Читать книгу Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien - Radek Knapp - Страница 13
Zunge vom sprechenden Ochsen
ОглавлениеWie jede romantische Beziehung hatte auch meine Liebe zur österreichischen Küche eine Schattenseite. Man nannte sie die Gourmetküche. Ich entdeckte dieses Phänomen zum Glück längst, nachdem ich meine perfekte Mahlzeit gefunden hatte und meine Gefühle gefestigt waren. Trotzdem fragte ich mich immer, wenn ich einen Gourmettempel, wie man spezielle Restaurants nannte, sah: Wozu neben einem echten Diamanten noch einen künstlichen hinstellen? Oder neben einer echten Rose eine aus Plastik?
Es tat mir im Magen weh, wenn ich sah, was ein Gourmetkoch mit einem Schnitzel oder einer Ochsenzunge anrichtete. Er panierte und pürierte das arme Ding so lange, bis es fast schon anfing, um Gnade zu betteln. Auch ein Huhn oder Schwein konnte man, nachdem sich die Gourmetküche ihrer angenommen hatte, nur noch mit einem Gentest identifizieren. Vermutlich würde ein geübter Gourmetkoch auch problemlos einen »Bröndby«-Tisch von IKEA zu einer »schwedischen Terrine de luxe« verarbeiten und ihn anschließend um das Dreifache verkaufen. Denn eines der bedauerlichen Prinzipien des Gourmettums lautete: Je weniger ein Lebensmittel wiederzuerkennen war, umso mehr kostete es.
Zum Glück waren die Gourmets Menschen wie alle anderen. Gewiss, sie hatten ihre kleinen Marotten, durch die sie gerne aus der grauen Masse hervorstachen. Sie fuhren zum Beispiel besonders gerne einen SUV, damit er andere Autos auf dem Parkplatz überragte, und trugen Ralph-Lauren-Klamotten, weil dieser einmal sagte: »Wer meine Kleidung trägt, ist einzigartig.« Dass dadurch der Parkplatz am Ende nur mit SUVs vollgestellt war oder dass sie beim Abendessen alle identisch aussahen, fiel offenbar nicht ins Gewicht.
Aber wie normal die Gourmets unter dieser exklusiven Oberfläche manchmal sein konnten, entdeckte ich an einem lauen Sommertag. Ich studierte gerade aus Spionagegründen vor einem ihrer Gourmetlokale eine in Goldlettern ausgestellte Speisekarte, als ein grauhaariger Gourmet auf eine Zigarettenpause aus dem Lokal kam. Er war braun gebrannt und steckte in einem unvermeidlichen Ralph-Lauren-Sakko, auf dem bereits ein paar kleine Sprenkel zu sehen waren, die von einer exklusiven Sauce herrührten. Er rauchte eine Zeit lang majestätisch seine Zigarette, bis er auf der anderen Straßenseite etwas bemerkte, das seine völlige Aufmerksamkeit fesselte. Plötzlich drückte er die Zigarette aus, versicherte sich, dass er unbeobachtet war, und galoppierte wie ein Wiesel über die Straße. Dort prüfte er noch einmal wie ein Bankräuber, dass ihm niemand gefolgt war, und lief zu einem kleinen Würstelstand an der Ecke. Er bestellte im Eiltempo eine gewöhnliche Burenwurst und verschlang sie so schnell, dass niemand etwas mitbekam. Fünf Minuten später stand er wieder vor dem Gourmetlokal und rauchte weiter majestätisch eine Zigarette, als wäre nichts geschehen. Und nur sein Gesichtsausdruck verriet, wie dankbar ihm sein eigener Verdauungstrakt für diesen Seitensprung war.
Für all jene, die trotzdem ein Gourmetgericht probieren wollen, habe ich aus jener gold gedruckten Speisekarte ein paar Spezialgerichte herausnotiert.