde Brennen in seiner Mitte. Tanner presste die Finger gegen das Brustbein. Er war sonst nicht so ein Nervenbündel. Normalerweise litt er auch nicht unter Sodbrennen oder dergleichen. Irgendwie musste sein Körper durch die Reise und die Zeitverschiebung aus dem Gleichgewicht geraten sein.

Oder vielleicht, unter Umständen, möglicherweise, könnte es auch sein, dass er sie ganz einfach umwerfend und großartig fand. Selbst mit einer Schicht Motoröl.

»Urban«, sie klopfte dem Anwalt auf die Schulter, »sag mal. Wenn du einen Rembrandt kaufen würdest, würdest du ihn einem Kindergartenkind mit Wachsmalkreiden anvertrauen?« Der Mann, den sie Rafe genannt hatten, tauchte mit einem Handtuch auf, das er Miss Beswick zuwarf.

»Das ist was anderes, Reg. Von Kunst habe ich keine Ahnung.«

»Du hast auch keine Ahnung davon, wie man Autos restauriert.« Ein dünnes Lachen wogte durch die Menge.

»Ich kann es lernen. Mir Hilfe holen.«

»Von wem? Von uns? Nicht für lau.«

»Na gut, dann bezahle ich eben für die Hilfe«, spöttelte der Mann und zeigte auf den Wagen. »Das ist meine Midlife-Crisis, weil meine Frau mir nicht erlaubt, sie gegen ein jüngeres Modell einzutauschen.«

Tanners Lachen fütterte das flatternde Gefühl in seinem Bauch. Wie gut, dass er diese ganze Situation miterleben konnte und eine Chance bekam, Miss Beswick zu beobachten.

Dieser Urban war einer, der zielte, abdrückte und ins Schwarze traf. So wie Miss Beswick. Sie kam direkt zum Geschäft. Redete nicht lange um den heißen Brei herum. Das sollte er sich besser merken.

»Urban, wie alt bist du? Sechzig, einundsechzig?« Miss Beswick verschränkte die Arme, das ölverschmutzte Handtuch hielt sie lose in der Hand.

»Urban«, Al hielt sich die Hände neben den Mund, »gib’s auf. Sie ist auf Beute aus.«

»Ich habe keine Angst, Al. Das ist nicht mein erstes Rodeo.«

Al stieß Tanner den Ellbogen in die Rippen. »Urban hat am Anfang seiner Karriere gegen einen Serienmörder prozessiert. Es war eine Riesensache, eine heftige Angelegenheit, der ganz große Medienzirkus. Die Geschworenen brauchten weniger als zwei Stunden, um ihr Urteil zu fällen und den Angeklagten für schuldig zu erklären. Seitdem war er immer obenauf.«

»Kann sie ihn überzeugen?«, fragte Tanner. »Wird sie gewinnen?«

»Urban kennt das Gesetz. Er weiß null Komma nichts darüber, wie man Autos restauriert, und das ist ihm auch klar. Reggie weiß es. Und er weiß, dass sie es weiß.«

Während das Abendlicht langsam einem tieferen Nachtblau wich, ließ der Anwalt am Ende die Autoschlüssel in Reggies offene Hand fallen.

Die Umstehenden spendeten Beifall und drängten sich um Miss Beswick, um ihr zu gratulieren.

Fremde Schultern stießen Tanner an, und er wurde mit den anderen zusammen in Richtung der roten Scheune gedrängt.

Als er eine Lücke in der Menschenmenge sah, bahnte er sich einen Weg aus dem Gewühl und nahm Miss Beswicks Spur auf, die auf das offene Scheunentor zueilte, aus dem goldenes Licht fiel.

Urban ging an ihrer einen Seite, Al an der anderen.

Tanner hielt sich im Schatten eines großen Baumes und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Gut beobachten zu können war eine seiner Qualitäten. Sie verschaffte ihm auf dem Rugbyfeld ebenso Vorteile wie im Gerichtsaal oder im Büro des Kulturministers.

Urban und Al kamen einen Augenblick später wieder heraus und gingen zu einem Transporter. Andere sammelten sich in kleinen Grüppchen und machten sich kurz darauf auf den Weg zu ihren geparkten Autos.

Tanner zwang sich, sich in Bewegung zu setzen. Jetzt oder nie, Kamerad.

In der Scheune fand er Miss Beswick, die in einem langen, schmalen Raum, einer Art Behelfsbüro, an einem Computer arbeitete. Er klopfte leise gegen den Türrahmen, und sie wandte sich um.

»Hallo«, sagte sie. »Kommen Sie rein.« Sie stand auf und reichte ihm die Hand. »Haben wir uns schon einmal getroffen? Ich habe Sie draußen bei der Corvette gesehen. Sind Sie ein Freund von Urban?«

»Nein, bin ich nicht. Und wir sind uns auch noch nie begegnet. Ich bin …« Als er ihre Hand berührte, verlor er sein Gespür für sich selbst. Der Boden unter ihm schien sich auf einmal in Knetmasse zu verwandeln, auf der er unmöglich ruhig stehen bleiben konnte. »Tanner Burkhardt.« Er riss seine Hand weg und ging einen Schritt zurück, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.

»Reggie Beswick«, sagte sie. »Höre ich da einen Akzent? Britisch?«

»Hessenbergisch. Ich komme aus dem Großherzogtum Hessenberg.«

»Wow, echt jetzt? Was kann ich für Sie tun? Setzen Sie sich.« Sie wies auf den Stuhl hinter Tanner und zog für sich selbst den Schreibtischstuhl mit dem Fuß heran.

Tanner setzte sich und zwang seine Nerven, sich zu beruhigen. Was hatte diese Frau nur an sich, dass sie ihn so aus dem Gleichgewicht brachte? Es war ja nicht das erste Mal, dass er eine Adlige traf. Oder eine schöne Frau.

»Meine Urgroßmutter wurde in Hessenberg geboren«, sagte sie.

»Tatsächlich. Hat sie Ihnen viel darüber erzählt?« Tanner versuchte, sein übliches professionelles Auftreten an den Tag zu legen und sich zu sammeln, sich auf seine Mission zu konzentrieren, aber er hatte das untrügliche Gefühl, in ihrer Gegenwart unterzugehen. Jedes Mal, wenn sie lächelte, verlor er wieder etwas von seiner Standhaftigkeit.

Mit einem Blick auf den Computer zuckte sie mit den Schultern, bewegte die Maus, tippte etwas. »Nur dass es dort sehr schön gewesen sein soll.«

»Und das ist auch heute noch so.«

Sie drehte sich zu ihm hin und lächelte, was in seiner Herzgegend ein Summen und Sirren auslöste. Tanner schluckte und griff nach seinem Diplomatenkoffer. Pass auf.

»Das glaube ich. Uroma hat nicht viel darüber gesprochen, jedenfalls nicht, soweit ich mich erinnere. Ich war zwölf, als sie starb, und habe mich nie viel für unsere Familiengeschichte interessiert.«

»Miss Beswick …«

»Hey, Sie scheinen mir ein netter Kerl zu sein, aber bitte nennen Sie mich Reggie oder Reg. Dieses Miss-Beswick-Tamtam muss aufhören.«

»Gut, also, Sie müssen verstehen …« Tanner holte den Brief des Königs und die sorgfältig konservierte Originalschrift des Abkommens hervor. »Ich bin aus dringenden, offiziellen Gründen hier. Ist Ihnen das Abkommen zwischen Brighton und Hessenberg aus dem Jahre 1914 ein Begriff?«

»Ja, aus dem Geschichtsunterricht. Aber das ist schon eine ganze Weile her. Warum fragen Sie?« Sie rollte auf ihrem Stuhl rückwärts und griff in einen kleinen Kühlschrank. »Möchten Sie etwas zu trinken?«

Er fühlte sich regelrecht ausgedörrt, aber zuerst wollte er das Geschäftliche erledigt wissen. »Nein, danke.«

»Was denn für dringende, offizielle Gründe?« Sie holte eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und rollte zu ihm hinüber. Sie beugte sich nach vorne, um die Dokumente besser sehen zu können, und er nahm einen schwachen Lavendelduft war.

»Sie erinnern sich sicher, dass Hessenberg 1914 ein Teil von Brighton wurde, als unser Großherzog Prinz Franz sein eigenes Land dem König von Brighton überschrieb – und das war nun einmal ganz Hessenberg.«

»Okay.« Sie richtete sich auf und nahm einen Schluck Wasser. »Das Land des Herzogs war sein Eigentum, richtig? Der Herzog konnte also mit dem Herzogtum machen, was er wollte.«

»Ja, genau. Brillant.« Sie erleichterte ihm seine Aufgabe etwas. »Prinz Franz fürchtete den aufziehenden Krieg und sah sich nicht imstande, eine Streitkraft aufzubauen, die der Rede wert gewesen wäre. Daher stellte er sich hinter König Nathaniel I. von Brighton.«

»Wie war nochmal Ihr Name?« Regina wischte sich eine Hand an ihrer Jeans ab und griff nach den Papieren. »Darf ich?«

Tanner zögerte, übergab ihr aber die Dokumente. »Tanner. Tanner Burkhardt.«

»Also, Tanner Burkhardt, was hat all das nun mit mir zu tun?« Sie richtete den Blick auf den Brief des Königs und trank etwas mehr Wasser. »Warum ist der Brief an mich adressiert?« Sie schob sich noch näher heran und zeigte auf das Monogramm des Königs. »Vom König von Brighton?«

»Weil er ihn an Sie geschrieben hat.«

Sie lachte. »Der König von Brighton hat mir einen Brief geschrieben?«

Auf diese Weise hatte Tanner ihr es eigentlich nicht erzählen wollen, aber es schien zu funktionieren. »Bitte. Lesen Sie ihn selbst.«

Mit einem unsicheren Blick auf Tanner stellte sie ihre Wasserflasche ab und las dann den Brief.

»Verehrte Miss Beswick, im Namen des Königreichs Brighton … empfangen Sie meinen Diener Mr. Tanner Burkhardt … als offiziellen Botschafter … um Sie darüber zu informieren …«

Sie hörte auf, halblaut zu lesen, und das Leuchten Ihres Gesichts verblasste.

»Was? Das ist verrückt. Nein, auf keinen Fall … niemals …« Sie gab Tanner den Brief mit steifem Arm zurück. »Ist das ein Witz? Ein Streich? Wer hat Sie beauftragt?«

Als wäre das sein Stichwort gewesen, steckte ein dunkelhaariger junger Mann, einer der Anzugträger, der bei der Corvette gestanden hatte, seinen Kopf durch die Tür. »Reg, ein paar von uns wollten ins Kino …« Er zog sich zurück, als er Tanner sah.

»Mark, warst du das? Hast du diesen Typen hier angestellt?« Miss Beswick schnappte sich den Brief aus Tanners Hand und wedelte damit. »Was soll das denn für ein Witz sein? Eine Prinzessin? Ich bitte dich. Es ist weder mein Geburtstag noch der erste April, was soll das also?« »Hallo.« Der junge Mann bot ihm die Hand an. »Mark Harper. Bitte entschuldigen Sie die Verrückte, die da vor Ihnen sitzt.«

»Tanner Burkhardt.« Er schüttelte seine Hand. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Harper.«

»Mark. Bitte nennen Sie mich Mark. Mr. Harper ist mein alter Herr.«

»Du warst das also nicht?«, fragte Miss Beswick und wedelte munter weiter.

Mark klopfte Tanner auf die Schulter. »Haben Sie mich jemals im Leben vorher gesehen?«

»Ja …«

»Aha!« Sie hob mahnend den Zeigefinger.

»… draußen bei der Corvette, vor ein paar Minuten.«

»Selbst aha, Reg.« Nun stieß Mark seinerseits seinen Zeigefinger in ihre Richtung. »Zeig mir mal den Brief da.«

»Nix da.« Miss Beswick sprang auf ihren Schreibtischstuhl, wo sie auf unsicheren Beinen balancierte. »Das klingt nämlich genau wie etwas, das du hättest schreiben können, Mark.« Sie sah böse auf Tanner hinunter und las den Brief dann mit übertriebenem hessenbergischem Akzent laut vor. »Im Namen unserer beiden Nationen ersuchen wir Sie inständig, Ihren rechtmäßigen Platz als die Erbin des Großherzogtums Hessenberg und seines Thrones einzunehmen.«

Miss Beswick klopfte sich auf den Oberschenkel, lachte und beugte sich waghalsig zu Mr. Harper hinunter. »Wir ersuchen Sie inständig …«

»Wann hast du denn wohl das letzte Mal die Worte ›ersuchen‹ und ›inständig‹ aus diesem meinem Munde gehört?« Mark verschränkte die Arme und lächelte milde.

»Noch nie, aber für einen guten Witz würdest du ganz sicher ein Wort wie ›ersuchen‹ aus der Schublade ziehen.« Miss Beswick hüpfte von ihrem Stuhl herunter, der daraufhin nach hinten weg- und gegen die Wand schnellte. Tanner sprang auf und wollte nach ihr greifen. Aber sie landete sicher und schaute Mr. Harper an.

»Okay, ja. Aber das hier, das war ich nicht.«

»Wenn du nicht dahintersteckst, wer dann?«

»Miss Beswick«, Tanner schnappte sich den Brief in einer schnellen Bewegung, die seinen Rugbyreflexen geschuldet war, »vielleicht können wir morgen über das Ganze sprechen. Wenn Sie sich etwas frischgemacht haben und ich Ihre ganze Aufmerksamkeit habe.«

»Warten Sie, warten Sie …«

Eine hübsche Brünette schaute durch die Tür. »Mark, Reg, fahren wir jetzt ins Kino oder was?«

»Ich rufe Sie morgen an, Miss Beswick.« Tanner flüchtete aus dem Büro und ging auf das Scheunentor zu. Er würde das nicht als Versagen betrachten. Er wollte es als Start auf dem falschen Fuß betrachten.

Morgen war ein neuer Tag.

Er spürte ein vorsichtiges Zupfen an seinem Ärmel. »Warten Sie, Mr. Burkhardt. Kommen Sie zurück.«

Er bedachte Miss Beswick mit einem kritischen Blick. »Nur, wenn es Ihnen ernst ist. Ich werde meine Zeit nicht mit Jux und Tollereien verbringen. Ich habe einen Auftrag für Seine Majestät zu erledigen, und genau das werde ich auch tun.«

»Seine Majestät?«, unterbrach ihn Mr. Harper.

»Lass gut sein«, sagte sie und schob ihn auf die überbreite Tür zu. »Viel Spaß im Kino.«

»Reg, wirst du zurechtkommen?«, fragte das Mädel, das ins Kino gehen wollte. Sie sah Tanner mit gerunzelter Stirn an. »Wie müssen nicht ins Kino gehen. Für Rafe ist es voll in Ordnung, wenn wir hier auf dich warten.«

»Ich kann ihnen versichern, dass Miss Beswick in den allerbesten Händen ist.«

»Miss Beswick?«, grinste Mr. Harper. »In den besten Händen?”

»Pssst, Mark. Geht schon. Carrie, mir geht’s gut.« Miss Beswick umarmte die Frau. »Ich ruf dich morgen an.«

»Denk an das Abendessen morgen«, rief Mr. Harper. »Gegen acht.«

Im Büro blieb Tanner weiter stehen. »Lassen Sie uns einfach auf den Punkt kommen.«

»Ja, bitte.« Sie verschränkte wartend die Arme. »Um was geht es denn eigentlich?«

»Ihre Urgroßmutter Alice wurde am 10. Dezember 1897 als Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Alice Stephanie Regina geboren, Erbin des königlichen Throns des Hauses Augustin-Sachsen.«

»Bis auf ihren Geburtstag höre ich das alles gerade zum ersten Mal.«

»Ihr Onkel, der Bruder ihrer Mutter, war Prinz Franz, der Großherzog von Hessenberg. Er blieb kinderlos und erklärte seine älteste Nichte zu seiner Erbin.«

»Uroma? Eine Prinzessin? Eine Thronerbin?« Sie kniff ihre Augen zusammen. »Und wie kommt es dann, dass sie nie auch nur eine Silbe …« Unter dem Motoröl wurde sie ganz blass, schlug sich die Hand vor die Stirn und fing wieder an herumzutigern. »Nein, nein, nein …«

»Was ist los?«

»Wir haben früher oft Prinzessin gespielt. Als ich klein war. Aber sie hat nie, niemals etwas darüber gesagt, dass sie eine echte Prinzessin war. Haben Sie sie je getroffen? Nein, wohl eher nicht. Uroma war die liebste, bodenständigste Frau, die man sich vorstellen kann. Sie hat in der Kirche mitgearbeitet und war in jedem Ausschuss, den die Menschheit je gesehen hat. Sie besuchte die Alten und Gebrechlichen. Sie trug dasselbe Paar Schuhe, bis es komplett durchgelatscht war. Fuhr dasselbe Auto 15 Jahre lang und beklagte sich dann, als sie es gegen ein neues eintauschen sollte. Ihr letztes Auto fuhr sie, bis sie 92 war.« Miss Beswick blieb vor ihm stehen. »Das ist verrückt. Uroma? Eine Prinzessin?«

Ihre Worte waren Musik in seinen Ohren. »Miss Beswick, die Frau, die sie gerade beschrieben haben, klingt ganz nach der Prinzessin, zu der sie erzogen worden sein muss. Ganz und gar.«

»Sogar das mit den Schuhen? Und dass sie sich selbst überall hinchauffiert hat?«

Tanner lachte. »Das vielleicht nicht. Aber der ganze Rest.« Er stellte seinen Diplomatenkoffer auf den Schreibtisch. »Sollen wir noch einmal von vorne anfangen?«

Miss Beswick setzte sich langsam. »Bitte. Von vorne.« Sie zog ein Gesicht. »Sie war also wirklich eine echte Prinzessin?«

»Ja.« Tanner überreichte ihr die königliche Akte. »Genau wie Sie, Miss Beswick. Erbprinzessin und Großherzogin von Hessenberg.«

Prinzessin wider Willen

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