Читать книгу Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien - Radek Knapp - Страница 17

Süß oder scharf – das ist hier die Frage

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Dass mir eines Tages die österreichische Küche nicht nur kulinarisch, sondern auch existenziell unter die Arme griff, ist eine Tatsache, die ich nicht oft genug wiederholen kann.

Mein erster Job in Österreich war in einem Würstelstand. Zu dieser Zeit hatte ich mein Märchenmahl noch nicht gefunden und ernährte mich gezwungenermaßen von Burenwürsten, Käsekrainern und Frankfurtern, die ich geschickt miteinander kombinierte. Meine Kundschaft bestand aus Beamten und Müllmännern, die sich nicht sonderlich grün waren, die aber ihre gemeinsame Sympathie für gegrillte Wurst mit süßem Senf regelmäßig vor meinen Stand spülte.

Eines Nachts, als ich dabei war, meinen Stand zu schließen, tauchte plötzlich ein Mann auf, dem, wie Hemingway sagte, seine kriminelle Vergangenheit ins Gesicht geschrieben stand. Sein Gesicht wies mehrere Narben auf, die man sich niemals beim Rasieren einfängt. Sein linkes Auge fehlte, wodurch er im fahlen Neonlicht meines Standes wie jene Horrorfilmfigur aussah, die Teenagern, die mit Kopfhörern Musik hörten, den Schädel einschlug und anschließend das Gehirn verspeiste.

Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, legte ich mir die Geldkassette mit dem Tagesumsatz griffbereit zurecht. Der Mann betrachtete mich ausgiebig mit seinem übrig gebliebenen Auge, das offenbar alles umso schärfer sah, und zog ein ellenlanges Messer hervor. Er hielt es mir vors Gesicht und teilte mir mit einer überraschend angenehmen Stimme mit: »Ich bin zwölf Jahre wegen zweifachen Mordes im Gefängnis gesessen und gerade entlassen worden. Muss ich dir schriftlich erklären, was ich jetzt will, oder kommst du selber drauf?«

Ich schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass man mir so etwas nicht zweimal sagen musste. Froh, dass ich so vorausschauend war, schnappte ich mir die griffbereite Geldkassette und stellte sie vor ihn hin.

Er starrte auf die Geldkassette, und seine Stimme klang noch angenehmer als beim ersten Mal: »Was soll das? Gib mir das hier.«

Er zeigte mit dem Messer auf den letzten Käsekrainer, der auf dem Grill vor sich hin brutzelte.

Ich legte die Geldkassette zurück und bereitete den Käsekrainer in Lichtgeschwindigkeit vor.

»Süßen oder scharfen Senf?«, fragte ich fachmännisch.

»Beide, wenn es recht ist«, sagte der Mann. »Und eine Gabel. Den Rest habe ich schon.«

Sein Messer pendelte in der Luft hin und her.

Ich erfüllte seinen Wunsch und schob ihm den Teller hinüber. Er aß meinen Käsekrainer ganz langsam auf, und während dieser Zeit fiel kein Wort zwischen uns. Als er fertig war, legte er mir das Geld plus Trinkgeld auf den Tresen und verschwand wieder in der Dunkelheit. Während mein Magen sich langsam entknotete, erkannte ich eine tiefe Weisheit, die zwar kitschig klang, sich aber in diesem Moment überaus authentisch anfühlte. Die österreichische Nahrung hatte nicht nur die Gabe, den kulinarischen Horizont eines Fremdlings zu erweitern, sie war auch imstande, ihm das Leben zu retten.

Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien

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